Nachlese-Archiv 2008-2018

Mischa Honeck: Our Frontier Is the World (HCA Book Launch)

13. Dezember 2018

Am 13. Dezember 2018 begrüßte das HCA PD Dr. Mischa Honeck zur letzten Buchvorstellung des Jahres 2018. Er stellte seine neueste Monographie vor, Our Frontier Is the World: The Boy Scouts in the Age of American Ascendency, erschienen bei der Cornell University Press im Mai 2018. Manfred Berg, Curt Engelhorn Professor für amerikanische Geschichte, ein langjähriger Mentor des Autors, stellte dessen akademische Karriere kurz vor. Mischa Honeck erwarb seinen Master, Doktor sowie seine Habilitation am Historischen Institut der Universität Heidelberg und war zwischen 2008 und 2011 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am HCA tätig. Nach einer langjährigen Tätigkeit am DHI Washington wechselte er im September 2017 an die Humboldt Universität zu Berlin, hat aber augenblicklich eine Vertretungsprofessur an der Universität Duisburg-Essen inne. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der Geschichte von Kindheit und Jugend, transnationaler Geschichte, Geschichte der USA in globaler Perspektive, Ethnizität und Rassismus, Geschlechtergeschichte und Imperialismusforschung.

Mischa Honecks Erforschung der Boy Scouts of America (BSA) liefert neue Sichtweisen auf eine altbekannte amerikanische Organisation. Er untersucht die BSA nicht nur als eine nationale Instanz, sondern widmet sich der Rolle der Boy Scouts in der Globalgeschichte und als transnationale Kraft. Our Frontier Is the World sieht die Expeditionen der Boy Scouts zu fremden Kontinenten als Teil der „imperialen Mission“ eines „mächtigen, doch zugleich unschuldigen“ Amerikas. Die BSA wurden 1910 von William D. Boyce gegründet und wuchsen zu einer der größten amerikanischen Jugendorganisationen und zu einem Symbol für Jugendlichkeit und Bruderschaft heran. Die Boy Scouts verpflichteten sich, Amerikas Jungen zu erziehen und machten es sich zum Ziel, physisch starke und psychisch widerstandsfähige Männer hervorzubringen. In gewisser Hinsicht, so die Interpretation Mischa Honecks, stellte die BSA die Lösung des amerikanischen „imperialen Dilemmas“ dar: durch die Teilnahme an internationalen Jamborees, den bekannten Zusammenkünften der Boy Scouts, verbreitete die amerikanische Organisation ihre Botschaft der Bruderschaft rund um die Welt. Liebe, Freundschaft, Fraternität und Güte wurden zu Werten, die den typischen kolonialen Paternalismus ergänzten und zum Teil ersetzten.

Neben seiner sorgfältig recherchierten geschichtlichen Darstellung geht Mischa Honeck in seinem Buch zudem auf Aspekte der Geschlechterstudien sowie auf die Rolle der Ethnizität innerhalb der Boy Scouts ein. Während sich viele ehemalige Boyscouts freudig ihrer Kindheitsabenteuer erinnern, übt Honeck durchaus Kritik an der Organisation und besonders an deren Einstellung gegenüber Herkunft und Sexualität. Die BSA verband die „perfekte Kindheit“ automatisch mit Weißsein/Whiteness und diskriminierte damit andere Ethnizitäten. Das Verhalten sowie die sexuelle Entwicklung der Jungen wurde von den Führungspersonen der Boy Scouts beeinflusst, kritisiert und verändert. Die angeblich natürliche „Verkindlichung“ war in der Realität äußerst artifiziell. Trotz der engen Verbindung von Homosozialität und Homosexualität verbot die BSA jeglichen sexuellen Kontakt zwischen den Jungen, verurteilte Masturbation als ein Übel und diskriminierte gleichgeschlechtige Beziehungen. Trotzdem wurden Fälle sexuellen Missbrauchs publik. Euphemistische Erzählungen von „lebensechten Peter Pans“ und „heiterem Konservatismus“ verschweigen diese negative Seite.

An Mischa Honecks aufschlussreiche Lesung schloss sich eine ebenso interessante Fragerunde an. Das Publikum interessierte seine Themenwahl, die Rolle der Natur bei den Boy Scouts sowie der Umgang der Organisation mit Frauen. Der Autor selbst war einst Mitglied der Cub Scouts, der Kinderorganisation der Boy Scouts, gewesen und begann, für dieses Thema zu brennen, als er ein altes Archivfoto entdeckte, das philippinische Jungen in Boy-Scout-Uniformen zeigte. Er bestätigte jedoch, dass das imperiale Projekt nicht die einzige Säule der BSA-Arbeit darstellte, sondern die Pflege der Natur noch immer noch ein wichtiger Bestandteil des Programms sei: Boy Scouts sammelten nach wie vor Müll und pflanzten Bäume. Auch stellte Mischa Honeck fest, dass sich die Girl Scouts, das weibliche Pendant der BSA, in ihrer Organisation stark unterschieden. Während die „männliche Verkindlichung“ der Boy Scouts Energie und Unschuld verkörpert, würde eine „weibliche Verkindlichung“ nicht denselben Effekt haben. Anstelle von Abenteuer stehen die Girl Scouts eher für Domestizität, nicht zuletzt durch ihren traditionellen Keksverkauf. Nach dem Ende der Lesung hatte das Publikum noch die Gelegenheit, bei einem kleinen Empfang mit dem Autor ins Gespräch zu kommen.

 

Beth Ann Fennelly: A Reading from Heating & Cooling

11. Dezember 2018

Am 11. Dezember 2018 begrüßte das HCA zum zweiten Mal Beth Ann Fennelly zu seinem Baden-Württemberg-Seminar; zusammen mit ihrem Ehemann Tom Franklin war sie dort bereits im Oktober 2016 zu Gast gewesen, um den gemeinsam verfassten Roman „The Tilted World“ vorzustellen. Dieses Mal hatte das HCA zusammen mit der Heidelberg School of Education zu einer Lesung ihrer neuesten Publikation eingeladen, Heating & Cooling. Anja Schüler gab dem Publikum einen kurzen Einblick in Beth Ann Fennellys vielseitige vor. Sie ist Autorin von drei Gedichtbänden, einer Autobiografie sowie eines Romans, bevor Heating & Cooling im Oktober 2017 erschien. Sie wurde mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, und ihre Lyrik ist in über fünfzig Sammelbänden vertreten. Zudem koordiniert sie seit das MFA-Programm der University of Mississippi, wo sie außerdem Lyrik und Non-fiction unterrichtet. 2016 zeichnete sie der Staat Mississippi mit dem Titel poeta laureata aus.

Das Genre des Mikromemoirs, wie Beth Ann Fennelly ihren gegenwärtigen Schreibstil beschreibt, ist ihre eigene Kreation. Nachdem sie vier Jahre lang gemeinsam mit ihrem Mann an „The Tilted World“ gearbeitet hatte, setzte sie sich an den Schreibtisch, um ihren nächsten Roman zu beginnen, aber ihre Gedanken fügten sich nicht ihrem dem Wunsch, sich natürlich aneinander zu reihen, um eine Geschichte zu formen, wie sie das sonst taten. Anstatt sie in ein Muster zu zwängen, begann sie mit ihrem Material zu arbeiten: mit Sätzen, Texten und Essays, die von einer Zeile bis hin zu sechs Seiten variierten. Sie definiert diese Mikromemoiren als „kleines Etwas“, das ihre Lieblingselemente aus Lyrik, Epik, und Sachliteratur vereint: extreme Komprimierung, Erzählung, und Wahrheit. Das Ergebnis sind sehr kurze, wahre Geschichten. Und warum 52 davon? Hinter dieser Zahl verbirgt sich keine klare Absicht. Doch nachdem eine Freundin Fennellys die ursprünglichen einhundert Memoiren als „üppig“ bezeichnete, beschränkte diese ihre Auswahl auf alle Erzählungen, die eine Verbindung besaßen zu Chicago, ihrem Geburtsort, und Mississippi, wo sie schon seit über 18 Jahren lebt; am Ende blieben 52 Mikromemoiren.

Beth Ann Fennelly sucht in ihren kleinen Kunstwerken nach der Schönheit und Bedeutung des täglichen Lebens; Gesten der Liebe und Freundschaft, aber auch Momente der Unhöflichkeit, Verwirrung und Frustration wurden zu dem Material, aus dem sich „Heating & Cooling“ formte. Ihr Buch berichtet dem Leser von ihren starken Emotionen während des „Blizzards 1979“, als sie und ihr Vater durch den Schneesturm zur örtlichen Kirche irrten, oder über den Tag, an dem sie mit einer Fremden eine Unterhaltung über Teppiche führte. Die „Married Love“-Geschichten feiern die rohe, unvollkommene tägliche Liebe, die so viele Erzählungen unberücksichtigt lassen. Beth Ann Fennelly fürchtet sich nicht vor intimen Themen, und so wurden ihre außergewöhnlich große Blase und die Sterilisation ihres Mannes Teil des Buches. Allerdings gelingt es ihr, durch ihre direkte und amüsante Sicht der Welt und ihre außergewöhnliche Fähigkeit, ihre Beobachtungen und Erfahrungen in Worte zu fassen, den Leser eher in schallendes Gelächter zu versetzen anstatt ihn peinlich zu berühren. Wie der Titel „Heating & Cooling“ andeutet, dreht sich das Buch um die Höhen und Tiefen des Lebens, um Kindheitserinnerungen und Elternsein, um Glück und Trauer, Melancholie und Vergnügen. Es sind „all die Emotionen, die mich ausmachen“ wie es Fennelly zusammenfasst, kreiert, um ein „Gefühl der Fülle menschlicher Erfahrung“ zu vermitteln. „Heating & Cooling“ ist ein Buch für Mütter und Frauen, für Väter und Männer, und für alle, die Freude an der Unvollkommenheit des Lebens empfinden.

Nachdem Beth Ann Fennelly die letzte Geschichte beendet hatte, begann eine angeregte Diskussion; das Publikum zeigte besonderes Interesse am Schreibprozess der Autorin und dem Einfluss des Mutterseins auf ihre Arbeit und ihre zukünftigen Projekte. Fennelly rät jedem zukünftigen Schriftsteller, „organisiert in der Arbeit und wild in den Werken“ zu sein – auf die eigenen Gedanken zu hören und sich dem Schreibtisch täglich zu verpflichten, um die eigene Stimme zu finden. Das Mutterwerden veränderte ihre Perspektive auf das Schreiben grundlegend; während sie vorher bemüht war, in perfekter Umgebung perfekte Literatur zu schaffen, genügten ihr mittlerweile 15 Minuten und ein Wachsmalstift, um ihre Gedanken auf Papier zu bringen. Nach der Geburt ihr Kinder wurde sie zunehmend fokussierter und nahm ihren Platz in Zeit und Raum bewusster wahr. Beth Ann Fennellys nächstes Projekt wird voraussichtlich wieder ein Roman sein, weil sich das gerade richtig für sie anfühlt. Im Anschluss an die Diskussion signierte die Autorin dann zahlreiche Bücher und beantwortete dabei viele weitere Fragen.

 

Caroline Levine: "Sustainable Forms: Routine, Infrastructure, Conservation"

28. November 2018

Am 28. November besuchte Caroline Levine das HCA, wo sie ihre Forschung zum Thema Formen und New Formalism vorstellte. Prof. Levine, die als David and Kathleen Ryan Professor of the Humanities an der Fakultät für Englisch der Cornell University lehrt, hatte diese Thesen bereits 2015 veröffentlicht, und sie hatten durchaus Aufsehen erregt. Nach einer kurzen Einführung von Dr. Philipp Löffler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Anglistischen Seminar der Universität Heidelberg, trat sie ans Pult. Die Grundannahme von Caroline Levines Arbeit ist, dass Formen alle Aspekte des menschlichen Lebens beeinflussen. Sie treten in sehr unterschiedlichen Erscheinungen auf, als Organisationen, Rituale, Muster oder abstrakte Konzepte wie Raum und Zeit. Auf diese Weise beeinflussen sie nicht nur unser soziales Leben, sondern auch Politik und Kunst. Alle Formen, so Prof. Levine, haben eine Reihe spezifischer Limitierungen und Vorteile, welche auch Angebote genannt werden. Daher könne man unabhängig davon, wo oder wann eine Form implementiert würde, vorhersagen, wie sie sich in ihrer Umgebung entwickle. Obwohl dies in Caroline Levines Augen ein großer Vorteil ist, begegne man in der Wissenschaft Formen und dem Formalismus eher mit Skepsis. Besonders die Literaturwissenschaft habe eine Kultur entwickelt, in welcher avantgardistische Werke, die mit Formen brachen oder deren Druck widerstanden, hoch angesehen sind und konventionelle Texte oft als minder qualitativ erachtet wurden. Prof. Levine betonte, dass die Hartnäckigkeit dieser Kultur in einer Zeit, die mehr und mehr Wert auf Nachhaltigkeit legt, zumindest merkwürdig, wenn nicht sogar kontraproduktiv scheint. In ihrer Arbeit strebt sie daher danach, das in den Geisteswissenschaften vorherrschende Image der Nachhaltigkeit zu verbessern.

Den zweiten Teil ihres Vortrags widmete Caroline Levine dann der Beantwortung der Frage warum es vorteilhaft ist, Formen zu studieren. Durch die Analyse einer existierenden negativen Form, wie zum Beispiel Sexismus, könne man etablieren, wie solche Strukturen sich selbst erhalten. Auf dieser Grundlage wäre man dann wiederum dazu fähig, eine sich selbst erhaltende positive Struktur zu entwickeln, die die negative ersetzen könnte. Als ein Beispiel hierfür verglich Prof. Levine dann rassistische Strukturen in der amerikanischen Gesellschaft mit einem Lebensmittelversorgungsprogramm in Belo Horizonte, Brasilien. Rassistisch geprägte Hierarchien durchdringen das soziale Leben in den USA und beeinflussen daher auch Institutionen, Organisationen und Traditionen. Diese rassistischen Formen bekräftigten ihrerseits die Idee einer rassistisch definierten Hierarchie. Diese Rückkopplungsschleife zwischen sich reziprok bestätigenden Strukturen ist der Grund, warum Rassismus in den USA ein solch hartnäckiges Problem darstellt. Caroline Levine postulierte daraufhin, dass das Versorgungskonzept von Belo Horizonte auf einer ähnlichen Strategie aufbaue. Bewusst war dieses in jedes politische Ministerium eingebettet worden, so dass Veränderungen kompliziert und seine Reichweite maximiert wurden. Obwohl Vorteile aus diesem Beispiel klar hervorgingen, wies Prof. Levine darauf hin, dass die eigentliche Herausforderung die Verbesserung des Ansehens konventioneller Formen sei. Subversive und revolutionäre Kunst dominiere unser ästhetische Verständnis so sehr, dass es für ein nachhaltiges Leben unumgänglich sei zu lernen, auch in konservativen Routinen das Schöne zu erkennen. Caroline Levine vermutete, dass dies wahrscheinlich die größte Verantwortung der Geistes- und Literaturwissenschaften für die nächsten Jahrzehnte sei. Zum Abschluss ihres Vortrages lud sie daher alle Anwesenden dazu ein, über ihre eigenen Ansichten zu reflektieren und zu versuchen, ihr alltägliches Leben mit neuen, anerkennenden Augen zu sehen. Nach einem gebührenden Applaus nutzte das Publikum dann die Möglichkeit, Prof. Levines Ideen detaillierter zu diskutieren.

 

Susan Herbst: "The History of American Public Opinion and the Case of the Trump Presidency"

27. November 2018

Am 27. November 2018 begrüßte das Heidelberg Center for American Studies die Präsidentin der University of Connecticut, Susan Herbst, zu seinem Baden-Württemberg Seminar. Manfred Berg, der stellvertretende Direktor des HCA, eröffnete den Abend mit einer kurzen Vorstellung von Professor Herbsts außerordentlicher Karriere. Als akademische Direktorin des Universitätssystems Georgia leitete sie 15 Universitäten und war für die Lehre an allen 35 öffentlichen Universitäten des Staates zuständig. Nach Berufungen an die Temple University, Georgia Tech und SUNY Albany wurde Susan Herbst 2010 zur ersten weiblichen Präsidentin der University of Connecticut ernannt. In der Forschung liegt ihr Hauptaugenmerk auf der Analyse der öffentlichen Meinung in den USA. Ihre profunden Kenntnisse auf diesem Gebiet ließen Susan Herbst zu dem Schluss kommen, dass sich die Erforschung der öffentlichen Meinung in den USA im 21. Jahrhundert hochproblematisch gestaltet. Insbesondere der unerwartete Erfolg Donald Trumps bei den Präsidentschaftswahlen 2016 habe dies deutlich gemacht. Zwar hätten Politologen Abstimmungs- und Umfragemethoden im Laufe der Zeit immer weiter perfektioniert, sie sind jedoch daran gescheitert, zu begreifen, was die Gesellschaft wirklich bewegt. Um die momentane Misere der öffentlichen Meinungsforschung zu verstehen, begann Prof. Herbst ihren Vortrag mit einem historischen Rückblick und erklärte anschließend, warum Donald Trump politische Stimmungen so meisterhaft versteht.

Der Begriff „öffentliche Meinung“ wurde während der Französischen Revolution geprägt, doch schon die griechischen Philosophen verstanden die „Weisheit der Masse“ als politische Antriebskraft. Während der 1920er erlebte die Erforschung der öffentlichen Meinung jedoch eine drastische Wandlung. U.S.-Präsident Franklin D. Roosevelt stellte den ersten Vollzeit-Meinungsforscher ein, und Politikwissenschaftler erarbeiteten weitreichende Techniken, um die öffentliche Meinung zu messen und zu beurteilen. Es etablierte sich eine Meinungsforschungsindustrie, um die politische Stimmung der Gesellschaft zu analysieren. Donald Trumps Präsidentschaft spielt eine interessante Rolle in dieser Arbeit. Trump selbst ist ein langjähriger Analyst der öffentlichen Meinung, der während seiner Karriere lernte, die Empfindungen der Öffentlichkeit genau zu verstehen. Die sozialen Medien wurden zu einer bedeutenden Ressource für den Präsidenten, um herauszufinden, was die Massen bewegt und die Analyse des TV-Programms zu einer Möglichkeit, das momentane „Meinungsklima“ einzuschätzen. Susan Herbst sieht hier eine Verbindung zu den Parteibossen des neunzehnten Jahrhunderts, die ein genauso tiefes Verständnis für ihre Wählerschaft besaßen. Umfragen können solch intime Beziehungen weder einfangen noch widergeben.

Laut Prof. Herbst lag 2016 der größte Fehler der Meinungsforscher darin, sich nur auf Umfragewerte zu verlassen, ohne die Verbindung von politischer Kultur und öffentlicher Meinung zu beurteilen. Wenn man das Umfeld der befragten Population näher beobachtet hätte, so wie die historischen Parteibosse, hätte man Trumps Wahlsieg kommen sehen müssen. Seit neuestem folgen Meinungsforscher diesem Rat, was wahrscheinlich dazu führen wird, zukünftige Wahlergebnisse genauer zu prognostizieren. Ein begeistertes Publikum begann anschließend, Prof. Herbst Fragen zu stellen, die von möglichen strukturellen Defiziten in der amerikanischen Politikwissenschaft über die Rolle der Meinungsforscher während der Zwischenwahlen bis zu den Gefahren von Umfragen für die eigentlichen Wahlen reichten.

 

"Kurswechsel nach den Midterms? U.S.-Handelspolitik unter Trump" (Podiumsdiskussion)

20. November 2018

Nach einer spannenden Podiumsdiskussion am 30. Oktober, in der Politikwissenschaftler mögliche Ausgänge der amerikanischen Zwischenwahlen diskutiert hatten, fanden sich am 20. November erneut drei Wissenschaftler im HCA ein, um die U.S.-Handelspolitik sowie einen möglichen Kurswechsel nach den Midterm Elections zu diskutieren. Moderatorin Switgard Feuerstein vom Alfred-Weber-Institut der Universität Heidelberg begrüßte Andreas Falke, Politologe an der Universität Erlangen-Nürnberg, Christian Tuschhoff, Privatdozent an der FU Berlin und Experte für Internationale Beziehungen, sowie den Direktor des HCA, Welf Werner, dessen Forschungsschwerpunkt besonders in der Binnen- und Außenwirtschaftspolitik der USA liegt.

Andreas Falke widmete sich in seinem Eingangsstatement dem neu ausgehandelten USMCA-Abkommen, ehemals NAFTA, das er als „problematisches Abkommen“ einstufte. Es habe negative Auswirkungen auf alte Industriezweige in den USA, was den ohnehin ausgeprägten Protektionismus der Republikaner noch verstärke. Für die Zwischenwahlen spielte die Handelspolitik laut Prof. Falke jedoch eine geringe Rolle und war nur in Agrarregionen wirklich ein Wahlkampfthema; diese seien am stärksten von dem aufkommenden Handelskonflikt zwischen den USA und China betroffen. Christian Tuschhoff analysierte dann die Grundlagen der bisherigen guten Handelsbeziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Europa; sie seien vor allem den Eliten in den Metropolen, multinationalen Firmen, führenden Denkfabriken, Wirtschaftswissenschaftlern sowie den Medien zu verdanken gewesen. Aufgrund des Machtwechsels nach der Präsidentschaftswahl 2016 sei die politische Unterstützung dieser Gruppen jedoch weggebrochen und damit auch das umfangreiche Netzwerk, das die transatlantischen (Handels)beziehungen gestützt hatte. Welf Werner beschäftigte sich in seinem Statement mit den handelspolitischen Strategien der Trump-Administration im Vorfeld der Zwischenwahlen. Er vermutet, dass die U.S.-Regierung sich bewusst dafür entschieden hat, die Wogen in der internationalen Handelspolitik vor den Zwischenwahlen zu glätten. Prof. Werner betonte, dass die USA sich im Augenblick in einer interessanten aber wirtschaftlich auch ungewöhnlichen Ära befänden, da die Trumpregierung versuche, im Rahmen von USMCA alte Industriezweige wiederzubeleben.

In der Diskussion präsentierten Prof. Feuerstein und die anderen Teilnehmer des Podiums einige Grundprinzipien der neuen U.S. Handelspolitik und ihrer zukünftigen Ausrichtung. Prof. Falke stellte die Frage, ob Donald Trump tatsächlich Republikaner sei oder in Wahrheit eine dritte Kraft repräsentiere und versuche, die Handelspolitik in eine protektionistische Richtung zu lenken, um seine Wählerbasis zu aktivieren. Anstelle der alten republikanischen Eliten befände sich nun Trump in der Führungsrolle, und Welf Werner und Christian Tuschhoff stimmten zu, dass es die etablierten Repräsentanten der amerikanischen Handelspolitik schwer haben, gegen Trumps populistische Botschaften anzukommen. Insgesamt schätzte Christian Tuschhoff Donald Trump jedoch als einen eher erfolglosen Präsidenten ein, unter anderem weil er in der Handelspolitik mit China einen unilateralen und keinen abgestimmten multilateralen Weg einschlage. Führenden amerikanischen Unternehmen riet Christian Tuschhoff, ihre internationalen Handelsketten neu zu organisieren, um für mögliche erratische Vorhaben des 45. Präsidenten gewappnet zu sein.

In der anschließenden Diskussion war das Publikum besonders daran interessiert, zu erfahren, ob die Vereinigten Staaten von der augenblicklichen Zollpolitik profitierten und ob Donald Trump als Gewinner aus den aktuellen handelspolitischen Verwerfungen hervorgehen wird. Zum Abschluss forderte Switgard Feuerstein die Teilnehmer auf, ein kurzes Schlusswort zu formulieren. Andreas Falke prognostizierte „ungemütliche Zeiten“ in Europas Handelspolitik mit den USA. Christian Tuschhoff und Welf Werner schlossen sich dieser Prognose an, betonten aber auch, dass der Beginn einer neuen Ära immer seine Probleme mit sich bringe.

 

Jason Henderson: "Google Buses and Uber Cars: The Politics of Tech Mobility, Driverless Cars, and Claims on the Future"

15. November 2018

Gemeinsam mit dem Geographischen Institut Heidelberg setzte das HCA sein Baden-Württemberg-Seminar am 15. November fort und begrüßte dazu Prof. Jason Henderson von der San Francisco State University. Seine Forschung konzentriert sich auf politische Aspekte von Mobilität, urbane Mobilität, Fahrradtransport, öffentliche Verkehrsmittel sowie Parkpolitik, besonders in San Francisco und Kopenhagen. Nach einer kurzen Einführung durch Dr. Gregg Culver vom Geographischen Institut lud Prof. Henderson das Publikum zu Beginn seines Vortrags dazu ein, San Franciscos Mobilitätsentwicklung mitzuverfolgen und die Forderungen der Tech-Mobilität an urbane Lebensqualität, Rohstoffquellen, Arbeitsmarkt sowie die Zukunft zu erfahren.

Jason Henderson begann seinen Vortrag mit der Definition des Begriffs „Tech-Mobilität“, der den Gebrauch von Smartphones, GPS, Batterien und Verteidigungstechnologien umfasst, die auf bestehende Mobilitätsquellen übertragen werden und diese technologisch verknüpfen. Als einer der Vorreiter der Tech-Mobilität gilt der Internetgigant Google, der schon im Jahre 2006 ein privates Busnetzwerk einführte, das seit 2013 weithin bekannt und ein bisschen notorisch wurde. Die Google Busse bieten eine WLAN-Verbindung, großzügige Beinfreiheit und reichlich Sitzmöglichkeiten. Besonders hervorzuheben ist, dass es die Busse den Angestellten ermöglichen, ihre Arbeitszeit schon während des Pendelns zu beginnen, ein Vorteil, den kein öffentliches Verkehrsmittel bietet. Ein zweites Beispiel des steigenden Einflusses der Tech-Mobilität sind sogenannte Transportnetzwerkunternehmen (transportation network companies) wie Uber und Lyft, dessen Vorstandsvorsitzender, Logan Green, das Ende des individuellen Automobileigentums angesichts des rapiden Wachstum des Tech-Mobilität für das Jahr 2025 voraussagt. Die Unternehmen erlauben dem Nutzer, Autos mit Fahrer individuell zu mieten, bargeldlos zu zahlen und die Dienstleistung anschließend über die Smartphone-App zu bewerten.

Die Versprechen der Tech-Mobilitätsbranche klingen vielversprechend. Der Googlebus macht den Besitz eines Autos überflüssig, Uber und Lyft verringern die Notwendigkeit, mit dem eigenen Auto zu fahren. Dies scheint auf den ersten Blick verstopfte Stadtzentren zu entlasten und mehr Parkmöglichkeiten zu schaffen; Mobilität wandelt sich von der Bürde des Einzelnen zu einer Dienstleistung Dritter. Zumindest in der Theorie scheint die Tech-Mobilität eine strahlende Zukunft zu haben, doch die Branche hat ihre Schattenseiten. Der Google Bus versorgt lediglich die Eliten des Googlekonzerns, führt zu steigenden Mieten in den Stadtzentren und macht es der Mittelschicht unmöglich, weiterhin im Stadtkern zu wohnen. Das zieht Gentrifizierung und eine Verdrängung der Arbeiter in dünnbebaute und weniger gut angebundene Gebiete, Devestition in öffentlichen Nahverkehr und bruchstückhafte regionale Planung nach sich. Entsetzliche Arbeitsbedingungen, wie beispielsweise geteilte Schichten und nicht vorhandene Pausenräume sowie lange Pendelstrecken für die Fahrer sind weitere negative Effekte der Tech-Mobilität. Da der Googlebus nicht an festgelegten Stationen, sondern nach Belieben anhält, blockiert er Fahrradwege und die Strecken und Haltestellen der öffentlichen Verkehrsmittel, was in einem „Kampf um den Bordstein“ resultiert. Auch fahrerlose Elektroautos machen trügerische Versprechungen – um von abgasfreien Elektroautos profitieren zu können, müssen diese erst auf emissionsreiche Weise produziert werden. Prof. Henderson schlug vor, statt nach Möglichkeiten zu suchen, zwei Milliarden Autos umweltschädlich zu elektrifizieren, sollte man lieber klären, wie große Mengen erneuerbarer Energien für den öffentlichen Nahverkehr hergestellt werden sowie der Lebenszyklus von Batterien umweltschonender gestaltet werden können.

 

James English: "Popular Fiction Portfolios: Genre and Choice in the Age of Literary Superabundance"

8. November 2018

Am 8. November setzte das HCA sein Baden-Württemberg Seminar mit einem Vortrag von James English zum Thema Leseverhalten fort. Prof. English, der gegenwärtig der John Welsh Centennial Professor of English an der University of Pennsylvania und Direktor des Price Lab for Digital Humanities ist, war der gemeinschaftlichen Einladung des HCA und des Graduiertenkollegs „Authority and Trust“ (GKAT) gefolgt. Tim Sommer, Doktorand des Graduiertenkollegs, stellte James English dem Publikum vor, das sich zahlreich im Atrium des HCA eingefunden hatte. Prof. English begann mit der Vorstellung seines aktuellen Forschungsprojektes, welches maßgeblich von der sogenannten positiven Psychologie beeinflusst ist. Dieser Forschungsbereich, so James English, untersuche vor allem das Konzept des Wohlbefindens und dessen steigende kulturelle Signifikanz. Im Besonderen faszinierten ihn Studien, die in diesem Rahmen den Zusammenhang zwischen Lesen und Zufriedenheit untersucht haben. Leider sind diese Studien jedoch nicht zu zufriedenstellenden Ergebnissen gekommen, was vor allem auf die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes und Datenmangel zurückzuführen ist. Genau dieser Datenmangel brachte Forscher nach und nach dazu, auf Onlineplattformen wie Goodreads zurück zu greifen. Dies spart nicht nur Zeit und finanzielle Mittel, sondern liefert darüber hinaus auch detaillierte Datensätze, da User ihre Lieblingsbücher auf personalisierten Regalen ablegen und bewerten.

Prof. English und sein Team begannen dann, diese Daten zu untersuchen und konzentrierten sich besonders auf die Frage, ob Leser quer durch verschiedene Genres lasen oder dazu tendierten, ihr Lesematerial nur aus einer Sparte auszuwählen. So wollte dieses Projekt die sogenannte „Allesfressertheorie“ untersuchen. Diese besagt, dass Individuen ihren kulturellen Konsum nicht etwa auf Grund ihrer Schicht oder Bildung entwickeln, sondern frei aus allen Bereichen wählen. Gerade im Zeitalter der Digitalisierung sei diese Theorie weitgehend akzeptiert, so James English, weil das Internet nicht nur unendliche viele Optionen biete, sondern diese darüber hinaus auch ohne viel Aufwand zugänglich sind. Um der Allesfressertheorie auf den Grund zu gehen, untersuchte Prof. English zunächst Lesemuster verschiedener Leser gleicher Genres. Leider waren diese Untersuchungen nicht sehr beweiskräftig, weshalb er sich schlussendlich dazu entschied, einzelne Leser genauer zu analysieren und zu katalogisieren. Diese Analyse zeigte überraschenderweise, dass Leser nicht „breit“ konsumierten, sondern meist nur ein spezifisches Genre lasen. Die wenigen Fälle, in denen Leser verschiedene Bücher zu wählen schienen, verdeutlichten vor allem die Problematik, ein Buch zu kategorisieren. Vor allem im Bereich Fantasy and Science-Fiction kam es häufig vor, dass dasselbe Werk von einem Leser als Fantasy und von dem anderen als Science-Fiction kategorisiert wurde. Trotz dieser Ergebnisse betonte James English, dass man auf Grund fehlender Referenzstudien keine endgültige Aussage über Leseverhalten treffen könne. Er wies die Anwesenden jedoch ebenso darauf hin, dass Plattformen wie Goodreads möglicherweise ein genre-spezifisches Lesen förderten, da sie Software nutzten, die ihren Usern neue Bücher aufgrund von bereits gelesenen vorschlägt. Prof. English beendete seinen Vortrag mit der Einladung an das Publikum, seine Forschung als einen Anknüpfungspunkt für weitere Untersuchungen zu betrachten – eine Aufforderung, der die Anwesenden in der Diskussionsrunde gerne nachkamen.

 

Welf Werner: "The Trump Phenomenon: Economic Causes and Remedies" (Antrittsvorlesung)

7. November 2018

Am 7. November hielt der neue Direktor des Heidelberg Center for American Studies, Prof. Dr. Welf Werner, seine Antrittsvorlesung in der vollbesetzten Alten Aula der Universität Heidelberg. Die Freunde, Förderer und Mitarbeiter des HCA, die Mitglieder der Philosophischen Fakultät und der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie die Mitglieder des Kuratoriums des Instituts hießen so Welf Werner an der Universität Heidelberg willkommen, der sein Amt im Februar 2018 angetreten hatte.

Aurel Croissant, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Heidelberg und Dekan der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, eröffnete die Veranstaltung mit einem Grußwort. Er betonte, dass mit Welf Werner nun auch wirtschaftswissenschaftliche Expertise an einem Institut einziehe, das bereits national und international für seine Exzellenz im Bereich der American Studies bekannt sei. Darüber hinaus würden mit dieser Berufung auch die Beziehungen des HCA zu seiner eigenen Fakultät gestärkt.

Photo Gallery: Welf Werner, Inaugural Lecture (November 7, 2018)

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Welf Werner, der am John-F.-Kennedy Institut in Berlin, als Professor of International Economics an der International University Bremen und an verschiedenen amerikanischen Universitäten geforscht und gelehrt hatte, entspreche genau dem Leitbild des HCA, da er volkswirtschaftliches Spezialwissen mit interdisziplinären Forschungsansätzen vereine. Seine Publikationen präsentierten ein breites und gleichzeitig detailliertes Wissen über die USA und kombinierten häufig wirtschaftswissenschaftliche mit historischen, sozialwissenschaftlichen und kulturwissenschaftlichen Ansätzen. Daher sei er überaus erfreut, Prof. Werner an der Universität Heidelberg begrüßen zu dürfen.

Welf Werner erklärte dann zunächst kurz die Wahl seines Themas. Es sei verwunderlich und besorgniserregend, dass populistische Strömungen einen Kandidaten in das höchste Amt einer Nation gespült haben, die nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges nicht nur weltweit Frieden, Wohlstand und Demokratie beförderte, sondern auch bis vor kurzem die multilateralen Institutionen dieser Zeit vehement verteidigt und eine vertrauensvolle internationale Zusammenarbeit unterstützt hat. In seiner Erklärung des „Trump Phänomens“ konzentrierte sich Welf Werner vor allem auf wirtschaftliche und soziale Tatbestände. Im Mittelpunkt seiner Analyse stand die wirtschaftliche Marginalisierung und Verunsicherung großer Teile der amerikanischen Gesellschaft, ein fundamentaler Umbruch, dessen erste Anzeichen sich in den frühen 1980er Jahren in verschiedenen Indikatoren der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Teilhabe bemerkbar machten.

In der Geschichte der USA und insbesondere den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg hat für die U.S. Wirtschaft immer das Diktum gegolten, dass die steigende Flut alle Boote zum Schwimmen bringt; dies war in den vergangenen dreißig Jahren jedoch nicht mehr der Fall gewesen. Die Globalisierung und ein bemerkenswerter technologischer Fortschritt haben dazu geführt, dass die amerikanische Wirtschaft zunehmend qualifizierte Arbeitnehmer nachfragte und weniger qualifizierte zurückließ. Der Bildungsstand vieler Amerikaner konnte mit den immer komplexeren Anforderungen der Arbeitswelt nicht Schritt halten. Auch wenn die USA immer noch eine der reichsten Nationen der Welt sind, gehören sie heute hinsichtlich der Leistungsfähigkeit und der gesellschaftlichen Integrationskraft ihres Bildungssystems unter 35 OECD Staaten zu den Schlusslichtern. Der Glaube an die USA als dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten war immer ein zentraler und unverzichtbarer Teil der amerikanischen Identität; dieser Glaube wurde allerdings durch die unzureichenden politischen Reaktionen auf den wirtschaftlichen Strukturwandel zunehmend in Frage gestellt. Die Große Rezession von 2008 stellte den Amerikanischen Traum einmal mehr in Frage – den Amerikanern wurde klar, dass selbst stagnierende Einkommen keineswegs sicher waren und auch der Besitz eines Eigenheims, ein Schlüsselelement der amerikanischen „Ownership Society“, nicht mehr unangetastet blieb. Protestbewegungen wie die Tea Party und die Occupy-Bewegung, die aus dieser Rezession hervorgingen, waren nicht die einzigen politischen Reaktionen auf diese Krise. Bei den Präsidentschaftswahlen 2016 gehörten finanzielle Nöte und Ängste sowie eine allgegenwärtige Furcht vor gesellschaftlichem Abstieg zu den zuverlässigsten Wirkungsvariablen der Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten, ein Beleg für den engen Zusammenhang zwischen dem Ausgang dieser Wahl und der wirtschaftlichen Malaise der letzten dreißig Jahre.

Welf Werner präsentierte dann mögliche Gegenstrategien für die aktuellen Herausforderungen, nämlich Kompensation und Partizipation. Während Instrumente der Kompensation die vorherrschenden Ungleichheiten vermindern könnten, seien Strategien für eine verbesserte Partizipation marginalisierter Bevölkerungsteile durch Hilfen zur Selbsthilfe vielversprechender. Prof. Werner betonte zudem die Notwendigkeit einer entschlossenen antizyklischen Geld- und Fiskalpolitik, die bei zukünftigen Wirtschaftskrisen eine populistische Gegenreaktion abmildern könnte, wies zugleich aber auch darauf hin, dass diese konjunkturpolitischen Instrumente in der Vergangenheit nicht immer verantwortungsvoll angewendet wurden. In einem zunehmend polarisierten politischen System sei es selbst in Zeiten existentieller Bedrohung der amerikanischen Nation nicht immer zu notwendigen parteiübergreifenden Kooperationen gekommen. Die Trumpadministration hat alle diese Optionen bislang nicht aufgegriffen, im Gegenteil. Im Wirtschaftsaufschwung hat sie durch eine Steuerreform das Defizit erheblich ausgeweitet statt es zurückzufahren. Der 45. Präsident hat die Notwendigkeit dringlicher Sozialreformen wie einen besseren Zugang zu Bildung und Gesundheitsfürsorge ignoriert oder zurückgewiesen. Stattdessen bedient er sich politischer Mittel aus den Zwischenkriegsjahren. Der 45. Präsident macht für die amerikanische Malaise vor allem Ausländer innerhalb und außerhalb der USA verantwortlich – Lateinamerikaner, Chinesen und bisweilen auch Europäer.

Prof. Werner schloss mit einem positiven Ausblick: Er sei fest davon überzeugt, dass man dem amerikanischen Populismus mit wirtschaftlichen und sozialpolitischen Maßnahmen wirksam begegnen könne und dass es ein außerordentlich lohnenswertes Unterfangen sei, die über mehr als siebzig Jahre gewachsenen transatlantischen Netzwerke auch in schwierigen Zeiten zu pflegen und auszubauen. Nach einem ausgiebigen Applaus lud er dann alle Gäste in der Alten Aula ein, seinen Amtsantritt mit ihm im Atrium des HCA zu feiern.

 

"Trump in Trouble? Die Halbzeitwahlen zum Kongress als Zwischenzeugnis für Präsident Trump" (Podiumsdiskussion)

30. Oktober 2018

Am 30. Oktober 2018 hieß das HCA vier Politikwissenschaftler willkommen, die einen Blick auf die eine Woche später anstehenden Wahlen in den USA warfen und mögliche Ausgänge diskutierten. Die sogenannten Midterm Elections, die zwischen zwei Präsidentschaftswahlen stattfinden, bestimmen die Neuverteilung der Sitze des Senats und des Repräsentantenhauses. Auf dem Podium begrüßte Dr. Martin Thunert vom HCA Dr. Philipp Adorf vom Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Sarah Wagner von der Atlantischen Akademie in Kaiserslautern, Melanie Gish, Doktorandin am HCA und Dr. Styles Sass, Absolvent des HCA und stellvertretender Direktor des American Junior Year at Heidelberg University Programms.

Martin Thunert eröffnete die Diskussion mit der Vorstellung der Teilnehmer und bat um Einführungsstatements. Obwohl die Midterm Elections meist nicht zugunsten der Partei des Präsidenten ausfielen, konstatierte Philipp Adorf, dass diese Halbzeitwahlen tatsächlich ein „blessing in disguise“ für Trump darstellen könnten, vorausgesetzt er nutzt die momentane Krise zu seinen Gunsten. Um die Zahl der Republikaner im Kongress beizubehalten, müsse er besonders seine Wählerschaft, weiße Amerikaner mit Statusängsten, ansprechen. Sarah Wagner legte den Fokus auf die Demokraten und beurteilte den aktuellen Zustand der Partei als desaströs. Schon unter Obama hätte diese die Verbindung zu großen Teilen der Wählerschaft verloren, insbesondere auf der Bundesstaatenebene. Die #MeToo-Bewegung und die landesweiten Women’s Marches böten allerdings eine perfekte Möglichkeit, die Partei für diese Wahlen zu revitalisieren. Melanie Gish analysierte das mögliche Wahlverhalten der evangelikalen Wählerschaft. Die Evangelikalen bilden mit circa zwanzig Prozent aller Stimmen einen starken Block, weshalb eine Prognose der Wahlbeteiligung der Evangelikalen auch ein Urteil über den allgemeinen Wahlausgang erlaubt. Sie konstatierte, dass die Evangelikalen seit den späten 1970er Jahren ausschließlich für republikanische Kandidaten gestimmt hätten. Da Trump ihnen mit Mike Pence den Zugang zum Weißen Haus sicherte und den Supreme Court mit konservativen Richtern besetzte, bleibe auch in diesem Jahr zu erwarten, dass die Evangelikalen vorwiegend republikanisch wählen werden. Schließlich stellte Styles Sass die Frage, ob auch während der Halbzeitwahlen sogenannte „campaign narratives“ existierten, um Wähler zu gewinnen. Er kam zu der Erkenntnis, dass dies, in modifizierter Form, auf nationaler, Partei- und persönlicher Ebene tatsächlich der Fall sei.

Nachdem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Standpunkte dargestellt hatten, konzentrierte sich die Diskussion auf die Frage nach einer Wahlniederlage der Republikaner. Auf dem Podium war man sich einig, dass Trump in jedwedem Szenario gewinnen würde – die Schuld an einer verlorenen Wahl falle auf seine Berater, einen Erfolg würde er sich selber anheften. Eine republikanische Niederlage würde ihn aber möglicherweise näher an die politische Realität bringen. „America has to be bigger than Trump“ ist wohl das Fazit dieses Abends, und die Wahlergebnisse werden zeigen, ob die amerikanische Bevölkerung diese Größe besitzt. Nach einer aufschlussreichen Diskussion öffnete sich das Podium den Zuschauerfragen und ging im Folgenden darauf ein, inwieweit sich Probleme bei der Strategiefindung der Demokratischen Partei zeigten und sich die Parteien bemühten, junge Wähler anzusprechen.

 

Alasdair Roberts: "America’s Decade of Confusion: The Political Consequences of Financial Crisis"

23. Oktober 2018

Am 23. Oktober 2018 hieß das HCA Alasdair Roberts, Professor für Politikwissenschaften und Direktor der School of Public Policy der University of Massachusetts in Amherst, herzlich willkommen. Sein Vortrag bildete den Auftakt des vierundzwanzigsten Baden-Württemberg Seminars und fand in Kooperation mit dem Graduiertenkolleg „Authority and Trust“ (GKAT) statt. Der Postdoc des Graduiertenkolleg, Dr. Florian Böller, stellte Prof. Roberts und die Höhepunkte seiner akademischen Karriere kurz vor. Prof. Roberts begann seinen Vortrag mit der Vorstellung seiner Theorie, die besagt, dass auf Phasen der Selbstüberschätzung stets Krisenzeiten folgten, und wandte diese Theorie auf die momentane politische Lage in den USA an. Seine Analyse der aktuellen Stimmung innerhalb der Vereinigten Staaten ergab, dass viele Zeitungsschlagzeilen und neuveröffentlichte Bücher ein Gefühl bevorstehender Katastrophe verbreiteten, ein Gefühl des Untergangs, welches ausnahmsweise nicht nur auf Donald Trumps Verhalten zurückzuführen ist. Schon vor vier bis fünf Jahren fragten die großen amerikanischen Zeitungen, ob etwas „nicht in Ordnung sei mit der Demokratie?“ Weltweit trat die scheinbare Krise der Demokratie trat zur selben Zeit auf wie der Aufschwung autoritärer Regime. Ist Demokratie möglicherweise nicht mehr die richtige Regierungsform für die Herausforderungen des einundzwanzigsten Jahrhunderts?

Um diese Frage zu beantworten unternahm Prof. Roberts einen Exkurs in die Geschichte. Vor ungefähr fünfzehn Jahren bewegte ein anderes Extrem die Vereinigten Staaten, ein Gefühl demokratischer Selbstüberschätzung. Amerika „genoss noch nie einen solchen Wohlstand“ stellte der damalige U.S.-Präsident Bill Clinton im Jahr 2000 fest. Während es Präsident Clinton so vorkam, als würden die Vereinigten Staaten zum ersten Mal eine solche Hochphase durchleben, war dies bereits häufiger der Fall gewesen. Präsident Kennedy verwies auf ein ähnliches Gefühl in seiner Rede aus dem Jahre 1962, als er freudig verkündete, die „großen alten Probleme größtenteils verschwunden sind“. Doch auch auf Kennedys Gefühl des Erfolgs folgte eine Phase der „gebrochenen Demokratie“ von 1974-79.

An welchem Punkt sind wir heute angekommen? Nach seinem historischen Diskurs zog der Redner Bilanz. Seiner Meinung nach befinden sich die Vereinigten Staaten momentan in der „hässlichen“ Phase einer tiefen Krise. Falls das Tief durch die Finanzkrise 2008 ausgelöst wurde und denselben Mustern wie bisherige Abfolgen von Überschätzung und Krise folgt, hat die amerikanische Bevölkerung bisher nur die Hälfte der Turbulenzen überstanden. Nichtsdestotrotz wird dieser Moment der Unsicherheit zur Bildung eines neuen Konsenses durch politische Entrepeneurs führen, und Institutionen werden sich neu ausrichten. Prof. Roberts verabschiedete sich voller Hoffnung von seinem Publikum und versicherte seinen Zuhörern, dass sich Prozesse politischer Neuordnung oft ohne öffentliche Berichterstattung vollziehen. Sein Buch Four Crises of American Democracy zitierend schloss er seinen Vortrag damit, dass „wir der Versuchung widerstehen sollten, umfassende Urteile über die Demokratie in dieser schwierigen Zeit zu fällen. Demokratie funktioniert nicht einwandfrei, aber sie funktioniert.“ Das Publikum im HCA Atrium vertiefte die von Prof. Roberts vorgetragenen Thesen noch durch eine Reihe von Fragen.

 

Jonas Anderson: "The Van Rensselaers: An American Aristocracy in a Changing World" (Kentnerpreis)

18. Oktober 2018

Das HCA läutete, wie jedes Jahr, das Wintersemester mit der Verleihung des Rolf Kentner Dissertationspreises ein. In diesem Jahr ging der Preis an Jonas Anderson, der wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena ist. Eröffnet wurde der Abend von Prof. Dr. Ulrike Gerhard, die am Geographischen Institut der Universität Heidelberg Humangeographie Nordamerikas lehrt. Sie hieß die zahlreichen Gäste, welche sich im Atrium des HCA eingefunden hatten, wärmstens willkommen und bedankte sich im Namen der Fakultät und aller Mitarbeiter bei Rolf Kentner, der als langjähriger Freund und Wohltäter des HCA diese jährliche Auszeichnung ermögliche. Das HCA sei stolz und dankbar, so Prof. Gerhard, bereits zum neunten Mal eine herausragende deutsche Dissertation im Bereich American Studies auszeichnen zu können. Besonders begrüßte Prof. Gerhard auch die zahlreichen Studentinnen und Studenten, die in diesem Semester einen Bachelor-, Master- oder Promotionsstudiengang am HCA begonnen haben, und ermunterte sie dazu, sich wie Jonas Anderson mit interdisziplinären Forschungsfragen auseinanderzusetzen.

Nach diesen einführenden Worten ergriff dann Dr. Wilfried Mausbach, wissenschaftlicher Geschäftsführer des HCA, das Wort und stellte dem Publikum den diesjährigen Preisträger vor. Jonas Anderson studierte Geschichte, katholische Theologie sowie amerikanische Kulturgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und arbeitete nach seinem Abschluss 2013 als Postgraduierter an der State University of New York in Albany und der Harvard University. Schließlich kehrte er an seine Alma Mater zurück und begann dort seine Dissertation über die niederländisch-amerikanische Familie der Van Rensselaers. Diese Familie war im siebzehnten Jahrhundert nach Amerika emigriert und hatte ihren sozio-politischen Status bis ins zwanzigste Jahrhundert erhalten können. Jonas Andersons Dissertation, so Wilfried Mausbach, nutze die ausführlich recherchierte Geschichte einer einzelnen Familie, um ein größeres Argument über die Aristokratie in Amerika zu machen. Er zeige hierdurch nicht nur, dass eine solche Klasse existierte, sondern darüber hinaus auch, wie sie ihre Macht über mehrere Jahrhunderte hinweg aufrechterhalten konnte. Daher sei das HCA stolz, diese exzellente Arbeit mit dem Kentnerpreis auszeichnen zu können. Nachdem Dr. Mausbach und Prof. Gerhard dem Preisträger gratuliert und den Preis übergeben hatten, betrat dieser die Bühne.

Zunächst dankte auch Jonas Anderson Rolf Kentner sowie dem HCA für die Auszeichnung. Dann begann er die Familienchronik der Van Rensselaers kurz wiederzugeben, um den Anwesenden die Relevanz dieser Familie zu verdeutlichen. Die Van Rensselaers hatten Europa verlassen, um am erblühenden Handel in den amerikanischen Kolonien teilzuhaben. Bald darauf erwarben sie eine Charta, welche es ihnen ermöglichte, als Großgrundbesitzer Land im Hudson Valley zu besiedeln. In ihrer neuen Rolle gewannen sie rasch an Einfluss und zogen eine Reihe von Pächtern an, die das Land erschlossen und kultivierten. Obwohl dieses fast feudale System selbst für damalige Verhältnisse veraltet schien, waren die Van Rensselaers keineswegs erzkonservativ. Zu Zeiten der amerikanischen Revolution verbündeten sie sich mit den Revolutionären und konnte so nach dem Unabhängigkeitskrieg Einfluss auf das neue politische System nehmen und ihren Status sichern. Dennoch zwangen schlussendlich Schulden und die soziale Bewegung gegen das vorherrschende Agrarsystem die Van Rensselaers in den 1860er Jahren dazu, ihr Land an Pächter und Investoren zu verkaufen. Jonas Anderson schloss dann seinen Vortrag, indem er betonte, dass eine Familiengeschichte wie die der Van Rensselaers exemplarisch die Beständigkeit und den Einfluss der Aristokratie in Amerika zeigen könne. Nach gebührendem Applaus versammelten sich Preisträger, Gäste und Mitarbeiter des HCA zu einem festlichen Empfang in der Bel Etage.

 

Laura Walls: "The Sphinx at the Crossroads: Transcendentalism Meets the Anthropocene"

26. Juli 2018

Das HCA beschloss sein dreiundzwanzigstes Baden-Württemberg Seminar mit einem Vortrag von Laura Walls, der William P. and Hazel B. White Professorin für Englisch an der University of Notre Dame. Prof. Walls Arbeit erforscht die Berührungspunkte von Naturwissenschaft und Literatur, vor allem in den Werken von Ralph Waldo Emerson, Henry David Thoreau und Alexander von Humboldt. Den amerikanischen Transzendentalismus interpretiert sie vor allem als eine intellektuelle, soziale und umweltorientierte Reformbewegung. Professor Walls war die erste Festrednerin der Konferenz „Transcendentalist Intersections: Literature, Philosophy, and Religion“, die die Ralph Waldo Emerson Society und die Margret Fuller Society am letzten Juliwochenende gemeinsam am HCA organisierten. Prof. Walls eröffnete ihren Vortrag über die Begegnung zwischen Transzendentalismus und dem Anthropozän mit der Beobachtung, dass es uns häufig so vorkommt als seien die Geisteswissenschaften in der Vergangenheit stecken geblieben. Im einundzwanzigsten Jahrhundert könnte man sich nicht darauf verlassen, dass die Natur es richten wird, da der Zusammenbruch von Ökosystemen immer deutlicher zu beobachten sei – tatsächlich war es an diesem glühend heißen Abend im Atrium des HCA schwer, die Debatte um den Klimawandel zu ignorieren.

Obwohl Ralph Waldo Emerson vielen Wissenschaftlern als Mystiker und Träumer gelte, betrachte sie ihn als führenden Intellektuellen seiner Zeit. Wie kein anderer verkörpere er die Verbindung zwischen Transzendentalismus und der Naturwissenschaft des 19. Jahrhunderts. Seine erste Veröffentlichung Nature (1836) enthielt eine Reihe von naturwissenschaftlichen Vorträgen über Naturwissenschaft, und in seinem 1841 in The Dial veröffentlichtem Gedicht „The Sphinx“ sprach sogar die Natur selbst, so Walls. Daher könne man nicht länger ignorieren, dass Emersons Werke für die Berührung von Human- und Naturgeschichte stünden. In unserem Zeitalter „sollten wir nicht gegen transzendentalistische Denker denken, sondern uns an ihen orientieren,“ betonte Walls. Damit leitete sie zur Betrachtung einiger historischer „Golden Spikes“ über, die sowohl in Geschichtsbüchern als auch in der Naturgeschichte zu finden seien: So führte im frühen 17. Jahrhundert die Vertreibung der Ureinwohner Nordamerikas zu einer Renaturierung der Wälder und einem drastischem Einbruch der Kohlenstoffdioxidwerte in den von ihnen zuvor bewohnten Gebieten; diese Werte stiegen im späten 18. Jahrhundert durch die Erfindung der Dampfmaschine dann wieder dramatisch und dem Beginn der Industriellen Revulotion dann wieder drastisch an; und die Detonation der Atombombe 1945 veränderte nicht nur die Humangeschichte sondern auch unseren natürlichen Lebensraum. Ebenso wie die Geisteswissenschaften oftmals den Einfluss von Fossilien in der Geschichtsschreibung vernachlässigten, vernachlässigten Interpretationen von Emersons Arbeit die Naturwissenschaft als einen integralen Teil. Eine Leitidee in Emersons Denken sei die Anwendung naturwissenschaftlicher Methoden zum besseren Verständnis von Gottes Schöpfung gewesen, ein Aspekt seiner Philosophie, der häufig verborgen bleibe. Professor Walls schloss ihren Vortrag dann mit einem Hinweis auf die ambivalente Beziehung zwischen der amerikanischen Gesellschaft und der Natur: Amerikaner seien im gleichen Maße hingezogen zur Weite der Wildnis und entsetzt über deren Zerstörungskraft. Nach dieser ersten Festrede nutzten die Teilnehmer und Gäste dann die Möglichkeit, sich bei kühlen Getränken im Garten des HCA auszutauschen.

 

Guido Möllering: "Trust Obliges? On Rational, Routinized, and Reflexive Responsibility" (GKAT Ringvorlesung)

19. Juli 2018

Am 19. Juli beendete das Graduiertenkolleg “Authority & Trust” seine Ringvorlesung mit einem Vortrag von Guido Möllering, Direktor des Reinhard-Mohn-Instituts für Unternehmensführung sowie Professor für Unternehmensführung an der Universität Witten/Herdecke. In seinem Vortrag „Trust Obliges? On Rational, Routinized, and Reflexive Responsibility“ diskutierte Professor Möllering die Vorteile der Vertrauensforschung für die Sozialwissenschaften. Er stellte fest, dass Vertrauen auf Vernunft, Routine und Reflexivität basiere und dass deren Beziehungen zueinander der Grundstein der Vertrauensforschung bildeten.

Man könne diese Kategorien dennoch nicht einfach im engsten Sinne anwenden. Im alltäglichen Leben seien wir ständig mit der Frage konfrontiert, wie wir den Menschen, mit denen wir interagieren, vertrauen können. Schlussendlich müssen alle, die jemandem vertrauten, ihr individuelles Verständnis ihrer sozialen und persönlichen Verwundbarkeit und Unsicherheit aussetzen, da es unmöglich sei, alle für eine rationale Entscheidung notwendigen Fakten zu haben. Daher ist Vertrauen immer ein Wagnis, weil uns schlichtweg die Informationen über die Vertrauenswürdigkeit einer anderen Person fehlten. Ähnlich verhalte es sich mit Routine, denn auch hier seien wir gezwungen, unsere Standards zu lockern. Uns fehle nämlich die notwendige Zeit alle Institutionen, mit denen wir aufgewachsen sind, ausreichend zu hinterfragen. Folglich sie die Entscheidung für einen Vertrauenden leichter, wenn er die Institution in Frage bereits kennt. Abschließend ermunterte Professor Möllering die Anwesenden, die Grundlagen ihres Vertrauens einmal genauer zu betrachten. Es sei Akteuren nämlich durchaus möglich, die bestehenden Prozesse und Annahmen zur Vertrauensbildung durch neue Initiativen zu verändern. Indem ein Akteur zum Beispiel mit „blindem Vertrauen“ voran schreite, könne er Situationen kreieren, in denen Vertrauen wachse. Ein solches Vertrauen könne allerdings nur durch retrospektive Datenerhebung nachgewiesen werden. Dieser reizvolle, ja provokative Vortrag gab dem anwesenden Publikum neue Herangehensweisen für ein besseres Verständnis von Vertrauen an die Hand.

 

Franz Untersteller: "Klimaschutz von Unten: Baden-Württemberg und Kalifornien in der subnationalen Under2 Coalition"

13. Juli 2018

Am 13. Juli besuchte Franz Untersteller, Minister für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft des Landes Baden-Württemberg, auf Einladung des Heidelberg Center for the Environment und des Heidelberg Center for American Studies das Curt und Heidemarie Engelhorn Palais, um über Klimaschutzinitiativen auf der subnationalen Ebene zu sprechen. Nach einer kurzen Begrüßung durch Rektor Prof. Bernhard Eitel spach Minister Untersteller dann über die Under2 Coalition.

Er berichtete zunächst über regionale Umweltschutzinitiativen, die in den vergangenen Jahren vermehrt in den Fokus der Klimapolitik gerückt seien. Begonnen habe diese Entwicklung im Jahr 2014, als er einer Einladung zur Intersolar, der wichtigsten Messe für Solartechnik in Nordamerika, nach San Francisco gefolgt war. Dort traf er den kalifonischen Gouverneur Jerry Brown. Gemeinsam hätten sie damals beschlossen, durch einen möglichst großen Zusammenschluss wirtschaftsstarker Regionen mehr Druck auf nationale Entscheidungen im Zuge der Klimakonferenz in Paris auszuüben. Im darauffolgenden Jahr gründeten sie dann zusammen mit zehn anderen Regionen die Under2 Coalition, die gemäß den Ansprüchen der einzelnen Regionen explizite Ziele festlegt. Mittlerweile haben sich knapp 200 Regionen weltweit und somit 40% der Weltbevölkerung diesem Projekt angeschlossen. Minister Untersteller schloss mit einem Ausblick auf die International Conference for Climate Action, welche 2019 in Heidelberg stattfinden wird. Anschließend beantwortet er die Fragen der anwesenden Zuhörer, die sich vor allem um die Festlegung und Einhaltung von Klimazielen und die Berücksichtigung des Welthandels drehten.

 

Amy Hungerford: "Reading, Not Reading, and the Tangible Humanities" (GKAT Ringvorlesung)

12. Juli 2018

Am 12. Juli hielt Amy Hungerford im Rahmen des Baden-Württemberg-Seminars und in Kooperation mit dem Graduiertenkolleg „Autorität und Vertrauen“ (GKAT) einen Vortrag am HCA. Günter Leypoldt, Professor für amerikanische Literatur und Kultur an der Universität Heidelberg, hieß die Wissenschaftlerin willkommen, die ihre Prominenz nicht nur ihren mannigfaltigen Publikationen verdankt, sondern auch Gründung von post45, einer Gesellschaft von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich den literarischen und kulturellen Studien nach 1945 widmen. Professor Hungerford bietet zudem eine kostenlose Onlinevorlesung an, in der sie ihre Arbeit mit und für ihre Bachelorstudentinnen und -studenten an der Yale Universität veröffentlicht. Dort ist sie Professorin für Englischsprachige Literatur und Dekanin der Geisteswissenschaften. Sie arbeitet außerdem an einer frei zugänglichen studienbegleitenden Zeitschrift mit, welche sich mit computerbasierter Methodik auseinandersetzt:“CA: A Journal of Cultural Analytics“. An diesem heißen Sommerabend im HCA teilte sie die Erkenntnisse und Erfahrungen ihrer Forschung zum Thema Autorität von Wörtern, sowie über unser Verständnis von Lesen und Nicht-Lesen.

Nick Hornby bekannte in seiner Kolumne “Stuff I’ve Been Reading” (“Zeug, das ich gelesen hab’”) für das Magazin“ The Believer“ sein schlechtes Gewissen, weil er seit der vergangenen Ausgabe nur zwei Bücher gelesen hatte. Was aber, wenn der Autor erkannt hätte, dass er gar nicht gelesen hat, fragte sich Amy Hungerford. Es gebe jene, die das Lesen lebten und Autorität für sich beanspruchten, weil sie die Klassiker gelesen hatten, und solche, die das Lesen liebten, die einfach lasen, wonach ihnen der Sinn stand. Sie beschrieb außerdem ein Phänomen, dass vermehrt die erste Gruppe beträfe – auf den Kauf eines Buches folgt das Nicht-Lesen. Welche Texte wir nicht lesen, sage genauso viel über uns aus, wie die Texte, die wir lesen, hatte Professor Hungerford in ihrer Recherche festgestellt. Der Autor Phillip Roth beispielsweise ließ zahlreiche Bücher ungelesen in in seinem Regal stehen bis er eine Verbindung inzwischen sich und dem Autor entdeckte. Ein weiteres Thema, welches Professorin Hungerford in ihrem Vortrag aufgriff, war das Problem des Überflusses, wie es ihr Kollege an der Universität Notre Dame, Matthew Wilkens, beschreibt. Seit die Mehrheit der Menschen das Internet nutzt, leiden viele unter einer Überflutung mit Texten. Im Jahr 2011 wären allein in den USA mehr als 50.000 Romane veröffentlicht worden, berichtete Professor Hungerford. Keine Leserin oder Leser könne all jenen gerecht werden, die unsere Aufmerksamkeit verdienten.

Ein Buch kann dem Leser Gesellschaft bieten – wir fühlten uns nicht einsam, wenn wir lesen. In unserer Vorstellung konstituiert die Lektüre Gemeinschaft, wie Abigail Williams in ihrem Buch The Social Life of Books über Lesen als Freizeitbeschäftigung im 18. Jahrhundert argumentiert. Moderne Literatur, so Professor Hungerford, schaffe ein Selbst-Bewusstsein und öffne die Tür zur Introspektion á la Thoreau. Heutzutage sei es schwer für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ihr Lesen und Lehren zu kuratieren. Amy Hungerford beendete Ihren Vortrag mit Hinweisen auf die Idee des gläsernen Klassenzimmers, entwickelt, um Außenstehenden einen Blick in das Innere des eines Lernraums zu ermöglichen. Hier würde Lesen greifbar, die Transparenz schaffe eine besonderen Raum, in dem Lesen zur gemeinsamen Erfahrung wird. Nick Hornbys Antwort auf seine eigene Frage sei simpel: “Lesen Sie, was Sie genießen, nicht, was Sie langweilt”.

Anschließend lud Professor Leypoldt das Publikum ein, sich an der Diskussion zu beteiligen. Was würde Schülerinnen und Schüler animieren zu lesen, wurde gefragt. Das Problem sei weniger das lesen in der Schulzeit, als in der Zeit danach, antwortete Professorin Hungerford. Schule konfrontiere “unschuldige Leserinnen und Leser” oft mit Büchern, die sich mit Sozialmoral auseinandersetzten, wo Lösungen nur durch Empathie erreicht werden könnten. Klassenzimmer und Lesende generell bräuchten Vielfalt. Was hätte eine Literaturwissenschaftlerin oder ein Literaturwissenschaftler der Gesellschaft zu bieten, fragte eine weitere Stimme aus dem Publikum. Belesenheit würde nach wie vor geschätzt, sagte die Professorin. Sich mit etwas auszukennen sei kulturelles Kapital. Langsam endete der Abend, und das Publikum verließ das HCA mit dem Gedanken, was lese ich nicht?

 

Omar Lizardo: “Dual Process Models in Social Psychology and Cultural Sociology: Implications for the Study of Trust” (GKAT Ringvorlesung)

5. Juli 2018

Am 5. Juli hieß das HCA Prof. Omar Lizardo im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Baden-Württemberg Seminar und dem Graduiertenkolleg „Authority and Trust“ (GKAT) zu einem öffentlichen Vortrag willkommen. Professor Lizardo, kam von der Notre Dame ans HCA, wird aber ab Herbst 2018 als LeRoy Neiman Term Chair Professor of Sociology an die University of California in Los Angeles wechseln wird. Er stellte dem Publikum das sogenannte Dual-Prozess-Modell vor und erörterte, wie dieses soziologische Konzept die Erforschung von Vertrauen verbessern kann. Nach einer kurzen Vorstellung durch Günter Leypoldt, Professor für amerikanische Literatur und Kultur an der Universität Heidelberg, begann Prof. Lizardo dann seinen Vortrag mit einer Erläuterung der Dual-Process-Modelle. Im Gegensatz zur vorherrschenden Unterscheidung zwischen rationalem und emotionalem Denken unterteilten Dual-Process-Modelle das Denken in rational und instinktiv. Diese Unterteilung zeige, dass alle Modelle unterschiedlich stark von Rationalität und Emotionalität beeinflusst seien, ein Ansatz, der laut Prof. Lizardo nicht nur näher an der Realität liege, sondern auch die empirische Erforschung von, beispielsweise, kulturellem Lernen vereinfache. Dies könne man so in vier Prozesse unterteilen – lernen, verinnerlichen, ausüben und denken – die alle sowohl rational als auch instinktiv durchgeführt werden. So lerne ein Individuum implizit, sprich instinktiv, sogenanntes „Know-how“ und gleichzeitig explizit, also rational, das „Know-what“ einer Kultur. Dieser duale Prozess von rationalem und instinktivem Lernen ermögliche es dem Einzelnen nicht nur, sich gemäß einer Kultur zu verhalten, sondern auch im Sinne dieser Kultur Entscheidungen zu treffen.

Prof. Lizardo erörterte dann, wie sich dieser Ansatz auf die Erforschung von Vertrauen, die zu diesem Zeitpunkt noch zum größten Teil auf der Dichotomie von kalkuliertem und intuitivem Vertrauen basierte, auswirke. Besonders das Vertrauen, das auf rationaler Kalkulation basiere, sei interessant für die Wirtschaft; seine Erforschung sei daher oft darauf ausgerichtet zu analysieren worauf Menschen vertrauen, wie sie dieses Vertrauen aufbauen und zu was sie dieses Vertrauen motiviere. Die meisten Studien grenzten jedoch Vertrauen aus rationalen Prozessen und Vertrauen aus Sympathie heraus nicht klar genug gegeneinander ab, was laut Prof. Lizardo nicht nur unzureichend, sondern auch kontraproduktiv sei. Wende man die Struktur der Dual-Process-Modelle auf diese Forschung an, so könne man die vorherrschenden Kategorien verfeinern. In diesem Sinne schlug er vor, zwischen einem bewusst erzeugten Vertrauen und einem intuitiven Vertrauen zu unterscheiden und in einem weiteren Schritt zu erforschen, wie beide Arten gelernt, verinnerlicht, ausgeübt und gedacht wurden. Da insbesondere das intuitive Vertrauen in der technisierten Moderne immer wichtiger werde, könne dieser Ansatz neue und relevante Einsichten generieren. Im Anschluss an Prof. Lizardos Vortrag nutze das Publikum dann die offene Fragerunde, um genauer auf die Terminologie der Dual-Process-Modelle einzugehen und gemeinsam mit dem Vortragenden einige Gedankenexperimente zu wagen.

 

Kameshwari Pothukuchi: "Agri-Food Collaborations In Detroit: Collective Action & Trust" (GKAT Ringvorlesung)

28. Juni 2018

Die GKAT Ringvorlesung wurde am 28. Juni mit einem Vortrag von Kameshwari Pothukuchi fortgesetzt. Prof. Pothukuchi lehrt am Institut für Urban Planning der Wayne State University in Detroit und ist Expertin für urbane Landwirtschaft in der Stadt. Am HCA sprach sie über „Agri-Food Collaborations in Detroit: Collective Action & Trust.” Detroit sei weltweit bekannt für seine abnehmende Einwohnerzahl, die sich in den letzten 60 Jahren mehr als halbiert hatte. Aber auch die damit einhergehende Verarmung und Nahrungsversorgungsprobleme sind weithin bekannt. Seit kurzem hatte sich Detroit jedoch zum Zentrum der urbanen Landwirtschaft entwickelt. Diese bekämpfe nicht nur Probleme der Nahrungsmittelversorgung in großen Städten, sondern zieht auch interessierte interdisziplinäre Forscher an.

Prof. Pothukuchis Vortrag thematisierte vor allem die Notwendigkeit von Vertrauen im Prozess der Etablierung und Institutionalisierung urbaner Landwirtschaft in Detroit. Zunächst stellte sie daher ihr theoretisches Konzept vor und füllte dieses dann mit Erfahrungsberichten aus Detroit. Hierzu verwies sie auf drei ortsansässige Organisationen, die sehr unterschiedlichen Ressourcen zur Verfügung haben. Eine solche Vielfalt ermögliche es, Aussagen über die Integration verschiedener Organisationen in einer konkreten Nachbarschaft zu treffen. Diese Gebiete seien darüber hinaus von Spannungen zwischen Mitgliedern und Außenstehenden und deren Vertrauensverhältnissen geprägt. Die Analyse der verschiedenen Integrationsstrategien der genannten Organisationen zeige, dass diese von den Bewohnern der besagten Gebiete akzeptiert wurden. Prof. Pothukuchi versteht ihre Arbeit daher nicht zuletzt als einen Beitrag zum Gedeihen einer integrierten und nachhaltigen urbanen Landwirtschaft in Detroit, da besonders die einzelnen Organisationen, die dieses System etablieren wollten, von ihrer Forschung profitierten.

 

Die Zukunft der transatlantischen Gemeinschaft (HCA Book Launch)

26. Juni 2018

Das HCA setzte seine Buchvorstellungen am 26. Juni mit der Präsentation des Bandes „Die Zukunft der transatlantischen Gemeinschaft“, der beim Nomos Verlag in Baden-Baden erschienen ist, fort. Herausgeber ist Dr. Florian Böller, wissenschaftlicher Mitarbeiter am HCA und Post-Doc des DFG-Graduiertenkollegs „Autorität und Vertrauen” (GKAT). Einblicke in das Buch gaben auch HCA-Direktor Prof. Welf Werner und Dr. Gerlinde Groitl, Akademische Rätin an der Universität Regensburg. Auf dem Podium wurden zunächst Fragestellungen, Konzeption und Thesen vorgestellt. Dr. Böller erinnerte an Krisen in der Vergangenheit, die die transatlantische Partnerschaft erschüttert, jedoch auch gefestigt hatten, darunter die Suezkrise, die Kosten der Militärpräsenz der USA, der Vietnam- und in jüngerer Zeit auch der Irakkrieg.

Aus historischer Perspektive könne man resümieren, dass am Ende ja immer alles gut gegangen sei, sagte Dr. Böller; in der momentanen Situation sei jedoch eine gehörige Portion Skepsis angebracht. Der Band über die aktuelle Verfassung des Verhältnisses adressiere zum einen die Ursache von Krisen, zum anderen konkrete Vermeidungsmechanismen. Die transatlantische Gemeinschaft sei vor allem Sicherheits- und Wohlfahrtsgemeinschaft und, als Konsequenz und gleichzeitig Schnittstelle beider Felder, eine Wertegemeinschaft.

Gerlinde Groitl hatte sich in dem Band sicherheitspolitischen Fragen gewidmet, Welf Werner sozialpolitischen, also auch der wirtschaftspolitischen Beziehung. Zwei Thesen erläuterte Dr. Böller in Hinsicht auf diese Bereiche: dass es schon unter Barack Obama zu massiven Zerwürfnissen gekommen sei, wie etwa beim Thema Drohnenkrieg, und dass die bisherigen Normen des Multilateralismus erheblich Schaden genommen hätten, sichtbar etwa in Donald Trumps Wunsch, die G8 zu verlassen, und seine Überlegungen, aus der NATO auszutreten. „Wir Europäer müssen unser Schicksal in unsere eigene Hand nehmen“, zitierte Dr. Böller die deutsche Bundeskanzlerin, bevor er das Wort an Gerlinde Groitl übergab. Dr. Groitl, die sich zur realistischen Schule der Politikwissenschaft bekannte, sieht die transatlantische Beziehung zunächst als Partnerschaft, und diese sei in den Augen Trumps keine gleichwertige – deshalb verlange er nach Alternativen. In Europa ließe man sich zu sehr auf die Skandale um den amerikanischen Präsidenten ein, man glaube, vor ihm sei alles gut gewesen und nach ihm würde es wieder so sein, sagte Dr. Groitl. Es fände jedoch vielmehr eine andauernde Entfremdung statt. Als Beispiele nannte sie die Schwierigkeiten in Europa während des Balkankrieges und die Stellungnahme europäischer Politiker gegen Bushs „Krieg gegen den Terror“. Im Sammelband hatte sich Dr. Groitl den außenpolitischen Beziehungen zu China gewidmet, zu denen sie aktuell auch ihre Habilitation verfasst. Chinas Aufstieg dividiere die USA und Europa auseinander, und auch wenn Trump dieses Dilemma nicht erschaffen habe, so verschärfe er es doch massiv. Der Konflikt greife die Substanz der Partnerschaft an, und doch sei klar, dass die beide Partner ihre Interessen nicht getrennt voneinander verfolgen könnten.

Welf Werner gab seiner Kollegin recht und betonte, dass die USA nicht länger als der liebevolle Hegemon aufträten. In seinem Beitrag ging es vor allem um die Analyse der Stabilitätsführerschaft. Auf beiden Seiten des Atlantik sei man drei Dinge gewöhnt: hohes Wirtschaftswachstum, einen ausgeglichenen Konjunkturverlauf und hohe Partizipation. Er erwähnte einen Aufsatz Claudia Goldins, in dem sie den Begriff der „Großen Kompression“ prägt, der den Aufschwung der U.S.-amerikanischen Gesellschaft zwischen 1940 und 1970 beschreibt. In dieser Zeit waren die Unterschiede in Einkommen und Vermögen zusehends kleiner geworden, was sich bis 1985 wieder extrem änderte, war die Schere doch wieder aufgegangen und die Verhältnisse auf den Stand von 1940 zurückgefallen. Das Abenteuer Globalisierung würde von vielen als Projekt der Eliten wahrgenommen, damit einverstanden seien nie mehr als 50% der Bevölkerung, und auch das nur, solange es bergauf ging, stellte Prof. Werner fest. Weiße amerikanische Männer mittleren Alters verdienten heute im Verhältnis so viel wie 1970. Die Gesellschaft klaffe immer mehr auseinander, was sich sogar an Daten zur Lebenserwartung und Säuglingssterblichkeit ablesen ließe. Trotz allem sei extreme Armut aus globaler Sicht gesunken, nämlich von 35% auf 11%. Der Aufholprozess mancher Länder, teilweise zu Ungunsten anderer, sei im Kern ein Gesundungsprozess. Migration und technischer Fortschritt gingen Hand in Hand und prägten die Verhältnisse maßgeblich, etwa durch den Handel mit Niedriglohnländern. Der Markt verlange nach hochqualifizierten Arbeitskräften, weniger qualifizierte Arbeitskräfte hätten das Nachsehen und würden ungeschützt der Globalisierung ausgesetzt – dies mache sie so anfällig für den Populismus. Auch sahen diese Menschen, dass Barack Obama in der Krise von 2008 den großen Finanzunternehmen half, „Wall Street vor Main Street“. Die europäische Seite kämpfe mit der Eurokrise, die Währung wurde als Zwangsjacke empfunden.

Im Anschluss an die Kurzvorträge beider Diskutanten stellte Florian Böller noch einige kurze Fragen und öffnete dann die Runde für das Publikum, mit dem sich eine lebhafte Diskussion entspann. Eine Zuhörerin sprach an, dass die Europäische Union sich uneins sei – wie würden gemeinsame Antworten in Zukunft formuliert? Die E.U. sei nicht handlungsfähig genug, antwortete Dr. Groitl, sondern vielmehr konsensabhängig, und hätte sich in der Vergangenheit oft selbst blockiert. Nun gäbe es jedoch Grundlagendokumente zur Handlungsfähigkeit Europas, und so viel Konsens wie seit dem Irakkrieg nicht mehr. Aber jedes Land habe eine andere Sichtweise, und die Probleme unterschieden sich; die Flüchtlingsproblematik im Süden, Russland im Osten – ein strategischer Konsens sei nicht in Sicht und Sicherheit, auch militärische, ein schwieriges und vernachlässigtes Thema. Europa müsse die „tit for tat“ Situation verlassen und sich stärker auf eigene Fehler fokussieren, merkte Prof. Werner an. So ging ein höchst spannender und informativer Abend zu Ende, der neugierig machte auf die Zukunft der transatlantischen Gemeinschaft.

 

Eddie S. Glaude Jr.: "Dr. Martin Luther King Jr.‘s Prophetic Witness Fifty Years Later"

19. Juni 2018

Am 19. Juni verlieh das HCA gemeinsam mit der Theologischen Fakultät zum siebten Mal den James W. C. Pennington-Preis an Professor Eddie S. Glaude Jr., den William S. Tod Professor für Religion und African American Studies an der Princeton Universität. Prof. Bernhard Eitel, Rektor der Universität Heidelberg, hieß die anwesenden Gäste im Atrium des HCA herzlich willkommen. Er betonte, dass der Pennington-Preis, der es seinen Preisträgern ermöglicht, einige Wochen an der Ruperto Carola zu lehren und zu forschen, ein Zeichen für die Werte sei, die die Universität und der Ex-Sklave und Priester James W. C. Pennington teilen. Der Preis resultiere aus der Zusammenarbeit der Manfred Lautenschläger Stiftung, die die Universität seit vielen Jahren fördert, der Theologischen Fakultät als ältester Fakultät, und dem HCA, einem der jüngsten Institute.

Dr. Manfred Lautenschläger stellte dann kurz den Namensgeber des Preises, James W. C. Pennington, vor. Dieser war der Sklaverei entflohen und wirkte nach einem Studium an der Yale University als Priester. 1849 verlieh ihm die Universität Heidelberg die Ehrendoktorwürde, und in diesem Sinne vergibt sie heute den Pennington-Preis an Wissenschaftler im Feld der African American Studies. Der Preis zeichnet insbesondere Beiträge zur Erforschung der afroamerikanischen Kultur, Geschichte und Bildung aus, die ein besseres Verständnis für die Lebensumstände der Afro-Amerikaner in Vergangenheit und Gegenwart ermöglichen.

Jan Stievermann, Professor für Geschichte des Christentums in Amerika am HCA und der Theologischen Fakultät Heidelberg, stellte daraufhin den diesjährigen Preisträger vor. Dieser setze in vielerlei Hinsicht Penningtons Arbeit durch seine eigene Forschung und sein gesellschaftliches Engagement fort. Prof. Glaude studierte zunächst am Morehouse College und der Temple University und promovierte dann in Princeton im Bereich Religionswissenschaft. Nachdem er an verschiedenen Universitäten, unter anderem dem Amherst College und Harvard, unterrichtet hatte, kehrte er 2002 nach Princeton zurück, um eine Professur in den Religionswissenschaften anzutreten.

Prof. Glaudes Festvortrag begann mit einem Blick auf den zeitgenössischen Mythos um Dr. Martin Luther Kings prophetisches Wirken unter Berücksichtigung von John Deweys Konzept von kritischer Intelligenz und Vorstellungsvermögen. Dr. King, der den strukturellen Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft bekämpft und seine Anhänger zum friedlichen Widerstand ermutigt hatte, war ein zentrales Symbol im Kampf gegen den Rassismus. Dieser Mythos, der Kings prophetische Arbeit in den Vordergrund stellte, führte jedoch auch zu einer wachsenden Vernachlässigung der anhaltenden Rassendiskriminierung. Daher sei es notwendig, das Symbol King zum 50. Jahrestag seiner Ermordung neu zu evaluieren und so seine vermeintlich prophetischen Taten zu demokratisieren. Obwohl sich King bewusst als religiöser Anführer in die christliche Tradition der USA eingebettet habe, seien seine Reden und Taten auch politischer Natur gewesen. Prof. Glaude betonte dies, da die U.S. Gesellschaft dazu neige, religiöse Persönlichkeiten wie King als extern legitimierte Autoritäten anzusehen, wodurch sie anderen Mitgliedern das Potenzial abspreche, einen ähnlichen Einfluss auszuüben. Dr. Kings prophetische Arbeit sei jedoch fundamental gesellschaftsorientiert gewesen; betrachte man sie mithilfe der Philosophie von John Dewey, so werde klar, dass Dr. Kings Einfluss lediglich das Resultat seiner Vorstellungskraft und der daraus resultierenden Handlungen war. Da beides menschliche Eigenschaften seien, seien sie nicht beschränkt auf nur einige wenige. Prof. Glaude beendete seinen Vortrag mit der Bemerkung, dass diese Demokratisierung von Kings Wirken Amerikaner dazu zwingen solle, sich selbst als Aktivisten zu sehen, und dass es nun an der Zeit sei, das gesellschaftliche Zusammenleben in den USA unter Berücksichtigung von Dr. Kings Worten und Taten neu zu denken. Im Anschluss an Prof. Glaudes fesselnden Vortrag verliehen ihm Dr. Lautenschläger, Prof. Eitel, und HCA-Direktor Prof. Welf Werner den Pennington-Preis und luden die Anwesenden zu einem festlichen Empfang in den Garten des HCA ein.

 

Podiumsdiskussion: "The Future of Transatlantic Relations"

15. Juni 2018

Am 15. Juni beschloss ein Podium über die Zukunft der transatlantischen Beziehungen in der Ära Trump das Symposium „Transatlantic Crossings”, welches das HCA zu Ehren seines Gründungsdirektors Prof. Detlef Junker abgehalten hatte. Für eine angeregte Diskussion mit Detlef Junker, Hope Harrison, Stefan Kornelius und Kent Logsdon hatten sich zahlreiche Zuhörer im Atrium versammelt.

Nach einer kurzen Einführung durch den Moderator Dr. Wilfried Mausbach eröffnete Prof. Junker die Debatte mit einer scharfen Kritik am vorherrschenden Diskurs über den amerikanischen Präsidenten. Anstatt dessen monarchischen Charakter und seine uninformierten politischen Handlungen offen zu kritisieren, sei die Öffentlichkeit eher daran interessiert, den bereits sehr belasteten Status Quo zu erhalten. Prof. Junker bekräftigte, dass die Fahrlässigkeit der Trumpschen Politik schwerwiegende Folgen für die internationalen Partner der USA haben werde. Es sei notwendig, diesen Tendenzen härter entgegen zu treten. Kent Logsdon, Gesandter der Botschaft der Vereinigten Staaten in Berlin, bemerkte an dieser Stelle, dass es ebenso notwendig sei, diplomatische Beziehungen jenseits von Trump bei einer solchen Kritik zu berücksichtigen. Diese Beziehungen seien nach wie vor stark und positiv. Auch wenn man in den USA über das Auftreten des Präsidenten reflektieren müsse, so sei dies ebenso zutreffend für Europa und Deutschland. Politische Reform sei demnach nicht nur in den USA notwendig.

Prof. Hope Harrison, Historikerin an der George Washington University, stimmte Logsdon in diesem Punkt zu und erläuterte, dass man sozialen und politischen Spaltungen am besten durch transnationalen Dialog begegnete. Da Präsident Trump eine neue Debatte über Bürgerpflichten in den USA entfacht habe, befänden sich die USA und Deutschland zurzeit in einem historischen Moment, der beiden Ländern ermögliche, aus der Geschichte des jeweils anderen zu lernen. Stefan Kornelius, Leiter des außenpolitischen Ressorts der Süddeutschen Zeitung, entgegnete jedoch, dass durch populistische Strömungen beide Nationen sich stärker nach innen orientierten, was das Bedürfnis nach internationalem Austausch stark eindämme. Dieser fehlende Wille, miteinander zu kommunizieren, müsse daher den Verfechtern eines Dialogs als Anstoß dienen, über das Wesen der deutsch-amerikanischen Freundschaft zu reflektieren.

Hope Harrison und Kent Logsdon gaben dem Publikum dann einen tieferen Einblick in die sozialen und politischen Debatten, die derzeit die USA bewegten, und betonten in diesem Zuge noch einmal die Notwendigkeit, den kulturellen Austausch, besonders im Bildungssektor, weiterzuführen und zu vertiefen. Auch wenn Prof. Junker dem zustimmte, sprach er sich doch erneut für eine offenere und schärfere Kritik auch im Rahmen eines solchen Austauschs aus. Stefan Kornelius stellte sich hier hinter Herrn Junker und betonte, dass es notwendig sei, die Störungen, die Trump verursachte, nicht als Normalität anzusehen und hinzunehmen. Nichtsdestotrotz schloss sich Herr Kornelius der Position Logsdons und Harrisons an und stimmte der Notwendigkeit informeller Austauschkanäle zwischen den USA und Europa als ein Mittel gegen sozio-politische Aufspaltungen zu. Hier bemerkte Herr Logsdon zudem, dass durch Trump bereits neue kritische Debatten angeregt worden seien. Als Dr. Mausbach die Runde für das Publikum öffnete, beteiligte sich dieses rege und diskutierte mit den Podiumsteilnehmern Fragen zum zunehmenden Anti-Amerikanismus in Europa und zu antieuropäischen Strömungen in den USA sowie die Rolle von Bildung als Korrektiv zum wachsenden Populismus und die Zukunft der USA und seiner globalen Partner unter Trump.

 

Charles S. Maier: "The Trump Experience and American History"

14. Juni 2018

Am 14. Juni trafen sich Freunde und Mitarbeiter des HCA, um die langjährige Karriere seines Gründungsdirektors mit einem Symposium zu feiern. Den Auftakt machte ein Vortrag von Prof. Charles S. Maier, dem Leverett Saltonstall Professor für Geschichte an der Harvard University, in der Alten Aula der Universität. Prof. Maier, einer der einflussreichsten zeitgenössischen Historiker für deutsche und amerikanische Geschichte sowie für Wirtschaftsgeschichte, reflektierte anhand Prof. Detlef Junkers universitären und wissenschaftspolitischen Arbeit im Bereich der transatlantischen Beziehungen über den gegenwärtigen U.S. Präsidenten in einem breiteren historischen Kontext.

Prof. Manfred Berg eröffnete die Veranstaltung mit einem beeindruckenden Überblick über Prof. Junkers Karriere, die dem Studium und der Pflege transatlantischer Beziehungen gewidmet war. Er betonte, dass Donald Trumps befremdliches Verhalten, das langjährige internationale Beziehungen immer mehr belaste, die Fortsetzung von Prof. Junkers Arbeit für den Aufbau und Erhalt eines transatlantischen Dialogs umso notwendiger mache. Auch Prof. Maier erinnerte am Anfang seines Vortrags an Prof. Junkers Zeit am Deutschen Historischen Institut in Washington, D.C., wo dieser sich dem Verständnis der Gegenwart durch das Studium der Vergangenheit gewidmet hatte. Diesem Grundsatz folgend leitete Charles Maier dann über zu seinem eigentlichen Thema und setzte Trumps wirtschaftlichen Protektionismus und seine Vorstellungen über politische Führung und Diplomatie sowie den zunehmenden Populismus in der amerikanischen Gesellschaft in einen geschichtlichen Zusammenhang.

Donald Trumps protektionistische Einstellung stehe, so Prof. Maier, im starken Kontrast zu den politischen und wirtschaftlichen Zielen der U.S. Regierung seit dem Zweiten Weltkrieg, sei jedoch keines Falls ein Novum in der amerikanischen Geschichte. Im frühen neunzehnten Jahrhundert herrschte ein breiter Konsensus darüber, dass man die damals junge amerikanische Wirtschaft vor zu starker internationaler Konkurrenz beschützen müsse. Im zwanzigsten Jahrhundert wurde diese Angst durch die Große Depression und die wachsende japanische und chinesische Wirtschaft noch einmal wiederbelebt. Daher sei Trumps Interpretation des globalen Handels als Bedrohung für die amerikanische Wirtschaft Teil einer langen Tradition isolationistischer Tendenzen. In Bezug auf Trumps politischen Führungsstil und seine diplomatischen Bemühungen schloss sich Prof. Maier an die bereits häufig vorgebrachten Vergleiche mit Präsident Andrew Jackson an. Trumps Unvorhersehbarkeit und seine Tendenz zu plötzlichen und destruktiven Kommentaren führte dazu, dass internationale Partner ihm mit kritischem Argwohn begegnen. Solche Reaktionen hatten jedoch auch schon frühere Präsidenten wie Jackson oder Franklin D. Roosevelt hervorgerufen, die zu ihrer Zeit für exzentrisches und unbeständiges Verhalten bekannt gewesen waren. Trump sei daher, so Prof. Maier, eine Kombination aus moderner Arroganz, herrührend aus der militärischen Übermacht seines Landes, und einer gewissen Frechheit. Und obwohl demokratische Wahlen solche Tendenzen korrigieren sollten, sei durch den anwachsenden Populismus genau dies in den U.S. Wahlen 2016 nicht passiert. Jedoch sei auch das überraschende Ergebnis der Präsidentschaftswahlen nicht das erste Mal gewesen, dass desillusionierte Wähler den Lauf der amerikanischen Geschichte beeinflussten. Besonders zu Zeiten der kontinentalen Westexpansion seien populistische Bewegungen und ihre kurzlebigen politischen Einflüsse gang und gäbe gewesen, versicherte Prof. Maier. Zum Abschluss seines Vortrages betonte er, dass der Erhalt der transatlantischen Beziehungen nun in den Händen einer neuen Generation liege, die sich jedoch auf Prof. Junkers und seine eigene Arbeit stützen könne, um eigene Wege zu finden, den deutsch-amerikanischen Dialog am Leben zu halten. Nach diesem Schlusswort bedankte sich Prof. Junker herzlich und lud alle Anwesenden zu einem Empfang im Garten des HCA ein.

 

Hans Joas: "Die Macht des Heiligen: Eine alternative Geschichte der Entzauberung" (GKAT Ringvorlesung)

12. Juni 2018

Am 12. Juni besuchte Prof. Dr. Hans Joas das HCA und präsentierte die Grundgedanken und Forschungsergebnisse seines Buches Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung der Welt. Der renommierte Soziologe und Sozialphilosoph sowie Ernst Troeltsch Ehrenprofessor für Religionssoziologie an der Humboldt Universität zu Berlin, hatte zu diesem Zeitpunkt eine Gastprofessur für Soziologie und soziales Denken an der University of Chicago inne. Er begann mit Max Webers in der Moderne weithin akzeptiertem Diktum über die „Entzauberung der Welt“. Demnach präge Religion die modernen Gesellschaften nicht mehr, da sie ein Teil der sozialen und kulturellen Sphäre geworden ist. Prof. Joas‘ Arbeit hingegen will diesen Mythos mit Hilfe der Analyse exemplarischer Fälle von religiösem Engagement entkräften. Er argumentierte, dass zum Beispiel das 18. Jahrhundert nicht nur von der Aufklärung geprägt war, sondern auch vom Aufstieg der Pietisten und Methodisten und dem sogenannten „Second Great Awakening“ in den USA.

Darüber hinaus verwies er auf die stetig wachsenden Pfingstgemeinden in Nord- und Südamerika und den Erfolg des politischen Islam – beides wohl kaum Anzeichen eines Rückgangs religiöser Dominanz, so Prof. Joas. Es sei genau das Gegenteil der Fall, nämlich, dass die Welt immer religiöser werde und das Heilige deutlicher in ihr zu erkennen sei. Daher sei Webers Narrativ einer kontinuierlichen Entzauberung eine Illusion, nicht zuletzt da Weber auf fragliche Weise Ereignisse des Alten Testaments, der Reformation, der Aufklärung und seines eigenen Zeitalters vermischt habe. Sobald man genau diesen fragwürdigen Zusammenhang entdeckt habe, würde das Narrativ sofort in sich kollabieren. Prof. Joas widerlegte ebenso Webers Annahme, dass Religion und Wissenschaft bzw. Rationalität Antagonisten seien. Es stelle sich daher die Frage, was dann die Alternative zu Webers Annahme sei. Hier stellte Hans Joas seine eigene Theorie vor, die der Religion die Möglichkeit einräumt, existierende Machtstrukturen zu unterstützen aber auch zu kritisieren. Schließlich habe „das Heilige“ großes Potential in Debatten um soziale Gerechtigkeit und das ethisch „richtige“ Leben.. Prof. Joas konnte so eine überzeugende Analyse zeitgenössischer religiöser Erfahrungen bieten, die oft komplex und asynchron seien. Noch bedeutender sind jedoch wahrscheinlich die von ihm umrissenen Möglichkeiten für einen Dialog zwischen Gläubigen und nicht Gläubigen.

 

Jeffrey Alexander: "The Societalization of Social Problems: Financial Crisis, Church Pedophilia and Media Phone Hacking" (GKAT Ringvorlesung)

5. Juni 2018

Am 5. Juni begrüßte das Graduiertenkolleg Authority and Trust (GKAT) Jeffrey Alexander, den Lillian Chavenson Saden Professor für Soziologie an der Yale University, am HCA. Als Teil der Ringvorlesung „Authority and Trust in the United States“ hielt er einen Vortrag zum Thema „The Societalization of Social Problems: Financial Crisis, Church Pedophilia, Media Phone Hacking“, in welchem er sein Konzept der Vergesellschaftlichung von sozialen Problemen anhand von anschaulichen Beispielen vorstellte.

Prof. Alexander begann seinen Vortrag mit der Konzeptualisierung der Moderne als Ära, in der es nicht eine Gesellschaft, sondern mehrere verschiedene Gesellschaftsbereiche gibt. Für ihn ist die Trennung dieser funktional differenzierten und spezialisierten Gesellschaftsbereiche charakteristisch für moderne Gesellschaften. Die getrennten Gesellschaftsbereiche stehen untereinander in einem ungleichen, widersprüchlichen Verhältnis, wobei vor allem die „staatsbürgerliche Sphäre“ im konstanten Spannungsverhältnis zu den anderen Gesellschaftsbereichen steht. Prof. Alexander theoretisiert die „staatsbürgerliche Sphäre“ als wichtigsten Gesellschaftsbereich, der mit ansteigendem Grad der Demokratisierung immer bedeutender wird. In diesem Konzept befinden sich nicht nur Gesellschaftsbereiche untereinander in einem Spannungsverhältnis, sie weisen auch interne Spannungen und Belastungen auf. Im Normalzustand werden jedoch diese Spannungen intra-institutionell geregelt.

Aufbauend auf diesem Verständnis moderner Gesellschaften stellte Prof. Alexander dann sein Konzept der Vergesellschaftlichung sozialer Probleme vor. Vergesellschaftlichung bezeichnet den Moment, in welchem ein soziales Problem die Grenzen des jeweiligen Gesellschaftsbereiches überschreitet und zu einem gesamtgesellschaftlichen Skandal wird. Der Skandal erzeugt ein „staatsbürgerliches Trauma“, welches das Gewissen der Gesellschaft belastet und den öffentlichen Druck nach Veränderung verstärkt. Folglich nimmt die Gesellschaft ein „Code Switching“ vor, das die bisher als üblich betrachteten Praktiken als unmoralisch umdeutet und umgekehrt. Am Beispiel von Pädophilie in der katholischen Kirche erläuterte Prof. Alexander, dass die Praktiken der Kirche schon lange bekannt waren, aber intra-institutionell verarbeitet wurden. Erst durch die Enthüllungen des Boston Globe fand eine Vergesellschaftlichung des Problems statt, wodurch sich auch der sprachliche Umgang mit dem Thema veränderte. Die kirchliche Sprache wurde durch die zivilrechtliche Sprache ersetzt und die „hochrangige Geheimhaltung“ und der „Missbrauch des Amtes“ zu gesamtgesellschaftlichen Problemen erhoben. Die Vergesellschaftlichung des Problems hatte in diesem Fall eine Umstrukturierung der katholischen Kirche zu Folge.

Auch im Falle der Finanzkrise lässt sich ein Moment der Vergesellschaftlichung feststellen. Die Deregulierung von Märkten, Kommerzialisierung von Banken sowie die Finanzialisierung von Hypotheken hatten das Finanzsystem in den Jahren vor der Krise immer instabiler gemacht und individuelle Skandale hervorgebracht, die intra-institutionell gehandhabt wurden. Aber erst die Subprime Mortgage Krise, welche eine internationale Bankenkrise auslöste, führte zu einem Vergesellschaftlichungsprozess. Das resultierende Code Switching konnotierte bisherige Finanzpraktiken dann als unmoralisch und forderte eine bessere Regulierung der Branche.

Im letzten Teil des Vortrags diskutierte Prof. Alexander die Grenzen der Vergesellschaftlichung. Einerseits führen nicht alle Probleme zu einer Vergesellschaftlichung, und andererseits können Vergesellschaftlichungsprozesse auch rückgängig gemacht werden. Weitere Grenzen sind mögliche Gegenreaktionen, welche die neuen Diskurse angreifen. Dies kann zu einer stärkeren Polarisierung der Gesellschaft führen, vor allem, wenn nur ein Teil der Gesellschaft das Code Switching und die neuen Praktiken annimmt. Außerdem tritt nach der „staatsbürgerlichen Reparatur“ der Normalzustand wieder ein, in welchem eine intra-institutionelle Verarbeitung der Probleme dominiert. Trotz dieser Grenzen betonte Prof. Alexander die Wichtigkeit der Vergesellschaftlichung, die soziale Probleme marginalisierter Gruppen in gesellschaftliche Diskurse einbettet und verarbeitet. So ist auch die Bedeutung sozialer Bewegungen für moderne Gesellschaften nicht zu unterschätzen. Ihre Narrative spielen eine signifikante Rolle in der Vergesellschaftlichung der sozialen Probleme und somit im Demokratieprozess.

 

Jason Scott Smith: "Looking for the State before the Age of Fracture: A Prehistory of Neoliberalism"

24. Mai 2018

Das HCA setzte Ende Mai sein Baden-Württemberg Seminar fort mit einem Vortrag von Jason Scott Smith über die Wurzeln des Neoliberalismus in den USA und weltweit. Anja Schüler, die die Veranstaltungen des Forums koordiniert, hieß Prof. Smith willkommen, der seit zwölf Jahren an der University of New Mexico in Albuquerque lehrt. Seinen Ph.D. absolvierte er an der University of California, Berkeley. Prof. Smith erhielt Stipendien der Harvard Business School und der Cornell University, wo er auch Geschichte und Politikwissenschaft unterrichtete.

2017 ernannte ihn die Fulbright Kommission zum Mary Ball Washington Professor für Amerikanische Geschichte am University College in Dublin, Irland. Dr. Schüler machte auf einige seiner sehr einflussreichen Arbeiten aufmerksam, unter anderem Building New Deal Liberalism: The Political Economy of Public Works, 1933-1956 und A Concise History of the New Deal, die beide bei der Cambridge University Press erschienen sind. Für seinen Vortrag am HCA konzentrierte Prof. Smith sich auf ausgewählte Aspekte der Kapitalismusgeschichte.

Es war das Ziel des New Deal, erörterte Prof. Smith, eine wirtschaftliche Infrastruktur aufzubauen. Wie sein Kind, der Marshall Plan, wollte Roosevelts ökonomisches Programm die wirtschaftliche Entwicklung des Landes in einer nie dagewesenen wirtschaftlichen Krise zu fördern. So wurde das Zeitalter des staatlich geförderten Kapitalismus eingeläutet. Außerdem machte sich der New Deal die Fähigkeit der Regierung zunutze, ausgleichend auf das Verhältnis zwischen Staat und großen Kooperationen zu wirken. Diese Prinzipien breiteten sich nach 1945 aus, auch über den Atlantik. Politiker, Entscheidungsträger und Geschäftsleute unterstützten die Ziele des New Deal, um die Wirtschaft zu stabilisieren und um jeden Preis eine Wiederholung der Großen Depression zu verhindern, erklärte Prof. Smith. Regierungen und die großen Firmen verbuchten Seite an Seite neue wirtschaftliche Erfolge; ihre Prioritäten waren ein kapitalfreundliche Umfeld, nicht notwendigerweise der Erhalt oder die Schaffung von Arbeitsplätzen im jeweiligen Land. Der Marshallplan lenkte nicht nur Kapital nach Europa; vielmehr argumentierten New Dealer, dass der Marshallplan industrielle Kapazitäten wiederherstellen würde und so den Kommunismus in Schach und Europa zusammenhalten würde. Seine Gegner befürchteten allerdings, dass Wall Street Banker die Wirtschaftspolitik übernehmen würden und der Steuerzahler für Fehler geradestehen müsste. Auch fürchteten Sie eine Beeinflussung der Gesetzgebung. 1951 sagte Paul G. Hoffman, der für die Durchführung des Marshallplans verantwortlich war, Amerika hätte durch das Projekt Marshallplan gelernt, wie mit Asien und dem Rest der Welt umzugehen sei. Die Stimmung änderte sich in den 1960er Jahre, als die multinationalen Konzerne auf den Liberalismus der Jahrhundertmitte trafen. Sie seien zwar „weniger gierig“ gewesen, sagte Prof. Smith; manche Firmen und Geschäftsleute hätten allerdings einen hohen Preis für Ihre Einmischung in die politischen Angelegenheiten anderer Länder gezahlt. Als der Schah des Iran außer Landes gejagt und die Regierung von Ruhollah Chomeini und seinen Anhängern übernommen worden war, annullierten diese alle Verträge mit der amerikanischen Development and Resources Corporation, einer Organisation unter der Federführung David E. Lilienthals, der zuvor die Tennessee Valley Authority geleitet hatte. Lilienthal verlor über zwei Millionen Dollar.

Im Anschluss an den Vortrag entwickelte sich eine lebhafte Diskussion zwischen dem Publikum und dem Redner. Es ging vor allem um das Verhältnis zwischen den USA und den Ländern, deren Wirtschaft unter dem Marshallplan umgestaltet worden waren. Neben dem Bau von Fabriken und der Hoover Speisung hätte vor allem die Verbreitung des „neuesten Gewerbes der Welt“ diese Beziehungen beeinflusst: Managementberater nahmen das Zepter in die Hand. Was gut für die Wirtschaft war, galt auch als gut für das Land. Amerikas Politikerinnen und Politiker hätten das nationale Interesse stets vornan gesetzt, und es sei im Interesse der USA gewesen, in und mit Europa in den ökonomischen Wettstreit zu treten. An diesem Abend wurde einmal mehr klar, was für frische Perspektiven die disziplinäre Begegnung zwischen Geschichte und Wirtschaftswissenschaften bietet.

 

Heike Paul: "The Authority of Experience Revisited: Public Protest and Civil Sentimentalism" (GKAT Ringvorlesung)

17. Mai 2018

Am 17. Mai wurde die Ringvorlesung des Graduiertenkolleg „Authority & Trust“ mit einem Vortrag von Heike Paul fortgesetzt. Prof. Dr. Paul hat seit 2004 die American Studies Professur für Kultur und Literatur an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg inne und erhielt 2018 den renommierten Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis. Ihre Forschungsinteressen umfassen verschiedene Bereiche der American Studies, einschließlich die Erforschung amerikanischer Mythen, feministische und Geschlechterstudien, afro-amerikanische Studien sowie deutsche und amerikanische Kulturgeschichte während des Kalten Krieges. In ihrem Vortrag widmete sich Professor Paul dem Konzept der „Autorität der Erfahrung“ und analysierte zunächst dessen chronologische Entwicklung. Die „Autorität der Erfahrung” erfüllt unterschiedliche Funktionen. Sie kann beispielsweise als uneingeschränkte Bevollmächtigung oder ultimative Rechtfertigung der eigenen Handlungen und Worte genutzt werden. Besonders die letzte Strategie wurde in den 1960er Jahren von den Feministinnen der sogenannten zweiten Welle der Frauenbewegung angewandt. Sie diente vor allem dazu, die Darstellung von Frauen durch männliche Autoren zu kritisieren und zielte darauf ab, weibliche Autorinnen zu stärken, die anstelle der männlichen Stimmen über Frauen schrieben. Das Hauptziel der Feministinnen, die sich auf die “Autorität der Erfahrung“ beriefen, war es, Frauen Gehör zu verschaffen.

Heike Paul untersuchte außerdem diejenigen Literaturkritiker, die die Effizienz von „Autorität durch Erfahrung“ anzweifelten. Sie bezog sich hauptsächlich auf poststrukturalistischen Feminismus und sprach dabei insbesondere über namhafte Persönlichkeiten wie Judith Butler und Joan Scott, die Widerspruch gegen die uneingeschränkte Macht der Erfahrung erhoben und diese als gefährliche feministische Strategie einstuften, die vorherrschende Ideologien eher festigte als anzweifelte. Hier ist es wichtig, folgendes zu unterscheiden: während Erfahrung verschiedenen Gruppen auf unterschiedliche Weise dient, wurde Frauen oft nachgesagt, das zu viel Wissen gefährlich sei und sie sich zu sehr von ihren subjektiven Gefühlen beeinflussen ließen, was in verminderter Autorität resultierte. Erfahrung kann daher gleichzeitig hilfreich und hinderlich sein, was zu einer gefühlsbetonten Sicht auf die „Autorität der Erfahrung“ führe.

Als nächstes thematisierte Prof. Paul die aktuelle sentimentale Verherrlichung des historischen Feminismus. Sie konzentrierte sich dabei auf feministische Manifeste und deren augenblickliche Neupublikationen. Walter Fähnders vier Schwerpunkte eines Manifests zitierend – programmatisch, öffentlich, unmissverständlich und gemeinschaftlich – analysierte Prof. Paul unterschiedliche feministische Literatur: Mary Beards Women & Power, Sarah Ahmeds Living a Feminist Life, und Chimamanda Ngozi Adichies Dear Ijeawele, or A Feminist Manifesto in Fifteen Suggestions. Sie argumentierte, dass Ahmeds Werk starke Ähnlichkeiten zu klassischen Manifesten zeigt, während Beards Arbeit nur wenige dieser Aspekte aufweist und Adiches Werk sogar als gegensätzlich bezeichnet werden kann. Demzufolge könnte man argumentieren, dass die Bezeichnung „Manifest” hauptsächlich dem Erregen aufmerksamkeitsheischend ist, unabhängig vom tatsächlichen Inhalts. Heike Paul observierte außerdem, dass diese sentimentalen Manifeste eine nostalgische Sehnsucht nach den glorreichen Hochzeiten des Feminismus auslösen, was zu ziviler Empfindsamkeit statt zivilen Ungehorsams führen würde. Prof. Paul beendete ihren Vortrag mit einem Blick auf die „Autorität der Erfahrung“ als eine intergenerative Angelegenheit innerhalb der feministischen Gemeinschaft. Man könne zudem eine Veränderung innerhalb des Genres des “feministischen Manifests“ beobachten. Sie schloss mit der Frage, wieviel aktueller Feminismus und Populismus gemein hätten, da beide Strömungen vereinfachte Darstellungen nutzten, um ein breites Publikum zu gewinnen.

 

Claire Squires: "The Publishing Trapeze: Trust and Communication in the Book Trade" (GKAT Ringvorlesung)

15. Mai 2018

Am 15. Mai 2018 besuchte Claire Squires, die Direktorin des Stirling Centre for International Publishing and Communication der Stirling University, das HCA. Ihr Schwerpunkt an der Stirling University liegt besonders in der Veröffentlichung zeitgenössischer Literatur. Nach vorherigen Anstellungen an der Oxford Brooke University, im Verlagswesen sowie als Autorin, war Claire Squires in der Lage, den Zuhörern der GKAT Ringvorlesung „Autorität und Vertrauen in den Vereinigten Staaten“ Einblicke in die Arbeit einer Akademikerin, Verlegerin und Autorin zu gewähren. Professor Squires betonte zunächst, dass Vertrauen ein fundamentaler Aspekt des Verlagswesens sei. Die Branche habe früher auf Verträgen und formlosen Vereinbarungen beruht, aber jetzt seien „gentleman handshakes“ nicht mehr ausreichend. Sie nutzte ein metaphorisches Trapez, um die Zerbrechlichkeit der Beziehungen zwischen Autoren, Lektoren, Verlegern und Lesern im Kommunikationskreislauf des Verlagswesens darzustellen. Diese kompliziert vernetzten Beziehungen beruhen laut Squires auf wechselnden Vertrauensebenen, illustriert am Beispiel von Todd Swains The Gunks Guide. Üblicherweise ist der Erfolg eines Ratgebers an das Vertrauen des Lesers in die Kompetenz und Sorgfalt des Autors geknüpft. Interessanterweise bringt die Ratgeberliteratur verhältnismäßig große Teile an Paratext dafür auf, ihre Glaubwürdigkeit zu negieren und eine Geling-Garantie auszuschließen. Anscheinend reicht das Vertrauen der Leser aus, um Ratgeber zu verkaufen, aber die Akteure im Verlagswesen benötigen verlässliche Rechtsgrundlagen und Sicherheiten, um sich selbst zu schützen.

Ein weiteres Beispiel, das Prof. Squires nutzte, um die komplizierten Beziehungen im Verlagswesen darzustellen, ist die Moralklausel. Die Moralklausel als Rechtsbegriff bezeichnet inakzeptable Verhaltensweisen innerhalb einer Gemeinschaft. Im Verlagswesen ist moralische Verwerflichkeit jedoch etwas, das in der Vergangenheit kaum Grund zur Sorge bereitete. Angesichts der aktuellen Debatten über Fehlverhalten und sexuelle Belästigung scheint es jedoch an der Zeit zu sein, die Moralklausel in literarische Verträge einzuschließen. Claire Squires argumentierte gegen dieses Vorhaben; eine solche Klausel ziehe viele Probleme nach sich. Die Moralklausel könnte das Recht auf Redefreiheit einschränken und Verlage könnten die vage Formulierung dazu nutzen, erfolglose Autoren loszuwerden. Als Beispiel für die Probleme aufzuzeigen, die eine so missverständliche Klausel nach sich ziehen könnte, führte Prof. Squires Milo Yiannopoulos‘ Dangerous an. Im Dezember 2016 führte der Erwerb der Buchrechte durch S&S dazu, dass mehrere Autoren damit drohten, den Verlag zu verlassen; dieser ließ daraufhin das Projekt fallen. Als Reaktion verklagte Yiannopoulos den Herausgeber, und infolge kamen Vorgänge innerhalb des Herausgabeprozesses ans Licht, die der Öffentlichkeit unter normalen Umständen verborgen bleiben. Claire Squires zufolge macht dieser Vorgang deutlich, wie komplex die Verbindungen zwischen Lektor, Verleger und Autor sind, wie diese aufeinander vertrauen und was passiert, wenn dieses Vertrauen gebrochen wird.

Schließlich ging Claire Squires auf neue Einflüsse und Machtverschiebungen auf dem Buchmarkt ein. Auf der einen Seite mischten sich Unternehmen wie Amazon durch aggressive Verhandlungen und Verträge stark in den Prozess ein; auf der anderen Seite würden sich die Möglichkeiten für Amateure vergrößern und Kundenbewertungen und „booktuber“ an Einfluss gewinnen. Die beiden genannten Gruppen sind Neulinge im Verlagswesen, und Beziehungen sowie Machtstrukturen müssen nun neu ausgehandelt werden, um die Balance zwischen den Beteiligten im „Verlagstrapez“ auch in Zukunft intakt zu halten.

 

Kulturgeographie der USA (HCA Book Launch)

2. Mai 2018

Am 2. Mai freute sich das HCA, seinen Besuchern mit dem ersten Book Launch des Semesters den Band Kulturgeographie der USA: Eine Nation begreifen vorstellen zu können. Dieser wurde gemeinschaftlich von Prof. Dr. Ulrike Gerhard, Professorin für Humangeographie Nordamerikas an der Universität Heidelberg, und Prof. Dr. Werner Gamerith, Professor für Regionale Geographie an der Universität Passau, herausgegeben. Zwei Autoren, Dr. Philipp Löffler, Wissenschaftlicher Assistent für amerikanische Literatur an der Universität Heidelberg, und Dr. Wilfried Mausbach, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des HCA, komplettierten das Podium.

Prof. Dr. Welf Werner, der Direktor des HCA, betonte in seiner Einführung die Relevanz eines solchen Bandes für ein stark interdisziplinär ausgerichtetes Institut wie das HCA. Da Interdisziplinarität sowohl spezifische Expertise in einer Disziplin als auch kritische Distanz zu dieser forderte, können Bände wie der vorliegende, so Werner, Studierenden hervorragende Einblicke gewähren. Prof. Gerhard betonte, dass der Band neben der Balance zwischen spezifischer und interdisziplinärer Arbeit auch ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen regionalen und globalen Perspektiven bieten wolle. Gerade in einer vermeintlich schrumpfenden Welt gewinne das Regionale erneut an Bedeutung, da es einen Raum für die Untersuchung von Polarisierung biete und es darüber hinaus ermögliche, diese und andere Phänomene in einen globalen Bedeutungszusammenhang zu bringen. Prof. Gamerith hob neben der Vielfältigkeit des Bandes auch dessen breites Publikum hervor. Er sei nicht nur relevant für Studierende und Kollegen verschiedener Disziplinen, sondern auch für Leser außerhalb der Universität. Zu jedem Rahmenthema biete er neben deutschen Beiträgen auch einen amerikanischen, der dem Leser zusätzlich eine Binnenperspektive eröffne.

Im Anschluss an diese generelle Vorstellung boten die Anwesenden dem Publikum dann auch kleine inhaltliche Einblicke in diesen umfangreichen Band. Dr. Mausbach skizzierte die ideengeschichtliche Entwicklung der Trope des Westens. Was ursprünglich das Territorium jenseits der Appalachen gewesen war, wurde zum Ende des 19. Jahrhunderts durch die vollständige Erschließung des amerikanischen Kontinents vermehrt zu der abstrakten Idee der Verbreitung westlicher Kultur. So blieb die „Frontier“, die fiktive Grenze zwischen erschlossenem und unerschlossenem Gebiet, auch nach ihrer von Präsident John F. Kennedy proklamierten Verlagerung in den Weltraum relevant. Prof. Gerhard ging dann zur Disziplin der Städtegeographie über, welche im vergangenen Jahrzehnt eine sogenannte Reurbanisierung, eine Bevölkerungszunahme im Stadtinneren in einigen amerikanischen Großstädten wie Atlanta oder Portland, Oregon, beobachtet hatte. Dieser Trend, bemerkte Gerhard, sei jedoch stark abhängig von der lokalen Stadtentwicklung. Dr. Löffler schloss dann den Abend mit einer Analyse zeitgenössischer Fernsehserien, dem sogenannten „Quality TV“, welches sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts immer stärker der Strategien klassischer Romane bediente und so eine deutliche Aufwertung des Fernsehprogramms herbeigeführt hatte. Dank neuer Streamingtechnologien, die ein Programm nicht mehr an feste Sendezeiten und ein spezifisches Publikum banden, war es zu einer zunehmenden Entkopplung und daraus resultierenden künstlerischen Freiheit gekommen. Im Anschluss an diesen umfassenden Einblick kamen Publikum und Autoren bei Getränken und Snacks ins Gespräch.

 

HCA Commencement 2018

27. April 2018

Das HCA beging seine diesjährige akademische Abschlussfeier am 27. April, einem sonnigen Frühlingstag. Das Streichquartett des Collegium Musicum der Universität Heidelberg begrüßte die Gäste mit einer schwungvollen Interpretation von Edward Elgars „Pomp and Circumstance” und begleitete die gesamte Zeremonie. Vize-Rektorin Beatrix Busse hieß die Absolventen und ihre Begleitung in der Alten Aula der Universität willkommen. Ein besonderer Gruß galt Prof. Welf Werner, der im Februar 2018 die Nachfolge Prof. Detlef Junkers als Direktor des HCA angetreten hatte. Prof. Busse schätzte sich glücklich, dass die Universität Heidelberg einen international beachteten und anerkannten Wirtschaftswissenschaftler für das HCA gewinnen konnte. Prof. Werner folgte der Vize-Rektorin mit seiner Ansprache an die Absolventen. Er sei stolz und glücklich, den fünften Bachelor- und den dreizehnten Masterjahrgang in der Alten Aula verabschieden zu können.

Photo Gallery: HCA Commencement 2018

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In seiner kurzen Ansprache an die sechs Bachelorkandidatinnen und –kandidaten betonte er den Mehrwert ihrer Ausbildung. Die unabhängige Forschung und Lehre, ein Erbe der Aufklärung, sei in vielen Regionen der Welt nach wie vor unerreicht, aber auch in Nordamerika und Europa zunehmend ein umkämpftes Gut. In seiner Ansprache an die Masterstudentinnen und -studenten sprach Prof. Werner über die verschiedenen Erfahrungen, die sie als Studierende in- und außerhalb der Universität gemacht hatten und über die fortwährende Prüfung ihrer akademischen und interkulturellen Fähigkeiten. Auch erinnerte er daran, dass das HCA als einzige öffentlich-private Partnerschaft in den Geisteswissenschaften auf die Großzügigkeit seiner Förderinnen und Förderer angewiesen sei. Prof. Werner dankte außerdem seinem Vorgänger, Prof. Junker, dessen Geist den Erfolg und die besondere Atmosphäre des HCA begründet habe, sowie dem engagierten Administratoren und Lehrenden des Instituts. Er stellte dann Karen Donfried vor, die den Festvortrag hielt. Dr. Donfried ist die Präsidentin des German Marshall Fund of the United States, einer gemeinnützigen Einrichtung zur Stärkung transatlantischer Kooperation. Bis 2014 diente Dr. Donfried als Direktorin des nationalen Nachrichtendienstes für Europa in der Obama-Administration. Nachdem sie den Absolventen gratuliert hatte, stellte Karen Donfried ihre Sicht auf die Entwicklung und Bedeutung der transatlantischen Partnerschaft dar. In den drei Teilen ihres Vortrags beschrieb sie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der transatlantischen Beziehungen im Allgemeinen und den Marshall Plan im Besonderen. Ein Rückblick helfe, die Gegenwart klarer zu sehen, stellte sie fest und erzählte von den Prozessen hinter der Idee des Marshall Plans. Er habe ein Netz multilateraler Institutionen aufgebaut, ohne das die internationale liberale Ordnung unserer Zeit nicht entstanden wäre. Amerikanische Werte und Prinzipien hätten die Gründung demokratischer Regierungen unterstützt und stünden für aufgeklärte amerikanische Führung. Für die Regierung eines jeden Landes stünde das eigene Land an erster Stelle, sagte Dr. Donfried. Donald Trump aber setze dies auf eine andere Art um als die demokratischen und republikanischen Präsidenten der letzten siebzig Jahre. Dennoch könnten sich Europäerinnen und Europäer sicher sein, dass Amerika sich immer für Europa einsetzen werde. Europa, wie die USA, befände sich in einer zukunftsbestimmenden Phase. Dr. Donfried wies darauf hin, dass Kooperationen auch unterhalb der höchsten Ebene existierten, etwa mit verschiedenen U.S.-amerikanischen Städten und Einzelstaaten. Dies gebe Hoffnung und zeige Alternativen auf. Im Anschluss an Dr. Donfrieds Rede verlieh Prof. Werner den Absolventinnen und Absolventen ihre Abschlussurkunden und vergab den diesjährigen Buchpreis für herausragende akademische Leistungen. Lèa Pietschmann wurde in Hinblick auf ihre Abschlussarbeit „Utopias of the Taboo: A Wittigan Reading of a Nineteenth-Century Corpus” ein origineller Umgang mit ihrem Thema attestiert. Frau Pietschmann dankte dem HCA in ihrer Rede und stellte es als einen Ort dar, der zugleich akademisch und inklusiv ist. Nach einem warmherzigen Applaus lud Prof. Werner alle Anwesenden zu einem festlichen Empfang ins HCA ein.

 

Andreas Reckwitz: "Die Gesellschaft der Singularitäten" (GKAT Ringvorlesung)

26. April 2018

Am 26. April hießen das HCA und Graduiertenkolleg „Authority and Trust“ (GKAT) Prof. Dr. Andreas Reckwitz zu einer Diskussion über sein vieldiskutiertes Buch Die Gesellschaft der Singularitäten willkommen. Der Professor für Soziologie an der Universität Frankfurt/Oder begann mit der Feststellung, dass das Außerordentliche in der heutigen Gesellschaft mehr wert sei als das Konventionelle. So würden wir Einzigartigkeit zelebrieren und diese an Hand von Kleidungs- und Ernährungsstil, Arbeitsmoral oder Weltoffenheit festmachen. Unser sozialer Erfolg sei daher abhängig davon, wie gut wir uns durch Originalität und Individualität von der Masse abheben könnten. In dieser Logik erschienen Werte und Lebensweise der traditionellen, zunehmend außerhalb der „Creative Cities“ angesiedelten Mittelklasse eher unattraktiv. Der „Durchschnittsmensch“ und sein durchschnittliches Leben schienen zunehmend suspekt. Die spätmoderne Gesellschaft hatte noch authentische Individuen mit originellen Interessen und sorgfältig zusammengestellten Biographien, aber auch unverkennbare Produkte, Ereignisse, Gemeinschaften und Städte geschätzt. In unserer Zeit jedoch werde „das Leben nicht einfach gelebt, es wird kuratiert“, so Reckwitz.

Danach beschrieb er den Prozess der Singularisierung und wie er sich in Wirtschaft, Arbeitswelt, digitaler Technologie, alternativem Lifestyle und Politik des 21. Jahrhunderts abspiele. Reckwitz stellte hier die Voraussetzungen für einen solchen Prozess vor, analysierte dessen Gegendynamiken und identifizierte dessen Nachteile. Indem er seine eigene Theorie zur Moderne aufstellte, konnte er darstellen, wie eng die Singularisierung mit der Kulturalisierung des sozialen Raumes zusammenhing und was ihre Kehrseite ausmachte. Abschließend bemerkte er, dass eine Gesellschaft der Singularitäten nicht nur Gewinner habe, sondern auch seine eignen Ungerechtigkeiten, Gegensätze und Verlierer mit sich bringe.

 

Kate Raworth: "Die Donut-Ökonomie"

24. April 2018

Am 24. April war auf Einladung des Arbeitskreises Real World Economics und dem Netzwerk Plurale Ökonomik Kate Raworth am HCA zu Gast. Die Veranstaltung hatten Studierende der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät organisiert. Im voll besetzten Atrium stellte die Oxford-Ökonomin ihr neues Buch „Die Donut-Ökonomie“ vor. Sie nahm ihre Zuhörer zunächst mit zu den Stationen ihres Lebens, die ihr wirtschaftliches Verständnis geprägt hatten – von der Universität bis ins Arbeitsleben – und stellte die Frage: Was prägt unser Verständnis von Wirtschaft?

Kate Raworth verwies auf die Macht der Standards der volkswirtschaftlichen Grundausbildung und die Macht der Bilder. Ein Zitat des Ökonomen Paul A. Samuelson hob sie dabei besonders hervor: „Es ist mir egal, wer die Gesetze der Nation schreibt – solange ich ihre Volkswirtschaftslehrbücher schreiben kann“. Nicht anders scheint es auch Kate Raworth selbst zu gehen: Sie will die Art und Weise, wie Volkswirtschaftslehre gedacht wird, verändern. Allein ist sie mit diesem Gedanken nicht: Das Netzwerk Plurale Ökonomik, das mit dem AK Real World Economics auch als Lokalgruppe in Heidelberg vertreten ist, arbeitet daran, die VWL-Lehre pluralistischer zu gestalten, auch mit Hilfe von Raworths Modell. Der von ihr entworfene „Donut“ ist simpel und inhaltsreich zugleich: Nach innen setzen zwölf Elemente aus dem Bereich der sozialen Mindeststandards dem Wirtschaften Grenzen: Wasser und Nahrungsmittel, Geschlechtergerechtigkeit oder politische Mitsprache fallen beispielsweise darunter. Nach außen sind es die ökologischen Obergrenzen; neun Kategorien wie etwa Luftverschmutzung oder der Verlust von Biodiversität, die nicht überschritten werden dürfen. Dazwischen befindet sich der „sichere und gerechte Raum für die Menschheit“. Derartige Grenzziehungen spielen in den Wirtschaftswissenschaften trotz ihrer grundlegenden Bedeutung nur eine untergeordnete Rolle. Das ist das Besondere am „Donut“: Er konfrontiert die Bedürfnisse von Menschen und Umwelt mit traditionellen volkswirtschaftlichen Zielkategorien wie dem wirtschaftlichen Wachstum. Anstatt des Ziels des unbegrenzten Wachstums wird das Ziel der Ausgewogenheit verfolgt. Kate Raworth sprach rhetorisch stark und fesselte ihre Zuhörer mit vielen visuellen Eindrücken. Offen blieb am Ende, wie das Idealbild des Donuts erreicht werden kann und welche Schlussfolgerungen aus ersten empirischen Länderuntersuchungen und ihren teilweise überraschenden Ergebnissen zu ziehen sind. Doch den ersten Schritt hat Kate Raworth getan, indem sie ein komplexes Thema einfach verständlich machte. Ihre Botschaft ist klar: Ein „weiter so“ ist keine Option.

 

Alan Partington: "'Post-History, Post-Democracy, Post-Truth, Post-Trump.' Really? Delegitimization Strategies in Modern Political Discourse" (GKAT Ringvorlesung)

19. April 2018

Am 19. April begrüßte das Graduiertenkolleg “Authority and Trust” (GKAT) Alan Partington, Professor am Department of Interpreting and Translation an der Universität Bologna. Er eröffnete die Ringvorlesung „Authority and Trust in the United States“ mit einem Vortrag über Delegitimationsstrategien. Nach einer kurzen Einführung durch zwei Doktorandinnen des GKAT, Aline Schmidt und Kristin Berberich, begann Alan Partington mit seiner linguistischen Analyse der Delegitimationsstrategien in der Post-Trump Ära.

Zu Beginn stellte Prof. Partington die Begriffe „Post History“, geprägt von Francis Fukuyama 1992, „Post Democracy“, geprägt von Colin Crouch 2004, „Post-Truth“, das OED Wort des Jahres 2016 und seinen eigenen Begriff „Post Trump“ vor und fragte sich, ob wir als nächstes von „Post Trust“ sprechen sollten. Delegitimierungsstrategien haben die Macht, jemanden des Lügens zu bezichtigen und ihm oder ihr Vertrauen abzusprechen. Mit Hilfe der korpuslinguistischen Methode, welche die Analyse zahlreicher sprachlicher Quellen ermöglicht, arbeitete Prof. Partington, Delegitimierungsstrategien heraus, welche für den modernen politischen Diskurs charakteristisch sind. Bevor er einzelne Strategien vorstellte und mit anschaulichen Beispielen erläuterte, begab er sich auf einen Exkurs über Aristoteles‘ Verständnis der drei Säulen der Rhetorik.

Laut Aristoteles sind, um andere zu überzeugen, Logos, die logische Argumentation, Pathos, die emotionale Verbindung, und Ethos, die Projektion des Charakters notwendig. Prof. Partington stellte Ethos als eine unterbewertete, aber sehr signifikante Säule vor. Er definierte Ethos als „Imagearbeit“ und unterschied dabei zwischen dem „Competence Face“ und dem „Affective Face“. Ersteres etabliert den Ruf einer gut informierten, fachlich versierten und autoritativen Person. Auf dem „Affective Face“ beruht der Ruf als sympathische und charismatische Person, „eine von uns“. Die Aufgabe von Politikerinnen und Politikern sei es also, ihre positiven „Gesichter“ hervorzuheben und das Ethos des Gegners anzugreifen. Um Letzteres zu erreichen, seien Delegitimierungsstrategien von großer Bedeutung.

Die erste Delegitimierungsstrategie, die Prof. Partington vorstellte, bezeichnete er als „Offene Delegitimierung“. Diese zielt darauf ab, die gesamte Person zu delegitimieren und ihr jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen. Die Bezeichnung „Crooked Hillary“ aus dem amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2016 sei ein anschauliches Beispiel, da nicht eine bestimmte politische Position, sondern die gesamte Person attackiert wird. Die zweite Strategie delegitimiert die Anhängerinnen und Anhänger der politischen Gegner. Sie kann leicht misslingen, wie Hillary Clintons Bezeichnung der Trumpanhänger als „erbärmlich“ vor Augen führt. Alan Partington stellte dann die „Universal-Delegitimierung“ als dritte Strategie vor. So untergrabe die globale Bezeichnung kritischer Medien als „fake news“ den Ethos der Medien soweit, dass jegliche Kritik als illegitim abgestempelt werden kann. Dazu gehöre, dass man Oppositionspositionen als „angstschürend“ abtue. Im Zusammenhang mit dem Brexit machte Prof. Partington die interessante Beobachtung, dass nur die Remain-Kampagne als bloße Angstmacherei abgewertet wurde. Weitere Delegitimierungsstrategien sei das Ziehen „falscher Parallelen“ und die Konstruktion „falscher Dichotomien“. Beide Strategien konstruieren logisch ungültige Vergleiche und Gegensätze, auf denen sie ihr Argument entfalten.

Alan Partington endete seinen Vortrag mit dem Appell, den Begriff “Post Truth“ neu zu definieren und den augenblicklichen politischen Diskurs differenzierter zu betrachten. Zudem sprach er sich dafür aus, den menschlichen „Confirmation Bias“ zu überwinden. Dieser würde dazu beitragen, dass wir Ereignisse so interpretieren, dass sie in unser schon vorhandenes Weltbild passen. Diese Überwindung sei besonders wichtig, um die Verfälschung von Forschungsergebnissen zu verhindern und komplexere Erkenntnisse zu erlangen.

 

Podiumsdiskussion "So unfair? Donald Trump, Deutschland und die Zukunft des Welthandels"

21. März 2018

Am 21. März begrüßte das HCA Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zu einer Podiumsdiskussion über die aktuellen handelspolitischen Maßnahmen der Trump-Regierung, die beschlossenen Strafzölle auf Stahl und Aluminium sowie die Ankündigung umfangreicher aber noch nicht näher benannter Strafmaßnahmen gegenüber China. Im vollbesetzten Atrium tauschten sich Gretchen Tietje vom U.S. Konsulat Frankfurt, Matthias Kruse von der IHK Rhein-Neckar, Professor Andreas Falke von der Universität Erlangen-Nürnberg, sowie der HCA Direktor Professor Welf Werner über die Zukunft des globalen Handels aus. Moderiert von Professor Switgard Feuerstein vom Alfred-Weber-Institut der Universität Heidelberg diskutierten die Anwesenden hierbei nicht nur die Motivation, die hinter Trumps Handlungen steht, sondern auch die Reichweite der von ihm angekündigten Maßnahmen.

Gretchen Tietje betonte zunächst, dass diesem Unterfangen des Weißen Hauses kooperative Intentionen zugrunde lägen. Die Vereinigten Staaten wollten sich keineswegs aus dem Welthandel verabschieden, sondern lediglich die augenblicklichen Ungerechtigkeiten gemeinsam mit anderen Nationen ausgleichen, um so zu einem gerechteren globalen Handel zu kommen. Matthias Kruse kritisierte jedoch die Art und Weise, wie diese Maßnahmen ergriffen wurden. Trump missbrauche nicht nur die multilateralen Regelungen der Welthandelsorganisation (WTO), sondern bürde sich darüber hinaus eine große Zahl neuer Verhandlungen auf. Auch die Rhein-Neckar-Region sei von Trumps Entscheidungen betroffen. Es sei notwendig, die Probleme im Dialog mit den USA anzugehen. An dieser Stelle vermittelte Welf Werner dem Publikum den zeithistorischen Kontext und fügte so der aktuellen Situation eine weitere Perspektive hinzu. Der aggressive Unilateralismus, den Trump zurzeit verfolge, sei keinesfalls neu in der amerikanischen Politik, so Professor Werner, sondern lediglich Teil eines Spektrums, auf welchem sich frühere Präsidenten seit den 1970er Jahren ebenfalls bereits positioniert hatten. Zudem hätten im Präsidentschaftswahlkampf 2016 auch Hillary Clinton und Bernie Sanders eine protektionistische Wende in der amerikanischen Handelspolitik angekündigt. Hieran knüpfte Andreas Falke an und berichtete über die aktuelle Stimmung in der amerikanischen Hauptstadt, aus der er soeben zurückgekehrt war. Dort hätten die aktuellen Maßnahmen einer Administration, die vor allem unzufriedenen Wählern mit einer nostalgischen Rhetorik wirtschaftliche Versprechen machen wolle, ebenso für Ratlosigkeit gesorgt wie auf dieser Seite des Atlantiks, wenngleich die Kritik der Trump Administration an unfairen Handelspraktiken Chinas über Parteigrenzen hinweg Zustimmung finde. Durch unilaterale Manöver wie die jüngsten Strafzölle, so Falke, schränke die USA aber nicht zuletzt auch den Handlungsspielraum supranationaler Körperschaften wie der WTO ein.

Anschließend griffen die Anwesenden verschiedene Punkte aus der Debatte um die anstehenden Schutzzölle heraus. So klärte Matthias Kruse das Publikum über unterschiedliche Automobilzölle in den USA und der EU auf, welche jedoch auf die Nachfrage nach deutschen bzw. amerikanischen Autos auf dem jeweils anderen Markt keinen maßgeblichen Einfluss hätten. Des Weiteren mahnte Welf Werner zur Vorsicht bei der Beurteilung der Handlungen Präsident Trumps. Hier habe sich nicht nur bei der Zollpolitik in öffentlichen Diskussionen eine ungünstige Polarisierung eingestellt, die es oftmals erschwere, die Aktionen des amerikanischen Präsidenten unaufgeregt und realistisch zu beurteilen. Zudem befinde sich die Bundesrepublik aufgrund ihrer im Vergleich zur Wirtschaftskraft außerordentlich hohen Exportüberschüsse in einer schwierigen Ausgangslage. Gretchen Tietje betonte erneut, dass die USA zu dem Mittel der Strafzölle gegriffen hätten, um mögliche Reformen in Zusammenarbeit mit betroffenen Handelspartnern anzugehen. Hier merkte Andreas Falke jedoch an, dass das Weiße Haus seine handelspolitischen Optionen, etwa gegenüber China, bislang unzureichend vorbereite und mit seinen europäischen Partnern abstimme. Nach diesem ausführlichen Einstieg öffnete Switgard Feuerstein die Diskussion für das Publikum, welches sich mit Fragen zu möglichen Motiven der Trump Administration und den nun zu erwartenden Reaktionen in Deutschland und der Europäischen Union rege an der Diskussion beteiligte.

 

Ausstellung: "Black Cowboys – German Indians"

15. März bis 26. April 2018

In der vorlesungsfreien Zeit war am HCA erneut eine Ausstellung zu sehen, dieses Mal Fotografien des deutsch-amerikanischen Fotografenpaares Max Becher und Andrea Robbins. Ihre faszinierenden Aufnahmen erkunden zwei außergewöhnliche soziale Phänomene, schwarze Cowboys in den USA und die Aneignung indianischer Kultur in Deutschland.

Im 19. Jahrhundert, auf dem Höhepunkt der Viehzucht, waren über ein Drittel der Cowboys in den USA Afro-Amerikaner. Zwar existiert die schwarze Cowboykultur nach wie vor, doch ist sie der allgemeinen Öffentlichkeit nur wenig vertraut und außerhalb der Vereinigten Staaten im Grunde unbekannt. Diese Ausgrenzung war vor allem das Ergebnis sowohl der offiziellen als auch inoffiziellen Rassentrennung bei Rodeo-Wettbewerben. Dabei stammt der Begriff „Cowboy“ vermutlich von Südstaaten-Plantagen, wo Sklaven als „Hausbursche“, „Feldbursche“ oder eben „Kuhbursche“ bezeichnet wurden. Nach Abschaffung der Sklaverei zogen viele freigelassene Männer und Frauen die Unabhängigkeit des schweren aber würdevollen Cowboy-Lebens einem landwirtschaftlichen Pachtverhältnis vor. Sie kombinierten Reittechniken der Native Americans mit Kenntnissen über Viehzucht und Rinderhaltung, die oft auf afrikanische Traditionen zurückgeführt werden. In der Welt der Rodeo-Wettbewerbe allerdings wurden berühmte Schwarze Cowboys wie Bill Pickett – der Erfinder des “Bulldogging”, einem beliebten Wettbewerb im Stierringen – entweder von der gemeinsamen Teilnahme mit weißen Cowboys ausgeschlossen, oder sie durften erst nach der Hauptveranstaltung ihren Wettbewerb austragen. Diese Rassentrennung weckte das Bedürfnis nach einer eigenen afroamerikanischen Rodeo-Kultur.

Quer durch die Vereinigten Staaten treffen sich Schwarze Reitclubs regelmäßig und unternehmen Ausritte, veranstalten Rodeo-Wettbewerbe in Hinterhöfen und halten Wohltätigkeitsveranstaltungen ab. Wettbewerbe finden das ganze Jahr über statt und werden immer beliebter und offener, womit die Grenzen zwischen professionellen Cowboys und Enthusiasten, Land- und Stadtkultur sowie südlichen und nördlichen Traditionen verwischen. Die Treffen bieten auch eine Möglichkeit, Familien wieder zu vereinigen und junge Menschen mit ihrer Geschichte und dem Land vertraut zu machen, das sie im frühen zwanzigsten Jahrhundert, nach der Auswanderung der Afro-Amerikaner aus dem Süden, hinter sich ließen. Die Bilder von Becher und Robbins, aufgenommen zwischen 2008 und 2017, zeigen, dass schwarze Cowboys eine Kultur und einen Stil begründet haben, der über die klassische Imagination hinausgeht. Das reine, traditionelle Bild des Farmarbeiters lebt in Kombination mit modernen Einflüssen z.B. aus der Pop-Musik (Hip-Hop, Soul) weiter

Der andere Teil der Ausstellung entstand 1997 und 1998 in Radebeul bei Dresden, wo hunderte als Indianer verkleidete Deutsche alljährlich den Geburtstag von Karl May feiern. Die außergewöhnliche deutsche Begeisterung für die Native Americans lässt sich mit der Beliebtheit von Mays Werk erklären, der Indianer stets als Helden porträtiert, während Weiße gerne als Gauner dargestellt werden. Die positive Darstellung der Native Americans durch Karl May kann zunächst als progressiv und anti-kolonialistisch verstanden werden. Später jedoch wurden die Werke zu großen Teilen für nationalsozialsozialistische Zwecke instrumentalisiert. Indianer wurden gerne als edle Wilde idealisiert, als Opfer einer modernen, korrupten, zu intellektuellen Welt. Adolf Hitler war ein begeisterter Fan von Karl Mays Werken, scheint aber trotz aller Sympathien für die dargestellten Indianer hauptsächlich von der Weise inspiriert gewesen zu sein, in der sie u.a. in Reservate umgesiedelt wurden, um sie auszurotten und Platz für die Ausbreitung der weißen Siedler nach Westen zu schaffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Rezeption und Identifikation mit der Kultur der Native Americans in Ost- und Westdeutschland unterschiedlich entwickelt. In Ostdeutschland entstanden viele „Indian fan clubs“, weil sie eine legale Möglichkeit waren, sich in großen Gruppen zu versammeln. Außerdem fügten sich Karl Mays antiamerikanische und antikapitalistische Schriften gut in die Ideologie des Ostblocks ein. In Westdeutschland dagegen vergrößerte sich der Einfluss der amerikanischen Popkultur, die mit Karl Mays sympathisierenden Beschreibungen der Native Americans kollidierten. (Nach einem Text von Andrea Robbins und Max Becher)

Zur Eröffnung sprach Frank Usbeck, Autor von Fellow Tribesmen: The German Image of Indians, the Emergence of National Identity, and Nazi Ideology in German Periodicals, 2011 ausgezeichnet mit dem Rolf Kentner Dissertationspreis, über die anhaltende Begeisterung der Deutschen für die amerikanischen Indianer. Danach hatte das Publikum die Gelegenheit, zusammen mit dem Dresdener Historiker einen ersten Blick auf die Ausstellung zu werfen.

 

Detlef Junker: "Die Krise des amerikanischen Imperiums"

Abschiedsvorlesung, 8. Februar 2018

Der Abschied des HCA-Gründungsdirektor kam nicht überraschend, aber als sich am 8. Februar Hunderte in der Neuen Aula einfanden, um die Arbeit des Historikers, Amerikaexperten und Wissenschafts“unternehmers“ zu würdigen, hatte wohl niemand mit der Herzlichkeit gerechnet, mit der Detlef Junker in den (Fast-)Ruhestand verabschiedet wurde.

Rektor Bernhard Eitel hieß das große Publikum willkommen, darunter die Kanzlerin sowie drei Alt-Rektoren der Ruperto Carola, ein Heidelberger Bürgermeister, alte und neue Kolleginnen und Kollegen, Mitglieder des Schurman-Vereins, Unterstützerinnen und Unterstützer des HCAs, die Friends of the Heidelberg Center for American Studies, Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft und Kultur, sowie Familie und Weggefährten. Der Rektor bekannte, dass es auch ihm schwerfalle zu glauben, dass Detlef Junker sich ins Private zurückzöge – und so ganz stimme dies ja auch nicht, da sich der Gründungsdirektor doch unter dem Dach des HCA ein Emeritus-Stübchen eingerichtet habe, von wo aus er seinen Nachfolger, Prof. Dr. Welf Werner, in den ersten Monaten begleiten würde. Professor Eitel beleuchtete die Anfänge des HCAs und betonte dabei die Beharrlichkeit des Gründungsdirektors, die dieser bis zum Schluss in Gesprächen und Verhandlungen an den Tag gelegt hatte, wenn es um „sein“ HCA ging.

Photo Gallery: Detlef Junker, Farewell Lecture (February 8, 2018)

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Der Dekan der Philosophischen Fakultät, Prof. Dr. Gerrit Kloss, führte in seiner Einführung durch die Heidelberger Zeit Detlef Junkers. 1975 war dieser er als Professor für Neuere Geschichte an das Historische Seminar berufen worden, wo er eine Habilitation, über dreißig Dissertationen und mehrere hundert Zulassungsarbeiten und Magisterarbeiten betreute. Neben der Lehre trat er auch schnell als Wissenschaftsmanager und „institution builder“ in Erscheinung und initiierte 1986 die Schurman Bibliothek für Amerikanische Geschichte. 1994 ging Prof. Junker als zweiter Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Washington, D.C. in die amerikanische Hauptstadt. 1999 kehrte er auf die neugeschaffene Curt-Engelhorn-Stiftungsprofessur für Amerikanische Geschichte nach Heidelberg zurück. Anstatt aber 2004 in den Ruhestand zu gehen, gründete er das HCA und erweiterte damit die Amerikastudien an der Universität Heidelberg um eine neue Dimension.

Sein Nachfolger auf dem Curt-Engelhorn-Lehrstuhl, Prof. Dr. Manfred Berg, dankte sodann in seiner herzlichen Ansprache für die Unterstützung, die der Gründungsdirektor des HCA ihm und zahlreichen jungen Wissenschaftlern zunächst als Dozent und später als Kollege angediehen ließ. Auch ging er kurz auf Detlef Junkers breites wissenschaftliches Oeuvre ein, vor allem auf das am DHI Washington entstandene Handbuch „Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges“.

Sichtlich gerührt trat dann Prof. Dr. Dr. h.c. Detlef Junker ans Rednerpult. Er begrüßte noch einmal die vielen Anwesenden und dankte vor allem den Förderinnen und Förderern des HCA, die ihm über all die Jahre ihr kostbarstes Gut geschenkt hätten – Vertrauen. Der Beginn seines Vortrags führte Prof. Junker in die Ereignisse seiner Kindheit, die schon früh das Interesse an den USA und ihrer Geschichte geweckt hatten. Unweit seines Elternhauses schlug 1943 eine Bombe ein. Es seien die Amerikaner oder Engländer gewesen, hatte seine Mutter gesagt. Kurz nach Kriegsende überreichte ein GI dem hungrigen Jungen auf dem Marktplatz seiner Heimatstadt Quickborn eine unbekannte Köstlichkeit: Eine Scheibe Weißbrot mit Käse und Butter. Im Jahre 1947 gab es in der Schule täglich einen Teller Schokoladensuppe – angeordnet von dem amerikanischen Präsidenten persönlich, wie es hieß. Und dann die Worte Konrad Adenauers: „Nur unsere amerikanischen Freunde können unsere Sicherheit und Freiheit vor der sowjetischen Gefahr retten.“ Prof. Junkers Leidenschaft für Politik entzündete sich an zwei Fragen: Warum Nationalsozialismus? Und: Was wollen die Amerikaner eigentlich in Deutschland und Europa? Siebzig Jahre später waren die Amerikaner nicht nur in Europa, sondern auf allen Kontinenten präsent, dazu auf den Weltmeeren, in der Luft und im Weltraum. Sie hätten ein Imperium geschaffen, aber dieses Imperium stecke in einer heftigen Krise. Obwohl der Begriff „Imperium“ in den USA allenfalls in der Version „Empire of Liberty“ Zustimmung fände, hätte das Land die Struktur der internationalen Ordnung über eine lange Zeit gestaltet und dominiert. Als Begründer der Pax Americana und der imperialen Präsidentschaft nannte Detlef Junker Franklin D. Roosevelt; er habe „das nationale Interesse der USA global entgrenzt“. Von 1941 bis zur Amtszeit George W. Bushs hätte dieser globale Anspruch die Essenz aller strategischen Pläne und Sicherheitsmemoranden der USA dargestellt. Die amerikanische Politik würde von drei Zielen bestimmt: der unteilbaren Sicherheit durch die Aufrechterhaltung eines pro-amerikanischen Gleichgewichts in der Welt; dem unteilbaren Weltmarkt mit den USA als wirtschaftlich expansive Macht; und der unteilbaren Freiheit als zivilreligiöse Sendungsidee. Die USA, so Prof. Junkers Hypothese, seien allerdings immer weniger fähig, die globale Ordnung aufrechtzuerhalten. Die unteilbare Sicherheit und die unteilbare Freiheit wankten und möglicherweise auch der unteilbare Weltmarkt. Die USA kämpften mit Problemen hervorgerufen von Rassismus, Gewalt, Drogen- und Medikamentenmissbrauch, sozialer Ungleichheit und einem funktionsunfähigen Kongress, vor allem jedoch von der Krise der äußeren Globalisierung. Prof. Junker nahm kein Blatt vor den Mund, als er auf den jetzigen Präsidenten, Donald Trump, zu sprechen kam, der den Einfluss des Außenministeriums signifikant beschränkt hat und dabei ist, andere Institutionen ebenfalls zu entmachten. Seine ständigen Widersprüche und Falschaussagen bedrohen das amerikanische Imperium. Konsequent sei er nur in seinem Glauben, dass Amerika von seiner selbst geschaffenen internationalen Ordnung ausgebeutet werde. Dennoch endete Prof. Junkers Vortrag optimistisch: Unsichere Zeiten verlangen nach gesicherten Tatsachen, soliden Forschungsergebnissen und klaren Erklärungen. Das HCA würde an seiner Mission festhalten, die USA und das transatlantische Verhältnis zu beschreiben, zu erklären und zu verstehen. Er sei sich sicher, dass sein Nachfolger Prof. Welf Werner das Institut in diesem Sinne weiterführen wird.

Das Publikum in der dicht besetzten Neuen Aula applaudierte minutenlang. Danach wanderte die Festgesellschaft hinüber ins Curt und Heidemarie Engelhorn Palais, wo auf den Gründungsdirektor ein Sektempfang und eine weitere Überraschung warteten: Die Enthüllung seines Portraits, eines „Heidelberger Kopfes“ von Herbert A. Jung, der jetzt das Atrium „seines“ Instituts schmückt.

 

Darren Dochuk: "Crude Awakenings: A Religious History of Oil in Modern America"

1. Februar 2018

Für den letzten Vortrag im Baden-Württemberg Seminar kam Darren Dochuk, Professor für Geschichte an der University of Notre Dame, am ersten Februar ans HCA. Sein Vortrag über die Verbindung von Öl und Religion hielt dem Publikum vor Augen, wie unterschiedlich die Hintergründe sein können, vor denen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen arbeiten. Erst im Januar hatte Laura Shapiro über Biographien gesprochen, in denen sie Essen als wichtigstes Element aufzeigte. Darren Dorchuk tat dies nun mit Fokus auf Rohöl und sprach nicht über das Leben einzelner, sondern über eine ganze Nation. Jan Stievermann, Professor für U.S.-amerikanische Kirchengeschichte, führte den renommierten Wissenschaftler ein und hob vor allem dessen Publikationen der letzten Jahre hervor: American Evangelicalism: George Marsden and the State of American Religious History und Faith in the New Millennium: The Future of Religion and American Politics. Professor Dochuks Forschung wurde in der Vergangenheit von einer Vielzahl von Institutionen unterstützt, darunter dem American Council of Learned Societies, dem National Endowment for the Humanities, der American Philosophical Society, der Rockefeller Foundation, und der kanadischen Regierung. In seinem Vortrag besprach er Teile seines aktuellen Buchprojekts, Anointed With Oil: God and Black Gold in America’s Century, welches im Laufe des Jahres erscheinen wird.

Auch Professor Dochuks persönliche Biographie ist mit einem Ölfeld verbunden; er wuchs in Alberta, Kanada auf. Die Ölfördergebiete Nordamerikas stellen die erste, die lokale Ebene seiner Forschung dar. Besonders die texanische Landschaft mit Ihren Bohrtürmen und Kirchtürmen wurde von Professor Dochuk als ein Symbol für die starke Verbindung von Öl und Gott vorgestellt. Wo Öl die dominierende ökonomische Kraft ist, hat Religion einen großen Einfluss, stellte Darren Dochuk fest. Jedes Ölfördergebiet habe eine eigene religiöse sowie eine politische Kultur, die stark ins Konservative tendiere, geradezu eine Ehe zwischen Öl und Religion. Individuen, die es durch Öl zu Wohlstand gebracht haben, nutzten ihre Macht, um ihr Lebensumfeld inklusive seiner religiösen Institutionen mitzugestalten. Auf der nationalen Ebene, behauptet Professor Dochuk, seien aus dieser Ehe ausschlaggebende historische Ereignisse hervorgegangen, wie etwa 1953 die Wahl Dwight D. Eisenhowers zum Präsidenten. Eisenhower sei stark von religiösen Institutionen und Öl-Organisationen unterstützt worden, und seine Wahl markierte den Aufstieg der Republikanischen Partei im Süden der USA. Er habe versprochen, den Staaten das Öl vor den Küsten zu überlassen, und habe so den Kurs für die Zukunft neu gesetzt. Religion und Öl bildeten sogar die Hauptsäulen der U.S.-amerikanischen Hegemonie, sagte Professor Dochuk. Nun gelte es, diese Hegemonie zu sichern, bevor den Staaten das Öl ausging. Öl sei eine instabile Ressource, aber das Amerika der 1890er Jahre hätte seinen Segen in Form von Massen von Öl erhalten und dies vorbehaltlos genossen. Doch Öl habe nicht nur amerikanische Leben geprägt. Es sei als übermenschliche Lebensform angesehen worden und sollte dazu dienen, die barbarische Welt in eine christliche Welt umzuformen. Öl habe die Kultur und Politik der USA und ihre Beziehungen zum Rest der Welt verändert und mitbestimmt. Darren Dochuk stellte zwei Männer vor, Henry Luce, einen einflussreichen Verleger, und William Eddy, U.S. Gesandter in Saudi-Arabien und Berater der Arabian American Oil Company in den 1940er Jahren. Luce habe das Zwanzigste Jahrhundert als das amerikanische Jahrhundert ausgerufen, laut ihm würden Öl und christlicher Glaube den Weg bereiten. Eddy, den seine Biographen den „arabischen Ritter“ tauften, arbeitete aktiv an der Beziehung zwischen Saudi-Arabien und den USA. Am 14. Februar 1945 trafen sich Präsident Roosevelt und König Abdul-Aziz an Bord des Marineschiffs USS Quincy mit Eddy als Übersetzer – auf Wunsch des Königs. Eddy habe geholfen, eine Beziehung zwischen den beiden Ländern zu entwickeln, die auch heutzutage noch relevant sei.

Nachdem Darren Dochuk seinen Vortrag beendet hatte, gab Jan Stievermann dem Publikum wie immer Gelegenheit Fragen, an den Wissenschaftler zu stellen. Donald Trump habe in seiner Rede zur Lage der Nation die Vorteile “schöner, sauberer Kohle” gelobt, sagte Annika Elstermann, Doktorandin am Anglistischen Seminar. Habe Kohle die gleiche kulturelle Qualität wie Öl? Sie würden beide im „Schattenland“ gewonnen und seien “Teil derselben Kosmologie”, antwortete Professor Dochuk, jedoch sei Öl weit unzuverlässiger als Kohle und weniger eng mit einer Gemeinschaft verknüpft. Bei der Ölproduktion würden sich Individuen bereichern, die somit über die Finanzen und die Macht verfügten, religiöse Institutionen in ihrem Sinne zu formen. Der Abend nahm nach einigen weiteren Fragen und Antworten sein Ende, und die Professoren Dochuk und Stievermann verabschiedeten sich von ihrer faszinierten Zuhörerschaft.

 

Kira Thurman: "How Beethoven Came to Black America: Classical Music and Black Education in the Jim Crow South"

18. Januar 2018

Das HCA setzte am 18. Januar sein Baden-Württemberg Seminar fort und begrüßte Kira Thurman, Assistenzprofessorin für Geschichte und Germanistik an der University of Michigan. Wie Professor Berg, der Curt Engelhorn Professor am Historischen Seminar der Universität Heidelberg, in seiner Einführung betonte, ist sie außerdem Musikwissenschaftlerin und ausgebildete Pianistin. Kira Thurman promovierte an der Rochester University und ist für Ihre Arbeit mehrfach mit Preisen und Stipendien ausgezeichnet worden. Ihre Forschung untersucht die Schnittstelle zwischen Musik und nationaler Identität. Klassische Musik und afroamerikanische Kultur erscheine vielen als eine untypische Verbindung, bemerkte Professor Berg; den meisten komme wohl eher Gospel und Blues in den Sinn. Habe sich eine afroamerikanische Hochkultur sich nicht unter schwierigsten Bedingungen entwickelt? Wie kam Beethoven ins schwarze Amerika?

Kira Thurman bestätigte dieses Klischee – wenn sie angab, Musikerin zu sein, werde sie oft gefragt, ob sie Sängerin sei – wohlmöglich eine Jazzsängerin? Ihre Antwort, dass sie klassische Pianistin sei, verblüffe viele. Afroamerikanische Künstler werden offensichtlich selten mit klassischer Instrumentalmusik in Verbindung gebracht. Obwohl Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner den österreichisch-deutschen Musikkanon seit mehr als einem Jahrhundert interpretieren, werden sie selten damit in Verbindung gebracht und speziell die Frage nach den Anfängen dieser Liaison seien ungeklärt. Sie habe sich durch die Archive der historisch schwarzen Universitäten – darunter Howard University, Fisk University, Spellman College und Tuskegee – gearbeitet, immer auf der Suche nach afroamerikanischen klassischen Musikerinnen und Musikern. Viele der Universitäten, die sich mit ihrer anti-rassistischen Agenda brüsteten, hätte bis in die fünfziger Jahre hinein keine afroamerikanischen Studierenden in klassischer Musik ausgebildet. Das New England Conservatory hätte einer afroamerikanischen Studentin aufgrund ihrer Hautfarbe den Platz in einem Studentenwohnheim verweigert. Warum sollten sich Afroamerikaner also überhaupt mit „weißer Musik“ beschäftigen? Kira Thurman betonte, welche wichtige Rolle klassische Musik, besonders der österreichisch-deutsche Kanon, in der afroamerikanischen Kultur spielte. Es gäbe eine klar belegbare Tradition in der afroamerikanischen Community, klassische Musik zu hören und zu spielen, und zwar seit 1890er Jahren. Lange habe folgendes Gesetz für schwarze und weiße Musiker gegolten: Es gab deutsche Musik und schlechte Musik. Trotz alledem, “Schwarze seien keine leeren Gefäße gewesen, die darauf warteten, gefüllt zu werden”, vielmehr nahmen viele eine sehr aktive Rolle ein, wie etwa die Opernsängerin Marian Anderson, die vor allem in den 1930er Jahren auftrat. Afroamerikanische Musikerinnen und Musiker gingen nach Europa, um den afroamerikanischen Internationalismus voranzutreiben oder dem repressiven System der Rassentrennung in den USA zu entfliehen. Kira Thurman stellte kurz eine Reihe von afroamerikanischen klassischen Musikerinnen und Musiker vor, die von den 1870ern bis zu den 1940ern tätig waren. Einer war der Komponist Harry Lawrence Freeman, auch „der schwarze Wagner“ genannt. Seine Tonleitern, Leitmotive sowie seine Vorliebe für gigantische Orchester war wirklich wagnerianisch, stellte Dr. Thurman fest. Wie viele seiner Zeitgenossen habe er während seiner Zeit in Europa einen deutschen Lehrer gehabt, was nicht bei allen seinen amerikanischen Zeitgenossen gut ankam. Die erfolgreichste Geschichte in der Ausbildung vielversprechender afroamerikanischer Musikerinnen und Musiker habe das Conservatory of Music in Ohio, sicherlich eine der radikaleren und progressiveren Institutionen, was Fragen der Rassentrennung anbelangte. Oberlin hatte enge Verbindungen nach Zentraleuropa, und Weber, Bach, Brahms, Schumann und Mendelssohn waren auf den Stundenplänen des Konservatoriums allgegenwärtig. An der Fisk University waren die Mehrheit der Lehrenden Oberlin Alumni, die ihre Lehrbücher und Methoden von dort mitgebrachten und weiter in erster Linie klassische deutsche Musik unterrichteten. James Monroe Trotter stellte in seinem 1878 veröffentlichten Buch Music and Some Highly Musical People fest, dass es nur zwei wahrhaftig musikalische Völker auf Erden gäbe: das afroamerikanische und das deutsche. Er hat damit die Geschichte der afroamerikanischen in gewissem Sinne neu geschrieben und die deutsche Musik in die afroamerikanische Kultur aufgenommen, so Kira Thurman. Trotter habe sogar Blackness in der Musik selbst lokalisiert und beispielsweise Dvoraks Kompositionen in einen afroamerikanischen Kontext gesetzt oder Beethovens Mondscheinserenade zu einem rein afroamerikanischen Stück erklärt. Das „Volk ohne Geschichte“ habe sich so inmitten der westlichen Kulturlandschaft positioniert. So thematisierte 1927 ein Artikel in der Zeitschrift The Crisis die Freundschaft des Afro-Europäers George Bridgetower und Ludwig van Beethovens und bestätigte damit den Status afroamerikanischer Musiker als Intellektuelle und Interpreten klassischer Musik. Ein schwarzer Beethoven, meinte Dr. Thurman, habe bedeutet, dass klassische Musik nicht nur für alle, sondern besonders für Afroamerikaner existiere. Das Gefühl, dass die Universalität klassischer Musik nichts mit der Hautfarbe zu tun habe, hätte sich verstärkt. Afroamerikanische Musikerinnen und Musiker hätten danach gestrebt, „klassische Musik von rassistischen Schranken zu befreien“ erklärte Dr. Thurman.

Die auf den Vortrag folgende Fragerunde drehte sich in erster Linie um Rassismus in der Hochkultur, inner- und außerhalb der USA. Der Abend endete mit einer Anekdote über W.E.B. DuBois, der 1936 die Bayreuther Festspiele sehr genossen hat.

 

David Alworth: "Theory of the (Art) Novel"

16. Januar 2018

Am 16. Januar hieß das Baden-Württemberg Seminar David J. Alworth, John L. Loeb Asscoiate Professor of the Humanities an der Harvard University, in Heidelberg willkommen. Professor Alworth stellte sein Forschungsprojekt zur amerikanischen Literatur im digitalen Zeitalter vor. Nach einer kurzen Vorstellung durch Prof. Dr. Günter Leypoldt vom Anglistischen Seminar der Universität Heidelberg begann Prof. Alworth, dem Publikum seine theoretische Analyse darzulegen.

Obwohl die Digitalisierung nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Art und Weise ihres kulturellen Ausdrucks nachhaltig verändert hatte, habe gedruckte Literatur nichts von ihrer Bedeutung verloren, so Prof. Alworth. Wo Theoretiker vor Jahren noch prophezeit hatten, dass Romane in einer Welt, in der Fiktion Realität geworden ist, überflüssig werden, widersetzte sich die anhaltende Beliebtheit gedruckter Romane dieser Einschätzung. Um dieses Phänomen theoretisch erklären zu können, hat Prof. Alworth begonnen, die Methoden der Genreanalyse und der Medientheorie miteinander zu verknüpfen in der Annahme, dass dies den Einfluss der digitalen Kultur auf die Literatur sichtbar machen würde. Seitdem der sogenannte „social turn“ die Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft maßgeblich verändert hatte, haben Literaturwissenschaftler die Beziehungen, die Kunstwerke wie Romane mit der Gesellschaft und dem Individuum aufbauten, mit wachsender Aufmerksamkeit analysiert. Nachdem Claire Bishop den Begriff „social turn“ geprägt hatte, um das vermehrte Auftreten partizipatorischer Kunst und die dahinterstehende Idee des Zuschauers als Teil des Kunstwerks zu beschreiben, nutzten nun auch Literaturwissenschaftler dieses Konzept, um die Beziehungen, die Bücher zu ihren Lesern herstellten, theoretisch zu erfassen.

Obwohl der Kunstroman es seit jeher ablehnt, die Realität abzubilden, stellte Professor Alworth dennoch die These auf, dass diese Romangattung die Möglichkeit eröffnete, die modernen Gesellschaften und ihre Gesellschaftlichkeit zu erforschen. So lieferten Kunstromane umfassende Hinweise über soziale Beziehungen und die tiefliegenden Strukturen einer Gesellschaft. Dank ihrer Fähigkeit, beispielsweise in Science-Fiction Romanen auch die Geschichte der Zukunft zu erzählen, könnten Romane ihren Leser weitreichendere gesellschaftliche Ideen vorstellen und somit die Beziehung zwischen Produzenten, Konsumenten und deren gemeinsamer Umwelt stärken. Diese Verbindung, die Prof. Alworth die Brücke zwischen der Medialität des Sozialen und der Sozialität des Medialen nannte, sei in vielen Werken der letzten Jahre erkennbar, unter anderem in Don DeLillos neuestem Roman Zero K. Dieser Roman, welcher die Körperlichkeit des Individuums und die Verkörperung von Kunst im 21. Jahrhundert thematisiert, sei unzweifelhaft ein Kind seiner Zeit. Er demonstriere jedoch auch die Herausforderung für die Literatur, im 21. Jahrhundert Fiktion zu schaffen, welche die Realität noch übertreffen könne. Prof. Alworth beendete seinen Vortrag dann mit dem Hinweis, dass sich die Literatur nun der Aufgabe stellen müsse, neue Möglichkeiten zu entwickeln, nicht nur, um nur Kohärenz herzustellen, sondern auch, um ihren eigenen Fortbestand zu sichern. Im Anschluss an Prof. Alworths Vortrag nutzte das Publikum dann die Möglichkeit, auf diese theoretischen und analytischen Aspekte in einer lebhaften Debatte noch einmal genauer einzugehen.

 

Laura Shapiro: "Women, Food, and Biography"

11. Januar 2018

Das Team und das Publikum des Baden-Württemberg Seminars hatten sich schon auf den ersten Vortrag des neuen Jahres gefreut, zu dem das HCA die Autorin und „food historian“ Laura Shapiro begrüßte. Anja Schüler, Koordinatorin der Forum Veranstaltungen, erinnerte sich in ihrer Einführung an ihre erste Begegnung mit Frau Shapiros Werken. In einer Buchhandlung in Poughkeepsie, New York fiel ihr Perfection Salad (2008) in die Hände, die Geschichte der Obsession einer Nation mit Fertig-Kartoffelpüree. Dr. Schüler erwähnte zudem Something from the Oven: Reinventing Dinner in 1950s America (2005) und das von der Kritik hoch gelobte Julia Child: A Life (2007). Laura Shapiro schreibt außerdem für Gourmet, Slate, Newsweek, New York Magazine und die New York Times Book Review und hielt in der Vergangenheit Vorträge auf dem Julia Childs Symposium und dem Oxford Symposium on Food.

Laura Shapiros Ausführungen über ihr neues Buch, What She Ate: Six Remarkable Women and the Food That Tells Their Stories, begannen mit der Geschichte einer Frau, deren Biographie es am Ende nicht in das Buch schaffen sollte: Inez Haynes Irwin, die, wohl unbewusst, durch Essen zu einer führenden englischen Suffragette wurde. Der wöchentliche Sonntagsbraten, noch blutig, stand in ihren Augen für alles was falsch an den sexistischen Gesellschaftsstrukturen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Das Mittagessen im Familienkreis hinterließ „Narben auf ihrer Seele“, und sie schwor sich, niemals das Kochen zu erlernen. Das musste sie auch gar nicht, konnte sie sich doch später als erfolgreiche Autorin eine Köchin leisten. Jedes Leben beinhalte eine Essensgeschichte, sagte Frau Shapiro, und dies habe den Wunsch in ihr ausgelöst, ein Buch über Frauen, ihr Essen und ihre Biographien zu schreiben. Man könne die Auswahl der Frauen, für die sie sich entschieden hatte, sicherlich kritisieren; alle waren weiß, bekannt und wohlhabend. Es seien jedoch diese Frauen gewesen, deren Leben sichtbar gemacht werden könnten durch das Essen, das aßen oder nicht aßen. Die Autorin stellte diese Damen, mit deren Essensgewohnheiten sie sich so intensiv auseinandergesetzt hatte, kurz vor: Dorothy Wordsworth, die Schwester des berühmten Poeten, die ihre Viktualien in ihrem Tagebuch protokollierte; Rosa Lewis, die einzige professionelle Köchin im Buch, die für König Edward VII gekocht hatte; Eva Braun, deren symbolische Rolle und Funktion sich besonders an Hitlers Tafel zeigte; Barbara Pym, Autorin und unermüdliche Beobachterin von Nahrungsbeschaffung und –aufnahme im London der fünfziger Jahre; und Helen Gurley Brown, Herausgeberin des Cosmopolitan, die eine „Diätenpredigerin“ war, jedoch auch ein vierhundert Seiten starkes Kochbuch veröffentlichte.

Laura Shapiro konzentrierte sich in ihrem Vortrag vor allem auf eine Frau, deren Essensgewohnheiten „bis in den Kern amerikanisch waren“: Eleanor Roosevelt. Die Gäste des Weißen Hauses während der zwölfjährigen Präsidentschaft Franklin D. Roosevelts beschrieben das Essen dort offen als ungenießbar, selbst die Getränke als untrinkbar. Wie war dies möglich, war doch der Präsident allgemein als Gourmet bekannt? Tatsächlich hat FDR sich permanent über das Essen beschwert, stellte die Autorin fest. Die Familie der First Lady behauptete, Eleanor Roosevelt habe ein Stück Sandpapier statt eines Gaumens und sei, in Bezug auf Essen, das Äquivalent von unmusikalisch. Gleichzeitig aber galt Eleanor Roosevelt als eine großartige Freundin, die das ganze Jahr über Weihnachtsgeschenke kaufte, und eine wundervolle Gastgeberin, die eine Vielfalt an Gästen ins Weiße Haus einlud, sogar Fremde, die sie auf der Straße getroffen hatte. Sie hatte sich, betonte die Autorin, völlig der Position der First Lady verschrieben und war sich der Wichtigkeit des Weißen Hauses als gesellschaftlichem Raum mehr als bewusst. Sie war streng und altmodisch von ihrer Großmutter erzogen worden; als wichtigste Eigenschaft weiblichen Verhaltens war ihr Selbstbeherrschung eingebrannt worden; ihr ging die Fähigkeit ab, Wünsche zu entwickeln oder artikulieren. Sie gab ihre Kinder früh an Erzieherinnen ab, so dass diese Kinder den Vater bevorzugten. Außerdem glaubte sie, als Ehefrau versagt zu haben, als sie die Beziehung ihres Mannes zu seiner Sekretärin Lucy Mercer aufdeckte. Sie bot ihm sofort die Scheidung an – eine mutige Entscheidung, wie Laura Shapiro hinzufügte, die FDR als Präsident jedoch ablehnen musste. Mrs. Roosevelt habe geschworen, sich nie wieder von ihrem Ehemann verletzen zu lassen. Nachdem sie FDR lange Zeit aufopferungsvoll gepflegt hatte, wurde sie selbst zu der großen Organisatorin und Führungspersönlichkeit, an die wir uns heute erinnern. Sie beschloss, Kochen zu lernen und tastete sich so in ihre Autonomie vor. Sie verliebte sich geradezu in das Fach Hauswirtschaft, wie es an der Cornell Universität unterrichtet wurde. Hier konnte sie gleichzeitig feminin und rational sein. Dies war ein Reich, das Verstand und nicht Gefühl und Instinkt regierte, etwas, wonach sie sich sehr gesehnt hatte. Das Essen aus der Cornell Versuchsküche während der Großen Depression galt als langweilig; Eleanor Roosevelt liebte es. Roher Kohl und Kabeljau in Sahne stellte für die meisten das pure Grauen dar, für sie war es Soulfood. Als die Roosevelts ins Weiße Haus einzogen, zog das Cornell Menü mit ein. Um die Herausforderung der Haushaltsführung im Weißen Haus zu meistern, stellte die First Lady keine professionelle Haushälterin ein, sondern Henrietta Nesbitt ein, eine alte Bekannte. Diese modernisierte die komplette Küchenausrüstung und beharrte auf einfache Gerichte. Sie führte Buch über jede einzelne Mahlzeit im Weißen Haus und übergab diese umfangreiche Dokumentation an die Library of Congress bevor sie starb. Die Aufzeichnungen belegen vor allem das Strecken von Fleischgerichten, so gut wie alles auf Toast, am liebsten die Reste vom Vortag, sagte die Autorin. Der Präsident habe diese Haushaltsführung kritisiert, aber darauf habe seine Frau keine Rücksicht genommen worden. Möglicherweise sei Henrietta Nesbitt die Rache seiner Frau für seine Affäre gewesen.

Außerhalb des Weißen Hauses genoss die First Lady Essen sehr. Sie war eine neugierige Esserin und probierte, was ihr auf Reisen angeboten wurde. Besonders schätzte sie die libanesische und die französische Küche. Sie wünsche sich, sagte Laura Shapiro, dass Julia Child und Eleanor Roosevelt sich in Paris getroffen hätten, dies sei aber unwahrscheinlich. Eleanor Roosevelt hatte auch Spaß am Essen, wenn sie Zeit mit ihren Freundinnen verbrachte. Auf Urlauben in einem Landhaus kochten alle gemeinsam. Sie selbst war für das Aufdecken und den Salat zuständig. In Cornell hatte Eleanor Roosevelt gelernt, „dass Häuslichkeit auch ein Hirn hat, aber es war das Landhaus mit ihren Freundinnen, wo sie lernte dass ihr auch ein Herz innewohnt“. Sie erlebte wohl – hoffentlich – „was Essen bedeutet, wenn mit Liebe gekocht wird”. So beendete Laura Shapiro ihren Vortrag und Dr. Schüler eröffnete die Fragerunde. Viele gute Antworten und großartige Geschichten später schloss der Abend mit einer Signierstunde und einem Glas Wein.

 

Frank Costigliola: "Kennan’s Reason and Stalin’s Terror"

5. Dezember 2017

Am 5. Dezember begrüßte das HCA Professor Frank Costigliola, den Board of Trustees Distinguished Professor der University of Connecticut. Professor Costigliola, ein alter Freund des HCA, sprach im Rahmen des Baden-Württemberg Seminars über einen seiner Forschungsschwerpunkte, den Begründer der amerikanischen Containment-Politik nach dem Zweiten Weltkrieges, George Kennan. Nach einer kurzen Vorstellung durch Professor Manfred Berg, dem Curt Engelhorn Professor für Amerikanische Geschichte der Universität Heidelberg, begann Professor Costigliola, dem Publikum den Diplomat George Kennan und dessen politische Raison etwas näher zu bringen.

Kennan hatte bereits vor dem zweiten Weltkrieg in Deutschland gelebt und sprach nicht nur Deutsch und Russisch fließend, sondern beherrschte auch viele andere Sprachen. Seine persönliche Meinung über Krieg wurde nachhaltig durch den Zweiten Weltkrieg und besonders durch die Zerstörung Hamburgs, welches Kennan sehr mochte, geprägt. In der Berliner Botschaft war er zum Russlandexperten ausgebildet worden und wurde dann 1934 als amerikanischer Diplomat nach Moskau versetzt. Bereits früh hatte Kennan eine große Leidenschaft für die russische Kultur und eine tiefe Zuneigung zur russischen Bevölkerung, die er stark romantisierte, entwickelt. Im Gegensatz dazu empfand er die sowjetische Regierung als eine Bedrohung für die Integrität dieser guten Menschen. Er entwickelte eine innige Beziehung zu Moskau und seinen Einwohnern, von denen einige während Stalins Großem Terror verurteilt und hingerichtet wurden. Obwohl Kennan versuchte ein, gewisses Verständnis für das russische Denken und Handeln in Amerika aufzubauen, trugen seine Schriften über die Sowjet Union maßgeblich zur Entwicklung des Kalten Krieges und der amerikanischen Containment Politik bei.

Neben dem umfassenden Einblick in Kennans Biographie erörterte Professor Costigliola, warum es notwendig sei, Kennans Charakter zu studieren. Der Historiker sagte, dass eine umfassende Analyse von Kennans Schriften zeigen könne, dass die weithin akzeptierte Trennung zwischen Körper, das heißt Emotionen und emotionalen Denken, und Geist, das heißt Rationalität und rationalem Denken, unzureichend und schlechthin falsch sei. Kennan, der sich selbst als rationalen Menschen sah und sich die Fähigkeit, eigene Emotionen und die Emotionen anderer zu kontrollieren, zuschrieb, neigte andererseits zu Temperamentsausbrüchen und mystischer Romantik. Daher sei es notwendig, ihn gemäß seiner Konzeptualisierung von denken, fühlen und handeln zu analysieren. Obwohl Rationalität und Emotionalität in der Mehrzahl seiner Berichte an Washington ausgeglichen waren, veränderte sich diese Dynamik nach den Säuberungen Stalins, die Kennan traumatisierten. Es fiel ihm schwer, über die Prozesse und Hinrichtungen neutral zu berichten, und er war der Meinung, dass seine westlich geprägte Analytik die russische Logik hinter diesen Vorgängen unmöglich verstehen könne. In einer schriftlichen Dokumentation über die Säuberungen, die Kennan im Jahr 1968 veröffentlichte, rief er die Anführer des Großen Terror dazu auf, für ihre grausamen Taten Buße zu tun. Er begann, sich für bestimmte Kreml Politiker auszusprechen und kritisierte Entscheidung der NATO hart. Auch wenn Kennans Versuche, Amerikaner und Russen näher zu einander zu bringen, scheiterten, sei Kennan ein wichtiges Beispiel, das dem Ideal eines rein rationalen politischen Entscheidungsträgers widerspreche, sagte Costigliola. Kennans Entscheidungen waren zutiefst von seinen Gefühlen beeinflusst, und diese Tatsache hervorzuheben, so schloss Professor Costigliola, sei ein notwendiger Schritt, um die Geistes- und Politikwissenschaften zu einem neuen Verständnis von Denkprozessen zu bringen. Das Publikum diskutierte anschließend angeregt diese und andere Theorien sowie weitere Details aus dem Leben George Kennans.

 

GKAT Grand Opening

30. November 2017

Am 30. November 2017 hieß das HCA die neuen Kollegiaten des Graduiertenkollegs “Authority and Trust in American Culture, Society, History, and Politics” (GKAT) willkommen. Der Gründungsdirektor des HCA, Prof. Dr. Dr. h.c. Detlef Junker begrüßte die Nachwuchswissenschaftler, gefolgt von einem Grußwort des Rektorats der Universität Heidelberg von Prorektorin Prof. Dr. Beatrix Busse. Der GKAT Sprecher Prof. Dr. Manfred Berg stellte dann die neuen Kollegiaten und ihre Projekte vor. Dieser Einführung folgte der Festvortrag von Prof. Dr. Helmut Anheier, Präsident der Hertie School of Governance in Berlin und Professor für Soziologie an der Ruperto Carola. Sein Vortrag beleuchtete verschiedene Aspekte des Konzepts „Vertrauen“. Sein interdisziplinärer Ansatz stehe nicht nur im Einklang mit den Prämissen des GKAT, so Anheier, sondern sei besonders für die Analyse eines so abstrakten Begriffs wie Vertrauen vorteilhaft. Viele Vertreter unterschiedlicher akademischer Disziplinen hätten bereits die verschiedenen Facetten von Vertrauen untersucht. Abhängig von den Personen oder Institutionen, in die Gesellschaften oder Individuen Vertrauen haben, ist es möglich, Vertrauen in einzelne Kategorien aufzubrechen. Soziopolitische Studien, die sich auf die theoretische Arbeit von unter anderem Pierre Bourdieu und Robert Putnam beziehen, konnten so Daten über unterschiedliche Arten von Vertrauen sammeln.

Obwohl diese Studien deutliche Diskrepanzen zwischen demokratischen Staaten mit liberaler Markwirtschaft und Autokratien mit einer gelenkten Wirtschaft aufwiesen, betonte Prof. Anheier, dass weder ein genereller Abbau noch ein genereller Anstieg von Vertrauen zu verzeichnen war. Obwohl Populismus und ein starkes antielitäres Klima scheinbar ein weitreichendes Gefühl von Vertrauensverlust hervorgerufen haben, konnte ein solcher Rückgang empirisch nicht nachgewiesen werden. Selbst in der U.S.-amerikanischen Gesellschaft, die das geringste Vertrauen in Regierung und Institutionen aufwies, konnte keine signifikante Veränderung verzeichnet werden. Somit schloss Prof. Anheier mit der Frage, ob Vertrauen tatsächlich so fragil sei, wie oft angenommen und verwies darauf, dass eine detailliertere Konzeptualisierung dieses Begriffes nötig war, um diese und andere Fragen zu beantworten. Nach dem Festvortrag schloss sich ein Empfang in der Bel Etage des HCA, der allen Gästen die Gelegenheit gab, die neuen Einsichten bei Sekt und Häppchen zu vertiefen.

 

"The Transatlantic Alliance and the Trump Administration"

U.S. Consul General James Herman am HCA

20. November 2017

Dass Sicherheitspolitik zwar eine ernste, aber auch sehr unterhaltsame Angelegenheit sein kann, erfuhren die Teilnehmerinnen und Teinehmer eines Townhall Meetings mit dem Titel „The Transatlantic Alliance and the Trump Administration“ am 20.11.2017. Zu Gast waren U.S.- Generalkonsul James Herman sowie der Kommandierende General der U.S.-Armee in Europa, Generalleutnant Ben Hodges.

Eine Kooperation zwischen dem Heidelberg Center for American Studies (HCA) und der Außen-und Sicherheitspolitischen Hochschulgruppe Heidelberg (ASH) hatte zur Diskussion mit den hochkarätigen Gästen eingeladen. Die bereits gemeinsam gesammelte Erfahrung der Referenten mit derartigen Veranstaltungen trug schon in den ersten Minuten nach der Begrüßung durch den Gründungsdirektor des HCA, Prof. Dr. Dr. h.c. Detlef Junker, zur Auflockerung der Atmosphäre bei: sie hatten einen Kasten Bier mitgebracht, um daraus Flaschen als Belohnung für besonders schwierige Fragen an die Zuhörerschaft zu vergeben. Nicht zuletzt auch aufgrund dieser entspannten Atmosphäre entwickelte sich schnell eine lebhafte Diskussion zwischen Publikum und Gästen.

Mehrmals betonten Generalkonsul Herman und Generalleutnant Hodges dabei die große Bedeutung der guten deutsch-amerikanischen Beziehungen sowie die Rolle Deutschlands als „moral authority“ weltweit. Aber beide hoben auch die verschiedenen Maßnahmen zur Wiedergewinnung des deutschen Vertrauens nach der NSA-Affäre und die Bedeutung einer guten bilateralen Beziehung unterhalb der Regierungsebene wiederholt hervor. Darauf angesprochen, welchen Einfluss das Twitterkonto des U.S.-Präsidenten auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen hätte, antwortete Generalleutnant Hodges knapp: „watch what we do – not what we say“. Trotz allem sei eine Einhaltung der 2014 gemachten Zusagen zum Ziel der Steigerung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des BIP innerhalb der NATO integraler Bestandteil einer verlässlichen Partnerschaft beider Länder. Zwar sei eine diplomatische Konfliktbeilegung einer militärischen immer vorzuziehen – Diplomatie ohne ausreichend verfügbare militärische Kapazitäten sei jedoch wie „ein Orchester ohne Instrumente,“ so Generalleutnant Hodges.

Eine Stärkung der europäischen Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigung genieße deshalb große Zustimmung in den USA, nicht zuletzt, weil eine effiziente Zusammenarbeit im Bereich Beschaffung und Instandhaltung innerhalb der E.U. sowie eine schnellere Verlegbarkeit von Material und Personal in Europa letztlich auch die NATO stärke. Nach der 70-minütigen, angeregten Diskussion zwischen Referenten und Teilnehmenden bedankte sich Moderator Florian Stellkamp von der ASH bei Generalkonsul Herman und Generalleutnant Hodges sowie dem HCA für die erfolgreiche Zusammenarbeit und sprach auch dem etwa 130-köpfigen Publikum seinen Dank für die lebhafte Beteiligung aus.

 

Thomas Brown: "The Rise and Fall of Confederate Monuments”

9. November 2017

Im November folgte Thomas Brown von der University of South Carolina, der gerade den Fulbright Distinguished Chair an der Universität von Uppsala innehat, der Einladung des HCA, einen Vortrag im Rahmen des Baden-Württemberg Seminars zu halten. Prof. Brown sprach über die Verbreitung und den Niedergang von Konföderierten-Denkmälern, basierend auf seinem Buch The Reconstruction of American Memory: Civic Monuments of the Civil War, dass kurz vor der Veröffentlichung stehe. Der Geschäftsführer des HCA, Dr. Wilfried Mausbach, hieß Prof. Brown willkommen und gab Einblicke in dessen akademische Arbeit. Prof. Brown ist der Author von Civil War Canon: Sites of Confederate Memory in South Carolina und Dorothea Dix, New England Reformer. Er ist Herausgeber mehrerer Bücher, darunter Remixing the Civil War: Meditations on the Sesquicentennial und der Co-Author von Hope and Glory: Essays on the Legacy of the 54th Massachusetts Regiment. Außerdem trägt er mit seiner Arbeit in der Historic Columbia Foundation dazu bei, dass das Haus, in dem Woodrow Wilson als Kind lebte, zu einem Ort des Lernens wird. In der Lehre konzentriert sich Thomas Brown auf die Geschichte der Vereinigten Staaten mit speziellem Augenmerk auf den Bürgerkrieg und die Phase der Reconstruction.

Im Süden der USA, jedoch vornehmlich in New Orleans, Baltimore und Dallas, werden Konföderierten-Denkmäler abgebaut, stellte Prof. Brown fest. Warum gerade jetzt? Denkmäler und Monumente, die die der Konföderierten-Armee gedenken und sie feiern, wurden bis in die fünfziger Jahre hinein errichtet. Viele seien Ausdruck offen rassistischer Einstellungen, wären jedoch zumindest bis vor Kurzem toleriert worden. Prof. Brown zeigte Bilder solcher Denkmäler, zum ersten das Farragut Monument, welches sich in New York City auf dem Madison Square befindet und Admiral David Glasgow Farragut gedenkt, der während des Bürgerkriegs New Orleans einnahm und die Schlacht um Mobile Bay gewann; zum zweiten das Lincoln Memorial in Chicago. Beide Monumente wurden von dem Bildhauer Augustus Saint-Gaudens erschaffen. Prof. Brown wies darauf hin, dass für einen langen Zeitraum nur Führungspersönlichkeiten dargestellt worden waren. Der gemeine Infanterist wurde erst zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts beliebt, als der Soldat den Bauer als Ideal des Staatsbürgers ersetzte. Auch die Verortung der Denkmäler veränderte sich. Zuerst waren Monumente vor allem auf Friedhöfen errichtet worden, ein hochpolitischer Raum, wie das Beispiel Greenwood Cemetery in Brooklyn zeigt. Auch gab es Unterschiede im Gedenken an den Krieg zwischen Norden und Süden. Dazu führte beispielsweise der Umstand, dass der Süden über die Gebeine seiner Soldaten verfügte, während die Soldaten aus dem Norden zumeist weit entfernt von ihrer Heimat begraben wurden. Interessanterweise war der Bürgerkrieg der erste Krieg, in dem Soldaten nicht namenlos starben, sondern eine Identifikationsmarke, das sogenannte “dog tag” trugen, damals ein Stück Papier, Metall oder Holz, das auf der Innenseite der Uniform oder um den Hals getragen wurde. Viele der Bürgerkriegsdenkmäler wurden mithilfe der United Daughters of the Confederacy errichtet, nach einigen Einschätzungen sogar die Mehrheit der siebenhundert Statuen und Monumente, die in den siebzig Jahren nach dem Bürgerkrieg aufgestellt worden waren, so auch das Konföderierten-Denkmal auf dem Nationalfriedhof Arlington in Virginia. Wann stoppte der Bau dieser Denkmäler? Sie seien für Fußgänger geschaffen worden, erläuterte Prof. Brown. Mit den ersten Autos auf der Straße vollzog sich eine räumliche Veränderung. Eine kulturelle Veränderung geschah, als das Kino die USA eroberte; die bewegten Bilder begeisterten die Menschen weit mehr als Bronzestatuen. In den letzten Jahren begann der Abbau der Denkmäler. Die viel diskutierte Nathan Bedford Forrest Statue in Nashville, Tennessee, war in den letzten Jahren regelmäßig vandalisiert worden, in jüngster Zeit mit #Black Lives Matter Graffiti, erzählte Prof. Brown. Die #Black Lives Matter Bewegung spiele eine enorm wichtige Rolle im Diskurs um die Konföderierten-Denkmäler. 2017 wurde das Jefferson Davis Monument in New Orleans auf Anweisung der Stadtverwaltung abgebaut, wenn auch unter Protest. Weitere triftige Beispiele sind das Thomas J. “Stonewall” Jackson und das Robert E. Lee Monument im Emancipation Park, Charlottesville, Virginia. Sie waren 1921 und 1924 errichtet worden. Der Park war zuvor eine afroamerikanisches Viertel gewesen, die McKee Row. Die Häuser dieser verarmten Gegend wurden nach dem Ersten Weltkrieg abgerissen und an ihrer Stelle ein Park samt zweier Gedenkstätten errichtet, die den berüchtigten Südstaatengenerälen gewidmet waren. Die Idee, die Denkmäler zu entfernen, kam nach dem tragischen Tod von Heather Heyer; sie war im August 2017 von einem Auto überfahren worden, das in eine Gruppe von Menschen gelenkt wurde, die gegen eine Versammlung von weißen Nationalisten und weiteren rechten Organisationen protestiert hatten. Der Stadtrat stimmte einstimmig dafür, die beiden Statuen der Generäle mit schwarzer Folie zu verhüllen.

Menschen, die sich gegen das Verhüllen oder den Abriss von Konföderierten-Denkmälern aussprechen, behaupten, es sei der Mensch, dem gedacht würde, und nicht seiner Taten. Im engeren Sinne passiere der Abriss aus zwei Gründen, sagte Prof. Brown. Zum einen spräche man sich so klar gegen von der Regierung finanzierten Rassismus aus, und zum anderen unterwandere man so nicht die Veränderungen, die die Legislatur seit der Bürgerrechtsbewegung vollbracht habe. Im weiteren Sinne stünden die Denkmäler für die Ursprünge des Ikonoklasmus, gewalttätige, rassistische Ausbrüche und die sozialen Organisation von Gewalt. Außerdem, fügte Prof. Brown zu, seien die Denkmäler Vorbilder für die gewaltsame Regulierung einer Ordnung nach Hautfarbe, da die Bauten die Rassentrennung zelebrierten. Nach seinem Vortrag wurde Prof. Brown mit Fragen zu dem Abbau der Denkmäler bombardiert. Die Zuhörenden waren klar gespalten in jene, die sich einen Abbau aller Konföderierten-Denkmäler wünschten und solche die, die Entfernung als eine Verfälschung der Geschichte ansahen. Prof. Brown antwortete darauf: „Es gibt wohl viele Formen des Gedenkens, die demokratischste scheint jedoch das Buch zu sein.“

 

Podiumsdiskussion: "Der Trump-Effekt – Ein Jahr nach der Wahl"

President Donald J. Trump with Vice President Mike Pence, Senate Majority Leader Mitch McConnell, and Speaker of the House Paul Ryan (Official White House Photo by Joyce N. Boghosian)

8. November 2017

Am Mittwoch, den 8. November 2017, hatte das Forum für Internationale Sicherheit in Kooperation mit dem Heidelberg Center for American Studies und der Deutschen Atlantischen Gesellschaft zur Podiumsdiskussion zum Thema „Der Trump-Effekt - Ein Jahr nach der Wahl“ eingeladen. Moderiert wurde der Abend von Prof. Dr. Sebastian Harnisch vom Institut für Politische Wissenschaft in Heidelberg. Als Diskutanten waren Dr. Martin Thunert vom Heidelberg Center for American Studies, Dr. David Sirakov von der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz sowie Dr. Caroline Fehl von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung geladen.

Die Diskussion begann mit der Frage, ob Donald Trump sein Ziel, Amerika wieder zu alter Größe zu verhelfen, erreicht habe. Die Diskutanten waren sich darüber einig, dass dies nicht der Fall sei, denn seine Erfolge beziehen sich mehr auf die Präsidentschaftswahl als solche statt auf tatsächliche Erfolge, insbesondere in der Legislative. Sie sahen Trump eher als ein Symptom längerfristig wirkender Kräfte denn als deren Ursache. Ohne ihn als Präsidenten wäre die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft, vor allem in Bezug auf den generellen Skeptizismus gegenüber internationalen Organisationen und Abkommen, jedoch weniger stark ausgeprägt als sie es heute ist. Das Verhältnis zwischen Donald Trump und Angela Merkel ist im Vergleich zum Verhältnis zwischen Barack Obama und Angela Merkel eher schwierig. Zukünftig könne sich stattdessen Frankreich mit Präsident Macron trotz inhaltlicher Differenzen an Trump annähern. Bezüglich der Frage, ob man Trump metaphorisch als „Twitterkönig“ bezeichnen könne, der aus dem Bauch heraus Zeilen veröffentliche, stellte David Sirakov heraus, dass es trotz allem wichtig sei, Trumps Äußerungen ernst zu nehmen, ganz gleich über welchen Kanal diese mitgeteilt werden. Caroline Fehl sowie Martin Thunert räumten Trumps Beraterinnen und Beratern, insbesondere seiner Tochter Ivanka, ein, einen gewissen Einfluss auf den Präsidenten zu haben, jedoch sei der tatsächliche „Policy-Impact“ beschränkt, wie man beispielsweise beim Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen sehen könne. Obwohl Trump innenpolitisch kein starker Präsident sei, trauen ihm viele Politikexperten zu, wiedergewählt zu werden und die republikanische Partei im Zuge der „mid-terms“ in seinem Sinne zu gestalten. Der größte Teil der sich als Republikaner identifizierenden Wähler stehe weiterhin zu Trump, allerdings sinke die absolute Zahl der Parteianhänger. Nun müsse dem Abbau der Politik Obamas eine positive Gesetzgebung wie zum Beispiel die Unternehmenssteuerreform folgen, da über Trump momentan die Russland-Affäre sowie der Fehler, den FBI-Chef Comey entlassen zu haben, hänge. Die Podiumsdiskussion endete mit der Frage, inwieweit Trump ein Sicherheitsrisiko in Bezug auf den Iran und Nordkorea darstelle. Die Diskutanten kamen zu dem Ergebnis, dass Präsident Trump ein sehr großer Unsicherheitsfaktor sei. Die anschließende Fragerunde diskutierte, wie realistisch es sei, dass Präsident Trump wiedergewählt werde, ob seine Sicherheitspolitik für Asien gefährlicher als für Europa sei und warum der Dow-Jones Aktienindex trotz ausbleibender Steuerreform steige. Publikum und Diskutanten führten dann diese über alle Maßen gut besuchte Veranstaltung bei einem gemeinsamen Umtrunk rege fort.

 

David D. Hall: "The Origins of Puritanism: Or, the Politics of ‘Reformation’ in Sixteenth-Century Britain"

26. Oktober 2017

Das HCA setzte am 26. Oktober sein Baden-Württemberg Seminar mit einem Vortrag von David D. Hall fort, dem Bartlett Professor of New England Church History Emeritus an der Harvard Divinity School, der über die Ursprünge des Puritanismus und die Reformationspolitik Englands im sechzehnten Jahrhundert sprach. Jan Stievermann, Professor für die Geschichte des Christentums in den USA, hieß den illustren Gast willkommen und hob die wissenschaftlichen Meriten Prof. Halls hervor. David D. Hall unterrichtet seit 1989 an der Harvard Divinity School. Er ist unter anderem Autor folgender Bücher: The Faithful Shepherd: A History of the New England Ministry in the Seventeenth Century; Worlds of Wonder, Days of Judgment: Popular Religious Belief in Early New England; Puritans in the New World: A Critical Anthology und A Reforming People: Puritanism and the Transformation of Public Life in New England – allesamt entscheidende Beiträge zur Erforschung der Verbindung von Geschichte und Religion, betonte Prof. Stievermann. Er selbst habe großes Wissen und Inspiration aus den Arbeiten Prof. Halls gezogen, die die Puritan Studies und amerikanische Religionsgeschichte geformt und neu definiert hätten. David D. Hall ist darüber hinaus Herausgeber von zwei maßgeblichen Dokumentensammlungen: The Antinomian Controversy of 1636–1638: A Documentary History und Witch-Hunting in Seventeenth-Century New England: A Documentary. Am HCA sprach er über Religion und Gesellschaft im Neuengland des sechzehnten Jahrhunderts, auch im Zuge seines aktuellen Projekts, einer umfassenden Geschichte des Puritanismus in England, Schottland, und Neuengland von 1550 bis 1700, die von der Princeton University Press veröffentlicht werden wird.

Natürlich sei er bereits einmal in Heidelberg gewesen, sagte David Hall. Als er 1958 Fulbright Stipendiat in Frankreich war, nutzte er die Möglichkeit, Europa zu bereisen. Er begann seinen Vortrag mit einer kurzen Einführung zu den Königen und Königinnen und deren Hinrichtungen im England und Schottland des sechzehnten Jahrhunderts. Er verglich England und Schottland, die 1559 große Ähnlichkeit aufgewiesen, sich aber in den darauffolgenden Jahrzehnten unterschiedlich entwickelt hatten. Er stellte zwei Reformer vor, den Schotten John Knox und den Engländer Thomas Sampson. Letzterer, vormals als linker Protestant ins Exil geschickt, drückte seinen Unmut über den Zustand der Kirche aus; besonders die Form des Gottesdienstes stieß ihm als „unrein“ auf. Elizabeth I. hatte durch ihre Bischöfe ihre Priester angewiesen, über der Soutane die “surplice”, ein Chorhemd, anstatt dem „Geneva Gown“, einem Talar, zu tragen und so Aufruhr unter den Protestanten ausgelöst: der Beginn protestantischer Non-Konformität. Siebenunddreißig Priester verweigerten sich dem Kleiderwechsel. Die schottische Monarchin Mary von Guise wurde zu einem Treffen mit puritanischen Führern gedrängt, die sie überzeugten, ihren Glauben an die puritanische Lebens- und Glaubensweise publik zu machen. 1561 wurde ein schottisches Book of Common Prayer veröffentlicht, eine englische Übersetzung der „Geneva Order“. Während die Schotten weiterhin ihre Nachbarn mit Argwohn betrachteten, bewunderten die puritanischen Engländer die Schotten für ihre erfolgreiche Verbreitung des Puritanismus. Charles I. wünschte sich eine Vereinheitlichung der Gottesverehrung in ganz England und bat schottische Bischöfe, ihn bei der Erstellung eines Gebetbuches zu unterstützen. Die Engländer waren davon nicht begeistert; die schottischen Bischöfe wurden öffentlich mit Fäkalien beworfen. Sie ließen daraufhin drei Männern die Ohren abschneiden und als Lästerer und Verräter brandmarken. Der König hatte keine Wahl, er war auf schottische Hilfe angewiesen, wollte er die Verbreitung des Puritanismus vorantreiben. Sein Vater hatte ihm die Furcht vor dem Presbyterium eingeschärft, das sein Volk letztendlich gegen die Krone aufbringen würde. Die Puritaner, die im siebzehnten Jahrhundert in Nordamerika Gemeinden gründeten, versuchten antidemokratische Tendenzen auszumerzen, stellte Prof. Hall fest. Gruppen innerhalb Ihrer Gemeinden konnten jedoch Regeln erstellen, die bestimmten, wer beispielsweise am Sakrament teilnehmen durfte: „Freut ihr euch nicht, wenn bei jedem Sakrament dein Nachbar dessen würdig ist?“ zitierte Prof. Hall. Eine der Hauptideen hinter seiner Forschung sei die Frage, wie repressiv die Puritaner als Gesellschaft gewesen seien – möglicherweise weniger als wir denken, sagte David Hall. Beispielsweise hatten Puritaner darauf gedrängt, die Eheschließung zu einem zivilen Akt zu erklären, womit Scheidungen möglich wurden.

Hiernach eröffnete Prof. Stievermann das Gespräch, wobei Großteile der Anwesenden besonders an einem Schritt in der Demokratisierung interessiert waren: Bildung. Die Fähigkeit zu lesen war in den Vereinigten Staaten starker verbreitet als in England, sagte Prof. Hall. Mehr als vierzig Prozent aller Haushalte in Massachusetts hätten über eine Bibel verfügt, und die Mitglieder dieser Haushalte vermochten auch, sie zu lesen. Im Anschluss an das Publikumsgespräch dankte Prof. Stievermann David Hall herzlich für seinen informativen und unterhaltsamen Vortrag und verabschiedete das Publikum.

 

Enjoy Jazz: One Note At A Time von Renée Edwards

24. Oktober 2017

Am 24. Oktober freute sich das HCA, seinen Besuchern erneut eine Dokumentation über New Orleans in Zusammenarbeit mit dem Enjoy Jazz Festival präsentieren zu können. In der deutschen Erstaufführung des Filmes „One Note At A Time“ von Regisseurin und Produzentin Renée Edwards erhielten die Anwesenden einen Einblick in das Leben der Jazzmusiker von New Orleans nach Hurrikan Katrina. Im Fokus des Filmes standen zahlreiche Musiker, die nicht nur mit den Folgen der Fluten, sondern auch mit einem zunehmend maroden Gesundheitssystem kämpften. Vorgestellt wurde der Film von der freischaffenden Musikjournalistin und Konzertorganisatorin Franziska Buhre. Nach einer kurzen Vorstellung durch Dr. Anja Schüler berichtete Frau Buhre über die Musician’s Clinic in New Orleans, eine Klinik, die Gesundheitsfürsorge speziell für Tänzerinnen und Musiker anbietet. Die Leiter Bethany und Johann Bultman gründeten diese Einrichtung nach Katrina, um die Künstler New Orleans, die einkommensbedingt oft in eine Marge rutschten, in der sie weder staatlich noch privat abgesichert waren, zu unterstützen. Die Klinik bietet ihnen nicht nur einen umfassenden Service, so Buhre, sondern auch die Möglichkeit flexibler, an das Einkommen des Patienten angepasster Bezahlung.

Danach eröffnete die Dokumentation den Zuschauern einen persönlicheren Einblick in die Klinik und das Leben ihrer Patienten. In zahlreichen Interviews mit Jazzmusikern und Mitarbeitern der Klinik zeigte sich, dass sie mehr als medizinische Versorgung bereitstellt. Für die Musiker, die in den Fluten oftmals die Soft- und Hardware ihrer künstlerischen Kariere verloren hatten, war die Musician’s Clinic auch ein Ort der seelischen Genesung. Dies galt besonders für diejenigen, die New Orleans nach Katrina verlassen mussten und für die die Rückkehr in die Heimat Teil eines mentalen Heilungsprozesses darstellte. Zurück in New Orleans, welches noch mit den Folgen des Hurrikans kämpft, sahen sich die Musiker jedoch neuen Herausforderungen gegenüber. Zunehmender Wettbewerb mit Clubs sowie neue Gesetzgebung zum Lärmschutz führten zu einer neuen Organisationsweise der Musiker, aber auch zur einer lebendigeren Jazzszene. Die Wiederbelebung der Musikszene in New Orleans sei für alle involvierten Künstler ein Kraftakt, so Bethany Bultman, Gründungsdirektorin der Musician’s Clinic. Da Musiker viel Zeit und Energie in ihre Kunst investieren, sind sie auf eine gute Gesundheit angewiesen. Um den Musiker hier beiseite zu stehen, ist die Klinik auf staatliche Unterstützung angewiesen, die jedoch schon bald nach Katrina auslief. Die zurzeit größtenteils durch Spenden finanzierte Einrichtung hat jedoch die Gemeinschaft in New Orleans gestärkt und somit letztlich auch dem Jazz geholfen, wieder auf die Beine zu kommen. Die persönlichen Geschichten der Bewohner New Orleans regten die Zuschauer dazu an, in der nachfolgenden Diskussionsrunde mit Franziska Buhre und Anja Schüler noch mehr über das Schicksal der Klinik und ihrer Patienten zu erfahren.

 

Verleihung des Rolf-Kenter-Dissertationspreises 2017

19. Oktober 2017

Zum achten Mal wurde mit dem Rolf-Kentner-Dissertationspreis eine herausragende Arbeit im Bereich der American Studies ausgezeichnet. In diesem Jahr wurde der Preis an Elena Poppe verliehen, Project Director und Research Fellow für die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Sie promovierte zu „U.S. Democracy Promotion after the Cold War: Stability, Basic Premises, and Policy towards Egypt”.

Detlef Junker, Gründungsdirektor des HCA, hieß Elena Poppe, den Stifter des Preises Rolf Kentner und den Schatzmeister des Schurman Vereins Dr. Gerhard Vogel herzlich willkommen. Er nutzte die Gelegenheit, den beiden Gönnern des HCAs, ohne die weder die Schurman Bibliothek für Amerikanische Geschichte noch das HCA Wirklichkeit geworden wären, für ihren Einsatz zu danken. An diesem Nachmittag waren beide von ihren Aufgaben für den Schurman Verein zurückgetreten. Sie wurden mit großem Applaus und der Ernennung zu Ehrenmitgliedern des Schurman Vereins geehrt. Professor Junker hieß ebenfalls die frischen und erfahreneren Ph.D.-Kandidaten, Master- und Bachelorstudenten willkommen, die die Entwicklung des HCAs über die letzten Jahre verkörpern.

Martin Thunert, Senior Lecturer für Politikwissenschaft am HCA, hielt im Anschluss die Laudatio auf Elena Poppe. Zunächst gab Dr. Thunert einen Überblick über die sieben Preise, die das HCA seit 2010 verliehen hat. In diesem Jahr ging er zum ersten Mal an eine Alumna der Goethe Universität Frankfurt und zum dritten Mal an eine Frau. Elena Poppe hat 2009 ihr Magisterstudium cum laude abgeschlossen. Sie verbrachte zwei Jahre in den USA, eines als Studentin amerikanischer Zeitgeschichte an der American University in Washington, D.C. und ein zweites als Visiting Scholar an der Georgetown University. Annika Poppe wurde während ihrer Promotion durch die Studienstiftung des Deutschen Volkes und die Fulbright Kommission unterstützt. Ihr akademisches Zuhause, erklärte Dr. Thunert, sei eine Institution, die lose mit der Universität verbunden sei, das Leibniz Institut HSFK. Elena Poppes Forschung konzentriert sich auf die internationale Demokratieförderung, das globale Phänomen der Verkleinerung von zivilem Raum, U.S.-amerikanische Außenpolitik und die Beziehungen zwischen den USA und Ägypten. Ihre Dissertation ist zeitlich zwischen dem Ende des Kalten Krieges und der Ernennung Trumps zu Präsidenten verortet. Sie beginnt mit Erläuterungen zur Demokratieförderung, die sich zu Beginn der achtziger Jahre eher als statisch denn als stark veränderlich charakterisieren lässt, obwohl viele Experten dies anders erwartet hatten. Dr. Poppe untersuchte die Präsidentschaften Bill Clintons, George W. Bushs und Barack Obamas. Dr. Thunert stimmte einem Mitglied der Jury zu, welches in seiner Bewertung der Arbeit lobte, dass Elena Poppe „erfolgreich gewesen sei, wo andere Mühe haben: in der Verbindung von American Studies und Politikwissenschaft“. Dr. Thunert gratulierte Dr. Poppe herzlich zu Ihrer Leistung und gab ihr das Wort.

Dr. Poppe dankte der Jury und dem HCA, sie fühle sich „kleiner und größer zugleich“. Sie hielt einen spannenden Vortrag zu ihrem Thema und teilte ihre Erkenntnisse über die amerikanische Politikstrategie zur Demokratisierungsförderung in Ägypten in den letzten Jahren. Die Förderung von Demokratie war eines der wichtigsten aber auch der umstrittensten Themen der Bush-Regierung und hat sein Vermächtnis stark belastet. Dennoch schob Barack Obama das Thema nicht vollständig beiseite, denn der Gedanke, dass die USA eine exponierte Rolle haben, wenn es um Demokratie und Freiheit geht, ist tief in der nationalen Identität verankert. Durch Trump sei diese „soft power“ der U.S.-amerikanischen Diplomatie gefährdet. Er hätte beispielsweise Sympathien für autokratische Führungspersonen zur Schau gestellt. Es sei aber auch zu bemerken, fügte Elena Poppe hinzu, dass Trump die Verkleinerungen ziviler Räume vorangetrieben, jedoch nicht verursacht hätte. Dies sei ein globales Phänomen. Dr. Poppe beendete ihren Vortrag mit dem Hinweis auf Ihr aktuelles Projekt zu Demokratie in Zeiten Erdogans, Putins und Trumps. Nach einem Schlussapplaus wurden Dr. Poppe und das Publikum eingeladen, den Preis auf einem Empfang in der Bel Etage des HCA zu feiern.

 

Enjoy Jazz: Faubourg Tremé von Dawn Logsdon and Lolis Eric Elie

17. Oktober 2017

Am 17. Oktober präsentierte das HCA seinem Publikum in einer Zusammenarbeit mit Enjoy Jazz den Film „Faubourg Tremé“. Diese Dokumentation von Dawn Logsdon und Lolis Eric Elie, beide Einwohner von New Orleans, porträtiert das Stadtviertel Tremé vor und nach Hurrikane Katrina. Darüber hinaus spielen die wiederkehrenden Anstrengungen der Bewohner Tremés, ihre Heimat durch die Zeiten der Sklaverei, Rassentrennung und der Bürgerrechtsbewegung am Leben zu halten, eine zentrale Rolle. Eingeführt und kontextualisiert wurde der Film von Berndt Ostendorf, Professor Emeritus für Nordamerikanische Kulturgeschichte am Amerika-Institut der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Nachdem Dr. Anja Schüler, die Koordinatorin des Forums am HCA, Professor Ostendorf vorgestellt hatte, gab dieser den Zuschauern umfangreiche Informationen über den geschichtlichen Hintergrund des Viertels. So sei Tremé bereits früh zum Zentrum afroamerikanischer und kreolischer Kultur in New Orleans geworden und entwickelte unter anderem auch durch seinen hohen Anteil freier Afroamerikaner und die vielfältige Zusammensetzung der Bevölkerung eine lebhafte und reiche Kultur. Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Rassentrennung in der amerikanischen Gesellschaft auf ihrem Höhepunkt angelangte, war diese einzigartige Kultur für die Bewohner Tremés nicht nur eine Zuflucht, sondern auch eine Möglichkeit der freien künstlerischen Entfaltung. Das Viertel wurde zum „Geburtsort des Jazz“, und auch wenn es in den letzten Jahrzehnten herbe Schläge einstecken musste, so blieben Musik und besonders Jazz eine wichtige Stütze für seine Bewohner.

Die Zuschauer erfuhren danach mehr über Tremé und seine Einwohner in der Dokumentation selbst, welche Lolis Eric Elie bei den Renovierungsarbeiten seines Hauses begleitete. Da viele Afroamerikaner bereits im 19. Jahrhundert als freie Bürger Besitz erwerben konnten, sind viele Häuser in Tremé nicht nur Zeitzeugen von Familiengeschichten, sondern darüber hinaus Zeugnisse der Geschichte des Viertels. Sein einzigartiger Charakter wurde besonders durch das Zusammenleben französischer, spanischer, kreolischer und afroamerikanischer Kulturen geprägt. Noch heute ist das so genannte „Second-lining“, welches die Teilnahme an einer Straßenparade in dem zweiten Block nach der Blaskapelle beschreibt, ein Ausdruck dieser verschiedenen Kulturen. Neben seinem Beitrag zur kulturellen Landschaft von New Orleans blühte in Tremé schon seit dem 19. Jahrhundert der politische Aktivismus. So wurde hier die erste afroamerikanische Zeitung L’Union (später umbenannt in The New Orleans Tribune) gegründet, welche sich nicht nur für die Abschaffung der Sklaverei aussprach, sondern später auch die Bürgerrechtsbewegung unterstützte. Ausdruck fanden die gesellschaftspolitischen Bemühungen im Jazz, der dem Viertel auch heute, nach Katrina, hilft, sich wieder mit neuem Leben zu füllen. Diese Unverwüstlichkeit Tremés und die Entschlossenheit seiner Bewohner, den Charakter ihrer Heimat zu erhalten, beeindruckte das Publikum und führte nach Ende des Filmes zu einer lebhaften Diskussionsrunde mit Berndt Ostendorf und Anja Schüler.

 

Juliet Kaarbo: "Brexit Stage Right: Sovereignty, Role Contestation, and Socialization in UK Foreign Policy"

11. Oktober 2017

Am 11. Oktober hieß das HCA Juliet Kaarbo, Co-Direktorin des Center for Security Research und Professorin für Außenpolitik an der Universität Edinburgh, herzlich zum Baden-Württemberg Seminar willkommen. Professor Kaarbo präsentierte in der ersten gemeinsamen Veranstaltung des HCA und des Graduiertenkollegs „Authority and Trust“ (GKAT) ihr aktuelles Forschungsprojekt, in welchem sie die Rollentheorie auf den Brexit anwendet. Nach einer kurzen Vorstellung durch Professor Sebastian Harnisch vom Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg erläuterte Professor Kaarbo die Vorteile dieser Methode.

Sie erklärte dem Publikum zunächst, dass die Rollentheorie alle Handlungen internationaler und nationaler Politik als Handlungen auf einer globalen Bühne betrachtet und regionalen, nationalen und internationalen Akteuren entsprechende Rollen zuteilt. Darüber hinaus geht diese Theorie laut Kaarbo davon aus, dass sich die Rolle eines jeden Staates aus dessen Position auf der Bühne und seiner Sozialisierung durch andere Akteure ergibt. Auf dieser Grundlage formulierte Professor Kaarbo eine zentrale Frage ihres Forschungsprojekts, nämlich wie, wann und warum sich die Rollen von Staaten veränderten.

Professor Kaarbo und ihre Kollegen Kai Oppermann und Ryan Beasely definieren Rollentransformation als einen Prozess, der sowohl durch interne Anfechtung als auch durch externe Sozialisierung ausgelöst wird. Obwohl interne Konflikte besonders im Hinblick auf den Brexit bedeutsamer zu sein schienen, argumentierte Kaarbo für die Signifikanz der externen Sozialisierung, während welcher ein Staat durch die Interaktion mit anderen Staaten seine Rolle definiere. Gerade im Falle Großbritanniens sei auch der externe Einfluss nicht zu leugnen. Besonders falle jedoch in beiden Diskursen auf, so Kaarbo, dass der Streit über die politische Souveränität von zentraler Bedeutung sei. Die ungewöhnlich spezifische Verbindung zwischen Souveränität und Rollentransformation werfe daher die Frage auf, ob nicht nur die Fallstudie Brexit, sondern die Rollentheorie im Allgemeinen von einer Einbeziehung dieser Besonderheit profitieren würde.

Professor Kaarbo argumentiert außerdem, dass im Fall des Brexits nicht nur der tatsächliche und ideelle Wert von Souveränität deutlich würde, sondern auch die Verteilung von Macht in einem politischen System, die durch ein solches Ereignis auch neu verteilt werden kann. Weiter sei es auch notwendig, die Auswirkungen eines Rollenwandels auf bestehende Rollen miteinzubeziehen, da hierdurch bestehende Allianzen zerfallen, aber auch neue entstehen könnten. Deswegen gehe es nicht nur um die neue Rolle Großbritanniens, sondern schlussendlich um die Verschiebung des Rollengeflechts auf globaler Ebene. Dies könne dann zu einer prinzipiellen Neubewertung von Souveränität führen, was wiederum Auswirkungen auf alle souveränen Rollen hätte. Professor Kaarbo demonstrierte dann, dass sich diese theoretischen Ansätze empirisch an einer Vielzahl gesellschaftlicher Institutionen nachvollziehen lassen. Obwohl die ursprüngliche Intention gewesen sei, Souveränität, welche an die E.U. abgegeben worden war, wieder auf nationaler Ebene zu etablieren, breitet sich der Souveränitätskonflikt rasch auf andere Teile der Gesellschaft, wie die Gerichte oder britische Landesteile, aus. Somit müsste man nun, laut Kaarbo, den Brexit als Element eines komplexen Geflechts regionaler und nationaler Interessen ansehen. Nach dem Referendum wurden die Versuche der internationalen Gemeinschaft, Druck auf Großbritannien auszuüben, rasch von neuen Konflikten über nationale Souveränität, Beispiel Schottland, abgelöst. Diese Konflikte seien ein klares Symptom für den komplizierten Prozess der Rollentransformation, den Großbritannien gerade durchlaufe. Professor Kaarbo beendete ihren Vortrag dann mit der Prognose, dass der Brexit das generelle Souveränitätsverständnis, welches bis dato vorgeherrscht hatte, untergraben und neu definieren könnte. Begeistert von ihrem Vortrag nahm das Publikum dann die Gelegenheit wahr, in der anschließenden Debatte das Projekt mit Juliet Kaarbo angeregt zu diskutieren.

 

F. Gregory Gause III: "The Trump Administration and the Middle East"

5. Oktober 2017

F. Gregory Gause, Professor for International Affairs und Leiter des International Affairs Department der Bush School of Government an der Texas A&M University, eröffnete am 5. Oktober das Herbstprogramm des Baden-Württemberg Seminars. Der Inhaber des John H. Lindsay ´44 Lehrstuhls referierte über die Nahostpolitik von Präsident Donald Trump in einem Vortrag, welcher in Kooperation mit der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg veranstaltet wurde.

Nach einer kurzen Vorstellung durch Professor Johannes Becke von der Hochschule für Jüdische Studien begann Professor Gause seinen Vortrag mit einer detaillierten Analyse der bisherigen Maßnahmen der Nahostpolitik von Präsident Trump. Er betonte zur Überraschung aller Anwesenden, dass Präsident Trumps Haltung, verglichen mit der seines Vorgängers, die traditionelle amerikanische Außenpolitik im Nahen Osten widerspiegelte.

Obwohl andere von Trump initiierte Maßnahmen diese Kontinuität nicht aufwiesen, reihte er in Sachen Naher Osten in die Politik, besonders die strikte Anti-Terror Politik, früherer Administrationen ein. Darüber hinaus hatte er während seines Wahlkampfes versprochen, die amerikanische Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen. Trump hatte diesen Plan jedoch rasch nach seiner Wahl verworfen und erneuerte stattdessen die Zusage, dass Amerika weiterhin ein Friedensabkommen zwischen Israel und Palästina unterstützen werde. Obwohl Trump im Zuge seines Wahlkampfes ebenso stark für eine verringerte amerikanische Präsenz im Nahen Osten plädierte wie andere Kandidaten vor ihm, wiesen vermehrte Einsätze der amerikanischen Luftwaffe in Syrien und neu stationierte Truppen in Afghanistan auf eine wieder größere amerikanische Präsenz hin. Die Kontinuität von Trumps Nahostpolitik wurde außerdem durch einen rhetorisch-ideologischen Umschwung demonstriert, der durch einen Personalwechsel im Weißen Haus ausgelöst wurde. Wo zuvor der ehemalige Chefstratege Steve Bannon und der ehemalige Nationale Sicherheitsberater General Michael Flynn sich einer islamophoben, anti-muslimischen Rhetorik bedienten, schlug General H. R. McMaster, der seit Februar Nationaler Sicherheitsberater des Präsidenten ist, einen deutlichen gemäßigteren Kurs ein. Professor Gause betonte jedoch, dass Donald Trumps Haltung zum Iran und dem Nuklearabkommen deutlich von der Barack Obamas abweiche. Trump zeigte sich hier deutlich konfrontativer, jedoch betonte Gause, dass diese Haltung, die spürbaren Druck auf das iranische Regime ausübte, die amerikanische Außenpolitik seit 1979 dominiert hatte und dass lediglich Präsident Obama deutlich von diesem Kurs abgewichen war.

Nach diesem ausführlichen Vergleich leitete Professor Gause dann zu der Frage über, warum Trump trotz deutlicher Kontinuität in der Nahostpolitik dennoch als Gefahr für den Status Quo wahrgenommen werde. Hauptsächlich, so Gause, läge dies an Trumps Eigenart, politische Veränderungen unverzüglich zu kommentieren. Damit untergrabe er nicht nur seine eigenen Mitarbeiter, sondern stellte Politiker und Bürger gleichermaßen vor die Frage, wer den Präsidenten und ergo die Nahostpolitik in der Öffentlichkeit tatsächlich repräsentiere. Professor Gause sprach dann zum Ende seines Vortrages über die Gründe für Trumps überraschend kontinuierliche Nahostpolitik. Unter anderem sehe er das weiterhin bestehende wirtschaftliche Interesse der USA an guten Handelsbeziehungen als ausschlaggebend für die amerikanische Nahostpolitik. Darüber hinaus betonte Gause aber, dass diese Kontinuität auch das Resultat von innenpolitischen Interessen sei. Zum einen unterstützen große Teile der amerikanischen Gesellschaft speziell seit dem Jom-Kippur-Krieg 1973 den Staat Israel, zum anderen stünden viele Amerikaner seit den Anschlägen des 11. September hinter einer strikten Anti-Terror Politik. Professor Gause schloss dann seinen Vortrag mit einer Prognose für zukünftige Kontinuität in der Nahostpolitik Trumps und eröffnete die Diskussion, in welcher er diese und andere Themen lebhaft mit dem Publikum im Atrium diskutierte.

 

Podiumsdiskussion: “Trump’s World: The First 200 Days”

President Donald J. Trump, Chancellor Angela Merkel, and Prime Minister Theresa May | July 7, 2017 (Official White House Photo by Shealah Craighead)

25. Juli 2017

Die letzte Veranstaltung des Sommersemesters war ein Rückblick auf die politischen Entwicklungen und Veränderungen in den Monaten nach dem Einzug Donald Trumps ins Weiße Haus. Zu „Trumps Welt: Eine Zwischenbilanz nach 200 Tagen“ hatte das HCA die Journalisten Ali Aslan und Andreas Horchler eingeladen, aus den eigenen Rängen stieß der Politikwissenschaftler Martin Thunert hinzu. Die Moderation übernahm Tobias Endler, ebenfalls Politikwissenschaftler am HCA. In der Diskussion ging es vor allem um die Wählerschaft Trumps, die bisherigen innenpolitischen Veränderungen und die Rolle der Medien. Zu Beginn fasste Tobias Endler den Ist-Zustand der U.S.-amerikanischen Regierung zusammen; die Exzentrik des 200 Tage-alten Präsidenten, seine ständigen Twittergewitter und die außen- und innenpolitischen Tumulte. Es stünde die Sommerpause des Kongresses bevor, ein guter Moment innezuhalten und sich zu fragen, was eigentlich los ist in den USA. Die erste Frage ging an Andreas Horchler, der bis zum Juli dieses Jahres als Auslandskorrespondent für die ARD in Washington tätig war. Vier Jahre lang hat Andreas Horchler in den USA gelebt und gearbeitet. Wie sei die Stimmung in den USA, fragte Tobias Endler, ist die Hauptstadt wirklich die „Kloake“, von der Donald Trump immer spricht? Für viele sei Trumps Präsidentschaft noch immer der täglich geträumte Alptraum, antwortete Andreas Horchler. Washington D.C. sei zutiefst demokratisch, um Anhänger Trumps zu finden müsse man aus der Stadt hinaus aufs Land, beispielsweise hätte er kürzlich einen Waffenhändler in North Virginia interviewt, der ihm erklärt hätte, dass die Skandale um Trump bedeutungslos seien und dass Trump als Präsident sein Bestes tun würde.

Die nächste Frage richtete Tobias Endler an Ali Aslan, der von 1992-2006 in den USA lebte und seine Karriere als Volontär bei CNN begonnen hatte. Nach seiner Arbeit für NBC News, CNN, ABC News und Channel News Asia ist der TV-Moderator, Journalist und Politikwissenschaftler derzeit Moderator des Online-Formats „Die richtigen Fragen“ auf bild.de. Welches Potenzial habe Trump da angezapft? Trump ist nicht vom Himmel gefallen, meinte Ali Aslan. Ähnliche Entwicklungen gebe es in Polen, der Türkei und Ungarn. Jedoch würde fälschlich angenommen, der Konflikt fände zwischen links und rechts statt, tatsächlich geht es um arm und reich. Dass sich der unterprivilegierte Teil der Bevölkerung Trump zugewandt hatte, liege auch in der Verantwortung der Demokraten, die ihn gewähren ließen. Ihn selbst beschäftige die Arroganz, mit der in Deutschland und Europa die amerikanische Wählerschaft bewertet würde. Ihre Situation ließe sich mit europäischen Maßstäben kaum erfassen. Aus amerikanischer Sicht sei die Wahl eine Reality-Stars zum Präsidenten nur konsequent gewesen.

Trump hätte den Wahlkampf um seine zweite Amtszeit bereits begonnen, stellte die Runde fest, und eine Wiederwahl sei nicht unmöglich. Was hatte Trump in den ersten 200 Tagen seiner Amtszeit eigentlich erreicht? Die Standards seien neu gesetzt, meinte Ali Aslan, Trump verfüge über einen Teflon-Charakter, alles perle an ihm ab. Die Skandale, in die Trump bisher verwickelt war, hätten seine Vorgänger das Amt gekostet. Die Fallhöhe sei groß, pflichtete ihm Andreas Horchler bei. Die dramenfreien Regierung Obamas sei eben vorbei. Er sähe Trumps größten Einfluss in der Berufung Neil Gorsuchs als Richter am Supreme Court. Seine konservative Haltung, etwa in Fragen der Familienplanung und Abtreibung, würde die Gesetzgebung möglicherweise für Jahrzehnte stark beeinflussen. Dennoch, gab Martin Thunert zu bedenken, der unter anderem für das Senatskomitee für Arbeit, Bildung und Gesundheit gearbeitet hatte, trage bisher kein Gesetz die Handschrift des Präsidenten Trumps. Die Beziehung zwischen der ersten Gewalt – der Exekutive – und der vierten Gewalt – den Medien – habe sich unter Trump und auch schon im Wahlkampf stark verändert, sagte Tobias Endler, wie bewerteten die Diskussionsteilnehmer dies? Medien hätten Trump größer gemacht als er war, sagte Ali Aslan, über dreißig Minuten eine Trump-Hoteleröffnung zu zeigen, von denen zwei Minuten lang über Politik gesprochen wird, sei ein Unding, dass CNN, um sich die Gunst des Präsidenten zu sichern, nun vierundzwanzig Stunden Trump bringe, zeige Schwäche. Insgeheim sei man sich in der Medienbranche allerdings einig: Trump ist gut für das Geschäft. Die Gatekeeper-Funktion der Presse sei aufgehoben, der Präsident kommuniziere direkt mit der ganzen Welt: via Twitter, sagte Martin Thunert. Die Versuche, Trump vorzuführen, könnten allerdings nach hinten losgehen. Breitbart sei nur die Speerspitze alternativer Medien in den USA.

Bald öffnete Tobias Endler die Diskussion auch zum Publikum hin, das sich mehrheitlich für den Blick der Experten auf die Person Trump interessierte. Woher komme dieser Teflon-Effekt? Zunächst sei Trump durch und durch New York, meinte Ali Aslan. Er profitiere von der gespaltenen Gesellschaft der USA und vom „kaputten“ Washington. Sein Reichtum spiele eine Rolle, obwohl es nicht sicher sei, ob Trump wirklich über die Summen verfüge, die er regelmäßig andeutete. Auch hätte er sich nie an die Regeln der „political correctness“ gehalten, sondern sich vielmehr dagegen ausgesprochen, was seiner Wählerschaft gefiel. Martin Thunert merkte an, dass Trump nicht der erste Teflon-Präsident der USA sei, auch Reagan verzieh man vieles. Bei Reagan sei es jedoch eher seine sympathische, kommunikative und naive Art gewesen, bei Trump würde man sein offen feindliches Verhalten als Ehrlichkeit und Direktheit interpretieren. Außerdem gäbe es ganz einfach viele Politiker, die noch unbeliebter seien. Weitere Themen der Publikumsdiskussion waren „Fake News“ und Migration. Letztlich sei Trump ein endliches Phänomen, schloss Tobias Endler. Der Women’s March hätte größere Massen angezogen als die Amtseinführung, und Amerika sei mehr als Trump. In spätestens siebeneinhalb Jahren sei es vorbei, stimmte ihm Ali Aslan zu.

 

“The Nuclear Crisis: The Arms Race, Cold War Anxiety, and the German Peace Movement of the 1980s” (HCA Book Launch)

18. Juli 2017

Für den letzten Book Launch des Semesters setzten sich Wilfried Mausbach, Martin Klimke, und Claudia Kemper auf der Bühne des HCA zusammen, um ihren eben veröffentlichten Band The Nuclear Crisis: The Arms Race, Cold War Anxiety, and the German Peace Movement of the 1980s vorzustellen. Dr. Mausbach, Geschäftsführer des HCAs, stellte seine Kollegen Professor Klimke, einen der Herausgeber des Bandes, und Dr. Kemper vor, die das Kapitel zu zivilem Widerstand verfasst hat. Beide sprachen über ihre Teilnahme an dem Projekt, und es folgte eine Diskussion mit dem Publikum, die Dr. Mausbach moderierte. Sein Besuch im HCA war fast so etwas wie ein Heimspiel für Professor Klimke, da er seinen Master sowie seinen Ph.D. in Heidelberg absolviert hatte. Heute ist Martin Klimke Associate Dean of Humanities and Associate Professor of History an der New York University in Abu Dhabi. Er sprach über den Entstehungsprozess des Bandes und die fünf Herausgeber, die sich 2011 zusammengetan hatten, um neuere Forschung zur „Nuklearkrise“ zu bündeln. Er führte das Publikum dann auf eine rasante Tour durch die verschiedenen Manifestationen von Nuklearängsten in den westlichen Gesellschaften während des Kalten Krieges, beginnend mit dem Brettspiel „Fulda Gap“ aus den 1970ern und verschieden Blockbustern, die sich mit den Schrecken eines möglichen nuklearen Angriffs auseinandersetzten, endend mit den sehr viel ernsteren Protesten gegen nukleare Waffen in Mutlangen.

Claudia Kemper, die seit 2014 am Hamburger Institut für Sozialforschung arbeitet, hatte bereits vor ihrem Artikel für The Nuclear Crisis zum Thema Zivilschutz gearbeitet. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützte ihr post-doc Projekt zu Ärzten und Ärztinnen in der anti-atomaren Friedensbewegung der 1980er Jahre. Dr. Kemper ist Mitherausgeberin der Serie „Frieden und Krieg“ des Klartext Verlags. Ihr Artikel beschreibt die Möglichkeiten des Zivilschutzes bei einem möglichen nuklearen Angriff, speziell Strahlungsschäden, sowie die Effekte biologischer und chemischer Waffen.

Anschließend eröffnete Dr. Mausbach die Diskussion mit dem Publikum. Philipp Gassert, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Mannheim, ein weiterer Herausgeber, fragte seine Kollegen und seine Kollegin, ob sie glaubten, dass der Band Auswirkungen auf den interdisziplinären Diskurs gehabt habe. Das Konzept des Bandes hätte sich durchaus bewährt, antwortete Professor Klimke, jedoch sei man in Sachen Branding wohl gescheitert. Der Band habe eine kulturelle Dimension des Themas eröffnet, die in diesem Zusammenhang gut funktioniert hätte. Die nächste Frage sprach an, in wie fern weitere Forschung zu den gesellschaftlichen Aspekten einer drohenden Nuklearkrise nötig sei. Dr. Kemper glaubte, dass man zwei Stränge verfolgen müsse: den transnationalen Charakter der Friedensbewegung und die angenommene Verschmelzung von Protesten gegen Atomwaffen und Atomkraftwerke. Die Mitglieder der Friedensbewegung seien oft als naive „Peaceniks“ wahrgenommen und dargestellt worden, fügte Dr. Mausbach hinzu. Es habe aber eine Kluft bestanden zwischen den USA und Europa: während die U.S.-Amerikaner sich hauptsächlich auf den binären Konflikt konzentriert hätten, wünschten sich die Europäer ein Ende des Kalten Krieges. Die Diskussion entwickelte sich schnell weiter und bewies damit einmal mehr die Relevanz des Themas. Im Anschluss bekämpften die Anwesenden noch mit ein paar kalten Getränken die Hitze des Tages und verließen dann das HCA, vor dessen Tür ein schöner Sommerabend auf sie wartete.

 

Patrick Roth: "Death and Resurrection in L.A." (HCA trifft...)

Foto: Vera Matranga

11. Juli 2017

Lesungen sind immer etwas Besonderes am HCA. Am 11. Juli las der Schriftsteller Patrick Roth im Rahmen der Reihe HCA trifft … aus seinen Büchern Die Amerikanische Fahrt und Johnny Shines. Letzteres ist der zweite Teil seiner Christus Trilogie, die 2016 erstmals als Gesamtausgabe beim Wallstein Verlag erschien. Der Kommentar zu dieser Ausgabe wurde von Prof. Dr. Kopp-Marx verfasst, die den Autor auch an diesem Abend begleitete und ihm einige Fragen zu seiner persönlichen Geschichte und seinem Leben in Los Angeles stellte. Michaela Kopp-Marx lehrt Neuere Deutsche Literatur an der Universität Heidelberg und verantwortet seit 1998 die Heidelberger Poetikdozentur, worauf die Universität Patrick Roth 2004 und 2012 berief. Jan Stievermann, Professor für die Geschichte des Christentums in den USA, erweiterte die Runde nach der Lesung und leitete die anschließende Diskussion mit dem Publikum. Die großzügige Unterstützung des Schurman Vereins zur Förderung der Amerikastudien an der Universität Heidelberg e.V. hatte den Abend ermöglicht.

Zunächst stellte Michaela Kopp-Marx den Autor vor. Nach einem Aufenthalt in Paris und einigen Jahren Studium an der Universität Freiburg erhielt Patrick Roth ein einjähriges Stipendium des DAAD für die University of Southern California in Los Angeles. Zwar war er dort als Anglistikstudent immatrikuliert, hatte sich aber schon mit dem Wunsch beworben, Filmproduktion und Regie am Cinema Department zu studieren. Der Wechsel gelang, und nach Ablauf des Stipendiums beschloss er, sich in den Vereinigten Staaten niederzulassen. Zunächst schrieb und inszenierte Patrick Roth Theaterstücke, die in Deutschland vor allem als Hörspiele erschienen. Seit den 1990er Jahren ist er in erster Linie als Schriftsteller bekannt. Er publiziert Novellen, Romane, Erzählungen und Erzählzyklen wie die Christus Trilogie.

Vor dem Kernstück des Abends, der Lesung, stellte Prof. Kopp-Marx eine paar Fragen an Patrick Roth, etwa, warum es ihn in die USA gezogen hätte. Das Erzählkino, antwortete der Autor, sei damals synonym mit dem amerikanischen Kino gewesen, nur dort, und am besten am renommierten USC Cinema Department, sei es möglich gewesen, Erzählkino zu erlernen. Das Jahr an der kalifornischen Universität sei sehr intensiv gewesen, dort hätte er „Erzählen“ gelernt, angefangen mit Stummfilmen, also mit „Bildgeschichten“. Patrick Roth beschrieb auch seinen damaligen Schaffensprozess; er hätte sich mit einem „Splitter“ befasst, einem Bildfragment oder einer Stimmung, die ihn länger beschäftigt hatten, und hätte sich bei heruntergelassenem Rollläden und einer Schallplatte mit Regenaufnahmen auf dem Plattenteller in sein Zimmer gelegt und seiner Fantasie freien Lauf gelassen. Regen- und Windgeräusche hätten ihn immer inspiriert, aber seien in Südkalifornien eher selten. Während der Lesung allerdings ging ein Wolkenbruch auf das Atrium nieder – „die perfekte Mischung“, freute sich der Autor. In seinem Roman Die amerikanische Fahrt: Stories eines Filmbesessenen erzählt er von seiner Begeisterung für Film, für Schauspieler, für die Regisseure John Ford, Howard Hawks und Alfred Hitchcock und unverhofften Begegnungen mit seinen Helden, zum Beispiel Henry Fonda. Auch berichtet er, wie das Erlernen filmischer Mittel zur Basis seines späteren Schreibens wurde.

Wie sei es zu der intensiven Auseinandersetzung mit der Bibel gekommen, die den Grundstoff für die Christus Trilogie bildet, fragte Michaela Kopp-Marx, bevor sich der Autor dem zweiten Teil der Lesung zuwandte. Zunächst sei es eine sprachliche Faszination gewesen, sagte Patrick Roth, später hätte er die Bibel als mythologischen Text gelesen, enthalte sie doch viele der ältesten Bilder der Menschheit. Er beschrieb die Bibel „als Schatzkammer archetypischer Bilder, bedacht und kommentiert“. In Johnny Shines erzählt Patrick Roth die Geschichte eines jungen Mannes, der dem „Jesusbefehl“ gehorcht; er versucht, frisch Verstorbene aus umliegenden Gemeinden wieder zum Leben zu erwecken. Der Autor las die Stelle aus dem Buch, an der Johnny Shines von seinem Alltag als „Erwecker“ berichtet. Wie wären seine messianischen Figuren zu verstehen, fragte Jan Stievermann, nachdem er zu dem Duo auf der Bühne gestoßen war. Ginge es um eine Sakralisierung oder eine Profanierung der biblischen Inhalte? Man solle die Texte einfach auf sich wirken lassen, war die Antwort, die spontane Reaktion würde vor allem von intellektuelleren Lesern oftmals unterdrückt, jedoch sei es gerade jene, die ihm als Autor am Herzen lägen. Auf die Frage, welche zeitgenössischen Autoren ihn inspirierten, gab Roth zu, sich nur wenig mit zeitgenössischen Autoren zu befassen, nannte jedoch Breece D'J Pancake und David Mamet. Daraufhin wurde die Runde geöffnet, und das Publikum hatte vor allem viel Lob für den Autor, nicht zuletzt für seine spannende Lesung und seine Offenheit. Inzwischen hatte der Regen aufgehört, und das HCA entließ sein Publikum in einen frischen, duftenden Sommerabend.

 

Manisha Sinha: "The Abolitionist International: Anatomy of a Social Movement"

6. Juli 2017

Manisha Sinha setzte am 6. Juli den Schlusspunkt des einundzwanzigsten Baden-Württemberg Seminars. Ihr Vortrag stellte die Forschungsergebnisse ihres neu erschienen Buches The Slave’s Cause: A History of Abolition vor. Nach der Promotion an der Columbia University hat Prof. Sinha augenblicklich den James and Shirley A. Draper Chair in Early American History an der University of Connecticut inne. Vor zwei Jahren nominierte Politico ihr erstes Buch, The Counterrevolution of Slavery, als eines der zehn besten Neuerscheinungen zum Thema. In diesem Jahr nominierte sie die Zeitschrift Diverse: Issues in Higher Education als eine der fünfundzwanzig einflussreichsten Frauen im höheren Bildungswesen.

Nach einer Vorstellung durch Prof. Dr. Berg (HCA und Historisches Seminar) führte Prof. Sinha ins Thema ein, indem sie ihre Forschung über den amerikanischen Abolitionismus als eine long durée etablierte. Sie datiert die Ursprünge der Bewegung in die Zeit der Amerikanischen Revolution; ihre Protagonisten waren radikale weiße und schwarze Amerikaner; ihre Ziele drehten sich um die Belange der Afro-Amerikaner. Die Historiographie allerdings porträtiert Abolitionisten meist entweder als Fanatiker, die den blutigsten Krieg in der amerikanischen Geschichte zu verantworten haben, oder als paternalistische und wirtschaftskonservative bürgerliche Reformer. Tatsächlich aber, so Prof. Sinha, gründete sich die Bewegung auf den „Widerstand der Sklaven und nicht auf bürgerlichen Liberalismus“.

Sklavenaufstände in den Kolonien inspirierten die ersten, von Quäkern dominierten, Gesellschaften für die Abschaffung der Sklaverei; die dramatischen Schicksale entflohener Sklaven waren der Kitt, der die unterschiedlichen Faktionen der Bewegung zusammenhielt. Die Abschaffung der Sklaverei war kein “Moment” im Bürgerkrieg, sondern vielmehr ein hundertjähriges Drama, das sich in Gerichtssälen, Parlamenten, Büchern und auf der Straße abspielte. Prof. Sinha stellte etliche weniger bekannte Abolitionisten vor und machte an ihren Geschichten deutlich, dass der Abolitionismus die rigiden Grenzen von Rasse, Klasse und Geschlecht überwand. Er hinterfragte grundsätzlich die Sklavenarbeit in einer kapitalistischen Demokratie, ließ theoretisch versierte Afro-Amerikaner zu Wort kommen und war Geburtshelfer für die erste amerikanische Frauenbewegung. Abolitionisten verloren zudem Missstände in der ganzen Welt nicht aus dem Blick und schlossen sich anderen radikalen Bewegungen an, beispielsweise dem utopischen Sozialismus, dem Feminismus und dem Pazifismus; sie unterstützen den Kampf der amerikanischen Ureinwohner und setzen sich für die Rechte von Immigranten und Arbeitern ein. Letztlich verbanden sie den Kampf für die Abschaffung der Sklaverei mit dem für „die Demokratie, die Bürgerrechte und die Emanzipation von Frauen und Arbeitern“. Prof. Sinha schloss ihren faszinierenden Vortrag mit einem Blick auf das Erbe der amerikanischen Abolitionisten, die für eine perfektere Demokratie kämpften, in den USA und weltweit. Dem Vortrag folgte eine lebhafte Debatte, und etliche Zuhörer nutzten die Gelegenheit, ein signiertes Exemplar von The Slave’s Cause mit nach Hause zu nehmen.

 

Michael Rodegang Drescher: “Poets of Protest: Mythological Resignification in American Antebellum and German Vormärz Literature” (HCA Book Launch)

20. Juni 2017

Die Vereinigten Staaten und die Europäische Union werden ihre Differenzen nicht überwinden wenn ihre politische Kultur sich an simplistische Perspektiven klammert, die sich nur zur Vergangenheit hin orientieren und hoffen, irgendetwas „wieder groß zu machen“, sagte Michael Drescher, der am 20. Juni Teile seiner Doktorarbeit am HCA präsentierte. Seine Betreuer Günter Leypoldt und Dietmar Schloss stellten den vielversprechenden Wissenschaftler vor, der bereits als Tutor am HCA und am Anglistischen Seminar tätig war. Michael Drescher wurde bei seiner Promotion durch die Studienstiftung des Deutschen Volkes unterstützt und verbrachte ein Forschungssemester an der Harvard University.

Dr. Dreschers Vortrag fokussierte darauf, wie Nathaniel Hawthorne und Heinrich Heine sich bemüht hatten, die nationalen Mythologien rund um den amerikanischen Puritanismus und die europäischen Herrscher neu zu beschreiben. Am wichtigsten schienen seine Erkenntnisse in Bezug auf das Thema Mythos und die Einführung des Begriffs „mythologische Resignifikation“. Hawthorne und Heine verhandelten zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts in ihren Schriften nationale Identität neu. Diese politisch gesinnten Autoren auf beiden Seiten des Atlantiks trachteten nach einer frischen Definition ihrer jeweiligen Kultur und schrieben deshalb eigene Versionen von Geschichten, die in den Vereinigten Staaten und Deutschlands als kulturelle Basis dienten. In der Antebellum-Phase in den USA und dem deutschen Vormärz waren Unzufriedenheit über die Politik und ihre Strukturen gewachsen. Die beiden Autoren nutzen das Geschichtenerzählen, um eine Sicht auf die Welt vorzustellen, in der die Veränderungen mitschwangen, die sie für ihre Heimatländer im Sinn hatten. Geschichten wurden zum Vehikel für politische Veränderung, sagte Dr. Drescher.

Das Demontieren und Neuverfassen von Mythen entpuppte sich als mächtiges Werkzeug. Michael Drescher berief sich in seiner Interpretation von „Mythos“ auf Roland Barthes und Hans Blumenberg. Der Mythos sei ein persönliches sowie ein kulturelles Phänomen, das Gemeinschaft schuf, wo sich keiner zugehörig fühlte und außerdem eine soziale Realität, „eine beruhigende Auffassung der Welt, die nötig ist, um Unsicherheit und den Terror der Existenz zu ertragen“. Dr. Drescher spezifizierte Mythen, die das Fundament von Nationen bildeten, wie Der Scharlachrote Buchstabe und Deutschland. Ein Wintermärchen als „civic myths.“ Sie waren besonders beliebt in Zeiten des Tumults wie Antebellum und Vormärz. Im Resignifikationsprozess werden Mythen mit neuen Gedanken und politischen Ideen durchmengt; im Falle von Hawthorne und Heine besaßen diese demokratische Qualität. Beide Autoren schrieben die Geschichten neu, um die Gegenwart zu verändern, nicht die Vergangenheit. In seiner Arbeit, sagte Michael Drescher, argumentiere er, dass mehr, nicht weniger Demokratie zur Lösung unserer politischen Probleme führt.

Inspiriert von Dr. Dreschers Vortrag stellte das Publikum zahlreiche Fragen, etwa, wie konnte Hawthorne ein glaubwürdiges Bild der Puritaner zeichnen? Als er den Scharlachroten Buchstaben schrieb, gehörten sie doch längst zur Vergangenheit. Die Puritaner im Scharlachroten Buchstaben sind von Hawthorne erdacht, antwortet Dr. Drescher, jedoch würden Amerikaner und Amerikanerinnen heutzutage seine Vision teilen. Der Mythos schert sich nicht um Wahrheit oder Geschichte. Hawthorne hatte zwar seine Hausaufgaben gemacht, jedoch war er auf der Suche nach einem Branding, dass ihn in seinen Argumenten bestätigte. Mythos und Ideologie wären ja eng miteinander verbunden, gab ein Zuhörer zu bedenken. War dies nicht gefährlich? In seiner Arbeit, gab Michael Drescher zurück, hätte er sich nur auf die sonnige Seite des Phänomens Mythos beschränkt und die Autoren, die für Demokratie standen. Am Ende, sagte er, käme es doch auf die Hand an, die die Feder führt.

 

Daniel Barber: “The Solar House Principle: Bringing the Environment into American Architecture, 1944-1959”

8. Juni 2017

Zur vorletzten Veranstaltung des Baden-Württemberg Seminars im Sommersemester hieß das HCA Daniel Barber, Assistenzprofessor an der Penn Design willkommen. Anja Schüler, die die öffentlichen Veranstaltungen am HCA koordiniert, stellte den „architektonischen Historiker“ vor. Professor Barber errang Abschlüsse an der Columbia sowie an der Yale Universität und erhielt eine Post-Doc Stelle am Harvard University Center for the Environment. 2016 ging er im Zuge einer Förderung durch die Humboldt Stiftung an das Rachel Carson Center in München, wo er insgesamt vier Jahre lang immer wieder zu Gast sein wird. Daniel Barbers Forschung konzentriert sich nicht allein auf Architektur, er bezieht auch technologische Entwicklungen und soziale sowie politische Umstände mit ein, die die architektonische Idee des Solarhauses und seiner Weiterentwicklung, des Passivhauses, beeinflussten. In seinem Vortrag stellte er originelle Experimente mit dem Bau von Passivhäusern und ihrer Wärmegewinnung und -speicherung in den USA und weltweit vor. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Solarhäuser als Teil der Zukunft amerikanischer Architektur angesehen. Eine der dem Solarhaus zugrundeliegenden Ideen, die Daniel Barber präsentierte, ist jene, die einen kreativen Prozess beschreibt, der seinen Ursprung in der Kargheit hat statt im Überfluss. Die Herausforderung ist also, etwas zu entwerfen, das die Ressourcen nutzt, über die eine Gesellschaft verfügt, anstatt sich übermäßig mit dem Schwinden dieser Ressourcen zu beschäftigen. Die ersten Solarhäuser wurden zu Beginn des Zweiten Weltkriegs gebaut, und einige Architekten und Stadtplaner sahen in ihnen einen Vorgeschmack auf die Zukunft, die das Nachkriegsamerika erwartete. George Van Dyne, ein Pionier der Systemökologie, bestätigte dem Solarhaus „eine bedeutungsvollen Einfluss auf das Makroklima“, und sicherlich stellte es einen großen Schritt weg von fossilen Brennstoffen dar. Glaswände mit Blenden schafften ein Klima im Inneren der Häuser, in dem auch ohne eine zusätzlichen Heizquelle „Klein-Toby noch nicht einmal ein Schnüpfchen bekam“. Experimentellere Entwürfe zeigten Häuser mit einem Algenfeld auf dem Dach, um Nahrung zu produzieren für die Zeit „in der Weizenfelder und Rinderfarmen der Vergangenheit angehören“.

Generell waren Solarhäuser in Ländern mit heißem Klima beliebt. Prof. Barber zeigte zwei Beispiele, beide in Rio de Janeiro, Brasilien. Eines war das Ministerium für Bildung, Ministerio de Educación de Río de Janeiro, das andere ein Wohnbau, Edifício MMM Roberto/ Irmãos Roberto. Beide waren 1945 gebaut worden, und ihr Raumklima wurde durch Unterteilungen der Fassade und manuelle Jalousien reguliert. Bedauerlicherweise, sagte Daniel Barber, seien die Jalousien seit dem Öl-Boom nicht weiterverwendet worden, und die Räume würden durch individuelle Klimaanlagen gekühlt. Das Interesse des Publikums war geweckt, und eine lebhafte Diskussion entstand. Warum hatten Solarhäuser nie den Durchbruch erlebt? Sie seien nun einmal nicht günstig, antwortete Daniel Barber, besonders die kleinen Einheiten, wie sie für die Bebauung von Vorstädten geeignet wären. Der Standplatz eines Solarhauses sei vor Baubeginn genauestens zu analysieren, die schattenspendenden Schirme exakt zu montieren, die Isolierung sei kostspielig, und die Form sei stark von der Nutzung abhängig. Für Investoren, die eine große Anzahl Häuser binnen kurzer Zeit bauen lassen wollten, sei ein Solarhaus nicht profitabel. Warum war Solarenergie zwischen den 1950ern und den späten 1970ern so sträflich vernachlässigt worden? Fossile Brennstoffe seien über einen langen Zeitraum billig gewesen, bis zur Energiekrise. Selbst ehrwürdige Institutionen wie das MIT hätten ihr Budget für Solarenergieforschung in ein kleines Atomkraftwerk auf dem Campus gesteckt. Wie lautete Präsident Carters Meinung zu Solarenergie, hatte er sie nicht unterstützt und sogar Solarkollektoren auf dem Dach des Weißen Hauses installieren lassen? Ja, sagte Professor Barber, 32 Paneele seien als symbolischer Akt angebracht worden, außerdem hätte Carter 1979 amerikanische Familien aufgefordert, das Thermostat herunterzudrehen und einfach mal einen Pullover anzuziehen. Obama hätte sich auf gesunde Ernährung anstatt auf Energie konzentriert, und Politiker, die ihr Engagement gegen den Klimawandel überlebt hätten, seien selten. Mit dieser Bemerkung endete die Zeitreise des Abends.

 

Harry Stout: "Lincoln’s God and the Emancipation Proclamation" (Pennington Award 2017)

17. Mai 2017

Der James W.C. Pennington Preis, der gemeinsam vom HCA und der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg verliehen wird, ging in diesem Jahr an Harry S. Stout, Jonathan Edwards Professor für Amerikanisches Christentum an der Yale Divinity School. Erneut fand der Festakt und der anschließende Empfang im Atrium und im Garten des HCA statt. Der James W.C. Pennington Preis ehrt herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich jenen Themen widmen, die auch den Namensgeber beschäftigten: Sklaverei und Emanzipation, soziale Reformen, Religion, Friede, Bildung und interkulturelle Kommunikation. Das sechste Jahr in Folge ermöglichte eine Spende der Manfred-Lautenschläger-Stiftung dem Preisträger einen vierwöchigen Forschungsaufenthalt in Heidelberg. Die Verleihung begann mit Ansprachen des Gründungsdirektors des HCA, Prof. Dr. Dr. h.c. Detlef Junker, dem Stifter des Preises, Dr. h.c. Manfred Lautenschläger, und Jan Stievermann, Professor für die Geschichte des Christentums in den USA.

Harry S. Stout promovierte 1974 an der Kent State University, veröffentlichte und editierte zahlreiche Bücher über Religions- und Kulturgeschichte und ist seit 1986 Professor für Amerikanische Religionsgeschichte an der Yale Divinity School. Im Jahr 1991 wurde er Jonathan Edwards Professor. Harry Stouts Forschung widmet sich Puritanismus und Evangelikalismus und insbesondere der Religion im Kontext des Amerikanischen Bürgerkriegs. Wie Pennington interessiert er sich für die religiösen Motive hinter dem Ende der Sklaverei. In seiner Rede fokussierte er auf den „Gott Lincolns und die Emanzipationsproklamation”.

Anders als die Gettysburg-Rede und seine zweite Antrittsrede feiern Historiker Lincolns Emanzipationserklärung von 1863 nicht als inspirierende Rede. Lange Zeit wurde sie als trocken und nur mehr rhetorisch wahrgenommen, es fehlten die Substanz und Eloquenz, für die Lincolns Reden berühmt waren. Auch kritisierten Historiker in der Vergangenheit, dass das Dokument nur jene Sklaven befreite, die innerhalb der Konföderation ansässig waren, und Sklaven in den Grenzstaaten ausschloss. In seinem Vortrag ging Professor Stout besonders auf die Frage ein, ob und wie Lincolns Glaube seine Entscheidung, die Sklaverei in den USA abzuschaffen, beeinflusst hat. Offensichtlich hat der Präsident in dieser Frage, die ihn lange beschäftigt hat, auf eine Bestätigung seines Gottes gehofft. Die Emanzipationserklärung, so Prof. Stout, strebte mehr als eine Emanzipation an, die lediglich Rassengleichheit und volle Staatsbürgerschaft mit sich brachte. Lincoln wollte eine moralische Gleichberechtigung, was der Erklärung eine geradezu revolutionäre Dimension gab. Somit wurde die Emanzipationsproklamation von einer ähnlichen moralischen und religiösen Kraft wie die Gettysburg-Rede und Lincolns zweite Antrittsrede inspiriert. Der Gott Lincolns war der puritanische Gott der hebräischen Bibel, der sich für seine auserwählten Völker einsetzt, die dann wiederum so leben sollten, dass sie ihm gefielen. Sein Zorn war gefürchtet, aber Seine Zuneigung war prächtig. Die Vorstellung dieses Gottes beeinflusste Lincolns Weg zur Emanzipationserklärung und den darauffolgenden Ereignissen enorm. Prof. Stout betonte, das die Emanzipationserklärung Teil einer Revolution ist, die immer noch gegenwärtig ist. Er konstatierte aber auch, dass es nach wie vor eine Kluft zwischen der Gleichberechtigung, die nach dem Bürgerkrieg in der amerikanischen Verfassung verankert wurde, und der Realität der Gegenwart besteht, in der Vorurteile und Gewalt sehr präsent sind. So wie Lincoln in der historischen Forschung wird auch unsere Gesellschaft von zukünftigen Generationen daran gemessen, wie wir mit dieser Kluft umgehen, schloss Prof. Stout.

Die Preisverleihung fand unter kräftigen Beifall statt, und die Gäste konnten danach bei strahlendem Sommerwetter im Garten des HCA mit dem Preisträger anstoßen.

 

Jason Reblando: "New Deal Utopias"

15. Mai 2017

Im Mai hatte das HCA den Fotografen Jason Reblando eingeladen, um im Rahmen des Baden-Württemberg Seminars über seine neuste Arbeit, einen Bildband zum Thema „Greenbelt Communities“ in den USA zu berichten, der im Herbst 2017 beim Heidelberger Kehrer Verlag erscheint. Daniel Sommer führte als Redakteur des Kehrer Verlags und Dozent für Rhetorik und Präsentation am HCA durch den Abend.

Jason Reblando arbeitet von Chicago aus. Seinen B.A. in Soziologie schloss er am Boston College ab, seinen M.A. in Fotografie am Columbia College in Chicago. Er verbrachte als Fulbright-Stipendiat Zeit in den Philippinen und wurde mit dem begehrten Künstlerpreis des Illinois Art Councils ausgezeichnet. Seine Arbeiten waren in verschiedenen Museen der Ostküste und des mittleren Westens ausgestellt. Sein Interesse für die Greenbelt Communities aus der Zeit zwischen den Weltkriegen wurde durch ein Projekt über sozialen Wohnungsbau in Chicago von 2000 bis 2006 geweckt. So begann er, zu einigen der innovativsten staatlichen Bauprojekte der Roosevelt-Ära und der New Deal Regierung zu forschen: Die drei Greenbelt Towns Greenbelt, Maryland, nahe Washington D.C.; Greenhills, Ohio, nördlich von Cinncinatti; und Greendale, Wisconsin, nahe Milwaukee.

In den 1930er Jahren plante und baute die United States Resettlement Administration drei Gemeinden, um für Bauern, die ihr Land verloren hatten, und arme Stadtbewohner ein Zuhause zu schaffen. Dies geschah als Reaktion auf die Wohnungskrise, die im Zuge der Great Depression entstanden war. Stadtplaner wollten amerikanische Städte neu gestalten und bezogen sich hierbei auf die „Garden City“-Prinzipen des britischen Stadt-Reformers Sir Ebenezer Howard, der Wohnraum an der Schnittstelle von Stadt und Natur schaffen wollte. Die Bewohner der Gartenstädte sollten von beiden Welten profitieren und die sozialen und ökonomischen Vorzüge des Lebens in einer Gemeinschaft genießen. Trotz Protesten konservativer Politiker und Schmähungen von Zeitungen, die gegen den New Deal Stimmung machten, führte die Resettlement Administration drei solche Städtebauprojekte durch. Die Städte beinhalteten drei Wirkungsfelder: Wohnen, Industrie und Landwirtschaft. Die Häuser wurden so angeordnet, dass die Wohnstätten vom Kern der Stadt leicht erreichbar waren, der aus dem Verwaltungsgebäude, Geschäften, einem Kino, einer Tankstelle, einem Schwimmbad und einer Schule bestand, die auch als Bürgerhaus fungierte. Kleine Fußpfade ermunterten die Bewohner zu laufen anstatt zu fahren, es dominierten natürliche, weite Flächen. Der Aufbau der Städte dauerte von 1935 bis 1938 an und schuf 25 000 Arbeitsplätze. So wundervoll diese Greenbelt Cities scheinen, heutzutage verdienen einige Aspekte strenge Kritik. Die Städte waren für Familien mit niedrigem oder mäßigem Einkommen geschaffen worden, wirklich arme Familien wurden ausgeschlossen, also diejenigen, die es am Nötigsten gebraucht hatten, sagte Jason Reblando. Viele, die sich für die Gartenstädte interessierten, waren entweder zu arm oder zu reich. Außerdem war es afroamerikanischen Arbeitern, die am Bau von Greenbelt, Maryland mitgewirkt hatten, später nicht erlaubt, dort mit ihren Familie zu leben. Für sie wurde Langston Terrace geschaffen, eine rein afroamerikanische Gemeinde. Bis in die 1950er Jahre hinein waren alle Gartenstädte allein weißen Amerikanern vorbehalten.

In den 1930ern waren Städte „out“, erklärte Jason Reblando, auf die Projektion eines Plakates hinter sich weisend. „Der Tod lauert in den Straßen. Welcher Spielplatz für ihr Kind?“ war darauf zu lesen. „The City“, ein Film von 1939, stellte urbane Zentren als chaotisch und ungesund dar, entseelt durch Materialismus und kinderfeindlich. „Grüngürtel oder Gosse“ fasste Jason Reblando die Botschaft zusammen.

Am Ende blieb es bei den drei Städten, private Makleragenturen übernahmen die Verteilung der Häuser und auch auf den Grünflächen wurde gebaut – also ganz entgegen der Gartenstadt-Philosophie. New Deal Utopias zeigt, wie das Leben in den Gartenstädten heute aussieht; die Struktur ist auch nach achtzig Jahren noch sichtbar, sagte der Fotograf, jedoch schien die Zeit still zu stehen. Er habe sich manchmal merkwürdig gefühlt, als er die leblosen Straßen fotografierte, mit Bewegungen der Vorhänge in Hausfenstern als einzigem Beweis für menschliches Leben. Trotzdem inspirieren die Grüngürtelstädte bis heute Städteplaner auf der ganzen Welt. Jason Reblandos Vortrag wurde von zahllosen Bildern begleitet, die Geschichten erzählten, stark in Kontrast und Farbe. Vielleicht aber wurden auch die Bilder vom Vortrag begleitet. Zusammen erzeugten sie ein unbestimmtes Gefühl, das bei manchen Zuhörern sicher anhielt, bis sie auf die geschäftige Heidelberger Hauptstraße traten.

 

Manfred Berg: "Woodrow Wilson. Amerika und die Neuordnung der Welt" (HCA Book Launch)

9. Mai 2017

Der erste Book Launch des Sommersemesters feierte die Veröffentlichung von Woodrow Wilson. Amerika und die Neuordnung der Welt, dem neusten Werk Manfred Bergs, dem Curt-Engelhorn-Stiftungsprofessor für Amerikanische Geschichte am Historischen Seminar der Universität Heidelberg. Die Willkommensworte an diesem Abend sprach der Gründungsdirektor des HCA, Detlef Junker, der Prof. Berg seit 1980 kennt und seine akademische Laufbahn begleitet hat. Prof. Junker akzentuierte einige Meilensteinen dieser Karriere, darunter den Ruprecht-Karls-Preis der Universität Heidelberg 1990, die Berufung an die Ruperto Carola 2005, die Auszeichnung mit dem David Thelen Award der Organization of American Historians, das Joint Appointment, welches seit 2009 mit dem HCA besteht und das 2011 veröffentlichte Buch Popular Justice: A History of Lynching in America. 2016 erhielt Prof.Berg den Distinguished Historian Award der Society of Historians of the Gilded Age and the Progressive Era. Woodrow Wilson. Amerika und die Neuordnung der Welt ist seine achte Monographie und erschien beim C.H. Beck Verlag.

In einer Lesung aus dieser neuen Wilson-Biographie stellte der Autor einige Aspekte der Biografie dieses recht umstrittenen 29. Präsidenten der USA dar. Während das Leben der „Nationalhelden“ unter den amerikanischen Präsidenten – Washington, Lincoln und Roosevelt – in allen Medien immer wieder aufgearbeitet wird, ist das Interesse an Woodrow Wilson in den USA sowie in Europa weit weniger ausgeprägt. Im deutschsprachigen Raum erschien nun mit Prof. Bergs Buch die erste Biograf ie seit Jahrzehnten über den Präsidenten, der die USA im Frühling 1917 in den Ersten Weltkrieg führte und so auch das Schicksal Deutschlands maßgeblich mitbestimmte. Im eigenen Land ist Wilson dagegen vor allem wegen des 1913 ratifizierten Federal Reserve Acts bekannt und fast berüchtigt, da dieser die Macht und den Einfluss der Banken stärkte. Auch konnte der Südstaatler Wilson sich nicht vom Rassismus seiner Zeit freimachen. Manfred Berg beschriebt Wilson zudem als wortgewaltigen Intellektuellen, der es in nur zwei Jahren vom Präsidenten der Universität Princeton zum Gouverneur von New Jersey brachte. Heute setzen sich Princetons Studentinnen und Studenten wegen seiner rassistischen Ansichten vehement für eine Umbenennung der Woodrow Wilson School of Public and International Affairs ein.

Es sind Woodrow Wilsons zwiespältiges Erbe und die unterschiedlichen Eindrücke, die er hinterlässt, die eine erneute Aufarbeitung seines Lebens hundert Jahre nach Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg so spannend machen. Auch erinnert man sich heute aufgrund seiner Außenpolitik erneut an ihn und den Wilsonianismus oder internationalem Liberalismus, auf den sich spätere Präsidenten beriefen. Hauptpunkte dieser Politik waren die globale Verbreitung der Demokratie, der Marktwirtschaft und des Kapitalismus sowie eine Ablehnung des Isolationismus. Dies schloss ein militärisches Eingreifen bei Gefährdung des Weltfriedens oder eigener Interessen ein. Diese Ideen inspirierten jene Menschen, die sich und ihr Land als Teil einer Weltgemeinschaft sahen und nach einer gerechteren Weltordnung strebten.

Eine Auseinandersetzung mit Wilsons Biographie hält viel Zündstoff bereit. Jedoch würde der internationale Liberalismus heutzutage zu Unrecht verkannt, fand Prof. Berg. Mit Trump hätten die USA einen Neo-Isolationisten zu ihrem Präsidenten gewählt, sagte er, ein Umstand, der das Publikum auch in der nachfolgenden Diskussion sehr beschäftigte.

 

Podiumsdiskussion: “100 Tage Trump – Entwicklungen in der Außen- und Sicherheitspolitik“

Foto: Johannes Kummerow

3. Mai 2017

„Alles ist viel komplizierter als gedacht. So könnte das Motto der ersten 100 Tage von Trump als Präsident der Vereinigten Staaten lauten“, führt Dr. Wilfried Mausbach (wissenschaftlicher Geschäftsführer des Heidelberg Center for American Studies) bei der Podiumsdiskussion „100 Tage Trump – Entwicklungen in der Außen- und Sicherheitspolitik“ in Heidelberg aus. Seit seinem Amtsantritt am 20. Januar zeichne sich immer mehr ab, dass Trump mit den vielschichtigen Anforderungen seines Amtes überfordert sei und nahezu eine „Komplexitätsallergie“ habe. Zur Diskussion am 3. Mai 2017 hatten die Außen- und Sicherheitspolitische Hochschulgruppe Heidelberg und das Heidelberg Center for American Studies eingeladen. Gleich zu Beginn hakte der Moderator Marco Fey (Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung) bei den Referenten nach, wie solch starke Rückschlüsse so kurz nach der Inauguration überhaupt gezogen werden können: „Es sind bisher keine sieben Prozent seiner Amtszeit verstrichen – wir haben noch 1361 Tage Trump vor uns.“

Dem entgegnete Dr. David Sirakov (Leiter Atlantische Akademie Rheinland-Pfalz) jedoch, dass die ersten 100 Tage besonders wichtig seien: „Ihre Wahlversprechen müssen die US-Präsidenten bestenfalls in den ersten 18 Monate umsetzten. Durch die wechselnden Mehrheitsverhältnisse in Kongress wird der politische Prozess danach einfach zu zäh.“ In Bezug auf die künftige außen- und sicherheitspolitische Ausrichtung der USA sind sich die Referenten einig: „Es fehlt einfach eine Strategie“, so Franka Ellman (German Marshall Fund of the United States). Bei Analysten und Diplomaten verstetige sich das Gefühl, Trump stolpere eher durch die internationale Politik und handele impulsiv. Hinzu kommen seine zahlreichen politischen Kehrtwenden, die seine Politik schwer einschätzbar und kalkulierbar machen würden. „Trump führt das Land mit politischer Unkenntnis. Zudem sind wichtige Schlüsselpositionen noch immer nicht besetzt“, so Dr. Sirakov. Aus diesem Grund seien seine „Executive Orders“ auch häufig so schnell zu kippen wie beim sogenannten „Muslim Ban“. Durch die fehlenden Berater seien diese zudem schlecht durchdacht. Für die Gäste war besonders eine Frage von Interesse: Wie wird sich das deutsch-amerikanische Verhältnis unter Präsident Trump weiterentwickeln? „Trump hat sich Frau Merkel gegenüber bei ihrem Besuch nicht besonders höflich verhalten“, merkte eine Teilnehmerin aus dem Publikum an. Frau Ellman sieht das jedoch relativ entspannt: „Es gibt eine gute Normalität und einen funktionierenden diplomatischen Austausch. Während der ersten 100 Tage unter Obama hatten sich die Regierungschefs und Außenminister beider Länder noch nicht getroffen. Die Prioritäten lagen damals eher in Asien.“ Zumindest die US-Regierung habe Deutschland als wichtigen internationalen Spieler erkannt. Also alles halb so schlimm für die kommenden 1361 Tage? „Das System der ‚Checks and Balances‘ funktioniert noch“, so Franka Ellman. Dr. Sirakov merkte an, dass Trump wie alle US-Präsidenten zu Beginn seiner Amtszeit eine gewisse Lernkurve erleben werde, wenn seine eigenen Vorstellungen auf die Realität des Weißen Hauses treffen. Dem stimmt auch Dr. Mausbach zu: „Bisher sind weder die größten Hoffnungen, noch die schlimmsten Befürchtungen eingetreten.“ (Mirjam Schulz)

 

HCA Commencement 2017

Commencement speaker Heidi Crebo-Rediker (Adjunct senior fellow at the Council on Foreign Relations and CEO of International Capital Strategies)

28. April 2017

Am 28. April feierte das HCA die Abschlüsse der Bachelor-, Master-, und Ph.D.-Jahrgänge 2017 in der Aula der Alten Universität. Die Zeremonie begann mit Grußworten des Rektors, Prof. Dr. Dr. h.c. Bernhard Eitel. Er gratulierte den frischgebackenen Graduierten und wünschte ihnen Glück für ihren Lebensweg. Dabei betonte er das Motto der ältesten Universität Deutschlands: „semper apertus“ („stets offen“). Prof. Dr. Dr. h.c. Detlef Junker, der Gründungsdirektor des Heidelberg Center for American Studies, hieß dann die Graduierten, deren Familien und die Freunde des HCAs willkommen. Er betonte die interdisziplinären und interkulturellen Aspekte der HCA-Programme und ermutigte die Absolventen und Absolventinnen, ihre Expertise über die Vereinigten Staaten nutzbringend einzusetzen. Im Anschluss stellte er die diesjährige Festrednerin, Heidi Crebo-Rediker, vor, Fellow des US-amerikanischen Thinktanks Council on Foreign Relations und CEO von International Capital Strategies.

Heidi Crebo-Rediker sprach in ihrer Rede von „Multilateral Ties That Bind”und begann mit einem Rückblick auf die U.S.-amerikanischen Präsidentschaftswahlen von 2016, die viele Fragen nach der Rolle der USA in der Welt ausgelöst haben. Sie konzentrierte sich dabei auf etwas, das die Studierenden des HCAs sicherlich selbst erlebt haben – solange die Dinge, die uns verbinden, stärker sind als die Kräfte, die uns zu trennen versuchen, gibt es Hoffnung für alle. Die multilateralen Verknüpfungen am HCA verbinden die Studierenden miteinander, und die internationalen Beziehungen funktionieren ebenso: Um gemeinsame Ziele zu erreichen und Herausforderungen zu meistern, müssen Länder zusammenarbeiten und miteinander kommunizieren, auch wenn jedes eigene Interessen verfolgt. Heidi Crebo-Rediker hofft, dass dies auch für die aktuelle U.S.-Regierung gilt, da Probleme wie Klimawandel, Energiesicherheit, Migration und wirtschaftliche Krisen nur durch internationale Kooperation gelöst werden können. Jedoch könnte sich der Multilateralismus am Scheideweg befinden: während sich die USA traditionell auf eine multilaterale Tradition berufen, scheint die neue Administration sich offen dagegen zu stellen. Heidi Crebo-Rediker hofft, dass die USA nach einiger Zeit erkennen werden, dass sie größere Macht ausüben können, wenn sie mit anderen Ländern kooperieren, als wenn sie allein agieren. Sollte dies nicht der Fall sein, könnten andere Länder die Führung ergreifen und den Multilateralismus vorantreiben. Sie illustrierte diesen Punkt, indem sie auf die Rolle der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds hinwies, zwei Institutionen, die sich auf Multilateralismus gründen. Die Unterstützung der USA für beide Institutionen hat nachgelassen, und andere Länder scheinen bereit zu sein, Verantwortung zu übernehmen; China, beispielsweise, hat 2014 die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank gegründet. Heidi Crebo-Rediker bezog klar Stellung für eine Weiterführung der multilateralen Tradition in den USA.

Im Anschluss an die Verleihung der Zeugnisse und eine großartige Interpretation von George Gershwin’s „Rapsody in Blue“ des Papermoon Orchestras, teilte der Abschlussredner des Masterjahrgangs, Aljay Pascua, einige seiner Erinnerungen an das HCA mit dem Publikum. Nach der Zeremonie trafen sich Graduierte und Gäste zu einem Empfang im HCA, wo sie sich über ihre Vergangenheit austauschten und über die Zukunft beratschlagten. Herzliche Glückwünsche an alle Absolventinnen und Absolventen!

 

Derek Gregory: "'The Clouds in Their Eyes': The United States, Nuclear War, and Military Drones"

25. April 2017

In Kooperation mit dem Geographischen Institut der Universität Heidelberg hieß das HCA Derek Gregory, Peter Wall Professor am Geographischen Instituts der University of British Columbia, Kanada, als den zweiten Sprecher Sommersemester des Baden-Württemberg Seminars willkommen. Seine Arbeiten waren dem Publikum wohl bekannt, selbst die Galerie des Atriums füllte sich mit Zuhörern. Ulrike Gerhard, Professorin für Humangeographie Nordamerikas am HCA und dem Geographischen Institut, stellte Prof. Gregory vor. Seine Arbeit konzentriert sich aktuell auf die Frage, wo Kriege zu „verorten” sind, speziell auf unbemannte Flugsysteme und deren Gebrauch seit dem Zweiten Weltkrieg, besonders in Afghanistan/Pakistan und dem Jemen. Professor Gregory verlasse sich in seiner Forschung zu Raum, Ort und Territorium nicht auf die Geographie der alten Schule, betonte Ulrike Gerhard. Sein Fokus liege auf Prozessen historischer und geographischer Veränderung und er wende eine Fülle an kritischer Theorien an; derweil überdenke er ständig bestehende Raumkonzepte. Die L.A. Times nannte ihn „erfrischend zornig”.

Prof. Gregorys Vortrag drehte sich zu Beginn um Distanz, Verstreuung und den globalen Kampfraum. Nukleare Waffen hätten die Wahrnehmung des Kampfplatzes verzerrt, fasste Prof. Gregory den Text „War and the Vanishing Battlefield” von Frédéric Megret zusammen. Unbemannte Flugsysteme, oder „Drohnen” hätten diese Veränderung stark vorangetrieben. Als die Obama Administration die Drohnentechnologie für sich entdeckte, sei der Gedanke von „kontrollierter” Kriegsführung aufgekommen, der dem Einsatz von Drohnen ein sauberes Image verliehen hätte. Der Zweite Weltkrieg sei „der letzte Pilotenkrieg“ gewesen. Seitdem würden Kriege per Fernbedienung geführt; der Traum des „Roboterflugs“ sei wahr geworden. Diese Entwicklung habe 1945 begonnen, nachdem die Ergebnisse der Tests auf dem Bikini Atoll veröffentlicht worden waren und „Kriege per Druckknopf” in der Öffentlichkeit diskutiert wurden, einerseits ängstlich, andererseits mit Bewunderung für die technologischen Entwicklungen. Die ersten Drohnen sammelten Daten aus Atomwolken mit dem Ziel, amerikanische Leben zu retten. Die Vereinigten Staaten hatten einen Weg gefunden, Macht auszuüben, ohne ihre Bürger in Gefahr zu bringen. US-Bürger sahen sich hierbei nie als Täter, sondern als potenzielle Opfer. Was würde geschehen, wenn eine fremde Macht Drohnen gegen amerikanisches Leben richtete, fragte das LIFE Magazin im November 1945. Man veranstaltete Schutzübungen, die die Bürger an die ständige Bedrohung durch einen möglichen Atomangriff der Sowjetunion erinnern sollte. Der nächste Schritt, nuklearer Kriegsführung ein saubereres Image zu verleihen, war die „Bürokratisierung des Mords”, wie sich Henry T. Nash, ein ehemaliger Analytiker des Verteidigungsministeriums, ausdrückte. Ein komplexes System von Zielentwicklung, Zielauthorisierung und „in Aktion treten“ wurde angewandt, um Drohnen einzusetzen. Tötungslisten, Signalabschnitte und Visual Feeds machten gezieltes Töten zu einem objektiven und rationalen Prozess. Beamte bestünden darauf, dass die Zahl der Opfer durch Drohneneinsätze minimiert worden sei. Am Ende seines Vortrags zeigte Derek Gregory das Bild einer pakistanischen Familie, die ein Mitglied in einer Drohnenattacke verloren hatte. Zubair Rehman, der Sohn des Opfers sagte: „Ich mag den blauen Himmel nicht mehr. Eigentlich mag ich grauen Himmel lieber. Die Drohnen fliegen nicht, wenn der Himmel grau ist.” So schloss Prof. Gregory seinen Vortrag, und Ulrike Gerhardt lud zur Diskussion ein.

Sei es nicht die Aufgabe einer Regierung, die Opfer auf der eigenen Seite eines Konflikts zu minimieren? Würden Drohnen nicht weit weniger Menschen töten? Distanz ist kein moralisches Absolut, antwortete Derek Gregory. Wenn etwas aus großer Distanz falsch sei, wie nah müsse es sein, damit es richtig ist? Drohnen dürfen nur in unkontrolliertem Flugraum eingesetzt werden, was eine asymmetrische Kriegsführung zur Folge hat. In den USA dächte man derzeit, dass David unfaire Vorteile hat, nicht Goliath. Wie gehen die Drohnenpiloten mit ihren Erfahrungen um? Als Soldaten Kriege an einer realen Front führten, hatten sie Kameraden um sich, die die gleichen oder ähnliche Erfahrungen machten. Wenn Piloten die Drohnen von einem Militärstützpunkt aus fliegen, gingen die Soldaten nach ihrer Schicht nach Hause. So würde die Erfahrungen in einen privaten Rahmen integriert und der Krieg auf unterschiedliche Weise nach Hause gebracht, sagte Prof. Gregory. Das Kriegsfeld werde global und schaffe komplizierte Geographien. Auf den Stützpunkten, von denen aus Drohnen manövriert werden, seien Schilder angebracht: „Sie verlassen nun die Vereinigten Staaten“.

Wie immer profitierte die Diskussion von den verschiedenen Erfahrungen der Zuhörer und das Publikum verließ das HCA mit nachdenklichen Mienen.

 

Russell Brian Goodman: “Some Continuities in American Philosophy”

20. April 2017

Der erste Gast im Sommersemester 2017 des Baden-Württemberg Seminars Russel Brian Goodman vom Philosophischen Seminar der University of New Mexico. Prof. Goodman besuchte das frühlingshafte Heidelberg für ein paar Tage und begeisterte das Publikum im Atrium des HCAs mit seinem Vortrag über die Philosophie in den Vereinigten Staaten des neunzehnten Jahrhunderts und seine Protagonisten Waldo Emerson und William James. Der Vortrag fand mit Unterstützung der Fulbright Kommission Deutschland statt und zog viele Besucher an. Jan Stievermann, Professor für die Religionsgeschichte Amerikas an der Universität Heidelberg, hieß Professor Goodman willkommen und beleuchtete kurz einige Stationen seiner beeindruckenden akademischen Karriere. 1971 hatte er seine Promotion in Philosophie an der Johns Hopkins University abgeschlossen und war im Anschluss nach Albuquerque umgezogen. 1991 wurde er zum Professor berufen und blieb, abgesehen von Gastdozenturen in Spanien und England der University of New Mexico treu. Sein aktuellstes Werk, American Philosophy before Pragmatism, welches 2015 veröffentlicht wurde, schließt mit einer Diskussion über sich stetig entwickelnde Zusammenhänge in der amerikanischen Philosophie. An diesem Abend sprach Prof. Goodman über die Zusammenhänge zwischen Emerson und den Pragmatisten.

William James, der ältere Bruder des Schriftstellers Henry James, hatte Deutschland in den späten 1860er Jahren besucht, um eine Reihe von Erkrankungen auszukurieren, und dort zur Philosophie gefunden. Er hatte sogar Heidelberg besucht, jedoch hatte ihm hier niemand seine Aufmerksamkeit geschenkt. William James sei einer der größten Denker des neunzehnten Jahrhunderts gewesen, betonte Prof. Goodman, er habe erheblich zu der Etablierung der Psychologie als Wissenschaft beigetragen. Er schrieb The Varieties of Religious Experience, in dem er das Herz einer Religion in der religiösen Erfahrung selbst verortete. James, oft in einem Atemzug mit John Dewey und Charles Sanders Peirce genannt, war Pragmatist. Er sah den Pragmatismus als Mediator zwischen den „harten“ und „empfindsamen“ philosophischen Temperamenten. James „schmeckte das Bittere am Grunde des Bechers”, während er Whitman und Emerson als „heiter und optimistisch”, aber gleichzeitig als authentisch und ungewöhnlich wahrnahm. Die Familie James las Emersons Texte beim Abendbrot, und die Ausgaben von Emersons Büchern im Besitz von William James wimmelten vor handschriftlichen Anmerkungen. James und Emersons Arbeiten zeigten Gemeinsamkeiten auf, und es schien, als hätten sie zwischen sich ein wachsendes Wertesystem geschaffen. Ist Emerson also ein Art Pragmatist? Nicht wirklich, sagte Prof. Goodman, er habe Gedanken, die zentral für diese Denkrichtung sind, außen vorgelassen, jedoch seien die Themen Emersons in die Werke James‘ und Deweys eingedrungen.

Nach dem Vortrag diskutierte das Publikum einige Fragen mit Professor Goodman. War Emerson eigentlich ein echter Philosoph? Hatte James versucht, an den Erfolg Emersons anzuknüpfen und dessen Ansehen für sich genutzt? Unwahrscheinlich, antwortete Professor Goodman; beide waren unabhängig voneinander erfolgreich gewesen. Und beide seien Philosophen gewesen, James hätte Emerson sogar als „Seher“ beschrieben. Heutzutage würde wohl niemand Emerson als Philosophen sehen, seine Zeitgenossen dagegen schon: John Dewey, Stanley Cavell und Friedrich Nietzsche.

 

Ausstellung: "Der Kalte Krieg. Ursachen - Geschichte - Folgen"

16. März – 27. April 2017

Am 16. März eröffnete im Atrium des HCA die Ausstellung „Der Kalte Krieg. Ursachen – Geschichte – Folgen“, eine Kooperation der Bundesstiftung Aufarbeitung mit dem Berliner Kolleg Kalter Krieg. Über 160 zeitgenössische Fotos, Dokumente und Schaubilder blickten vor dem Hintergrund angespannter Ost-West-Beziehungen und der Debatte über eine Wiederkehr des Kalten Krieges auf die Jahre zwischen 1945 und 1991 – vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Auflösung der Sowjetunion. Die Ausstellung zeigte die weltanschaulichen, politischen, militärischen und wirtschaftlichen Ursachen des Kalten Krieges in globaler Perspektive auf und erinnerte daran, wie nachhaltig dieser Konflikt die beteiligten Gesellschaften auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs prägte. Einer der drei Schwerpunkte der Ausstellung war die Dynamik des nuklearen Rüstungswettlaufs, der als entscheidend für den Ursprung und die Zuspitzung des Kalten Kriegs gesehen wird; ein anderer die „heißen Kriegen“ in der „Dritten Welt“, deren Wirkungen bis heute andauern; ein dritter auf den zeitgenössischen diplomatischen und zivilgesellschaftlichen Initiativen, die den Kalten Krieg mindestens zeitweilig eindämmten und abkühlten.

Diese Ausstellung forderte die Zuschauer am ersten Abend und in den darauffolgenden Wochen nicht nur zur historischen Rückschau auf. Sie bot zugleich Anknüpfungspunkte, sich mit aktuellen internationalen Konflikten oder aber mit den Spätfolgen des Kalten Krieges in der sogenannten Dritten Welt zu befassen, mit denen Europa heute konfrontiert ist. Diese Themen griff auch Bernd Greiner vom Berliner Kolleg Kalter Krieg in seinem Eröffnungsvortrag auf: „Der Kalte Krieg – Beobachtungen zu einem Zeitalter der Extreme“. Anschließend nutzten viele Besucher, darunter etliche Zeitzeugen, die Gelegenheit, um mit Prof. Greiner ins Gespräch zu kommen oder einen ersten Blick auf die Exponate zu werfen.

 

Mark Valeri: "Free Conscience, Conversion, and Social Realities in Eighteenth-Century America"

7. Februar 2017

Zum letzten Vortrag im Herbstprogramm des Baden-Württemberg Seminars hieß das HCA Mark Valeri willkommen, der darüber sprach, wie gesellschaftliche Bedingungen puritanische Gemeinden in den USA im achtzehnten Jahrhundert beeinflussten; er fragte auch danach, welche Rolle die Gewissensfreiheit spielte und welche Bedeutung die Konversion hatte. Jan Stievermann, Professor für die Geschichte des Christentums in den USA am HCA, führte Prof. Valeri ein, der sich sehr freute, wieder in Heidelberg zu sein. Prof. Valeris Forschung beschäftigt sich mit gesellschaftlichen Denkweisen, der politischen Geschichte des Puritanismus, und der Moralphilosophie der Aufklärung. Er ist Inhaber des Reverend Priscilla Wood Neaves Distinguished Professorship of Religion and Politics am Danforth Center on Religion and Politics an der Washington University, St. Louis. Prof. Valeris neustes Buch, Heavenly Merchandize: How Religion Shaped Commerce in Puritan America, untersucht die gesellschaftlichen Veränderungen in der amerikanischen Wirtschaft vom frühen siebzehnten Jahrhundert, als die Puritaner das Gemeinwohl über den persönlichen Profit stellten, bis zu den 1740er Jahren, als der Handel in der christlichen Sichtweise zunehmend zu einem “unqualifizierten Gut” wurde, wie etwa das Glück: Wer es verdiente, bekam es auch. Diese Gemeinden akzeptierten den Markt, weil er sie finanzierte. Frömmigkeit schlug sich dort in Fleiß und Sparsamkeit nieder, was sowohl Ursache als Folge war. Prof. Stievermann empfahl die Lektüre, weil der Autor die Entstehung des Handels nicht allein auf politische Entwicklungen in den Kolonien zurückführte, sondern die Religion als einen Hauptgrund sah. Auch in seinem Vortrag fokussierte sich Mark Valeri auf diese Interpretation der Geschichte des amerikanischen Kapitalismus.

Die puritanischen Verfechter des freien Marktes sahen darin eine grundsätzliche Verbesserung, weil Gemeindemitglieder so soziale Mobilität und wachsenden Wohlstand erfahren konnten, was wiederum den gesellschaftlichen Zusammenhalt förderte. Prof. Valeri zitierte John Wesley, der ein erfahrener Händler war, Wirtschaftsratgeber gelesen hatte und aktuelles ökonomisches Wissen für sehr wichtig hielt. Er riet dazu, so viel wie möglich zu verdienen und zu sparen, damit man großzügig spenden konnte. Die Calvinisten dagegen standen dem freien transatlantischen Handel eher skeptisch gegenüber und plagten sich mit dem Spannungsverhältnis von Pietät und Freiheit. William Tennant und John Edwards schrieben dem Individuum die Macht zu, sich selbst den Weg zur Erlösung zu suchen und förderten so die Vorstellung einer Wahlfreiheit in religiösen Dingen. Gleichzeitig braute sich die Amerikanische Revolution zusammen. Prof. Valeri betonte, dass die Puritaner im achtzehnten Jahrhundert gerne die “Sprache der Freiheit” benutzt hätten, aber nicht wussten, wie. Das achtzehnte Jahrhundert war durchaus von Optimismus geprägt, so Valeri, von der Zuversicht, dass man eine Gesellschaft auch mit einem gewissen Vergnügen aufbauen könne. Schließlich entstünden Hass, Liebe und Wertschätzung aus Gefühlen, und Edwards schrieb über die Gefühle, die bei einer wahren Konversion entstehen. Einerseits betonte er, dass Willenskraft von Gefühlen außerhalb des persönlichen Einflusses geformt wird, andererseits schien es ihm, dass Menschen das wollen, was ihnen gefällt, weil das, was ihnen gefällt, ihr Wille ist.

Nachdem er seine Gedanken dargelegt hatte, lud Prof. Valeri das Publikum zur Diskussion ein. Seine Zuhörer waren von diesem dichten und faktenreichen Vortrag sehr beeindruckt. Was aber bedeuteten diese religiösen Überlegungen beispielsweise für die Institution der Sklaverei? War sie nicht auch Teil des Marktes? Edwardianer hatten sich bereits früh gegen die Sklaverei gewandt, so Prof. Valeri; ob dahinter das Konzept der Gewissensfreiheit stand, konnte er nicht sagen. Die Herrenhüter Brüder dagegen hätten darin eine Anomalie des Kapitalismus gesehen, in dessen Zentrum ja freie Arbeiter standen. Man diskutierte außerdem Fragen der natürlichen Fähigkeiten und der moralischen Kompetenz sowie das Verhältnis zwischen “Gott” und “ich”. Die Zuhörer verließen das HCA nicht nur mit neuen Ideen, sondern auch mit dem Gefühl, gerade eine Zeitreise gemacht zu haben.

 

Bernadette Wegenstein, "The Good Breast Documentary: U.S. Breast Cancer in the Age of the Mastectomy"

2. Februar 2017

Zur vorletzten Veranstaltung im aktuellen Wintersemester des Baden-Württemberg Seminars hieß das HCA, zusammen mit dem Gleichstellungsbüro der Universität Heidelberg, die Filmemacherin Bernadette Wegenstein willkommen, die außerdem Professorin für Media Studies und Direktorin des Center for Advanced Media Studies an der Johns Hopkins Universität ist. Professor Wegenstein stellte ihren 2016 produzierten Dokumentarfilm „The Good Breast“ vor, der Brustkrebs als Ritual erforscht und die zunehmende Zahl der Brustamputationen in den USA als eine moderne Form der Opferung sieht. Der sehr einfühlsam gedrehte Dokumentarfilm zeigte die körperlichen, emotionalen, erotischen und psychischen Narben von Brustkrebspatientinnen, ihren Familien und ihrem Umfeld. Er stellt der erfahrenen Chirurgin Dr. Lauren Schnaper, die viele Brustamputationen in den USA für medizinisch unnötig hält, vier Brustkrebspatientinnen und ihre sehr unterschiedlichen Geschichten auf der Suche nach der „guten Brust“ gegenüber. Das Publikum im Atrium des HCA bekam einen sehr intimen und persönlichen Einblick in die Brustamputationen und –rekonstruktionen und wurde Zeuge der körperlichen und seelischen Höhen und Tiefen nach einer solchen Operation, von einem entzündeten Implantat bis zu einer geradezu wundersamen Rekonstruktion.

Für jede Patientin bedeutete der Verlust der Brust weitaus mehr als nur den Verlust eines Organs; die Amputation illustrierte vielmehr, welche Bedeutung die Brust für die Geschichte, das Leid und die Widerstandsfähigkeit von Frauen hat. Der Film wies auf die medizinischen, wissenschaftlichen und religiösen Mythen hin, die sich um die weibliche Brust ranken, und bot so eine brillante Diagnose der persönlichen und kulturellen Vorstellungen über den weiblichen Körper. Zudem verwob der Film kunstvoll Szenen aus dem Operationssaal und Archivmaterial zur Geschichte der Brustamputationen mit einem Bericht über die Reise von Dr. Schnaper nach Catania auf Sizilien, zum alljährlichen Fest zu Ehren von Sankt Agatha, die ihre Brüste für ihre Jungfräulichkeit opferte. Das faszinierte Publikum erfuhr so mehr über diese sizilianische Heilige, deren Brüste als seit jeher als Symbol für weibliche Stärke gelten. Diese Verbindung zwischen den beinahe allgegenwärtigen Brustamputationen in den USA und der uralten Hochachtung vor der weiblichen Brust warf viele Fragen für die anschließende lebhafte Diskussion mit Bernadette Wegenstein auf.

 

Gary Gerstle: “Race and Nation in the Age of Obama”

24. Januar 2017

Der Vortrag des Historikers Gary L. Gerstle, Paul Mellon Professor für Amerikanische Geschichte an der University of Cambridge, bescherte dem HCA ein volles Haus. Sein Besuch am HCA fand im Rahmen des Baden-Württemberg Seminars in Kooperation mit dem Historischen Seminar statt. Professor Gerstle sprach über ein neues Kapitel, das er der aktuellen Ausgabe seines erstmals 2001 veröffentlichten Buches American Crucible hinzugefügt hatte: “Race and Nation in the Age of Obama, 2000-2016”. Manfred Berg, Professor für Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg, stellte Gary Gerstle vor und gab einen kurzen Überblick über sein Werk. Er unterstrich seine Leistungen in einem vielleicht vernachlässigtem Feld der amerikanischen Geschichte: Arbeitergeschichte und die Geschichte der Arbeiterbewegung. In seinem neuen Kapitel analysiert Professor Gerstle die Präsidentschaft Obamas und zeigt die Abfolge von Umständen auf, die letztlich zur Wahl Trumps führten. Wie üblich, sagte Professor Gerstle, behaupte der Gewinner, sein Sieg sei Schicksal. Jedoch seien es manchmal Kleinigkeiten, die große Veränderungen herbeiführten.

Zunächst stellte Professor Gerstle zwei Hauptkonzepte des Nationalismus vor: „ethnischer Nationalismus“, wie er dem deutschen NS-Regime zugrunde lag, und „ziviler Nationalismus“, zu dem die Vereinigten Staaten von Amerika traditionell tendierten. Dem zivilen Nationalismus liegen allgemeines Recht und eine allgemeine politische Identität zu Grunde, Staatsbürgerschaft ist für den Einzelnen oder die Einzelne per Einbürgerung möglich. Die Regierung unterliegt den Regeln einer pluralistischen Demokratie. In der frühen Geschichte der USA hielt sich eine Gruppe von Menschen, die Herkunft und Hautfarbe teilten, allein befähigt, die Nation zusammenzuhalten. Dies wurde im „Naturalization Act” von 1790 gesetzlich verankert, der freien Weißen die Staatsbürgerschaft garantierte. Auch die darauffolgende Gesetzgebung bestätigte den Wunsch der U.S.-Amerikaner, weiß und europäisch zu sein. Wenn überhaupt Ost- und Südeuropäer einwandern sollten, so nur als Bürger zweiter Klasse. Das Ziel lag darin, die Gesellschaft möglichst weiß und protestantisch zu halten. Auch wenn ziviler Nationalismus bedeutete, dass jeder und jede amerikanisch werden konnte, Einwanderungsgesetze schränkten die Zuwanderung ein. 1969 und in den Siebzigern spitzten sich dann die gesellschaftlichen Spannungen zu und waren kaum noch kontrollierbar. Auf der einen Seite standen jene, die auf weiße Vorherrschaft pochten, auf der anderen Seite die Bürgerrechtsbewegung. Auch wurden die Stimmen von Feministen und solchen Menschen lauter, die ein Leben im Mainstream verneinten. Diese Gruppen kritisierten den amerikanischen Nationalismus und lehnten ihn ab, stellten die „manifest destiny“ in Frage und machten deren Anhänger für die Verbrechen der Sklaverei, den Völkermord an amerikanischen Ureinwohnern und ausbeuterischen Kapitalismus verantwortlich.

Mit Bill Clinton, behauptete Professor Gerstle, hätte die amerikanische Gesellschaft einen Linksruck erfahren, Rassismus war „out“ und der zivile Nationalismus lebte auf. Der neue Präsident betonte den Einfluss der afroamerikanischen Kultur auf die Gesellschaft; die Autorin Toni Morrison, der Komiker Chris Rock und andere nannten Bill Clinton den „ersten schwarzen Präsidenten“. Dies war beinahe eine Erfüllung der Träume derer, die auf eine integrativere Gesellschaft gehofft hatten. Ein Teil Amerikas wandte sich dem Multikulturalismus zu und gänzlich vom Nationalismus ab. Clintons Nachfolger George W. Bush unterstützte diesen Trend, argumentierte Professor Gerstle: Bush sei als Texaner mit der Kultur der Latinos und Latinas in den USA vertraut und schätzte sie. Auch hätte Bush die erste afroamerikanische Außenministerin ernannt. Clinton und Bush hätten somit den Weg für Obama geebnet. Professor Gerstle gab zu, er selbst habe nie an die Präsidentschaft eines Afroamerikaners zu seiner Lebenszeit geglaubt, jedoch habe er genauso wenig den Zerfall der Sowjetunion vorausgesehen. Als Präsidentschaftskandidat konnte Obama das Thema Rassismus nicht ausklammern und hielt im März 2008 eine denkwürdige Rede, in der er seinen persönlichen Traum mit dem Traum verglich, der hinter der amerikanischen Verfassung steht. Obwohl die Freude über den Sieg Obamas groß war, hielten laut einer Umfrage nur 28 Prozent aller Amerikaner die Präsidentschaft eines Afroamerikaners für die Erfüllung des amerikanischen Traums. Präsident Obamas Haltung stieß bald auf Widerstand. Gegner unterstellten ihm, heimlich Muslim zu sein und seine Kampagne mit Drogengeldern zu finanzieren. Einige teilten die Wahrnehmung, dass Schwarz nun Weiß regierte und schlussfolgerten, dass die Weißen sich verteidigen müssten. Der Verkauf von Schusswaffen stieg an. Die Bedeutung war klar: Amerika ist weiß und kann nicht von einem schwarzen Präsidenten regiert werden. Ende 2009 preschte die „tea party“ vor, viele sahen hier die letzte Möglichkeit, die „Werte“ ihres Landes, eines Landes in Not, zu verteidigen. Die Partei betonte die „Andersartigkeit des afrikanischen Gegenübers“; ein Bild, das Obama als Hexendoktor darstellte, verbreitete sich im Netz, Protestplakate zeigten ihn als Affen.

Der frisch gewählte Präsident Trump versprach seinen Wählern, den „American Way“ wiederherzustellen. Zunächst machte er klar, dass muslimische Flüchtlinge und mexikanische Einwanderer nicht länger willkommen waren. Aus Professor Gerstles Sicht haben Mexikaner und Mexikanerinnen den Platz der Schwarzen in den USA eingenommen, sie werden als kriminell und gewaltbereit dargestellt und gesehen. Als Trump sich vor den Angriffen auf seine Meinung erst duckte und dann mit voller Kraft zurückschlug, waren seine Wähler begeistert. Professor Gerstle erklärte, dass Hillary Clinton ohne die „gigantischen Aktion des FBIs“ die Wahl gewonnen hätte. Was das politische Erbe Obamas anbelangt, habe Trump die Macht, Obama aus den Geschichtsbüchern zu streichen und zukünftigen Generationen beizubringen, dass dessen Präsidentschaft bedeutungslos war. Am Ende, schloss Professor Gerstle, entsteht das Paradox Amerika zwischen den Polen von zivilem und ethnischem Nationalismus.

In der anschließenden Diskussion wurden viele Fragen gestellt, beispielsweise warum die Amerikaner und Amerikanerinnen Obama überhaupt eine Chance gegeben hätten. Obama hätte den zivilen Nationalismus angespornt, antwortete Professor Gerstle und wäre auf einer Wellenlänge mit großen Teilen der Bevölkerung gewesen; er war ein Außenseiter, kein Teil des Washingtoner Establishments, und seine Wähler trauten ihm zu, die angekündigten Veränderungen wirklich umzusetzen. Auch sei er das schwarze Kind einer weißen Familie. Obama glaube mit ganzem Herzen, dass Rassismus überwunden werden könne, was Wähler und Wählerinnen inspirierte, auf dieses Ziel hinzudenken und zu -arbeiten. Vielleicht, sagte Professor Gerstle, gab es nie jemanden, der stärker an den amerikanischen Traum glaubte als Barack Obama.

 

Jamie O’Connell: "Power and Weakness: Can International Courts Stop Atrocities?"

New Prosecutor: Ms Fatou Bensouda taking oath as the ICC Prosecutor (© ICC-CPI)

19. Januar 2017

Jamie O’ Connell war der erste Gast des neuen Jahres im Baden-Württemberg Seminar und setzte sich mit der Frage auseinander, ob internationale Gerichtshöfe die Macht und die Möglichkeit besitzen, den Verbrechen, die sie untersuchen, ein Ende zu setzen. Jamie O’Connell ist Senior Fellow des Honorable G. William and Ariadna Miller Institute for Global Challenges and the Law an der University of California, Berkeley. Er forscht und lehrt in den Bereichen Menschenrechte und Internationales Recht und arbeitete in der Vergangenheit an Menschenrechts- und Entwicklungsprojekten in mehreren afrikanischen, europäischen und asiatischen Ländern sowie Nord-, Mittel- und Südamerika. Er ist Begründer und Präsident der International Professional Partnerships for Sierra Leone, einer nichtstaatlichen Organisation, die die Regierung Sierra Leones dabei unterstützt, öffentliche Ämter und Behörden auszubauen. Manfred Berg, Curt Engelhorn Professor für Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg, stellte Jamie O’Connell vor, warf einen Blick auf die öffentliche Wahrnehmung von Internationalen Gerichtshöfen und erinnerte an einige bekannte Ereignisse und Prozesse, wie die Nürnberger Prozesse, die Balkankriege, den Völkermord in Ruanda und das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshof von 1998, das den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) begründet hatte.

In seinem Artikel „Gambling with the Psyche: Does Prosecuting Human Rights Violators Console Their Victims” von 2005 hatte Jamie O’Connell sich mit den Auswirkungen internationaler Strafprozessen auf die Opfer von Gewalttaten befasst. In seinem Vortrag am HCA diskutierte er, ob und wie Internationale Gerichtshöfe Verbrechen verhindern können. Zunächst sei er folgender Frage nachgegangen: Wie entstehen solche Verbrechen? Er habe zwei Antworten gefunden; „sickness in the heart” – “Krankheit im Herzen” – oder eine rationale Entscheidung. Ersteres sei nicht beeinflussbar, Letzteres könne man untersuchen.

Der IStGH, der seine Arbeit 2002 aufnahm, verfügt über die Gerichtsbarkeit, Individuen, die des Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen verdächtigt sind, zu verfolgen. Es gibt zwar einen Europäischen Gerichtshof, einen Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte und einen Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Ihre Gerichtsbarkeit ist jedoch geografisch begrenzt; sie agieren regional, nicht global. Sie wurden geschaffen, um bestimmte Menschenrechtsabkommen durchzusetzen und um die Verantwortung einzelner Staaten in individuellen Fällen zu ermessen. Die Menschenrechtsgerichte entscheiden also über die Verantwortlichkeit von Staaten, während der IStGH über die Verantwortlichkeit von Individuen entscheidet. Eine gute Beziehung zwischen den Gerichtshöfen für Menschenrechte und dem IStGH ist essentiell. Zunächst entscheiden die von dem jeweiligen Land Beauftragten über Recht und Unrecht; internationale Institutionen kommen nur zum Einsatz, wenn die nationalen Institutionen versagen. Die internationalen Institutionen übernehmen die Gerichtsbarkeit also erst, wenn alle juristischen Ressourcen des jeweiligen Landes erschöpft sind. Jamie O’Connell beschrieb eine mögliche Ermessung des Einflusses, den internationale Gerichtshöfe haben; beispielsweise könne man untersuchen, wie sich Fälle ohne die Einmischung internationaler Gerichtshöfe entwickeln würden. Auch hätten die Urteile der Vergangenheit eine direkte Wirkung auf mögliche Straftäter. Die Gerichtshöfe erkennen die Unterschiede zwischen legaler und illegaler Bestrafung an und untergraben die soziale Akzeptanz von Verbrechen und derer, die sie begehen. Der Einfluss der Bürger auf regionale Gerichte und ihre Richter ist groß, und die Lokalpolitik kann faire Verfahren behindern. Mit diesen Einschränkungen haben die internationalen Gerichtshöfe Einfluss auf Verbrechen, die begangen werden, und auch darauf, wie sie begangen werden. In dem Schlussteil seines Vortrags gab Dr. O’Connell an, dass die Institution internationaler Gerichtshof vielleicht nicht zu einem Ende aller Verbrechen führen würde, dass sie jedoch Leben schütze. Der IStGH hätte Verbrechen im Keim erstickt; öffentliche Bekanntmachung der Strafverfolgung Einzelner schrecke ab und erleichtere Friedensverhandlungen. Die Gerichte ermutigten Menschen und Behörden, gegen destruktive Mächte im Land tätig zu werden. Was sei denn der Traum des IStGH, wurde O’Connell aus dem Publikum gefragt. Menschenrechtsgerichte für Asien und den Mittleren Osten, dass afrikanische Länder aufhörten sich aus den Abkommen zurückzuziehen und dass nationale Gerichte die Opfer der verhandelten Verbrechen stärker einbezögen, antwortete O’Connell sofort. Die sogenannten „victims’ participation units“ würden Teil eines jeden Gerichtsprozesses und so neu definieren, wer beteiligt ist, wenn Gerechtigkeit geübt wird. Auch wünsche er dem IStGH Weisheit für politische Operationen, zu wissen, wann anzuklagen und wann zu verwarnen sei. Die darauffolgende Diskussion war lebendig und die Meinungen vielseitig. Die Zuhörer verließen das Atrium des HCAs sowohl informiert als auch inspiriert.

 

Rebecca Boehling, “From Allied Tracing Bureau for Nazi Victims to International Archive and Documentation Center: A Uniquely American Perspective on the International Tracing Service”

"Look into the Collection on Displaced Persons." (Copyright: International Tracing Service (ITS)

8. Dezember 2016

Zum letzten Baden-Württemberg Seminar im alten Jahr hieß das HCA, in Kooperation mit der American Academy in Berlin, Rebecca Boehling willkommen, Professorin für Geschichte an der University of Maryland, Baltimore County, und Berthold Leibinger Fellow an der Academy. Anja Schüler, die die Forum-Veranstaltungen am HCA koordiniert, stellte Prof. Boehling und ihre umfassenden Arbeits- und Forschungsgebiete vor: neuere Europäische Geschichte, deutsche Geschichte, Frauengeschichte und Jüdische Studien. In 2013 wurde Rebecca Boehling zur Leiterin des Internationalen Suchdienstes und des aus ihm entstandenen Archivs und Dokumentationszentrums in Bad Arolsen ernannt. In ihrem Vortrag betrachtete sie die Geschichte des 1943 gegründeten Suchdienstes und bot ihren Zuhörern ihre „einzigartige amerikanische Perspektive“.

Nach der Befreiung der Konzentrationslager am Ende des Zweiten Weltkrieges blieb an den Schauplätzen der nationalsozialistischen Verbrechen nur weniges an aussagekräftigem Material zurück. Jedoch kamen zahlreiche und sehr unterschiedliche Dokumente aus Gefängnissen, Arbeitslagern, dem Katalog der Reichsvereinigung der Juden, den Akten zu Zwangsarbeitern und denen der Gestapo zu einem gigantischen Archiv zusammen. Der Internationale Suchdienst (International Tracing Service, ITS) sammelte Dokumente, die von den Alliierten des Zweiten Weltkriegs konfisziert worden waren und jene Menschen betrafen, die unter der Verfolgung der Nationalsozialisten gelitten hatten. Der Suchdienst nahm die Spur heimatvertriebener Zivilisten auf, recherchierte ihre persönliche Geschichte, half Familienzusammenführungen auf den Weg zu bringen und vereinfachte die Emigration. Ab 1945 versammelten sich im Archiv Auflistungen des Kindersuchdienstes, Dokumente der Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen, der Internationalen Flüchtlingsorganisation, administrative und pflegerische Dokumente, Krankenunterlagen, Identifikationsausweise und anderes Material, das im Zusammenhang mit Rückführung und Emigration steht, sogar persönliche Gegenstände, sogenannte „Effekte“. Für kriegsgeschädigte Menschen in Gebieten, die unter der Kontrolle der Vereinten Nationen standen, waren Sozialwerke zuständig. Heimatvertriebene mussten sich registrieren lassen, um das Lebensnotwendige wie Nahrung, Obdach und Kleidung zu erhalten. Ein für den Zweck entwickeltes “Sonderstandesamt” hatte die Aufgabe, Todesfälle in den Konzentrationslagern formal zu bestätigen. Einige Opfer bevorzugten die Staatenlosigkeit gegenüber der deutschen Staatsbürgerschaft oder einer Einbürgerung in das Flucht- oder Aufenthaltsland, da es ihrem Gefühl von Entwurzelung entsprach.

In den letzten zwei Jahrzehnten setzte sich der ITS mit vielen neuen Herausforderungen auseinander, etwa der Digitalisierung von Dokumenten, der Erhaltung dieser Dokumente und, als wichtigstem Punkt, dem öffentlichen Zugang zu Dokumenten und Effekten. Auch Veränderungen innerhalb des Mitarbeiterstabs wurden vorgenommen; der ITS benötigte akademisch ausgebildete Archivarinnen und Archivare sowie und Historikerinnen und Historiker, und es mussten projektspezifische Arbeitsgruppen gebildet werden. Seit 2007 bietet der ITS freien Zugang zu den Archiven sowie kostenlose Recherche, auch für jene, die nicht persönlich nach Bad Arolsen kommen möchten oder können. Der Zugang für Ahnenforscher und Journalisten wurde vereinfacht. Prof. Boehling erinnerte ihre Zuhörer daran, dass für manche Familien die in Bad Arolsen gelagerten Dokumente der einzige Beweis der Existenz verlorener und getöteter Familienmitglieder seien, die einzige Chance auf einen möglichen Abschluss mit diesem Teil ihrer Familiengeschichte. Die Einzigartigkeit des ITS liegt in seinem internationalen Charakter, auch rechtlich gesehen: zwar wird der ITS einzig vom deutschen Staat finanziert, jedoch gelten keine nationalen Gesetze oder Richtlinien. Ebenfalls einzigartig ist die schiere Größe eines Archivs, das allein der Sammlung von Dokumenten über Opfer der Naziverfolgung gewidmet ist. Im Juni 2013 wurde der ITS zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt. Auch viele Jahrzehnte nach Kriegsende ist die Organisation nicht überflüssig. Seit den siebziger Jahren ermöglichte sie einundachtzig Familienzusammenführungen. Prof. Boehling stellte den Fall einer jungen Frau vor, die nach Bad Arolsen gereist war, um Auskünfte über ihre Familie zu erhalten. Sie fand heraus, dass ihr Großvater, bevor er ihre Großmutter in Israel kennenlernte, bereits eine Familie gehabt hatte, die in den Konzentrationslagern umgebracht worden war. Die Enkelin sprach von einem Gefühl des Verlustes, jedoch auch einem Gefühl der Zufriedenheit darüber, die Geschichte ihres Großvaters, und somit auch ihre eigene, erfahren zu haben. Das Publikum im Atrium des HCA war sehr interessiert an der Rolle des Archivs in den Kriegsverbrecherprozessen der Nachkriegszeit. Prof. Boehling bestätigte, dass das Archiv eng mit den Gerichten zusammengearbeitet und Informationen zu Tatbeständen bereitgestellt hatte. Sie schloss mit der Bemerkung, dass das Archiv Segen und Fluch zugleich sei, nicht zuletzt, weil sich darin Dokumente befänden, die nachweisen, dass im Nachkriegsdeutschland einflussreiche Persönlichkeiten in Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwickelt waren.

 

Kenneth Marcus, "African American Ballet in Postwar Los Angeles"

11. November 2016

Im November hieß das HCA den Historiker Kenneth H. Marcus als Gast im Baden-Württemberg Seminar willkommen. Professor Marcus sprach über einen wichtigen Teil der Nachkriegskultur in Los Angeles: Afroamerikanisches Ballett. Dorothea Fischer-Hornung, ehemalige Senior Lecturer am HCA, stellte Kenneth Marcus vor. Seine akademische Ausbildung erhielt er in den Vereinigten Staaten, Deutschland, Frankreich und England, 2001 begann er seine Karriere als Dozent für Geschichte an der University of La Verne in Kalifornien. Seine Interessen sind vielseitig, seine Forschung erstreckt sich über Jahrhunderte Nordamerikanischer und Europäischer Geschichte und Pädagogik. Professor Marcus produzierte außerdem zwei Aufnahmen mit den Arias Troubadours, die kalifornische Volks- und Tanzmusik des 19. und 20. Jahrhunderts neu interpretieren.

Professor Marcus sprach zunächst über die Anfänge des First Negro Classical Ballet. Die meisten Kulturhistoriker seien vertraut mit der Harlem Renaissance, afroamerikanischen Autoren und Autorinnen, Jazz- und Bluesmusikern und –musikerinnen, jedoch sei die Rolle von klassischer Musik und klassischem Tanz in der afroamerikanischen Kultur in der Vergangenheit vernachlässigt worden. 1946 gründete der weiße Choreograph Joseph Rickard eine der ersten afroamerikanischen Ballettkompanien. Diese Kompanie verkörperte multiethnische Kooperation in den Künsten inmitten einer Gesellschaft, die tief von der Rassentrennung geprägt war. Bernice Harrison, eine afroamerikanische Mutter aus Los Angeles, wurde mit ihrer Tochter von einem Studio für Klassischen Tanz abgewiesen und erhielt die Empfehlung, sich nach einem Stepptanz-Studio umzuschauen. Rickard war bei dieser Szene zugegen und setzte daraufhin seinen Drang in die Tat um, einen Raum zu schaffen, der Afroamerikanerinnen und –amerikaner willkommen hieß und ihnen eine klassische Tanzausbildung ermöglichte. Es folgte die Gründung einer Balletttruppe bestehend aus seinen talentiertesten Schülerinnen und Schülern; Bernice Harrison wurde die Prima Ballerina. Die ersten drei Jahre nannte sich die Gruppe Americana, und ihr erster Auftritt fand im Herbst 1947 im Danish Auditorium in Los Angeles statt. Die Zeitung Los Angeles Sentinel finanzierte, bewarb und besprach die Vorstellung und feierte sie als Beginn einer neuen Ausdrucksform für „Negroes”. Die Kompanie bestand mehr als zehn Jahre und beschäftigte mehr als dreißig Tänzer, die neben dem Tanz auf ihre Jobs außerhalb der Kunst angewiesen waren. Die Stückentwicklungen und Aufführungen wurden aus einem sehr begrenzten Budget finanziert. Kenneth Marcus erwähnte auch die Kostüme, die sich sehr von denen anderer Kompanien unterschieden; sehr minimalistisch entworfen und so umgesetzt, dass die Körperformen der Tanzenden auf das Beste betont wurden. Die Gruppe führte sogenannte „Tanz-Dramen“ auf, die Jazz und Boogie Wooogie miteinschlossen und in denen oftmals Männer als Frauen auftraten. Das Ballett der Truppe hielt sich nicht mit rassistischen Klischees der Zeit auf und vermied alles, was an Voodoo oder Onkel Tom erinnerte. Die Tänzer und Tänzerinnen des First Negro Classical Ballet wurden mit harter rassistischer Kritik konfrontiert. Eine der Tänzerinnen erzählte in einem Interview, dass man die weiblichen Tänzer der Truppe oftmals wissen ließ, dass afroamerikanische Frauen nicht für klassischen Tanz „gebaut“ waren; ihre Hintern seien zu groß und ihre Körper der Aufgabe generell nicht gewachsen. Trotz extremer Vorurteile und der schlechten finanziellen Situation verwirklichten sich die Mitglieder der Kompanie ihren Traum vom Klassischen Tanz. Außerdem bestätigte die Qualität der Aufführungen, wie fruchtbar interethnische Kollaboration sein konnte und dass es in der Kunst keinen Platz für Rassismus gibt. Aufgrund unterschiedlicher künstlerischer Interessen und permanentem Geldmangel tat sich die Kompanie schließlich mit dem Ward Flemyng’s New York Negro Ballet zusammen. Im Anschluss an den Vortrag diskutierten die Zuhörer klassisches und modernes Ballett, beeindruckt von den Hürden, welche die Kompanie bezwungen hatte und von der Hingabe ihrer Mitglieder an den Tanz.

 

Podiumsdiskussion: "Die Vereinigten Staaten nach den Präsidentschaftswahlen 2016"

9. November 2016

In manchen Staaten wurde noch gezählt, aber am Abend des 9. November gab es ein klares Ergebnis: Der Republikanische Kandidat Donald Trump ist der designierte Präsident der Vereinigten Staaten und wird am 20. Januar 2017 in das Weiße Haus einziehen. Das HCA hatte drei Experten zu einer Einschätzung dieser Ergebnisse USA eingeladen; Alexandra Gleber, eine Deutschamerikanerin und Bachelorstudentin am HCA, die 2013 Mitglied der „Democrats Abroad“ ist; Anthony Santoro, der in Virginia geboren und aufgewachsen ist, sowohl seinen M.A. als auch seine Promotion in Heidelberg abgeschlossen hat, mehrere Jahre Seminare zu Religion in Amerika und amerikanischer Religionsgeschichte am HCA unterrichtet hat und derzeit als Senior Information Developer bei SAP ist; und Martin Thunert, Senior Lecturer für politische Wissenschaft am HCA. Anja Schüler, die am HCA die Forum Veranstaltungen koordiniert, moderierte. Alle Beteiligten haben über lange Zeiträume in den USA gelebt, gaben aber zu, dass sie den Ausgang der diesjährigen Wahlen nicht vorausgesehen hatten. Auch ein Großteil des Publikums war sehr überrascht über das Ergebnis; das Atrium und die Galerien waren bis zum letzten Platz gefüllt.

Welche Faktoren haben zu diesem unvorhersehbaren Ergebnis geführt? Martin Thunert gab mehrere Gründe an: auf der einen Seite hätte sich Trumps Bild in der Öffentlichkeit in den Wochen vor der Wahl geändert; er erschien selbstbewusster, begann Themen näher auszuführen, und mischte seinem Auftreten etwas Selbstironie bei. Zusammengefasst: Er war sympathischer geworden. Die Demokraten, andererseits, schienen ihre Stammwähler im sogenannten Rostgürtel und Arbeiter im Allgemeinen vergessen zu haben, die als Verlierer der Globalisierung sehen. Misstrauisch hätten sie die immer grüner werdende Politik beobachtet; der Lebensunterhalt und –stil eines Großteils dieser Menschen hänge schließlich vom Öl ab. Alexandra Gleber erwähnte die ländlichen Gebiete und die „unsichtbare Mehrheit“, die hauptsächlich aus weißen Männern mit rudimentärer Bildung bestünde, die sich nun durch die Versprechen Trumps gestärkt fühlten. Anthony Santoro fügte hinzu, dass die Wähler Hillary Clinton seit zwanzig Jahren gekannt und ihr ebenso lang misstraut hätten. Seit Jahrzehnten verabscheuten sie das „alte, kaputte Washington“, das die Kandidatin verkörpere. Es wäre ein Wahlkampf der weißen Männer gewesen, und auch wenn man die „unsichtbare Mehrheit“ am Anfang als Scherz abgetan hätte, so hatte sie am Ende die Wahl dominiert. Die Moderatorin erinnerte daran, dass der neue Präsident einen Sitz am Supreme Court besetzen würde und fragte in die Runde, was denn Obamas Vermächtnis sei, was von „Change“ übrigbleiben würde. Die Obamas seien gescheitert, so Martin Thunert, sie hätten sich sehr für Hillary Clinton eingesetzt und offen gegen Trump ausgesprochen; nun läge es in Trumps Macht, Obama zu einer Fußnote in der amerikanischen Geschichte zu degradieren. Alexandra Gleber bemerkte, dass Trump angekündigt hätte, die inhaltlichen Aufgaben seinem Vizepräsidenten und seinen Beratern zu überlassen, während er sich darauf konzentrieren würde, Amerika wieder groß zu machen – „make America great again!“ Sie zitierte eine Quelle aus dem Internet; Trump dächte Präsident sein sei wie König sein. Frau Gleber drückte ihre Sorge über die Radikalität der Anhänger Trumps aus und über die Verhärtung der Fronten zwischen Liberalen und Konservativen. Anthony Santoro gab Zweifeln Ausdruck, dass Trump jemals wirklich Präsident werden wollte. Er hätte mehr als einmal gesagt, dass, sobald er ein Ziel erreicht hätte, er sich nicht länger dafür interessieren würde. Für Dr. Santoro ist Mike Pence der Mann, dem die Aufmerksamkeit gelten sollte. Seine Haltung gegenüber Abkommen mit Korea oder Japan seien ausschlaggebend für die zukünftige Handelspolitik des Landes. Übrig von Obamas Regierungszeit sei nur eines: Enttäuschung.

Sei die Welt denn bereit für Trump, fragte Anja Schüler. Was würde als nächstes geschehen in der Außenpolitik des Landes? Jedes Handelsabkommen würde auf den Prüfstand gestellt, sagte Martin Thunert, und Trump müsse die Versprechen gegenüber den Arbeitern in seiner Wählerschaft einhalten. Trump würde auch eine Umverteilung der Kosten für die NATO anstreben. All dies könne aber nur stattfinden, nachdem die Personalfragen geklärt seien, eine in sich schwierige Aufgabe. Auch Alexandra Gleber führte die Versprechen gegenüber Arbeitern an und sieht Donald Trump jetzt in der Pflicht, zu beweisen, dass er der Problemlöser ist, als der er sich im Wahlkampf präsentiert hatte. Dies würde auch ein Ende des Islamischen Staates einschließen. Warum hatten beinahe alle Medien einen Sieg für Clinton vorausgesagt? Warum hatten Meinungsforscher und Demoskopen versagt? Warum lagen Internetplattformen wie fivethirtyeight.com so falsch? Umfragen seien Momentaufnahmen, sagte Dr. Thunert, keine Zukunftsvorhersagen. Die Millennials und die Regenbogenkoalition hätten unter Umständen nicht ausreichend darin partizipiert. Auch die deutsche Presse hätte versagt, sie hätte ungenügend über den Wahlkampf berichtet und ein einseitiges Bild der aktuellen politischen Landschaft der USA gezeichnet.

Wäre Bernie Sanders doch der bessere Kandidat für die Demokraten gewesen? Das könne man nicht sagen, stimmten die Diskutanten überein. Vielleicht sei es noch nicht an der Zeit gewesen für eine liberale Frau an der Spitze des Landes, spekulierten Anthony Santoro und Alexandra Gleber; die Kandidatur eines Außenseiters, der sich überzeugend vom politischen Establishment hätte distanzieren können, hätte möglicherweise einen erfolgreicheren Gegner zu Trump dargestellt, der gerade in dieser Hinsicht gepunktet habe. Martin Thunert wiese darauf hin, dass Sanders zwei wichtige Wählergruppen ausgelassen hätte, Hispanoamerikaner und Afroamerikaner, ein großer Fehler, der wohl nicht rechtzeitig hätte behoben werden können. Nach dieser Frage wurde die Diskussion für das Publikum geöffnet. Was würde sich durchsetzen, freier Handel oder Protektionismus? Was würde sich ändern, wenn Arbeiter erkennen, dass die Verbesserungen, die Trump angeboten hatte, nicht umsetzbar sind? Wie könnte die Demokratische Partei wieder auferstehen? Die letzte Frage problematisierte Entwicklungen in Europa, die zu einem Aufstieg von Populismus und rechter Politiker führen könnten. Es sei an der Zeit, sagte Anthony Santoro, dass die Gesellschaft begreife, dass schlecht ausgebildete Menschen keine schlechten Menschen seien; Angst und Ärger beeinflussten politisches Urteilsvermögen. Eine bedachtere Wählerschaft hätte nicht zugelassen, dass Hillary Clinton dämonisiert und Donald Trump alles verziehen würde. Anja Schüler beendete die Diskussion und wünschte allen, die bis in die frühen Morgenstunden aufgeblieben waren, eine angenehme Nachtruhe.

 

Beth Ann Fennelly & Tom Franklin, “His, Hers, and Ours: Creativity and Collaboration”

27. Oktober 2016

Zum Auftakt des zwanzigsten Baden-Württemberg Seminars lud das HCA am 27. Oktober zu einer Lesung zweier bekannter amerikanischer Autoren ein: Beth Ann Fennelly und Tom Franklin. Margit Peterfy, Senior Lecturer für American Studies am Anglistischen Seminar der Universität Heidelberg, hieß das Autoren- und Ehepaar willkommen und stellte sie und einen Teil ihrer Werke vor. Beth Ann Fennelly ist die aktuelle Poeta Laureata Mississippi und leitet Schreibwerkstätten und das Master of Fine Arts Programm an der University of Mississippi. Ihre erste Sammlung von Gedichten, Open House, erschien 2001 und gewann mehrere Preise. Zwei weitere Sammlungen erschienen 2004, Tender Hooks, und 2008, Unmentionables, beide ebenfalls von Kritikern bejubelt. Sie erhielt verschiedene Stipendien und wurde zu zahlreichen prestigeträchtigen Lesungen eingeladen, unter anderem an der Library of Congress. Tom Franklins Bücher sind nur auf den ersten Blick Kriminalgeschichten. Er verfasste den Roman Poachers (1999), eine Sammlung von Kurzgeschichten, Hell at the Breech (2003), und die Romane Smonk (2006), and Crooked Letter, Crooked Letter (2010). Letzterer wurde mit dem Gold Dagger der Crime Writers‘ Association und dem Preis der LA Times für den besten Roman im Bereich Mystery/Thriller ausgezeichnet. Er unterrichtet ebenfalls an der University of Mississippi.

Dem Publikum im Atrium des HCAs bot das Autorenpaar Lesungen aus drei verschiedenen Texten; jeweils ein Werk von Fennelly und Franklin und eines aus ihrem gemeinsamen Oeuvre. Tom Franklin machte den Anfang mit Crooked Letter, Crooked Letter. Der Spruch „M-I-crooked letter-crooked letter-I-crooked letter-crooked letter-I-humpback-humpback-I” dient als Eselsbrücke, mit der Grundschüler die Schreibweise von „Mississippi” erlernen sollen. In dem kleinen Ort Chabot verschwand vor fünfundzwanzig Jahren eine junge Frau nach einem Rendezvous mit Larry Ott. Trotz fehlender Beweise wird Larry Ott, der mittlerweile „Scary Larry” genannt wird, noch immer verdächtigt, das Mädchen auf dem Gewissen zu haben. In Kindheitsszenen wird die Zeit nach dem Civil Rights Movement dargestellt; die alte Ordnung ist zerschlagen, die Rassenhierarchie offiziell aufgehoben, voller Spannungen ist der Alltag in der nun entsegregierten Schule in Chabot. Verwöhnt von seiner Mutter und gequält von seinem Vater wünschte Larry Ott sich nichts mehr als einen Freund. In der Gegenwart des Romans wird nun ein weiteres Mädchen vermisst; die Ermittlungen gehen aufgrund alter Verdachtsmomente in Richtung Larry Otts, was in einem Übergriff seitens der Kleinstädter resultiert. Er wird in die Brust geschossen. Detective Silas Jones, der nach langer Abwesenheit zurück in seinen Heimatort Chabot zieht, wird mit der Lösung beider Fälle, dem Verschwinden des Mädchens und dem Mordversuch, beauftragt. Er und Larry teilen ein Stück Vergangenheit, mit dem Silas nun erneut konfrontiert wird. Die Themen des Buches – Freundschaft, Schuld und Scham – verzahnen sich mit Geschichte und Psychologie der Post-Civil Rights Generation.

Nachfolgend las Beth Ann Fennelly aus Heating and Cooling: 52 Micro-Memoirs, das im Herbst 2017 bei W. W. Norton erscheinen wird. Memoirs sind für sie von kleine und große Ereignisse im Leben, die einem ab und zu wieder in den Sinn kommen. Warum also nicht die eigenen aufschreiben? Sie beschreibt es als „poetisches die-Wahrheit-Erzählen“; sie fasst Erinnerungen in Verse. Eine Mikro-Erinnerung stach besonders heraus: „Daughter, they’ll use even your own gaze to wound you“, in der die Autorin beschreibt, wie sie als Mädchen in sexuelle Handlungen und Fantasien von Männern hineingezogen fühlte – etwa durch die Blicke eines Voyeuristen am Strand. Eine weitere, fröhlichere Mikro-Erinnerung erzählt davon, dass ihr Mann in vielen seiner Geschichten einen Charakter namens Colin erschafft, der dann immer auf unnatürlichem Weg zu Tode kommt. Colin ist der Name eines ihrer ehemaligen Liebhaber.

Gemeinsam las das Paar dann aus The Tilted World, erschienen 2014 nach über vier Jahren Recherche zur großen Mississippi-Flut von 1926-27, der größten Überschwemmung in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Die Autoren berichteten, dass über 300.000 Menschen vor den Fluten in Sicherheit gebracht werden mussten und dass über 700.000 unter den Konsequenzen der Katastrophe litten, zum großen Teil Afroamerikaner. Vor diesem Hintergrund spielt die Erzählung von The Tilted World: Zwei Beamte des FBI finden inmitten eines Tatorts ein Kind. Eine Schnapsbrennerin nimmt das Kind auf, und es entwickelt sich eine Geschichte über Mord und Verschwörung.

Nach dieser letzten Lesung begann eine spannende Diskussion. Wie schreibt man gemeinsam ein Buch und bleibt trotzdem verheiratet, lautete die erste Frage. Das Paar beschrieb den anfänglichen Prozess, in dem sie die Erzählung unter sich aufgeteilt hatten und dann den jeweiligen Teil des Anderen gegengelesen hatten. Tom Franklin behauptete, seine Texte seien „schrecklich hässliche Dinger“ gewesen, bevor sich seine Frau ihrer angenommen hätte. Beth Ann Fennelly sprach darüber, wie sie sich in der Vergangenheit gescheut habe, über Gewalt zu schreiben, jedoch während des Schreibens an The Tilted World erkannt habe, dass „Gewalt zu jedem kommen kann“, und dass sie als Autorin dieses Thema nicht ausklammern könne. Allmählich wandelte sich die Diskussion in eine Signierstunde, und viele kleinere Gesprächsrunden entstanden. Die zahlreich erschienenen Zuhörer verließen schließlich beschwingt das Atrium, mit den Büchern dieser faszinierenden Autoren unterm Arm.

 

Film Clips: "Wahlwerbung in den Wahlkämpfen von 1960, 1988, 2008 und 2016"

25. Oktober 2016

Eine Woche nach der dritten TV-Debatte der Präsidentschaftswahlen 2016 und zwei Tage nach der ersten Ausstrahlung des Wahlwerbespots „Mirrors“ der Clintonkampagne kamen vier Spezialisten für amerikanische Präsidentschaftswahlen im Atrium des HCAs zusammen. Raluca Cimpean, Styles Sass, Martin Thunert und Abraham de Wolf diskutierten die Wahlkämpfe von John F. Kennedy und Richard Nixon, George H. W. Bush und Michael Dukakis, Barack Obama und John McCain sowie das aktuelle Rennen zwischen Hillary Clinton und Donald Trump. Der Geschäftsführende Direktor des HCA, Wilfried Mausbach, führte durch die Veranstaltung. Der Abend begann mit historischen Werbespots wie „Daisy Girl“, dem Mädchen mit dem Gänseblümchen, den Wilfried Mausbach als „Mutter aller Wahlwerbespots“ bezeichnete. Vielleicht sei Twitter derzeit die stärkste Wahlwerbekraft, jedoch hätte TV-Wahlwerbung ihre Wichtigkeit im Präsidentschaftswahlkampf der USA beibehalten. Raluca Cimpean aus Rumänien, die ihren Master sowie ihren Ph.D. am HCA absolvierte, hielt den ersten Vortrag. In ihrer Dissertation John F. Kennedy Through the Looking Glass: Docudramatic Representations of the JFK Image betont sie, wie wichtig die Wahrnehmung der Öffentlichkeit für einen Kandidaten ist. Dies wurde, laut Cimpean, zum ersten Mal bewusst und erfolgreich in der Kennedy-Kampagne von 1960 eingesetzt. „Es kommt nicht darauf an, was du bist, sondern wofür dich die Leute halten“, wird John F. Kennedy gerne zitiert. Raluca Cimpean illustrierte ihr Argument mit Auszügen aus der Dokumentation „Primary“ und dem Wahlwerbefilm „New Frontier“ von 1960. Hier wird Kennedy als Kriegsheld, charismatischer Senator, der die Massen begeistert, und liebevoller Familienvater dargestellt, der nach der Arbeit zu Frau und Kindern nach Hause kommt. Raluca Cimpean zeigte auf, dass diese Präsentation der öffentlichen sowie der privaten Seite eines Kandidaten in darauffolgenden Kampagnen mehr oder minder erfolgreich nachgeahmt worden sei.

In der zweiten Präsentation wandte sich Martin Thunert von Camelot ab, wie er sagte, und der „dunklen Seite“ der Wahlwerbung zu. Der „Willie Horton Spot“ von 1988 kann als Wendepunkt in der Kampagne Bushs gegen Michael Dukakis angesehen werden. Der demokratische Kandidat Dukakis hatte einem Freigangprogramm für Langzeithäftlinge zugestimmt, das Wochenenden außerhalb des Gefängnisses auch für Gefangene wie Willie Horton möglich machte, der wegen Mordes inhaftiert war. Willie Horton kehrte nach einem Freigang nicht in die Haftanstalt zurück, vergewaltigte in Maryland eine Frau und verletzte ihren Verlobten schwer. Bushs Wahlwerbespot akzentuierte diesen Vorfall stark und porträtierte Dukakis als zu mild. Außerdem bekräftigte dieser Spot Stereotypen des schwarzen Verbrechers und der weißen Opfer (Horton war Afroamerikaner). Zudem fungierte der Spot als Warnung vor einer dritten Amtszeit in Folge für einen Präsidenten aus den Reihen der Demokraten. Dukakis musste im Nachhinein zugeben, dass er die Brisanz dieses Falles unterschätzt hatte. Der dritte Teilnehmer der Runde, Styles Sass, ist ebenfalls Absolvent des M.A.- und des Ph.D.- Programms des HCA. Seine Präsentation wandte sich erneut Camelot, „Camelot 2.0“, wie er es nannte, und widmete sich der Bedeutung der Außenpolitik in Barack Obamas Wahlkampf sowie dem „Markenwechsel“, auf den es der Kandidat im Rennen um das Weiße Haus 2008 abgesehen hatte. Die Rede Obamas am 24. Juli in Berlin habe den Zenit dieser Strategie dargestellt; eine Veranstaltung, die ihren Besuchern „das poetische Gefühl gegeben hätte, dabei gewesen zu sein, als Geschichte gemacht wurde“. Ein amerikanischer Politiker, der im Ausland gefeiert wurde, ein Kandidat, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten erhalten hatte, eroberte die Herzen von 200. 000 Menschen. Dies hätte in hartem Kontrast zu dem schlechten internationalen Renommee von George W. Bush gestanden, was Obamas Kampagne für sich nutzte, indem sie den republikanischen Kandidaten John McCain als die Fortsetzung dieser Politik porträtierte. An einem Punkt des Wahlkampfes hätte sich McCain genötigt gefühlt zu sagen: „Ich bin nicht Bush!“ Er reagierte mit einem Spot „Celebrity“, der Obama unterstellte, genau wie den It-Girls in dem Spot nichts weiter als prominent zu sein und kein fähiger Politiker. Das saß: „Ich will einen Präsidenten im Weißen Haus, keine Berühmtheit!“ Obama reagierte sofort; er hielt nur noch kleinere Veranstaltungen ab, bevorzugt in den Abendstunden, um eine unmittelbare Berichterstattung durch die Presse zu vermeiden.

Der letzte Redner des Abends war Abraham de Wolf, der teilweise in den Vereinigten Staaten aufwuchs, als Anwalt arbeitet und sich bei den „Bürgern für Heidelberg“ engagiert. Er ist stark mit den USA verbunden und folgt den politischen Ereignissen des Landes mit großer Aufmerksamkeit. Er zeigte verschiedene Spots des aktuellen Wahlkampfes und unterstrich die Unterschiede zwischen der Wahlwerbung Clintons und Trumps. Viele der Spots von Donald Trump gingen nicht über dreißig Sekunden hinaus und zeigten zum Großteil in selbst auf Wahlveranstaltungen. Die Werbespots seiner Gegenkandidatin Hillary Clinton seien bis zu vier Minuten lang, teuer produziert und zeichneten sich gekonnt durch einen positiven Unterton aus, sogar in den negativ angelegten Spots. Zwei stünden hierbei hervor, beide Reaktionen auf Strategien Trumps: „Captain Khan“, ein Spot über den trauernden Vater Humayun Khans, einen muslimischer U.S. Soldat, der im Irak sein Leben verlor und das seiner Kameraden rettete, als er sich einem Selbstmordattentäter entgegenstellte. Donald Trump hatte die Familie des Verstorbenen beleidigt, nachdem diese auf dem Parteitag der Demokraten erschienen waren. Der zweite Spot ist der zuvor erwähnte Spot „Mirrors“ – „Spiegel“, der junge Mädchen zeigt, die sich im Spiegel und mit ihren Handykameras betrachten. Im Hintergrund sind Trumps berüchtigte Kommentare über Frauen zu hören. „Ist dies der Präsident, den wir für unsere Töchter wollen?“ fragt der Spot am Ende. Nach der Vorführung von „Mirrors“ eröffnete Wilfried Mausbach die Diskussion; das Publikum interessierte sich vorrangig für die Veränderungen in der Wahlwerbung über die Zeit und fragte sich, ob Wahlwerbung mehr für die Kandidaten tun kann als ihre Wähler zu mobilisieren.

 

Verleihung des Rolf-Kenter-Dissertationspreises 2016

20. Oktober 2016

Am 20.Oktober verlieh das HCA aufs Neue den Rolf Kentner Preis. Zum siebten Mal ehrte der Preis, gestiftet von einem der engagiertesten Sponsoren des HCAs, eine herausragende Promotionsarbeit in den Amerikastudien. Dieses Jahr ging der Preis an Birte Wege, die aktuell die Juniorprofessur für amerikanische Literatur am John F. Kennedy Institut der FU Berlin vertritt. Sie studierte englische Literatur und Linguistik, Politikwissenschaften und Islamwissenschaften an der Universität Freiburg und erhielt dort ihren Masterabschluss in englischer Literatur. Einen weiteren Mastertitel, diesmal in Betriebswirtschaft, erwarb sie an der Fraser Universität in Vancouver. Im Sommer 2015 reichte sie ihre Dissertation an der Graduate School of North American Studies am John F. Kennedy Institut ein: „Drawing on the Past: The Graphic Narrative Documentaries of Emmanule Guibert, Ho Che Anderson, Art Spiegelman, and Joe Sacco“.

Nach einem Willkommensgruß des Gründungsdirektors des HCA, Detlef Junker, sprach der Geschäftsführer Wilfried Mausbach einleitende Worte und zitierte aus der Laudatio Günter Leypoldts, Mitglied des Preiskomitees, der betonte, dass Birte Weges „Dissertation einen umfassenden Überblick über die geschichtliche Entwicklung dokumentarischer Bildgeschichten bietet und sowohl die Möglichkeiten dieses neuen Genres als auch die aktuellen Unterscheidungen innerhalb des Genres aufzeigt. Darüber hinaus stellt sie die besondere Position fest, die die dokumentarische Bildgeschichte derzeit im Feld der Bildgeschichte einnimmt. Sie erklärt das Potenzial dieses Genres und gibt wertvolle Einblicke in die historischen, genre-spezifischen, und kulturellen Umstände, die für die dokumentarische Bildgeschichte ausschlaggebend sind.“

Dr. Weges Vortrag „Drawing on the Past: Photography and Graphic Narrative Documentary” fokussierte dann auf eine der dokumentarischen Bildgeschichten, auf die ihre Dissertation aufbaut, Ho Che Andersons King: A Comics Biography of Martin Luther King, Jr. Andersons Arbeit über Kings Leben in den Jahren 1935 bis 1936, basiert auf Fotografien. Eines der Einzelbilder, die Dr. Wege während ihres Vortrags zeigte, ist die gezeichnete Version des ikonischen Fotos des Lynchmords an Thomas Shipp and Abram Smith in Marion, Indiana am 6. August 1930. Birte Wege wies darauf hin, dass es dieses Foto war, das Abel Meeropol dazu veranlasste, ein Gedicht über dieses entsetzliche Ereignis zu schreiben, „Strange Fruit“, das durch Billie Holidays musikalische Interpretation berühmt wurde. Meeropol kam abermals mit der Geschichte seines Landes in Berührung, als er auf einer Weihnachtsfeier im Hause W.E.B. DuBois‘ gemeinsam mit seiner Frau die Söhne von Ethel und Julius Rosenberg kennenlernte, die einige Zeit zuvor wegen Atomspionage hingerichtet worden waren. Eine weitere Geschichte, die sich hinter dem Foto aus Indiana verbirgt, ist die des dritten Opfers, James Cameron. Ein Mob brach in das Gefängnis ein und zerrte drei Jugendliche aus dem Gebäude; die Menge ging auf Abram Smith los, prügelte ihn zu Tode und erhängte Thomas Shipp an einem Fenster. Das Bild wurde gemacht, als die toten Körper zur Schau an einen Baum gehängt wurden. James Cameron war dem Tode nahe, als eine einzelne Person die Menge überzeugte, Cameron am Leben zu lassen und in seine Zelle zurückzubringen.

Dr. Wege zeigte auf, dass nur Comics einem Bild Farbe hinzufügen können; in einer Version des Lynchmord-Fotos sind die Leichen rot eingefärbt – sie werden so in mehr als einem Sinn zu „farbigen“ Leichnamen. Dr. Wege argumentiert, dass diese und andere afroamerikanische Bildergeschichten die Rechtfertigung von Gewalt an Afroamerikanern durch Polizeikräfte kommentiert. Sie wies darauf hin, dass ein neues Medium wie die dokumentarische Bildgeschichte eine Chance für Minderheiten, speziell für Afroamerikaner bietet, ihre Geschichte zu erzählen und von einem eigenen Standpunkt aus zum geschichtlichen Diskurs beizutragen.

Das Publikum im vollbesetzten Atrium des HCAs war sehr von diesem Vortrag fasziniert und beschloss den Abend mit regen Diskussionen bei dem Empfang in der Bel Etage des Hauses.

 

Podiumsdiskussion: "Making Transatlantic Dialogue Great Again?“

19. Oktober 2016

Am Abend der dritten und letzten TV-Debatte der U.S.-amerikanischen Präsidentschaftskandidaten luden das Forum für Internationale Sicherheit (FiS), die Deutsche Atlantische Gesellschaft e.V. (DAG) und das HCA zu einer Podiumsdiskussion im Curt und Heidemarie Engelhorn Palais ein. In seinen Begrüßungsworten erinnerte der Gründungsdirektor des HCA, Detlef Junker, an die Krisen in den transatlantischen Beziehungen der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre, beispielsweise an den NATO-Doppelbeschluss von 1979. Auf dem Podium diskutierten Josef Braml, Politikwissenschaftler und Politikberater, derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter des Programms USA/Transatlantische Beziehungen sowie Leiter der Redaktion und geschäftsführender Herausgeber des Jahrbuchs der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, und Martin Thunert, Senior Research Fellow für politische Wissenschaften am HCA, über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des transatlantischen Dialogs; Stefan Artmann (FiS) moderierte.

Während Josef Braml wie in seiner neuesten Publikationen „Auf Kosten der Freiheit. Der Ausverkauf der amerikanischen Demokratie und die Folgen für Europa“ ein dunkles Bild der näheren Zukunft der USA zeichnete, betonte Martin Thunert eher die Widerstandsfähigkeit der USA. Roter Faden der Diskussion war die Präsidentschaftswahl 2016. Weitere Themen waren Sicherheitspolitik, NATO, TTIP und die Position der Präsidentschaftskandidaten zum Konflikt in Syrien.

Welche Ziele würden sich eine Präsidentin Clinton oder ein Präsident Trump für die Zukunft setzen? Und welche Mittel würden sie wählen, um diese Ziele zu erreichen? Bei der Frage nach der zukünftigen Sicherheitspolitik der USA und dem möglichen Einsatz von Atomwaffen, wie sie Trump einige Male thematisiert hatte, waren sich die Teilnehmer einig; Trump würde wohl keinen atomaren Weltkrieg anzetteln, der Einsatz in regionalem Raum sei jedoch möglich. Als oberster Befehlshaber hätte er hier relativ freie Hand und wäre sowohl für Mitstreiter als auch für Gegenspieler schwer einzuschätzen. Josef Braml wies darauf hin, dass Trump Unberechenbarkeit für eine Tugend hält und dass eine inszenierte Bedrohung eminent wichtig für die Innen- und Außenpolitik der USA sei. Ohne Feind keine Wirtschaftswachstum, und wenn es “nur“ um die 600 Milliarden geht, die den jährlichen Verteidigungshaushalt der USA ausmachen. Martin Thunert dagegen machte darauf aufmerksam, dass Trumps Kritik an der Offenlegung militärischer Strategien durch die Obamaregierung, etwa über den Abzugstermin in Afghanistan, gerechtfertigt sei; oppositionelle Kräfte wie die Taliban hätten nur den Abzug aussitzen müssen, um sich dann der Gebiete erneut zu bemächtigen.

Teil zwei der Diskussion drehte sich um die NATO, und auch hier bewegten sich die Meinungen der Teilnehmer auseinander. Das Bild der USA als liberaler Hegemon sei brüchig, so Joseph Braml; die NATO wende sich gegen China, wovor die Bundesrepublik die Augen zu lange verschlossen hätte. Trump dagegen, so Martin Thunert, übersetze sicherheitspolitische Fragen ins Kaufmännische und würde sein Handeln als Präsident davon abhängig machen. Wenn die Aufteilung der finanziellen Bürde inadäquat sei, würde die Gefahr bestehen, dass die USA ihr Engagement im westlichen Bündnis unter Trump vermindern würden. Clinton dagegen hätte mit ihrer bisherigen Politik eine andere Gangart angedeutet und sei außerdem davon überzeugt, dass Wladimir Putin aktiv versuche, sie als Präsidentin zu verhindern.

Im dritten Teil ging es um TTIP, und vor allem die Frage, ob um das Freihandelsabkommen bereits gescheitert sei. TTIP seit tot, behauptete Josef Braml. „The business of America is business“, und TTIP sei nichts anderes als ein neuer Name für alte Ideen. Der Freihandel befinde sich in einer Abwärtsspirale und Europa müsse sich vor protektionistischen Ideen hüten. Martin Thunert hielt die Zukunft von TTIP für ungewiss und zu diesem Zeitpunkt nicht für vorhersehbar. Nähme man Handelspolitik in den transatlantischen Verhandlungen als gemeinschaftliches Politikfeld wahr, würden neue Handelsabkommen möglich; TTIP würde womöglich fallen gelassen und könnte als „TTIP light“ wieder auferstehen.

Zum Ende der Diskussion wurde Syrien angesprochen. Stefan Artmann stellte die Frage, ob ein Präsident Trump nicht von Vorteil wäre, wenn es um die einen Beitrag zur Lösung des Konfliktes ginge, da er nicht vorbelastet sei und eine bessere Beziehung zu Putin hätte. Martin Thunert hält Putin für wenig ausschlaggebend. Die Situation sei schwierig, Obama sei als Friedenstifter gewählt worden, aber seit der Genfer Vereinbarung 2013, dem Interimsabkommen mit dem Iran über dessen Atomprogramm, stecke man in einer Sackgasse. Mit einer Flugverbotszone über Syrien würde Obama lediglich Russland provozieren. Im Syrienkonflikt gäbe es nur schlechte Lösungen. Josef Braml stimmte seinem Kollegen zu und merkte an, er sei skeptisch, dass Clinton in Syrien durchgreifen würde; Russland dagegen würde von Instabilität in der Region profitieren.

Hierauf eröffnete Stefan Artmann die Fragerunde für das Publikum, das über grundsätzliche Strukturen für politisches Handeln und die Frage diskutierte, und darüber, ob die Konsequenzen eines Regierungsantritts von Donald Trump nicht eher innenpolitischer als außenpolitischer Natur wären. Die Schlussworte Martin Thunerts galten der Frage nach der Bedeutung des Trump-Slogans „Make America great again“; welche Vergangenheit würde hier beschworen, was wolle man zurück? Mit diesem Gedanken entließen die Podiumsteilnehmer ihre Zuhörer in einen herbstlichen Heidelberger Abend.

 

Enjoy Jazz am HCA: “Mary Lou Williams: The Lady Who Swings the Band” (in Kooperation mit “Bürger für Heidelberg”)

13. Oktober 2016

Als Teil des Enjoy Jazz Festivals im Rhein-Neckar-Delta zeigte das HCA in Kooperation mit den „Bürgern für Heidelberg” die Dokumentation “Mary Lou Williams: The Lady Who Swings the Band” von Carol Bash. Im vollbesetzten Atrium des HCA gab es Popcorn, und das Publikum genoss die Show. Der Name Mary Lou Williams ist nicht sehr bekannt. Wer noch nicht von ihr gehört hat, hatte mit diesem Dokumentarfilm nun die Gelegenheit, diese Lücke zu füllen. Ihr musikalisches Genie wurde mit zwei Jahren offensichtlich, als sie bereits fähig war, das Klavierspiel ihrer Mutter zu kopieren. Mit sieben Jahren begann sie, öffentlich in Pittsburgh aufzutreten, wurde als "the little piano girl of East Liberty" zu einer kleinen lokalen Berühmtheit und half, ihre zehn Geschwister zu ernähren. Sie verließ ihre Eltern früh und schloss sich einer fahrenden Jazzband an. Ein Kollege überzeugte sie eines Tages, die Clownerei sein zu lassen und eine ernsthafte musikalische Karriere zu verfolgen. In Kansas City spielte sie mit Musikern, die später zu großen Berühmtheiten wurden, wie Coleman Hawkins und Count Basie. Sie heuerte bei der Andy Kirk Band an, wo sie, noch ein Teenager, ihren Mann John Williams kennenlernte. Die Schwierigkeiten, die sie als eine der wenigen Jazzmusikerinnen der Zeit hatte, wurden offensichtlich. Sie musste ihre Kollegen davon überzeugen, dass “sie so gut war wie ein Mann”. Auch stand sie als Frau unter Generalverdacht, Unruhe in der Band auszulösen.

So zog sie in den vierziger Jahren allein nach New York. Bash berichtet, wie sehr Williams es zum einen genoss, Teil der innovativen Jazz-Szene zu sein und zum anderen, wie groß die Schwierigkeiten waren, sich als weibliche Musikerin mit ihrer Musik zu etablieren und nicht mit ihrem Sexappeal. Der Film zeigt die Hürden, die Williams als dunkelhäutige Künstlerin überwinden musste, und kontrastiert ihre Karriere mit der anderer populärer Jazzmusikerinnen ihrer Zeit. Sie ging nach Europa, um die Szene zu wechseln und vielleicht ihr Glück zu finden, und kam gebrochen zurück. Sie wandte sich dem Glauben zu und begann nach einer Pause wieder mit dem Arrangieren und Komponieren von Musik. In ihren Sechzigern befand sie sich in einer absoluten Hochphase, was sie stark von ihren Zeitgenossen unterschied, die zumeist bei der Musik blieben, die sie beliebt und berühmt gemacht hatte. Mary Lou Williams inspirierte moderne Jazzmusiker wie Thelonious Monk. Von den dreißiger bis zu den siebziger Jahren war eine treibende Kraft in der Geschichte und Entwicklung des amerikanischen Jazz. In der Dokumentation wird Williams damit zitiert, dass sie nie Musik komponiert, sondern sie „freigelassen“ habe. Gleich zu Beginn des Films wies Bash darauf hin, dass die Musikerin mit einer „Glückshaube“, einem Stück Plazenta auf dem Kopf, zur Welt kam, was im Aberglauben der Südstaaten belegt, dass dieses Kind mit der Geisterwelt kommunizieren kann. Williams’ bildnerische Arbeiten, die der Film ebenfalls zeigt, unterstreichen dieses Bild von einer Künstlerin, die von Dämonen geplagt war. Sie erscheint jedoch nicht als exzentrisches musikalisches Genie, sondern als energisch, diszipliniert und ambitioniert. Mit ihrer Dokumentation „Mary Lou Williams: The Lady Who Swings the Band” hat die Filmemacherin Carol Bash dankenswerterweise diese außergewöhnliche Figur des Jazz einem größeren Publikum nahegebracht.

 

Styles Sass: "Swaying the Nation: Campaign Narratives in the 2008 Presidential Election" (HCA Book Launch)

19. Juli 2016

Als Teil der HCA-Veranstaltungsreihe zu den US-Präsidentschaftswahlen 2016 stellte der ehemalige Masterstudent und Doktorand des HCA, Dr. Styles Sass, zum Abschluss des Sommersemesters sein kürzlich veröffentlichtes Buch zum Narrativ der Wahlkampfkampagnen von 2008 vor. Dr. Sass erläuterte zunächst die Bedeutung von Narrativen, die durch die Anordnung bestimmter Geschehnisse einen sinnvollen Zusammenhang herstellen. Somit ist nicht nur die Wahrnehmung einer Kampagne abhängig von ihrem Narrativ, sondern das Narrativ auch die effektivste Art, Informationen sinnvoll und attraktiv zu verbreiten. Hierbei argumentierte Dr. Sass, dass, sobald das Narrativ öffentlich wird, alle anderen Aktionen entweder sinnvoll und dadurch gewinnbringend inkorporiert werden, oder als Kritik das Narrativ entkräften können. Daher stellt sich die Frage, was ein erfolgreiches von einem schlechten Narrativ unterscheide.

Hierzu entwickelte Styles Sass für seine Dissertation ein Modell, welches zwei Kriterien auf die vier Hauptstränge eines Wahlkampfnarratives anwendete. Er hat beobachtet, dass alle erfolgreichen Narrative zum einen eine starke innere Kohärenz hatten und zum anderen ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit ausstrahlten. Dies war wiederum zutreffend auf die vier Erzählstränge, welche im Narrativ enthalten waren, nämlich den Familien-, den National- und den Parteienstrang sowie die Gegenerzählung zur Kritik des Konkurrenten. Diese Theorie erläuterte Dr. Sass dann zunächst anhand des Wahlkampfes von Barack Obama und John McCain im Jahre 2008. Durch den militärischen Hintergrund und den patriotischen Slogan „Country First“ hatte McCain ein Narrativ aufgebaut, welches zwar in sich selbst schlüssig war, jedoch nicht den Zeitgeist des Wahljahres reflektierte. Hier konnte Obama mit seinem Slogan „A Change We Can Believe In“ ein konkurrierendes Narrativ aufbauen, das nicht nur kohärent war, sondern sich auch glaubwürdig in die subjektive Lage der amerikanischen Gesellschaft einbettete. Dr. Sass bot dem Publikum dann eine Analyse der aktuellen Kampagnen von Hillary Clinton und Donald Trump. Er betonte, dass Trumps Narrativ trotz frappierender innere Widersprüche ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit ausstrahle. So sei es ihm möglich, selbst ohne konkrete Ideen ein Gefühl der Zuversicht auszustrahlen. Im Gegensatz dazu stehe das Narrativ seiner Konkurrentin Hillary Clinton. Diese bette sich mit ihrem Slogan „Hillary For America“ in das zuvor über acht Jahre konstruierte Narrativ Barack Obamas ein und betont vor allem die Kontinuität des sozialen Fortschritts. Dr. Sass kritisierte jedoch, dass Hillary Clinton bis dato nicht das ganze Potenzial einer Gegenerzählung ausgeschöpft habe. In der darauffolgenden Diskussion erkundete das Publikum zusammen mit Styles Sass weitere hypothetische Kampagnen sowie vergangene Wahlkämpfe.

 

Rashida Braggs: "Jazz Diasporas: Race, Music and Migration in Post-World War II Paris" (HCA Book Launch)

7. Juli 2016

Am 7. Juli hieß das HCA Rashida Braggs, Assistenzprofessorin für African American Studies am Williams College in Massachusetts, für die Vorstellung ihrer Neuerscheinung „Jazz Diasporas: Race, Music and Migration in Post-World War II Paris“ willkommen. Prof. Braggs hatte das akademische Jahr 2009/10 als Ghaemian-Scholar am HCA verbracht und stellte nun ihre Forschungsergebnisse über afroamerikanische Jazzmusiker in Paris vor. Sie erörterte in ihrem Vortrag, dass das Leben afroamerikanischer Jazzmusiker in Paris keineswegs der bis dahin weit verbreiteten Vorstellung eines egalitären Miteinanders, unbeeinflusst von Vorurteilen, entsprach. Auch wenn Jazzmusiker bekannt waren und ihre Kunst respektiert wurden, so waren ihre bürgerlichen und persönlichen Freiheiten stets durch ihre Hautfarbe und Herkunft bestimmt.

Um dies zu erläutern, hat Rashida Braggs einige Kapitel ihres Buches den Biographien damaliger Jazzgrößen wie Hal Singer oder Sydney Bechet gewidmet. Besonders letzterer hat sein Talent, verschiedene Musikinstrumente zu spielen, oft dafür benutzt, verschiedene subjektive Persönlichkeiten zu konstruieren, die er dann für seine öffentlichen Auftritte nutzte. Sein Erfolg war daher auch von seiner Fähigkeit, sich als Künstler neu zu präsentieren, mitbestimmt. Die Eindrücke, die Bechet und andere Musiker vermittelten, fügten sich am Ende zu dem Mythos afroamerikanischer Jazzmusiker in Paris zusammen, der oftmals die Komplexität der Beziehung dieser Musiker zu ihrer Umgebung verschleierte. So äußerten sich Mitglieder der Jazz Diaspora selten öffentlich über politische Fragen ihre Heimatlandes, da dies ihre Popularität in der Pariser Gesellschaft gemindert hätte. Des Weiteren berichtet Prof. Braggs, wie sie ihre Erfahrungen in den Theaterwissenschaften genutzt hat, um ihre Studenten dazu zu bringen, den Prozess der Selbstdefinition, den auch Bechet durchlaufen hat, besser zu verstehen. In verschiedenen performativen Studien hat sie ihren Studenten so nicht nur ermöglicht, ihren Forschungsgegenstand genauer zu erkennen, sondern ihnen auch demonstriert, wie vorbestimmt ihre Wahrnehmung desselbigen ist. Sie nutzte die Ergebnisse dieser Performancestudien auch, um den Lesern ihres Buches ein umfangreicheres Verständnis für das Leben afroamerikanischer Jazzmusiker in Paris zu vermitteln.

 

Podiumsdiskussion: "Der Kampf ums Weiße Haus: Analysen und Prognosen vor den Parteitagen"

5. Juli 2016

Im Zuge der Veranstaltungsreihe „Die U.S.-Präsidentschaftswahlen am Heidelberg Center for American Studies“ hatte das HCA am fünften Juli zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Zusammen mit Laura von Daniels, Mitarbeiterin der Stiftung Wissenschaft und Politik, Andreas Schwarzkopf, Journalist bei der Frankfurter Rundschau, und Martin Thunert, Senior Research Fellow für politische Wissenschaften am HCA, untersuchte der Moderator Tobias Endler, der als Forschungskoordinator am HCA arbeitet, wie polarisiert die USA vor den Präsidentschaftswahlen im Herbst tatsächlich ist und in welche Richtung sich Innen- und Außenpolitik womöglich entwickeln werden. Die Diskussion wurde mit der Frage nach der aktuellen politischen Lage in den USA eröffnet. Hier waren sich alle Beteiligten einig, dass man eine stetig wachsende Polarisierung beobachten kann. Auch wenn gesellschaftlicher Pluralismus kein neues Phänomen ist, sei, so Andreas Schwarzkopf, klar ersichtlich, dass sich gesellschaftliche Gräben vertiefen.

Die daraus resultierende Ausdifferenzierung der Identitätspolitik, die immer populistischere Züge annehme, sei jedoch kein ausschließlich amerikanisches Phänomen, betonte Martin Thunert, sondern könne auch europaweit am Beispiel des Brexits beobachtet werden. Diese neue und komplexe Polarisierung führe in den USA vor allem zu einer Art Schockstarre unter den Mitgliedern verschiedener Think Tanks, knüpfte Laura von Daniels an. Auch wenn man versuchte, der Lage Herr zu werden und zu erklären, wie ein Kandidat wie Donald Trump so erfolgreich werden konnte, müsse man doch immer wieder die Position des wartenden Beobachters einnehmen. Hier warf Tobias Endler die Frage nach der Rolle der Medien in diesem komplexen Zusammenspiel auf. Andreas Schwarzkopf betonte zwar die Prämisse der Berichterstattung, das emotionale und populistische Appelle inhaltlich neutral an die Leser vermittelt werden müsse, jedoch kritisierte Laura von Daniels, dass ein Großteil der Berichterstattung zu einer stetigen Selektion beitrage und dadurch auch hartnäckige Stereotypen, wie das Image Hillary Clintons als unterkühlte Politikern, verstärkt würden. Weiter betonte Martin Thunert, dass Trump so vom Image Hillary Clintons als Establishment-Politikerin profitieren und dies durch seine vom Wahlsystem begünstigte Position als Außenseiter zu seinem Vorteil nutzen könne.

Im zweiten Teil der Diskussion lenkte Tobias Endler dann den Blick auf die transatlantische Perspektive und besonders auf das Freihandelsabkommens TTIP. Hier herrsche vor allem Ungewissheit unter deutschen Politikern, so Laura von Daniels. Man gehe zwar von einem deutlichen protektionistischen Wandel unter einer Präsidentschaft Trump aus, jedoch sei auch Clintons Politik zu TTIP nicht sicher und letztlich auch stark abhängig von den jeweiligen Vizepräsidenten beider Anwärter. Andreas Schwarzkopf bemerkte außerdem, dass die neue Ausrichtung der U.S.-Politik nach China von weiten Teilen der deutschen Politik und Öffentlichkeit noch nicht in vollem Ausmaße begriffen worden sei und dass angesichts der vielen Krisenherde in der EU eine scharfe Kritik an den USA oft unangebracht ist. Martin Thunert erwiderte jedoch, dass vor allem im Hinblick auf Trump, der politische Beziehungen einer strengen Kosten-Nutzen-Analyse unterziehe, das Präsidentenamt nicht zu vorschnell beurteilt werden solle. Auch Laura von Daniels stimmte dem zu und betonte abermals, dass man bis zu diesem Zeitpunkt keine klar umrissenen Politikpläne von Trump mitbekommen hätte und daher nur spekulieren könne. Abschließend merkte Andres Schwarzkopf jedoch an, dass Deutschland trotz aller Kritik ein wichtiger Eckpartner für die USA sei und bleiben werde und dass die deutsch-amerikanischen Beziehungen daher ein wichtiger Pfeiler der zukünftigen U.S.-Politik bleiben werden. Nach diesem Schlusswort öffnete Tobias Endler die Diskussion für das Publikum, welches vor allem auf die gesellschaftliche Spaltung und aktuelle Medienereignisse einging.

 

Jeffrey C. Alexander: "Seizing the Stage: Social Performances from Mao Zedong to Martin Luther King, and Ferguson Today"

30. Juni 2016

Am 30. Juni beschloss das HCA das Frühjahrsprogramm seines Baden-Württemberg Seminars mit einem Vortrag von Jeffrey C. Alexander, dem Lillian Chavenson Saden Professor für Soziologie an der Yale University. In dieser Kooperationsveranstaltung mit dem Anglistischen Seminar referierte Prof. Alexander über seine Forschung zu performativen Eigenschaften sozialer Protestbewegungen. Er begann mit einer Analyse des inszenierten Charakters der Chinesischen Revolution. Da das chinesische Bauerntum durch seine religiöse Einstellung eine hohe Toleranz gegenüber Armut und Ungerechtigkeit entwickelt hatte, musste es zunächst vom Mehrwert einer Revolution überzeugt werden. Das erreichte die KPC durch Suku, was so viel bedeutet wie eine Geschichte von Verbitterung und Leid erzählen. Suku wurde, so Prof. Alexander, von einem dramatischen Redner vorgetragen, mit dem sich die Landbevölkerung identifizieren konnte. Die KPC nutzte die Inszenierung von Suku und symbolische Gewaltakte auch nach der Revolution, um ihre Macht zu erhalten. Eine ähnliche Strategie könne man auch in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King erkennen, fuhr Prof. Alexander fort.

Dieser Protest sei ebenfalls eine Inszenierung gewesen, die die weiße Bevölkerung der Südstaaten zu brutalen Gewalttaten an Afroamerikanern provozieren sollte. Die Bilder jener Gewalttaten wurden dann im ganzen Land verbreitet, so dass die Notwendigkeit gesellschaftlicher Reformen nicht weiter geleugnet werden konnte. Prof. Alexander argumentierte, dass das Ziel der Bürgerrechtsbewegung daher nicht gewesen sei, die Unterdrückung unmittelbar zu beenden, sondern vielmehr, eine intervenierende Macht für die eigene Sache zu gewinnen. Laut Prof. Alexander sollte auch die aktuelle blacklivesmatter Kampagne diesem Modell folgen, um vergleichbare Erfolge zu erreichen. Die gezielten medialen Inszenierungen, die blacklivesmatter bereits früh für ihre Sache nutzte, seien ein erstes Indiz für die Orientierung an Strategien früherer Bewegungen. Prof. Alexander kritisierte jedoch, dass sich die Bewegung zu sehr auf Gewaltakte der Polizei und nicht stark genug auf das Narrativ eines Klassenkampfes verließ. Darüber hinaus fehlte ihnen ein charismatischer Anführer wie Mao oder King. Die interaktive Form des Protestes, die blacklivesmatter für sich nutze, sei im Gebrauch des Mediums zwar neu, aber im Kern auch eine uramerikanische Art und Weise, die Bühne des Protestes zu besetzen.

In einem kurzen Kommentar von Barbara Mittler, Professorin für Sinologie und Chinastudien an der Universität Heidelberg, erfuhr das Publikum weitere Details über Mao, der die amerikanische Bürgerrechtsbewegung als Klassenkampf gegen den amerikanischen Imperialismus unterstützte. Mao hatte seine politische Macht stetig durch Reden und Bücher gefestigt und somit eine Art Kraftfeld um seine Person und sein Anliegen erschaffen. Zahlreiche Reproduktionen seiner Bilder und Werke wurden so zu einer mise en abyme, einem Abbild im Abbild. Dies verewigte ihn als Ikone des Bürgerprotestes und führte dazu, dass andere Protestbewegungen seine Person noch lange als Bezugspunkt referierten und für ihre Zwecke nutzten.

 

John Witte Jr.: "Religion and Human Rights: What James Pennington Still Teaches Us" (Pennington Award 2016)

14. Juni 2016

Am 14.06.2016 verlieh die Universität Heidelberg zum fünften Mal den James W.C. Pennington Award. Der diesjährige Preisträger, Prof. John Witte Jr., Direktor des Center for Law and Religion an der Emory University in Atlanta, wurde für seine Forschungen zur Entwicklung der Menschenrechte sowie zu den verfassungsrechtlichen Freiheiten religiöser Gruppen ausgezeichnet. Rektor Bernhard Eitel sprach zunächst über die Idee des Pennington Awards, den die Fakultät für Theologie und das HCA gemeinsam vergeben und der durch die Manfred Lautenschläger Stiftung gefördert wird. Der Preis würdigt Forschungsbeiträge im Bereich afroamerikanischer Literatur, Religion und Kultur. Die Pennington Seminare, in denen Studenten jedes Jahr die Möglichkeit hatten, mit Professor Jan Stievermann und dem jeweiligen Preisträger dessen Expertise genau zu beleuchten, sind, so Rektor Eitel, eine besondere Bereicherung des Studiums an der Ruperto Carola.

Nach dieser kurzen Einführung sprach Dr. h.c. Manfred Lautenschläger über die Genese dieser Auszeichnung. Als erster Afroamerikaner überhaupt wurde James W. C. Pennington von der Universität Heidelberg 1849 mit einem Ehrendoktor der Theologischen Fakultät ausgezeichnet. Pennington, der der Sklaverei entflohen war, war Autodidakt und wurde als erster Afroamerikaner in Yale zugelassen – jedoch nicht als aktiver Student. Der Pennington Preis stehe somit für ein besonderes Engagement der Forschung, gegenseitiges Verständnis und soziale Gerechtigkeit zu fördern. Dieser Prämisse stimmte Professor Gregory Sterling, Dekan der Yale Divinity School, zu und betonte in seiner kurzen Ansprache, wie wertvoll das wiederentdeckte Erbe Penningtons nicht nur kulturgeschichtlich sei. Es verbinde die Universitäten Heidelberg und Yale miteinander und ermuntere dazu, die Geschichte beider Institutionen weiter zu beleuchten.

Prof. Jan Stievermann betonte in seiner Laudatio auf den Preisträger den umfangreichen Beitrag, den dieser im Bereich der Rechts- und Geschichtswissenschaften geleistet hat. Mit der Auszeichnung Wittes ehrten das HCA und die Theologische Fakultät einen Forscher, der den Ideen Penningtons verhaftet sei. Als Direktor des Center for the Study of Law and Religion erforscht Professor Witte seit Jahren die Interaktion zwischen Gesetz und Religion. So hat er insbesondere mit seiner Forschung zur Religionsfreiheit einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Verbindung zwischen Protestantismus und westlicher Kultur geleistet. In seinem Festvortrag widmete sich Professor Witte Jr. dann dem protestantischen Ursprung der Menschenrechte, in deren Zentrum die Religionsfreiheit stehe. Er verwies auf die langanhaltende Kultur der Rebellion gegen Tyrannei, die nicht zuletzt auf Martin Luther zurückgeht. So ging es nicht nur um die tatsächlich greifbare politische Unterdrückung, sondern auch um geistige Unterdrückung, gegen die sich viele protestantische Gruppen seit Jahrhunderten wehrten. Da dieser Widerstand zunächst nur schwer mit dem traditionellen Bibelverständnis vereinbar war, mussten Protestanten ihr Weltbild fundamental verändern. So unterschieden sie, laut Witte, schnell sehr viel genauer zwischen gerechten und ungerechten Herrschern und leugneten die göttliche Unterstützung letzterer. Aus diesem neuen Weltbild entstand das Recht auf Selbstverteidigung, welches jedoch schon bald durch die Idee des Gesellschaftsvertrages reformiert wurde. Dieser garantierte Bürgern nun Schutz im Gegenzug für Gehorsam, und der am meisten geforderte Schutz, so Witte, war der vor Diskriminierung oder Benachteiligung auf Grund von Religion.

Zu diesem Aspekt gesellte sich jedoch auch das Konzept von Gewissensfreiheit, welches Pennington stark propagierte. Als Pazifist rief er zum gewaltfreien Widerstand gegen die Sklaverei auf, deren Tyrannei nicht nur Afroamerikaner betraf, sondern auch Geistliche, die versuchten, Sklaven religiöse Unterstützung zu bieten. Vor allem die Kirchengemeinden spielten hier eine Rolle, denn sie benachteiligten oft sogar freie Afroamerikaner. Einhundert Jahre vor Martin Luther King war Pennington somit ein Fürsprecher für soziale Veränderungen, der vor allem an die Solidarität und Unterstützung füreinander appellierte. Pennington war überzeugt, dass auch Afroamerikaner ein angeborenes Recht auf Freiheit hatten und dass es ihr Recht war, diskriminierende Gesetze zu brechen, um sich dieses Privileg zu beschaffen.

Zeit seines Lebens blieb Pennington jedoch Pazifist und begründete durch seine Taten und Worte ein neues Zeitalter der liberalen protestantischen Theologie und letztlich einer Bürgerrechtsbewegung. Für ihn war die Kirche das Kernstück einer jeden Rebellion gegen Ungerechtigkeit, wodurch er nicht nur die Schlüsselrolle der Religion in der westlichen Kultur vorwegnahm, sondern auch deren Rolle in der Etablierung der Menschenrechte. Penningtons außerordentliches Konzept der physischen und geistigen Tyrannei, so Witte, fordere bis heute Forscher heraus, ihr Bild von legitimer und illegitimer Herrschaft zu hinterfragen. Im Anschluss an die Preisverleihung lud das HCA alle Gäste zu einem Empfang in der Bel Etage ein.

 

Karen V. Hansen: "Encounters on the Great Plains: Scandinavian Settlers and Dakota Indians, 1890-1930"

30. Mai 2016

Am 30. Mai hieß das HCA im Zuge des Baden-Württemberg Seminars Karen Hansen willkommen, Professorin für Soziologie, Women‘s, Gender und Sexuality Studies an der Brandeis University und derzeitige Inhaberin des Distinguished Fulbright Chair an der Universität Uppsala. In ihrem Vortrag gewährte sie Einblicke in ihr Projekt zur Geschichte skandinavischer Einwanderer in den USA, dessen Ergebnisse kürzlich als Buch erschienen sind. Einführend stellte sie einen biographischen Bezug her: Da ihre Großmutter als norwegische Siedlerin im Dakota Reservat gelebt hatte, will sie sowohl die vergessene Geschichte der skandinavischen Einwanderergesellschaft wie auch die der Dakota beleuchten. So wie diese heute versuchen, mit Wünschelruten nicht gekennzeichnete Gräber ihrer Vorfahren wiederzufinden, will Prof. Hansen die verschüttete Geschichte beider Gruppen wieder ans Licht bringen.

Ihre historische Untersuchung zeigte zunächst, dass dieses ungewöhnliche Nebeneinanders häufig durch simple Missverständnisse belastet wurde, wie zum Beispiel die indianische Sitte, ein fremdes Haus ohne Anklopfen zu betreten. Viele dieser Missverständnisse waren auf die unterschiedliche kulturelle Sozialisation der Skandinavier und der Dakota zurückzuführen, was beiden Gruppen schnell bewusst wurde. Nach einigen Jahren der Nachbarschaft entwickelten sie daher nicht selten enge freundschaftliche Beziehungen. Manche Dakota ließen ihre Kinder protestantisch taufen, und religiöse Gruppen wie die Presbyterianer veröffentlichten sogar Bibelübersetzungen in der Sprache der Dakota. Nichtsdestotrotz waren vor allem Territorialkonflikte oftmals eine Belastung für diese Freundschaft. Als Folge des Dakota-Krieges von 1862 wurden die Dakota in ein Reservat zwangsumgesiedelt, und als dieses Land ebenfalls für die Besiedlung durch skandinavische Einwanderer freigegeben wurde, befürchteten die Dakota, erneut enteignet zu werden. Viele Dakota hielten die Einwanderer für landgierige Bauern und ignorierten damit ihre Anpassungsfähigkeit und modernen Lebensstil. Zusätzlich stieß der Drang der Neuankömmlinge, Besitz zu akkumulieren, in der nicht an materiellen Gütern interessierten Kultur der Dakota auf Unverständnis. Trotz vieler Anstrengungen der Dakota, Land zurückzukaufen, avancierten die skandinavischen Einwanderer rasch zu den größten Landbesitzern. Deren starker persönlichen Bezug zu ihrem Land, das sie über viele Generationen vererbten, war nicht selten der Grund für weitere Konflikte zwischen Dakota und Skandinaviern. Prof. Hansen betonte jedoch, dass beide Gruppen trotz aller Unterschiede die gleichen Herausforderungen zu meistern hatten. Sie mussten zu Amerikanern werden und sich an eine neue Gesellschaftshierarchie gewöhnen, während sie gleichzeitig versuchten, ihr kulturelles Erbe am Leben zu erhalten. Obwohl es oft nicht einfach war, miteinander zu kommunizieren, gelang es den beiden ungleichen Nachbarn zu koexistieren. Heutzutage versuchten viele skandinavischen Familien, die Fehler der Vergangenheit wiedergutzumachen und die Beziehungen zu den amerikanischen Ureinwohnern zu verbessern. Dies geschehe oftmals auf einer persönlichen Ebene und führte dazu, dass die Beziehung zwischen Dakota und Skandinaviern neu definiert werden konnte. In der folgenden Diskussion wurde der Vortrag durch Publikumsfragen über weitere Konflikte und Aspekte der skandinavischen Siedlungsgeschichte vertieft.

 

Mark Peterson: "On the German Road to Athens: Boston's Reformers at a Crossroads, 1815-1848"

24. Mai 2016

Am 24. Mai setzte das Baden-Württemberg Seminar seine Vortragsreihe mit Mark Peterson fort, der Professor für amerikanische Geschichte an der University of California, Berkeley, ist. Peterson widmete seinen Vortrag dem deutschen Einfluss auf Bostons Reformer vom Anfang bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Boston galt als sehr selbstzentriert, nicht zuletzt, weil die Stadt Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ihren wirtschaftlichen Schwerpunkt vom internationalem Handel hin zur Baumwollindustrie verlagert hatte, welche von den rapide zunehmenden Wirtschaftsembargos der US-Regierung nicht betroffen war. Bedingt durch ein steigendes Maß an Missfallen gegenüber der Bundesregierung verlagerte sich auch der kulturelle Schwerpunkt mehr und mehr auf die Stadt selbst sowie ihre unmittelbare Umgebung. Zeitgleich entstand ein steigendes Interesse an deutscher Bildung, die nicht nur wegweisend für die Entwicklung der Geisteswissenschaften an den Universitäten war, sondern auch aus einer gesellschaftlichen Affinität herrührte. So sahen Bostoner Bürger starke Verbündete in den Deutschen, die sich gegen die Idee eines napoleonischen Europas wehrten. Im Jahr 1815 reisten daher vier Absolventen der Harvard Universität nach Göttingen, um dort ihr Studium weiter zu führen. In ihrer Zeit in Deutschland bereisten sie nicht nur Städte wie Jena, Leipzig, Hamburg und Berlin, sondern hatten auch die Gelegenheit, wichtige Kulturträger, wie zum Beispiel Johann Wolfgang von Goethe, persönlich kennen zu lernen. Dies hinterließ einen bleibenden Eindruck bei den Repräsentanten Bostons, der dazu führte, dass nach ihrer Heimkehr die Tradition des Auslandsstudiums, insbesondere in Deutschland, erhalten blieb.

Darüber hinaus erkannten diese Amerikaner in den damaligen deutschen Städten, die sie als modern und unabhängig ansahen, ein Vorbild für ihre eigene Heimat. In den Deutschen sahen sie fromme und gemeinschaftsorientierte Bürger, die die republikanische Ordnung tapfer ertrugen. Diese Eindrücke führten dazu, dass Bostoner Bürger sich sowohl in Deutschland als auch in Boston zunehmend deutschen Traditionen verschrieben. So begannen sie, sich deutschen Studenten, die in der griechischen Revolution gegen das osmanische Reich eine notwendige Verteidigung der hellenischen Kultur sahen, anzuschließen.

Die Deutschlandbesucher aus Boston exportierten auch deutsche Kultur und wissenschaftliche Methoden nach Boston. Vom Grundschulsystem nach Pestalozzi, der Universitätsdidaktik und dem Turnverein bis hin zu Sozialwohnungen und Gefängnissen – Bostons Reformer lehnten zahlreiche Maßnahmen zu Etablierung eines „Athens in Amerika“ an ihre Erfahrungen in Deutschland an. Dies führte wiederum dazu, dass deutsche Radikale wie Karl Follen nach Boston auswanderten, weil sie dort nicht nur sicher vor deutscher Strafverfolgung waren sondern auch eine intellektuelle Heimat fanden. Follen und andere Deutsche erkannten schnell, dass ihre Denkweise in Boston ganz und gar nicht radikal sondern viel eher anerkannt war und integrierten sich zumindest für kurze Zeit in die Bostoner Elite. Abschließend betonte Prof. Peterson, dass das Bewusstsein um die Präsenz deutscher Kultur in Boston heute nicht sehr groß sei, die Tatsache der transatlantischen Beziehung und Verbundenheit zweier Orte jedoch keinesfalls ungewöhnlich ist. Diese und andere Fragen, insbesondere über Goethes Beziehung zu Boston und den Einfluss der deutschen Kultur in den USA, wurden anschließend in einer angeregten Diskussion weiter von Prof. Peterson und dem Plenum beleuchtet.

 

Naomi Wood: A Reading from Mrs Hemingway

12. Mai 2016

Am 12. Mai wurde das Baden-Württemberg Seminar des HCA durch eine Lesung von Naomi Wood bereichert. Die in London ansässige Autorin und Dozentin für kreatives Schreiben an der Goldsmith University veröffentlichte die englische Ausgabe ihres zweiten Buches, Mrs Hemingway, bereits vor zwei Jahren. In diesem Roman beleuchtet sie das Leben Ernest Hemingways durch die Augen seiner vier Ehefrauen Hadley Richardson, Pauline Pfeiffer, Martha Gellhorn und Mary Welsh. Im Zuge ihrer Lesereise anlässlich des Erscheinens der deutschen Übersetzung im Verlag Hoffmann & Campe besuchte sie auch das HCA. In einem kurzen Vortrag beschrieb Naomi Wood zunächst ihre langjährige Faszination für den Schriftsteller, der in vierzig Jahren insgesamt vier Mal verheiratet war. Vor allem sein mediales Bild als selbsterklärten „Übermenschen“ und maskulinen „Bilderbuch-Amerikaner“ stand für Naomi Wood im starken Gegensatz zu seinen zahlreichen, durchaus ernsten Beziehungen. Aus dem Wunsch heraus, eine persönlichere, privatere Seite von Ernest Hemingway zu erkunden und somit einen Beitrag zu einer möglichen Neudefinition seiner Persönlichkeit zu leisten, entstand Naomi Woods zweites Buchprojekt.

In dem Roman „Als Hemingway mich liebte“ erteilt die Schriftstellerin daher Hemingways Ehefrauen das Wort. Seine erste Frau, Hadley Richardson, die in St. Louis geborene Tochter einer wohlhabendenden Familie, traf Hemingway auf einer Party. Nach der Hochzeit zog das Paar nach Paris, wo Hemingways erster Sohn geboren wurde und wo er auch die Bekanntschaft seiner zweiten Frau, Pauline Pfeiffer, genannt „Fife“, machte. Diese war ihrerseits Journalistin für die Vogue und zog mit Hemingway nach der Hochzeit 1927 nach Key West. Dort wuchs die Familie um zwei weitere Söhne und 1936 auch um eine neue Geliebte, Martha Gellhorn. Die junge Kriegsreporterin, die auf der Durchreise in Key West Halt machte, beeindruckte Hemingway sehr. Nach der Hochzeit der beiden 1940 wurde jedoch klar, dass ein sesshaftes Leben für Martha Gellhorn nicht in Frage kam. Das Paar trennte sich kurze Zeit später, und bereits 1946 heiratete Hemingway seine vierte und letzte Frau, Mary Welsh, ebenfalls eine Kriegsreporterin. Zusammen lebten sie auf Kuba und genossen das Leben der High Society. Hemingways Alkoholismus und die Veränderungen seiner Persönlichkeit nach dem Flugzeugabsturz 1950 machten die Ehe jedoch bis zu seinem Suizid 1961 zu einer Herausforderung für Mary.

Während der Lesung, welche von Marie Harnau und Maria-Claudia Scheckeler, zwei Vertreterinnen des Performing Arts Club des HCA, unterstützt wurde, zeigte sich, mit welcher Sorgfalt und Liebe zum Detail Naomi Wood den Gefühlen der vier Frauen Hemingways nachgespürt hat. Abwechselnd wurde je ein Auszug aus der deutschen und der englischen Ausgabe vorgetragen, um alle vier Frauen zu gleichermaßen vorzustellen. Diese standen, trotz der scheinbaren Konkurrenz um Hemingways Liebe, in engem Kontakt zueinander und unterstützen sich gegenseitig über Hemingways Tod hinaus. Naomi Wood lieferte den anwesenden Liebhabern von Hemingway mit ihrer Lesung neue Einblicke in das Leben des Nobelpreisträgers. In der anschließenden Diskussion berichtete die Autorin darüber hinaus über Hemingways Beziehung zu seinen Kritikern, den schriftstellerischen Wettbewerb zwischen ihm und seinen Frauen, sowie über ihre Erlebnisse im Zuge ihrer Forschungen an Hemingways Wirkungsstätten in den USA, England, der Karibik und Frankreich.

 

David Woolner: "America at a Crossroads? The Progressive Tradition and the Presidential Election of 2016"

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28. April 2016

Für den zweiten Vortrag im Rahmen des Baden-Württemberg Seminars hatte das Heidelberg Center for American Studies David Woolner, Senior Fellow und Resident Historian des Franklin and Eleanor Roosevelt Institute in Hyde Park, New York, eingeladen. Der Wissenschaftler ist dem HCA seit vielen Jahren verbunden und verknüpfte in seinem Vortrag den amerikanischen „Progressivism“ mit dem aktuellen Wahlkampf. Damit wollte er, so der Redner, die Entwicklung aufzeigen, die die Nation zum Scheideweg des Jahres 2016 gebracht hat. Einführend betonte Prof. Woolner, dass der Ursprung progressiver US-amerikanischer Politik historisch im „Populism“ des neunzehnten Jahrhunderts anzusiedeln sei. Begründet wurde dieser vor allem durch die Greenback Party des späten neunzehnten Jahrhunderts, die neue Probleme politisierte und progressive Reformen förderte, welche von späteren Regierungen aufgenommen wurden. Mit einem starken Fokus auf eine gerechtere Vermögensverteilung begründeten die amerikanischen „Populists“ ihre progressiven Ideen. Als eine Nation, die, so Prof. Woolner, traditionell von einer konservativen Mitte geprägt war, fehlte den USA insbesondere eine etablierte sozialdemokratische Partei. Dies führte dazu, dass gesellschaftlicher Wandel und Wohlfahrtsprogramme seit jeher aus progressiven Bewegungen entstanden. Hier verwies Prof. Woolner auf Franklin D. Roosevelt, dessen Reden durch einen starken emotionalen Appell an das amerikanische Volk nicht selten an populistische Rhetorik erinnerten, auf dessen Agenda jedoch soziale Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Wandel ganz oben standen.

Im zweiten Teil seines Vortrags kam Prof. Woolner dann zur aktuellen Lage der US-Gesellschaft. Er führte viele ineinander greifende gesellschaftliche Veränderungen auf, welche im einundzwanzigsten. Jahrhundert Populisten wie Donald Trump und Bernie Sanders den Weg geebnet hätten. So spiegele die Kluft zwischen beiden Kandidaten die gesellschaftliche Kluft der Wählerdemographie wider. Während Trumps Angst-Rhetorik laut Wollner vor allem weißen, männlichen Amerikanern mittleren Alters zusage, die durch Veränderungen des Arbeitsmarktes einer unsicheren Zukunft entgegensehen, spreche Bernie Sanders besonders junge, weiße, männliche Studenten an, die durch Studienkredite hoch verschuldet sind und seinen Wunsch nach mehr sozialer Gerechtigkeit teilen. Prof. Wollner betonte, dass sich vor allem die amerikanische Mittelschicht vom Gesellschaftssystem sowie der Wirtschaft im Stich gelassen fühle und daher auch ein hohes Maß an Frustration über das vorherrschende System zeige. Außerdem, so Wollner, seien durch die Entwicklung der US-Parteienlandschaft die Identitäten der Parteien so monolithisch geworden, dass bei einem Wegfall des politischen Zentrums kaum noch fruchtbare Diskurse entstünden. Populisten profitierten demnach von dem unbestreitbaren Bedürfnis nach Veränderung in Zivilgesellschaft und Politik. Daher stünde die amerikanische Gesellschaft 2016 an einem Scheideweg und die Wahlen im November würden bestimmen, in welche Richtung sich die zerrüttete amerikanische Gesellschaft in Zukunft entwickeln wird. Mit dieser kritischen Bestandsaufnahme lud Prof. Woolner die Anwesenden zu einer lebhaften und ausführlichen Diskussion ein, welche vor allem die Eigenheiten der amerikanischen Wählerschaft und Politik noch weiter beleuchtete.

 

Steven Hill: "The Future of Work: Will America's 'Uber Economy' Eat Our Jobs?" (HCA Commencement 2016)

22. April 2016

Am 22. April kamen Studierende und ihre Familien, sowie Mitarbeiter und Freunde des HCA in der Alten Aula der Universität Heidelberg zusammen, um die akademischen Abschlüsse von insgesamt 38 Bachelor-, Master- und Promotionsstudenten zu feiern. Begleitet wurden die Feierlichkeiten von dem Heidelberger Jazz Ensemble Papermoon Orchestra, bestehend aus Johannes Alisch am Kontrabass und Alexander Schindler am Flügel, dessen jazzige Klänge den perfekten Rahmen für die Veranstaltung lieferten.

Vom historischen Ort inspiriert betonte Rektor Bernhard Eitel die Tradition des internationalen akademischen Austausches, welche schon früh an der Ruperto Carola begründet wurde. Er gratulierte enthusiastisch der vielfältigen Gruppe der Absolventen, die an dem traditionellen Abschlussfeier teilnahmen. In seiner Ansprach hob Rektor Eitel die Verantwortung, die die Absolventen für die Gestaltung der globalen Zukunft hätten, besonders hervor und ermunterte sie dazu, stets neugierig, engagiert und optimistisch zu bleiben. Darüber hinaus lud er die Absolventen herzlich dazu ein, weiterhin in Kontakt mit der Universität zu bleiben, eine Bitte, der sich auch HCA-Gründungsdirektor Detlef Junker anschloss.

Prof. Junker war überaus stolz, eine so hohe Anzahl Absolventen aller drei Programme des HCA begrüßen zu können. Er beglückwünschte die neunzehn Absolventen des interdisziplinären Bachelorstudienganges, sowie die elf Absolventen des internationalen Masterstudienganges zum erfolgreichen Abschluss. Darüber hinaus gratulierte er den acht frisch Promovierten, die den anspruchsvollen Forderungen einer Promotion mit ihren außergewöhnlichen und exzellenten Dissertationen mehr als gerecht geworden waren. Außerdem bedankte sich Professor Junker beim Schurmann Verein und den Friends of the HCA, durch die das HCA die Möglichkeit habe, angehenden Akademikern eine einzigartige Ausbildung bieten zu können.

Sowohl die Wünsche von Prof. Junker als auch von Rektor Eitel fanden Widerhall in Steven Hill Festvortrag „The Future of Work: Will America’s ‘Uber Economy’ Eat Our Jobs?“. Der Senior Fellow der New American Foundation und Holtzbrinck Fellow der American Academy in Berlin sensibilisierte hierin die Anwesenden für die dramatischen aktuellen Veränderungen des Arbeitsmarkes. Der technische Fortschritt schlägt sich laut Steven Hill vor allem in der dramatischen Zunahme von Zeitarbeit nieder. Dies führe zu einer stetig wachsenden Unsicherheit unter den Arbeitnehmern, welche wiederum unter anderem zu Dumpinglöhnen und mangelnder Absicherung bei Krankheit führe. Er erinnerte die Absolventen an ihre eigene Verantwortung, sich für bessere Arbeitsverhältnisse einzusetzen, und plädierte für mehr Toleranz und soziale Gerechtigkeit.

Nachdem anschließend Professor Junker die Abschlusszeugnisse ausgehändigt hatte, hielt Maren Schäfer als Jahrgangsbeste der Masterabsolventen die Valedictorian Speech. Hierin betonte sie den interkulturellen Austausch, welcher ihr nicht nur fremde sondern auch die eigne Kultur näher gebracht hatte. Sie bedankte sich bei den Mitarbeitern, Lehrenden und Kommilitonen des HCA für diese neuen Perspektiven und Chancen, die ihr während ihres Studiums eröffnet haben. Nach einem kurzen musikalischen Zwischenspiel lud Professor Junker dann die Anwesenden ein, die Feierlichkeiten im HCA fortzusetzen. Begleitet vom Papermoon Orchestra genossen dort Familien und Freunde der Absolventen, sowie Studierende und Mitarbeiter des Heidelberg Center for American Studies das Büffet und stießen auf die Leistungen der Studierenden an. Wir gratulieren allen Bachelor-, Master- und Promotionsabsolventen von 2016!

 

Ausstellung: "Dorothea Lange: Iconic American Photography"

10. März bis 21. April 2016

Die amerikanische Fotografin Dorothea Lange gilt als Pionierin der Dokumentarfotografie. Vor achtzig Jahren reiste sie mit Kollegen wie Walker Evans und Gordon Parks im Auftrag der U.S.-Regierung durch die USA, um das Ausmaß der Armut während der Großen Depression zu dokumentieren. Im März 1936 entstanden in einem Erntehelferlager in Nipomo Mesa, Kalifornien, die ikonischen Fotos von Florence Owens Thompson, die als "Migrant Mother" den entwurzelten Frauen und Männern der Großen Depression ein Gesicht gab. Am 10. März erschienen Langes Fotos in den San Francisco News. Danach wurden Lebensmittellieferungen in die Region veranlasst.

Dorothea Langes Aufnahmen sollten die Dokumentarfotografie nachhaltig beeinflussen. Ihre Bilder von Demonstrationen und Streiks, Fürsorgeempfängern und Wanderarbeitern, Menschenschlagen vor Essensausgaben oder Arbeitsämtern prägten das kollektive Gedächtnis der Großen Depression in den USA und erlangten eine hohe Popularität. Das HCA nahm das Jubiläum der "Migrant Mother" zum Anlass, in einer von Reinhard Schultz kuratierten Ausstellung eine Reihe von Dorothea Langes ikonischen Fotografien der dreißiger und vierziger Jahre zu zeigen, Porträts von Arbeitslosen, Obdachlosen, Migranten und Landarbeitern, aber auch wenig bekannte Abbildungen von Großgrundbesitzern oder Werftarbeiterinnen. Bereits zur Vernissage kamen viele interessierte Besucher ins Atrium, und das Interesse an Dorothea Langes Fotografie ließ auch in den folgenden fünf Wochen nicht nach.

Photo Gallery: Exhibition ​​"Dorothea Lange: Iconic American Photography"

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Rabbi David Teutsch: "Empowerment, Assimilation and Renewal: Recent Trends in the American Jewish Community"

2015.05.21 Parker

21. Januar 2016

Für das letzte Baden-Württemberg Seminar vor den Semesterferien begrüßte das HCA Rabbi David Teutsch, den Direktor des Zentrums für jüdische Ethik am Reconstructionist Rabbinical College, der zudem ein Consultant und bekannter Autor ist. Sein neuestes Buch, A Guide to Jewish Practice: Shabbat and Holidays, der zweite Band einer Trilogie, regt seine Leser an, die jeweiligen Meilensteine des jüdischen Kalenders nach ihren Bedürfnissen zu gestalten. Im Jahr 2001 erschien der erste Band der Reihe, A Guide to Jewish Practice: Everyday Living, welcher mit dem "Myra H. Kraft Memorial Award" und dem "National Jewish Book Award for Contemporary Life and Practice" ausgezeichnet wurde.

Als Harvard-Absolvent erhielt Professor Teutsch seinen Master in Hebrew Letters and Rabbinic Ordination vom Hebrew Union College-Jewish Institute of Religion in New York City und seinen Doktortitel von der Wharton School of the University of Pennsylvania. Seine Dissertation beschäftigte sich mit Themen der Organisationsethik. Von 1993 bis 2002 war er Präsident des RRC und im Anschluss an war er als Dean of Admissions tätig.

In seinem Vortrag im HCA sprach Rabbi Teutsch über die große Bandbreite der jüdischen Gemeinden in den USA und über die Veränderungen, die diese in den letzten Jahrzehnten erfahren haben. Professor Teutsch führte aus, dass die meisten Menschen das Bedürfnis haben, in einer Gemeinschaft zu leben, deren Mitglieder ihre religiösen Überzeugungen teilen; er beschrieb die jüdischen Gemeinden in den USA als starke geistige Gemeinschaften, die durch spirituelle Freundschaften zusammengehalten werden und in denen Menschen ihre Erfahrungen von Generation zu Generation weiter geben. Die Gemeinden basieren zudem auf der Solidarität der Familie.

Professor Teutsch verwies außerdem darauf, dass die jüdischen Gemeinden auf eine deutlich längere Geschichte zurückblicken als andere amerikanische Religionsgemeinschaften. Sie üben nie Druck aus, sich ihnen anzuschließen, und es sei auch gar nicht möglich, quasi automatisch Mitglied zu werden. Die meisten Mitglieder jüdischer Gemeinden sehen sich zudem als aktive Mitglieder der amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft, wenden sich aber ihrer Religion zu, um ihre moralischen Bedürfnisse zu artikulieren. Eine starke jüdische Gemeinschaft hilft ihren Mitgliedern, sich in der amerikanischen Gesellschaft auf ihre jüdischen Wurzeln zu konzentrieren und gleichzeitig traditionelle jüdische Werte zu respektieren. Dennoch haben die jüdischen Gemeinden in den USA sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Viele haben die traditionelle jüdische Lebensweise hinter sich gelassen oder sie verändert, um jüdisches Leben in der amerikanischen Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus haben sich neue Aspekte religiösen Lebens herausgebildet, die die jüdische Gemeinschaft noch stärker werden ließen. Zum Ende seines Vortrags ging Professor Teutsch auf die Bedeutung der jüdischen Wohlfahrt ein. Teil einer jüdischen Gemeinde zu sein bedeutet oft, sich in der Wohlfahrtsarbeit zu engagieren oder andere ehrenamtliche Arbeit zu leisten.

Während einer lebhaften Diskussionsrunde beantwortete Rabbi Teutsch zahlreiche Fragen über das amerikanische Judentum im einundzwanzigsten Jahrhundert, insbesondere im Zusammenhang mit den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen.

 

Detlef Junker, Daniel Silliman und Jan Stievermann: “Religion and the Marketplace in the United States” (HCA Book Launch)

2015.05.21 Parker

12. Januar 2016

Zur ersten Buchvorstellung des neuen Jahres begrüßte das HCA zwei Herausgeber und einen Autor des Bandes Religion and the Marketplace in the United States, Detlef Junker, Jan Stievermann und Daniel Silliman. Das Buch versammelt viele Beiträge der gleichnamigen Konferenz, die 2011 am HCA stattgefunden hat. Die Themen dieser Kapitel reichen vom Merkantilismus der amerikanischen Kolonialzeit über Megachurches und den Buchmarkt bis zu Popfestivals und spüren so den wechselseitigen Beziehungen zwischen religiösem Verhalten und kommerziellen Praktiken nach. Der Band bietet kein gerades Narrativ; vielmehr zeigen seine Beiträge, dass die Interaktion zwischen religiösen und wirtschaftlichen Praktiken in den USA vielfältig, wechselseitig und oft höchst widersprüchlich ist.

Nachdem zwei der Herausgeber einige übergreifende Themen der Konferenz und des Buches vorgestellt hatten, gab Daniel Silliman einige Einblicke in seine Forschung über die Left Behind Serie von 16 Endzeitromanen. Sein Ansatz dreht sich nicht in erster Linie um die Frage, warum dieses Genre so überaus beliebt ist, vielmehr schaut er auf das Angebot – wie und wo ist diese „Glaubensliteratur“ verfügbar. Daniel Sillimans Arbeit zeigt, dass eine Analyse des Buchmarkts wesentlich für ein Verständnis der wirtschaftlichen und kulturellen Wirkung dieses Genres ist. Andere Beiträge dieser Sektion zeigen ebenfalls, wie sehr der Buchmarkt an religiöse Erfahrungen und Praktiken gebunden ist, egal ob es um den Massenmarkt, Ratgeber oder Experimentalismus geht. Sowohl die Vorstellung des allgemeinen Konzepts wie auch die Detaildarstellungen resultierten in einer angeregten Diskussion, die auch nach Ende der Veranstaltung bei einem Glas Wein fortgesetzt wurde.

 

Anthony Marra: A Reading from The Czar of Love and Techno

2015.05.21 Parker

10. Dezember 2015

Die letzte Veranstaltung des Baden-Württemberg Seminars im Jahr 2015 war ein Abend mit dem amerikanischen Autor Anthony Marra, der aus seiner Neuerscheinung The Czar of Love and Techno las (auf Deutsch als Letztes Lied einer vergangenen Welt erschienen). Anthony Marra ist Absolvent der University of Southern California und besuchte anschließend die Autorenwerkstatt an der University of Iowa. Von 2011 bis 2013 war er als Stegner Fellow an der Stanford University.

Anthony Marra hat den Whiting Award, einen Pushcart Prize und den Narrative Prize gewonnen; seine Arbeit wurde außerdem in Best American Nonrequired Reading 2012 aufgenommen. Sein erster Roman, A Constellation of Vital Phenomena, wurde im Mai 2013 veröffentlicht, erhielt den John Leonard Prize of the National Book Critics Circle und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Auch die deutsche Übersetzung Die niedrigen Himmel, begeisterte die Kritiker. Aktuell ist Anthony Marra als Dozent für Literaturwissenschaften an der Stanford Universität.

Der Abend begann mit einigen humorvollen Anekdoten über die Zeit, in der Anthony Marra in Osteuropa gelebt und studiert hat. Die Personen, die er dort kennenlernte, und die Situationen, die er dort erlebte, inspirierten die Kurzgeschichten in „The Czar of Love and Techno“.

In der Eröffnungsgeschichte des Buches trifft der Leser einen sowjetischen Kunstzensor der 1930er Jahre, der Personen, die unter Stalin in Ungnade gefallen waren, aus Bildern herausretuschiert, darunter eine Ballerina und seinen eigenen Bruder auf einem Familienfoto. Die nächste Geschichte springt nach Sibirien in das Jahr 2013 zur Enkeltochter dieser Ballerina und ihren Freundinnen. Jede Kurzgeschichte in The Czar of Love and Techno steht für sich, aber das Gesamtbild ergibt sich dadurch, dass alle Charaktere – manchmal ein wenig verändert – wieder in anderen Geschichten auftauchen. Die Geschichten beschreiben die politische und soziale Landschaft von der UdSSR der 1930er Jahre bis zu den chaotischen Nachwirkungen ihrer Auflösung. In der abschließenden Diskussion charakterisierte der Autor sein Werk nicht in erster Linie als ein bestimmtes Genre, sondern als eine lange Geschichte über Verlust, Beziehungen, Liebe und Familie, und über Kunst und Freiheit.

 

Martha Davis: "Small Places, Close to Home: U.S. Cities and Human Rights"

2015.05.21 Parker

3. Dezember 2015

Das HCA setzte sein Baden-Württemberg Seminar am 3. Dezember fort und begrüßte Martha Davis zu ihrem Vortrag „Small Places, Close to Home: U.S. Cities and Human Rights“. Martha Davis ist Professorin der Rechtswissenschaften an der Northeastern University School of Law und hält in diesem Semester den Fulbright-Lehrstuhl für Menschenrechte am Raoul Wallenberg Institut der Lund Universität in Schweden. An der Northeastern University ist Martha Davis zudem Direktorin des Programms „Human Rights and the Global Economy“ und des NuLawLab. Sie unterrichtet hauptsächlich Verfassungsrecht und professionelle Verantwortung. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf den Bürgerrechten, dem Verfassungsrecht, häuslicher Gewalt, den Menschenrechten, internationalem Recht und juristischer Ethik.

Professor Davis wies zunächst darauf hin, dass der Großteil der Diskussion über Gesundheit als ein Menschenrecht sich auf globale Gesundheitsinitiativen beschränkt und die Anwendung von Menschenrechtsprinzipien auf bedeutsame sozioökonomisch und ethnisch bedingte Ungleichheiten in den Vereinigten Staaten im Wesentlichen ignoriert. Betrachtet man die großen Lücken im Versicherungssystems und den Zugang zu qualitativ hochwertiger Vorsorge in den USA, so wird deutlich, dass die Bemühungen sich zunächst darauf gerichtet haben, ein universales Gesundheitssystem zu entwickeln. Da sich, wie das Institute of Medicine kürzlich berichtete, die Gesundheit der Amerikaner fortlaufend verschlechtert, könnten Menschenrechtsstrategien auch hier eine Wirkung entfalten. Professor Davis bewertete dann die Anwendung von internationalen Menschenrechtsprinzipien einschließlich des „Rechts auf Gesundheit“ im US-Kontext und analysierte, wie bereits existierende Gesetzte genutzt werden können, um Gesundheit als ein Menschenrecht für Amerikas benachteiligte Bevölkerungsgruppen umzusetzen. Die USA haben bis jetzt internationale Menschenrechtsprinzipien nicht national angewendet, besonders nicht jene, die soziale und ökonomische Rechte fördern. Dennoch lassen neue Entwicklungen hoffen, dass eine breitere Gesundheits- und Menschenrechtsbewegung auf den Weg gekommen ist. Neue Studien dokumentieren, dass sich der Gesundheitsstatus von Amerikanern im internationalen Vergleich verschlechtert und dass soziale Faktoren dabei eine ausschlaggebende Rolle spielen.

Um den gerechten Zugang zu Krankenversicherungen und Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, bedarf es einer Menschrechtsagenda. Diese sollte Maßnahmen beinhalten, die negative soziale Faktoren bekämpfen und Umwelt-, ökonomische und soziale Bedingungen, die der Gesundheit nützlich sind, fördern. Um jedoch eine wirksame Menschenrechtsstrategie zu entwickeln, müssen die betroffenen Personen und Gemeinden eine Stimme erhalten. Nur dann kann man die sozialen Bedingungen, die sich in den USA auf die Gesundheit benachteiligter Gruppen auswirken, identifizieren, ein größeres Engagement ermutigen und entschieden dazu beitragen, die Situation zu verbessern. Professor Davis hob abschließend hervor, dass eine wirksame Strategie für Gesundheit und Menschenrechte „health care providers“, Rechtsanwälten und das öffentliches Gesundheitssystem miteinbeziehen muss, um die Bevölkerung vor Ort für eine andere Politik zu mobilisieren.

 

Heather Love: "Practices of Description: Reading the Social in the Post-War Period"

2015.05.21 Parker

24. November 2015

Am 24. November begrüßte das HCA zusammen mit dem Anglistischen Seminar der Universität Heidelberg Heather Love im Baden-Württemberg Seminar. Sie sprach über „Practices of Description: Reading the Social in the Post-War Period“, und damit vor allem über ihr gleichnamiges Buchprojekt.

Heather Love ist die R. Jean Browlee Term Associate Professorin am Anglistischen Seminar der University of Pennsylvania. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Vergleichsstudien zu sozialem Stigma, obligatorischem Glück, Transgender-Fiction, Lesemethoden in den Literaturwissenschaften, sowie die Geschichte der Genderstudien und Literatur und Kultur des 20. Jahrhunderts. Sie erhielt 2014 den „Lindback Award for Distinguished Teaching”.

In der Soziologie gelten die 1950er und 1960er Jahre als das „goldene Zeitalter der Mikroanalyse“. In diesen Jahrzehnten wurden neue Aufnahmetechniken und Forschungsmethoden entwickelt, und die Forschung konzentrierte sich zunehmend auf konkrete Kommunikationsübungen, um so detaillierte Portraits von kleineren sozialen Gesellschaften zu erstellen.

Diese Forschung fand über die Grenzen von Disziplinen hinweg statt, und multidisziplinäre Teams arbeiteten daran, Portraits sozialer Interaktion anhand von Mikro-Skalen zu erstellen, um sie umfassender und konkreter zu machen. Das geplante Buchprojekt wird mehrere dieser Projekte vorstellen, die in der Anthropologie, Biologie, Linguistik, Psychologie, Soziologie bzw. Kommunikation angesiedelt sind, um so die Herausforderungen der damaligen Zeit nachzuempfinden.

Professor Love vergleicht diese Projekte der Sozialwissenschaften mit gleichzeitig verlaufenden kulturellen Entwicklungen, beispielsweise dem Realismus im Roman der Nachkriegszeit, und der Performanz des Observational Cinema.

Den Realismus im Roman der Nachkriegszeit betrachtet Heather Love im Kontext von zeitgenössischen methodologischen Debatten. Professor Love führte aus, dass die Wende zur Post-Hermeneutik und beschreibenden Art des Lesens sowie die Zunahme empirischer Humanwissenschaften vor allem ein Resultat quantitativer Methoden und Einblicke der Neurowissenschaften war. Sie hob hervor, dass die meisten Kritiker den Wert dieser neuen Form empirischer Forschung diskreditieren. Im Gegensatz dazu ist sie der Ansicht, dass die älteren Formen der empirischen Forschung ein großes Angebot an Ressourcen für die heutigen Humanwissenschaften bieten, nicht nur epistemologisch, sondern auch methodologische und ethisch.

 

Edward Goetz: "Ruins of the New Deal: Dismantling Social Housing in the U.S."

2015.05.21 Parker

12. November 2015

Das HCA setzte sein Baden-Württemberg Seminar am 12. November mit einem Vortrag von Prof. Edward Goetz vom der Humphrey School of Public Affairs an der University of Minnesota fort. Prof. Goetz sprach über die Gründe für die schleichende Abschaffung des öffentlichen Wohnungsbaus in den Vereinigten Staaten. Seit den großen Wohnungsprojekten des New Deal hat man sich dort zunehmend von der Idee des staatlich finanzierten Wohnungsbaus abgewandt und große Wohnprojekte privatisiert.

Bei seiner Einführung wurde der öffentliche Wohnungsbau, anders als heute, nicht als Wohlfahrtsprogramm gesehen. Prof. Goetz wies auf vier Faktoren hin, die zum Ansehensverlust dieser Programme geführt haben. Der erste ist der sogenannte “Nachbarschaftseffekt”, den die Soziologie in den 1980er und 1990er Jahren ausgemacht hat. Danach kann das Wohnumfeld positive und negative Auswirkungen auf seine Bewohner haben, und dem sozialen Wohnungsbau wurden negative Auswirkungen auf dort aufwachsende Kinder attestiert. Diese Studien wirkten sich negativ auf den gesellschaftlichen und politischen Diskurs aus und beeinflussten viele politische Entscheidungen über die Fortführung der Wohnungsbauprogramme. Dazu kamen neoliberale Theorien über “gemischte” Wohnviertel – man versuchte, unterprivilegierte Bevölkerungsgruppen in “gemischten” Wohnprojekten anzusiedeln, wo nicht alle Bewohner von staatlicher Unterstützung lebten. Diese sogenannten “Opportunity Neighborhoods” sollten vor allem dazu führen, dass arme Familien sich nicht länger in gefährlichen Ghettos gefangen fühlten und ihre Kinder bessere Bildungschancen hatten.

Darüber hinaus führte die Gentrifizierung vieler Stadtviertel dazu, dass die Immobilienwerte gestiegen sind und einkommensschwache Familien verdrängt wurden. Dieser Prozess wird oft von Investoren vorangetrieben, die vor allem Profit erzielen wollen. Auch den Städten kommt die Gentrifizierung in Vierteln mit sozialem Wohnungsbau nicht ungelegen, weil die neuen Objekte oft höhere Steuern abwerfen. So vernachlässigt man öffentliche Wohnblöcke, bis sie am Ende abgerissen werden müssen. Dieser Prozess vertreibt viele einkommensschwache Familien, die auf preiswerten Wohnraum angewiesen sind. Schließlich wies Prof. Goetz darauf hin, dass auch die ethnische Zugehörigkeit der Bewohner etwas damit zu tun hat, dass und wann Sozialwohnungen abgerissen werden. Es fallen überdurchschnittlich viele Bauten, die mehrheitlich von Afroamerikanern bewohnt werden, der Abrissbirne zum Opfer. Oft machen Bewohner gegen solche Entwicklungen mobil, aber nur die wenigsten dieser Proteste sind stark genug, um gegen private Investoren (und die Regierung) anzugehen. Dieser sehr informative und interessante Vortrag resultierte in einer animierten Diskussion, die nicht zuletzt davon bestimmt war, dass etliche Teilnehmer die von Prof. Goetz beschriebenen Entwicklungen in oder nahe ihren eigenen Wohnvierteln erlebt haben.

 

Tobias Endler und Martin Thunert: "Entzauberung: Skizzen und Ansichten zu den USA in der Ära Obama" (HCA Book Launch)

2015.05.21 Parker

10. November 2015

Am 10. November stellten Tobias Endler und Martin Thunert, wissenschaftlicher Mitarbeiter beziehungsweise Senior Lecturer für Politikwissenschaft am HCA, ihre neue Publikation vor. „Entzauberung: Skizzen und Ansichten zu den USA in der Ära Obama“ beschäftigt sich mit der Lage der Nation nach acht Jahren Obama, insbesondere mit dem wirtschaftlichen Wandel innerhalb des Landes. „Entzauberung“ ist auch eine kritische Betrachtung des Supermachtstatus der USA, der weltpolitischen Rolle des Landes und deren globale Auswirkungen für andere Staaten, insbesondere für das Verhältnis zu Deutschland. In ihren Ausführungen beleuchteten die beiden Wissenschaftler außerdem das bevorstehende Ende der Amtszeit Obamas und den anstehenden Präsidentschaftswahlkampf. Als Grundlage ihrer umfangreichenden Analyse der innen- und außenpolitischen Entwicklungen dienten den Autoren vor allem Interviews mit Amerikaexperten an Universitäten und Think Tanks, darunter John Mearsheimer, Dali Yang, Deborah Larson, Robert O. Keohane und Fay Hartog Levin. Der Band setzt sich kritisch mit den Interviewergebnissen auseinander und vermittelt so ein umfassendes Bild davon, wie Amerikas führende Denker während Obamas zweiter Amtszeit die Lage der USA betrachten und welche Prognosen sie für die Zukunft der USA sowohl national als auch international abgeben.

Dabei gehen die Autoren sowohl auf nationale Faktoren wie die aktuell polarisierte politische Landschaft und zentrale Politikfelder wie Energie, Bildung oder Einwanderung ein, als auch auf die Rolle der USA als globale Macht. Die Meinungen der Experten sind ähnlich divers wie die Anzahl der Interviewpartner für das vorliegende Werk. Signifikant ist jedoch der breite Konsens darüber, dass keiner der Experten die USA vor einem Niedergang sieht. Vielmehr ginge es um die Zusammenstellung eines neuen internationalen Portfolios der USA, das entgegen der Erwartungen nicht mit einem Rückgang der globalen Bedeutung der USA einhergehen wird. Hierbei heben Martin Thunert und Tobias Endler die beträchtliche Widerstandsfähigkeit der Weltmacht hervor. Auch wenn sich die Rahmenbedingungen der aktuellen Weltlage verändert haben, so bleiben die Auswirkungen dieses neuen Portfolios auch für andere Staaten relevant.

Als größte Herausforderung für den neuen Präsident oder die neue Präsidentin der USA sieht Martin Thunert, die Aufgabe das Regierungssystem der USA auf Bundesebene wieder funktionstüchtig zu machen und darauf zu achten, dass nicht nur die obere Gesellschaftsschicht von den Fortschritten der Globalisierung und der Digitalisierung profitiert. Auf der internationalen Ebene unterstreichen die Autoren die Rolle Chinas als großer finanzieller Unterstützer der USA und geben die geopolitischen Verschiebungen insbesondere im asiatischen Raum zu bedenken. Bezüglich des stark polarisierenden republikanischen Präsidentschaftskandidaten und Multi-Milliardärs Donald Trump hebt Tobias Endler hervor, dass Trumps augenblicklich führende Rolle in nationalen Umfragen daher rührt, dass es aktuell eine gewisse populistische Grundstimmung bei einem Teil der amerikanischen Wähler gibt.

Als Präsidentschaftskandidat stellt sich Trump auf die Seite der Mittel- und Unterschicht und wendet sich konkret gegen die politischen und medialen Eliten des Landes. Als Gegenpol zu Trump sieht Tobias Endler den selbsterklärten demokratischen Sozialisten Bernie Sanders, der wiederum die Eliten der Wirtschaft und Finanzwelt als Gegner skizziert und sich vom politischen Establishment abwendet, indem er seinen potentiellen Wählern Unabhängigkeit und Authentizität vermittelt. Beide Kandidaten profitieren davon, dass sie die Ängste der jeweiligen Bevölkerungsschicht, die sie adressieren, schüren. Mit dem Beginn der Debatten und der Vorwahlen ab Anfang 2016 wird auch eine Verlagerung der Inhalte einhergehen. Dann wird es verstärkt um konkrete politische Sachfragen und Probleme gehen. Die Autoren prognostizieren eine Schwächung der Kandidaten Trump und Sanders. Das Augenmerk der Medien werde sich dann verstärkt auf Hillary Clinton und Jeb Bush richten.

Tobias Endler betonte diesbezüglich die starke Tradition von politischen Familiendynastien innerhalb der USA und nennt als weitere Beispiele die Familien Kennedy und Roosevelt. Solche politischen Dynastien stellen jedoch keine konkrete Gefahr für die amerikanische Demokratie dar. Anders sieht es mit der starken ideologischen Polarisierung und dem massiven Einfluss von Geld auf die U.S.-Politik aus, da mittlerweile bekannt ist, dass ohne großzügige Spenden kaum noch Ämter zu bekommen sind. Für die Präsidentschaftswahl sehen die Autoren die größte Chance der Republikaner darin, dass es bisher kaum einmal einer Partei gelungen ist, drei Mal in Folge das Weiße Haus zu halten; jedoch muss ein republikanischer Kandidat einige wichtige Bundesstaaten von den Demokraten zurückgewinnen um eine reelle Chance zu haben. Hillary Clinton dagegen muss vermeiden, dass ihre Kandidatur als Selbstläufer gesehen wird.

 

Verleihung des Rolf-Kentner-Dissertationspreises 2015

2015.05.21 Parker

15. Oktober 2015

Am 15. Oktober 2015 fand am HCA die nunmehr sechste Verleihung des Rolf Kentner Dissertationspreises statt. Das Institut stellte außerdem die neuen Mitglieder des MAS und des Ph.D. Programmes einer breiteren Öffentlichkeit vor. Der größte Teil des Abends aber war der Preisverleihung gewidmet. Der Stifter ist einer der ältesten und aktivsten Förderer des HCA und Vorsitzender der Schurmann Gesellschaft. Der Preis wird an eine herausragende noch unveröffentlichte Doktorarbeit in den Amerikastudien verliehen, die an einer deutschen Universität eingereicht wurde.

Preisträger war in diesem Jahr Tom Kaden von der Universität Leipzig. Tom Kaden studierte Germanistik und Soziologie an der Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt/Main und an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau. Zudem ist er Mitglied des DFG-Graduiertenkollegs "Religiöser Nonkonformismus und kulturelle Dynamik" an der Universität Leipzig.

Nach einer kurzen Einführung durch Prof. Günter Leypoldt vom Anglisitischen Seminar der Universität Heidelberg erklärte Tom Kaden in seinem Festvortrag mit dem Titel „Die Entwicklung des amerikanischen Kreationismus seit 1960 bis in die Gegenwart. Eine soziologische Analyse“ dem zahlreich erschienenen Publikum, wie er sich in seiner Dissertation mit dem amerikanischen Kreationismus, den er als eine Form der religiösen Devianz sieht, beschäftigte. Konkret liegt der Fokus der Arbeit auf der soziologischen Erforschung des amerikanischen Kreationismus seit den späten 1950er Jahren. Der amerikanische Kreationismus hat sich danach als Reaktion eine Erwartungshaltung entwickelt, die ihm, meist in Form rechtlicher Entscheidungen, entgegengebracht wurde. Fundament des Streits sind die Weltanschauungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. In seinem Vortrag zeigt Tom Kaden die verschiedenen Varianten des Kreationismus auf und deren weitere Bedeutungen für den Forschungszweig, wie beispielsweise die Einschränkungen des Naturalismus, die ebenfalls erheblich variieren.

Tom Kaden folgert daraus, dass Kreationisten sich nicht unbedingt auf eine bestimmte Position festzulegen und diese gegenüber anderen verteidigen, sondern das jeder Kreationist einen die gesamte Gesellschaft betreffenden inneren Antrieb zur Veränderung hat. Die konfliktreiche Beziehung des Kreationismus zu seiner sozialen Umwelt begründet sich nicht zuletzt durch seinen Einfluss auf Teile des u.s.-amerikanischen Bildungssystems der USA. Zudem wirkt sich der rechtliche, vor allem aber massenmediale Erfolg des Kreationismus negativ auf diesen Konflikt aus. Tom Kadens Dissertation beschäftigt sich aber nicht primär mit der historischen Entwicklung des Kreationismus, sondern betrachtet zusätzlich die damit einhergehende gesellschaftliche Dynamik innerhalb der Wissenschaft. Die Ergebnisse dieses Transformationsprozesses werden als „science education“ und „Neuer Atheismus“ bezeichnet. Diese soziologischen Phänomene wirken sich wiederum auf die Entwicklung des Kreationismus aus. Sowohl der Kreationismus als auch dessen Gegenspieler bilden somit eine dynamische Einheit mit wechselseitiger Abhängigkeit. Dr. Kaden konnte als Folge dieser eben skizzierten Einheit strategische, ideologische und institutionelle Innovationen feststellen und nachweisen, dass das Verhalten der jeweiligen Konfliktseiten einen Einfluss auf das jeweils eigene Verhalten hat. Dieser aufschlussreiche, unterhaltsame und interessant illustrierte Vortrag erhielt viel Beifall. Der anschließende Empfang in der Bel Etage des HCA gab dem Publikum Gelegenheit, bei einem Drink die Ausführungen weiter zu debattieren.

 

Joan D. Hedrick: "Harriet Beecher Stowe and the Holiness Movement"

2015.05.21 Parker

13. Oktober 2015

Das achtzehnte Semester des Baden-Württemberg-Seminars des HCA eröffnete am 13. Oktober mit einem Vortrag von Joan D. Hedrick, der Charles A. Dana Professorin für Geschichte am Trinity College in Hartford, Connecticut, und Pulitzer Preisträgerin 1995. Professor Hedrick begann ihre Ausführungen mit einer kurzen Anekdote über den Ehemann der berühmten Autorin: Calvin Stowe, ein Pädagoge und Wissenschaftler, der zudem als literarischer Agent für seine Frau tätig war, reiste nach Europa, um Bücher für die Bibliothek des Lane Theological Seminary zu kaufen. Er schwärmte von der romantischen Ausstrahlung Heidelbergs, und Prof. Hedrick konnte sich dem nur anschließen. In den vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts waren sowohl die Vereinigten Staaten als auch die Kirchen des Landes tief über die Frage der Sklaverei gespalten. Zur selben Zeit gab es eine Reihe von Frauen, die als Seherinnen, Prophetinnen und Schriftstellerinnen bekannt wurden. Prof. Hedrick konzentrierte sich auf zwei dieser Frauen, Ellen White und Harriet Beecher Stowe, die Autorin, deren Anti-Sklaverei-Roman „Onkel Toms Hütte“ zu einem der meistverkauften Werke des neunzehnten Jahrhunderts wurde.

Der Roman basiert auf einer Vision, die Stowe bei einem Kirchenbesuch hatte. Statt des gekreuzigten Jesus Christus sah sie plötzlich einen ausgepeitschten Sklaven vor sich. Diese Vision wurde später zum am meisten diskutierte Kapitel ihres Romans. Indem sie Christus als Sklaven beschrieb, hatte Stowe einen Weg gefunden, ihre prophetische Kraft in ihrem Buch zu bündeln und bei ihren Leser sehr emotionale Reaktionen hervorzurufen. Viele der Visionen, die Stowe in ihrem Buch verarbeitet hatte, verbanden religiöse Traditionen mit amerikanischer Folklore.

Harriet Beecher Stowes Ideen hatten eine enorme Wirkung auf die amerikanische Kultur und die Politik des neunzehnten Jahrhunderts. Sie war eine äußerst konservative Frau, die tief im traditionellen Glauben verwurzelt war. Sie betonte oft, dass nicht sie „Onkel Toms Hütte“ geschrieben habe, „sondern Gott“. Prof. Hedrick führte aus, dass Stowes religiöse Prägung nicht aus dem Calvinismus ihrer Jugend herrührte, sondern aus dem „Holiness movement“ des neunzehnten Jahrhunderts. Diese Bewegung basierte auf klassischen christlichen Prinzipien und manifestierte sich bei kleinen Treffen in Privathäusern, wo sich die Teilnehmer über Religion und ihre Visionen austauschten, Gedichte vorlasen oder sich religiöse Geschichten erzählten. Prof. Hedrick wandte sich dann Ellen White zu, einer Prophetin und Mitbegründerin der „Seventh-day-Adventist-Church“. Im Vergleich zu Stowe war White in der Zeit des radikalen Adventismus weniger bekannt, ist aber für seine Geschichte nicht weniger wichtig.

Ellen White und ihre Familie waren Methodisten gewesen, bevor sie sich dem Baptistenprediger William Millers zuwandten, der verkündete, dass Jesus Christus am 22. Oktober 1844 auf die Erde zurückkehren würde. Dass dies weder an diesem noch an einen neu angesetzten Termin geschah, wurde später als die „große Enttäuschung“ bekannt. Ellen White war danach stets darüber besorgt, dass Jesus auf die Erde zurückkehren, jedoch nicht erkannt werden würde. White war kein Fan von „Onkel Toms Hütte“; sie hielt Literatur für Teufelswerk, aber sie erkannte, dass sie und Stowe viel gemeinsam hatten, wie beispielsweise ihre religiöse Erfahrung und das Problem, sich als Frauen in einer Männerwelt Gehör zu verschaffen. Für die Geschichte des amerikanischen Christentums waren beide von Bedeutung. Beide inspirierte ihre Kritik an der Komplizenschaft zwischen Kirchen und Sklavenhaltern. Beide sind Beispiele dafür, dass der Bürgerkrieg Frauen dazu ermächtigte, über die Themen Sklaverei und Freiheit zu sprechen, auch wenn Prophetin im neunzehnten Jahrhundert nicht als eine angemessene Rolle für eine Frau angesehen wurde. Insbesondere Stowe wies darauf hin, dass sie die Hoffnung hegte, dass jede Frau, die schreiben konnte, nicht über die Sklaverei schweigen würde. Sie war der Meinung, dass die Zeit gekommen sei, in der Frauen sich dazu ermächtigt fühlten zu sprechen. Abschließend lässt sich sagen, dass Stowes Roman „Onkel Toms Hütte“, ähnlich wie die Reden von White, dazu beitrugen, ihre Visionen und Vorstellungen zu popularisieren.

 

Podiumsdiskussion: "Der Adler, der Stier und der Bär: Die USA, Europa und Russland auf Konfrontationskurs?"

2015.05.21 Parker

14. Juli 2015

Am 14. Juli lud das HCA zu einer Podiumsdiskussion über aktuelle außenpolitische Fragen ein. Zu Gast waren John Deni vom Strategic Studies Institute (USA); Inna Melnykovska von der Freien Universität Berlin; Martin Thunert vom Heidelberg Center for American Studies; und Simon Weiß vom Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg. Im Zentrum der Diskussion stand der Konflikt in der Ukraine. Tobias Endler vom HCA moderierte die Diskussion und leitete in die Thematik ein, indem er eine aktuelle Aussage des ehemaligen Sicherheitsberaters des US-amerikanischen Präsidenten Carter, Zbigniew Brzezinski, zitierte: „Wir sind längst im Kalten Krieg“. Doch was genau bedeutet die Ukrainekrise heute? Wie konnte es soweit kommen? Und ist eine Lösung überhaupt in Sicht?

Inna Melnykovska begann ihre Ausführungen mit einem Blick auf die angespannte Situation in der Ukraine und die seit neuestem wieder eskalierenden Gefechte. Sie wandte sich dann dem Problem der Binnenflüchtlinge zu. Ihre tatsächliche Zahl ist nur schwer abzuschätzen, da nur wenige offiziell registriert sind; die ukrainische Bevölkerung engagiert sich jedoch sehr für diese Menschen. Schwierig steht es zudem noch um die politischen und wirtschaftlichen Reformen, so dass sich in der Ukraine nebenbei noch eine weitere Krise entwickelt. Das BIP ist im letzten Jahr um acht Prozent gesunken, was viele Menschen vor zusätzliche Schwierigkeiten stellt.

Doch wie sieht die Ukraine die Rolle Russlands? Simon Weiß hob hervor, dass die aktuelle Situation für beide Seiten neu ist. Der Bruch geht auch durch viele russische Familien, von denen nicht alle Putin favorisieren. Jedoch ist diese Stimmung nicht vergleichbar mit der zu Zeiten der Maidan-Bewegung. Russland baut auf den Minsk II Prozess, der auf einem Abkommen vom Februar zur Deeskalation des Krieges in der Ost-Ukraine basiert. Bereits nach der Unterzeichnung wurde angezweifelt, ob die Waffenruhe eingehalten und der Abzug schwerer Waffen erfolgen würde.

John Deni bezweifelte, dass der Ukrainekonflikt für die USA eine außenpolitische Priorität hat. Für das State Department ist die Ukraine eher im europäischen Kontext relevant. Es geht primär um Souveränität, Schutz der Grenzen und Allianzen innerhalb Europas, weniger um wirtschaftliche Hilfe aus den USA. Die Amerikaner sind davon ausgegangen, dass die Grenzen in Europa festgelegt sind; Putin hat gezeigt, dass dem nicht so ist. In der Ukrainekrise ist wieder deutlich geworden, was Unsicherheit eigentlich bedeutet.

Martin Thunert hob hervor, dass es in den USA keine einheitliche Meinung zum Thema gibt. Der offiziellen Meinung der Obama-Administration steht oft die öffentliche Meinung gegenüber. Putins Politik bezeichnete er als expansiv; die Unterstützung der Separatisten hat nicht die Vorbereitung eines Einmarsches zum Ziel, sondern das Kippen des europäischen Projekts in der Ukraine und eine permanente Destabilisierung. Nur so kann Russland eine Annäherung der Ukraine an die EU verhindern.

Wie geht es also weiter? Gegen einen allgemeinen Expansionismusvorwurf setzte Simon Weiß das Konzept des sogenannten „neuen Auslands“, eine Zone privilegierter Interessensgebiete aus der Sicht Russlands. Die Ukraine ist das wichtigste Land in dieser Zone. Es gibt keine Versuche einer oder Andeutungen über eine Invasion. Die Kernstaaten der NATO ziehen eine rote Linie, und ihre jeweilige Bevölkerung steht hinter ihnen; sie wollen keine NATO-Ost-Erweiterung. Es gibt eine gewisse Bereitschaft der USA, Raketen in Osteuropa zu stationieren. Russland ist deswegen alarmiert und sieht die NATO als Hauptproblem.

Inna Melnykovska sagte, die Ukraine ist verwundert, dass die NATO das Hauptproblem sein soll; vielmehr geht es um die Legitimation des Regimes und darum, dass Russland plötzlich gegen westliches Recht verstößt. Mit dem Budapest Memorandum sicherte Russland unter anderem der Ukraine zu, ihre Souveränität und die bestehenden Ländergrenzen anzuerkennen und die Ukraine zu unterstützen. Melnykovska bekräftigte, dass die Proteste viele Faktoren hatten, sowohl innere als auch äußere, die jeweils unterschiedlich gewichtet seien. Die Gründe, warum aus einem kleinen Protest ein großer Protest wurde, sind jedoch intern. Nichts davon hat mit der EU zu tun. Doch vieles ist auch geschafft, es geht voran im Land. So ist ein neuer Präsident gewählt worden und das Parlament macht dieses Jahr keine Sommerferien, sondern arbeitet weiter. Die russischen Gas-Lieferungen in die Ukraine werden dort als eine Art Droge angesehen, die eine wirtschaftliche Entwicklung nicht zulassen. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland werden somit nicht positiv betrachtet. Alle Diskutanten waren sich einig, dass eine stärkere Anbindung der Ukraine an den Westen unwahrscheinlich ist. Die USA sind gegen eine NATO-Erweiterung in Bezug auf die Ukraine und eine Anbindung an den Westen ist für die Ukraine kein Ersatz für die bisherigen russischen Wirtschaftsbeziehungen.

 

Loïc Wacquant: "From Venice to Chicago: The Making and Unmaking of the Ghetto"

2015.05.21 Parker

24. Juni 2015

Das Baden-Württemberg Seminar des HCA ging am 24. Juni mit einem Vortrag von Loïc Wacquant zu Ende. Loïc Wacquant ist Soziologieprofessor an der University of California in Berkeley, wo er auch mit dem Program in Medical Anthropology und am Center for Urban Ethnography affiliiert ist, und forscht am Centre de sociologie européenne in Paris. Seine Arbeit zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie so diverse Forschungsfelder wie den Körper, urbane Ungleichheit, Ghettoisierung und Gefängnisse verknüpft. Am HCA sprach er über das Entstehen und Verschwinden des Ghettos, von Venedig bis Chicago.

Professor Wacquant begann seinen lebhaften Vortrag, indem er darauf hinwies, dass Historiker, Soziologen und Anthropologen zwar reichlich über das Ghetto publiziert haben, aber dass diese Forschung aber kein robustes analytisches Konzept des Ghettos hervorgebracht hat. Er stellte dann genau dieses Konzept vor, das das Ghetto also eine sozio-räumliche Institution mit einer doppelten Mission sieht: Eine entrechtete Gruppe gleichzeitig zu isolieren und auszubeuten. Seine Kategorien lassen sich gleichermaßen auf die jüdischen Ghettos der Renaissance, das afroamerikanische Ghetto in den USA zu Fords Zeiten und die Wohndistrikte der Burakumin im Japan der post-Tokugawa Ära anwenden. Sein Modell unterscheidet sich jedoch von dem Begriff, der in den USA im neunzehnten Jahrhundert im Umlauf war.

Danach verband man mit dem Begriff zunächst die jüdischen Viertel in den Städten der Ostküste, später, um die Jahrhundertwende, alle innerstädtischen Viertel, in denen exotisch anmutende Neuankömmlinge lebten, auch die Afroamerikaner, die dem rassistischen Leben in den Südstaaten entfliehen wollten. Das Ghetto war demnach an der Kreuzung zwischen ethnisch geprägten Viertel und Slum angesiedelt, wo, so glaubte man, sich Segregation mit heruntergekommener Bausubstanz, Überbelegung, Kriminalität, Zusammenbruch von Familienstrukturen und Pauperismus einherging.

Diese Vorstellung verengte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht zuletzt durch den Druck der Bürgerrechtsbewegung, und bezeichnete nun nur noch die kompakten und überbelegten Konklaven, in die man die Afroamerikaner relegiert hatte, die in die Industriezentren des Nordens gezogen waren. Zur gleichen Zeit popularisierten europäische Sozialwissenschaftler das Konzept und mit ihm die Furcht vor einer „Amerikanisierung“ der Metropolis im Angesicht postkolonialer Immigration und postindustrieller wirtschaftlicher Restrukturierung.

Professor Wacquant entwickelte darauf sein eigenes Modell, das von den Ghettos der europäischen Renaissance ausgeht. Sie waren abgesonderte Wohngebiete, die die politischen und religiösen Autoritäten der jüdischen Bevölkerung zuwiesen, zunächst, um ihre Ansiedlung zu begünstigen, dann, um sie zu kontrollieren. Das Ghetto war der Ort, wo man materielle Profite maximieren und gleichzeitig intimen Kontakt mit einer stigmatisierten Gruppe minimieren konnte. Diese Absonderung führte zur Überbelegung, Niedergang der Bausubstanz, und hohen Krankheits- und Sterberaten, aber sie unterstützte auch die Blüte eigener Institutionen und eine kulturelle Konsolidierung, die sich in eigenen Märkten, Berufsverbänden, Wohlfahrtsinstitutionen, Gemeinden und Universitäten niederschlug.

Das Ghetto der Renaissance enthielt bereits die vier Elemente, die die Institution heute charakterisieren: Stigma, Zwang, räumliche Restriktion und parallele Institutionen. Wacquants Modell sieht das Ghetto nicht nur als einen Ort, an dem das Schwert der dominanten Gruppe omnipräsent ist, sondern auch als ein organisatorisches Schild, das die Bildung einer geschlossenen Identität ermöglicht, die wiederum zu Widerstand oder sogar einer Revolte führen kann. Professor Wacquant wies außerdem darauf hin, dass die beste Analogie für das Ghetto nicht heruntergekommene Stadtviertel sind sondern vielmehr andere Ausprägungen des erzwungenen Zusammenlebens wie Gefängnisse, Reservationen oder Lager.

Zum Schluss seines Vortrags wies Professor Wacquant auf die Verbindungen zwischen Ghettoisierung, Segregation und Armut hin und erläuterte einen idealtypisch konstruierten Gegensatz zwischen Ghetto und ethnischem Wohnviertel, mit dessen Hilfe man die Schicksale von stigmatisierten Populationen in unterschiedlichen Städten, Gesellschaften und Epochen vergleichen kann.

 

The Performing Arts Club of the HCA: "The Poet Emily Dickinson"

2015.05.21 Parker

11./12. Juni 2015

Seit Mai 2014 hat das HCA eine neue studentische Initiative – den Performing Arts Club. Unter Leitung von Ida Bahmann und Hanna Konradt wandte sich die Gruppe zunächst dem Improvisationstheater zu. Mit Übungen für Körper und Stimme tasteten sich die Spielerinnen an literarische Texte heran. Zu Beginn des Wintersemesters 2014/15 fiel die Entscheidung, ein eigenes Stück zu inszenieren und dieses im kommenden Sommer aufzuführen.

Da alle Mitglieder des Performing Arts Club junge Frauen sind, war schnell klar, dass das Werk einer amerikanischen Autorin im Mittelpunkt stehen sollte. Aufgrund ihrer Facettenvielfalt fiel die Entscheidung zugunsten der Gedichte von Emily Dickinson. In ihrer Lyrik behandelt die Dichterin Themen wie Religion, Natur, Schmerz oder auch den Tod.

In einem selbsterdachten Stück mit ausgewählten Gedichten und Briefen Dickinsons im Zentrum stellte jede Spielerin einen anderen Aspekt dieser Lyrik dar, die sich teilweise auch widersprechen: Die religiöse Emily; die vor Schmerzen Jammernde, die mit der Welt hadert; die Naturverbunde, die aber das Zimmer nicht verlassen will. Die verschiedenen Emilys standen dabei auch für verschiedene Lebensabschnitte der Dichterin.

Die Premiere des Stückes fand am 11. Juni im Theater im Romanischen Keller statt und der rege Besucherandrang sorgte für eine ausverkaufte Vorstellung. Auch die zweite und letzte Vorstellung am 12. Juni war sehr gut besucht. Im Allgemeinen war die Resonanz nach den Aufführungen sehr positiv und der Performing Arts Club würde gerne im nächsten Jahr ein neues Projekt starten.

William L. Andrews: "James W.C. Pennington and Mark Twain: Slavery and the Moral Conscience of American Literature" (Pennington Award 2015)

2015.05.21 Parker

9. Juni 2015

Am 9. Juni 2015 feierte das HCA die vierte Verleihung des James W.C. Pennington Awards. Der diesjährige Preisträger, William L. Andrews, wurde für seine Forschungen zur afroamerikanischen Literaturgeschichte ausgezeichnet. Der Preis ist nach James W.C. Pennington benannt, einem ehemaligen Sklaven, der 1849 die Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg verliehen bekam. Er war der erste Afroamerikaner, dem diese Ehre zuteil wurde. Die Manfred Lautenschläger Stiftung legte den Grundstock für die ersten Forschungsaufenthalte, die mit dem Pennington Award verbunden sind.

Rektor Prof. Dr. Bernhard Eitel eröffnete die Feierlichkeiten mit einer kurzen Ansprache, in der er die Zusammenarbeit der Theologischen Fakultät, der ältesten der Universität, mit der einer der jüngsten Forschungseinrichtungen, dem Heidelberg Center for American Studies, hervorhob.

Dr. h.c. Manfred Lautenschläger gratulierte dann zunächst dem Preisträger und stellte darauf kurz das Leben und Wirken von James W.C. Pennington vor, dessen Geschichte und Vermächtnis er als sehr bewegend bezeichnete. Pennington entkam mit 21 Jahren der Sklaverei und wurde einer ihrer nachdrücklichsten Gegner. Er lernte Lesen und Schreiben, besuchte als erster Afro-Amerikaner die Yale Divinity School und wurde anschließend zum Pfarrer geweiht. Im Jahr 1849 wohnte er dem Weltfriedenskongress in Paris bei, wo er den Heidelberger Professor Friedrich Carové kennenlernte, der sich in Heidelberg für die Verleihung eines Ehrendoktors an Pennington einsetzte.

Nach dieser kurzen Historie zum Preis hielt Prof. Dr. Jan Stievermann vom HCA die Laudatio auf den Preisträger. William L. Andrews ist E. Maynard Adams Professor of English an der University of North Carolina-Chapel Hill. Er erwarb seinen M.A. an der University of North Carolina-Chapel Hill und promovierte auch dort. Bevor er seine Professur an der UNC erhielt, lehrte Professor Andrews an der Texas Tech University, the University of Wisconsin-Madison, der Justus Liebig Universität Gießen, und der University of Kansas. Seine Forschung konzentriert sich auf die Beiträge schwarzer und weißer Autoren zur amerikanischen Literatur und ihre historischen Verflechtungen, sowie auf die Literatur der Afroamerikaner und der Südstaaten.

Zu Beginn seines Vortrags betonte Prof. Andrews, dass die literarische Auseinandersetzung mit der Sklaverei nicht nur James Pennington und Mark Twain verbindet, sondern auch die amerikanische Literatur besonders beeinflusst hat. Twains Geschichte von Huckleberry Finn und dem Sklaven Jim war möglicherweise durch Penningtons Vergangenheit als Sklave in Maryland inspiriert. In Penningtons 1841 verfasster Autobiographie, die acht Jahre später unter dem Titel „The Fugitive Blacksmith“ erschien, verwendet er seine eigene Geschichte, um die Sklaverei anzuprangern. Er argumentiert, dass Sklavenhalter keine wahren Christen sein können, ganz gleich, wie sie ihre Sklaven behandeln. Pennington verstand Sklaverei als eine Übertretung der göttlichen Gebote und Bildung als das beste Mittel zu ihrer Abschaffung der Sklaverei. Pennington beschrieb außerdem das moralische Dilemma, das sich ihm stets auf seiner Flucht stellte, sobald er nach seiner Herkunft gefragt wurde. Er entschied sich jedoch, seine Freiheit durch Lügen zu schützen anstatt sie durch Ehrlichkeit zu riskieren.

Prof. Andrews führte dann aus, dass etliche amerikanische Romane aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg sich um diese Fragen nach der Moral der Sklaverei und guter christlicher Lebensführung drehen, darunter Mark Twains The Adventures of Huckleberry Finn. Die Erzählung ist eine kritische Betrachtung der Sklaverei, die Sympathie für die entlaufenen Sklaven wecken will und Penningtons Dilemma aufgreift. So gibt Huck Finn vor, dass sein Boot mit Pocken infiziert ist, um Sklavenjäger davon abzuhalten, nach dem entlaufenen Sklaven Jim zu suchen. Hucks dreiste Lüge verletzt ein christliches Gebot um ein anderes durchzusetzen. In Hucks Taten manifestiert sich christliches Handeln; in dieser Hinsicht ist die Geschichte eine klassische Sozialkritik, die der amerikanischen Gesellschaft – nicht nur in den Südstaaten – einen Spiegel vorhält. Prof. Andrews hält es für sehr wahrscheinlich, dass Twain mit Penningtons Schicksal vertraut war und es ihm unter Umständen als literarische Vorlage gedient hat. Im Vergleich zum gebildeten Pennington jedoch scheint Twains Jim sehr geerdet zu sein. Ein Vergleich beider Texte macht aber klar, dass weder mit Pennington noch mit Jim zu spaßen war, wenn es um ihre Freiheit ging.

Im Anschluss an den Vortrag und die feierliche Preisverleihung lud das HCA seine Gäste zu einem Empfang im Garten ein.

 

Lloyd Ambrosius: "World War I and the Paradox of Wilsonianism"

2015.05.21 Parker

2. Juni 2015

Zur ersten Juniveranstaltung seines Baden-Württemberg Seminars begrüßte das HCA Llyod E. Ambrosius, den Samel Clark Waugh Distinguished Professor für Internationale Beziehungen an der University of Nebraska-Lincoln. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der amerikanischen Außenpolitik, der Geschichte der amerikanischen Präsidentschaft und der internationalen Geschichte. Er war Fulbrightprofessor in Köln und Heidelberg sowie Mary Ball Washington Professor für amerikanische Geschichte am University College Dublin. Aktuell ist er der Vize-Präsident (2013-2015) und zukünftige Präsident (2015-2017) der Society for Historians of the Gilded Age and Progressive Era.

Professor Ambrosius begann seinen Vortrag zum Thema “World War I and the Paradox of Wilsonianism” mit einer Definition des Wilsonianism, der eine Reihe von außenpolitischen Perspektiven und Prinzipien umfasst, darunter die nationale Selbstbestimmung, das Eintreten für Kapitalismus und Demokratie, eine globale Wirtschaft, den Widerstand gegen Isolationismus und Nicht-Interventionismus, sowie der Glaube an die kollektive Sicherheit und einen fundamentalen Glauben an den historischen Fortschritt, über den man optimistisch sein kann. „Wilsonianism“ beschreibt ursprünglich die Politik Woodrow Wilsons, des 28. Präsidenten der USA, der seine „14 Punkte“, seine Ideen eines liberalen Internationalismus und einer friedlichen Weltordnung in seiner berühmten Rede vor dem amerikanischen Kongress am 8. Januar 1918 zusammenfasste. Professor Ambroisius betonte, dass Wilsons Ideen in der amerikanischen Außenpolitik ihren Platz haben, auch wenn sich Wilsons Idee einer friedlichen Weltordnung nicht umsetzen ließ.

Laut Professor Ambrosius basierte Wilsonianism auf Wilsons traditionellem Bild von Amerika, das politische Prinzipien der Alten und Neuen Welt vereinte und bis ins 18. Jahrhundert zurückreichte. Sein Amerikanismus formte den Wilsonianism. In seiner Kriegsbotschaft an den amerikanischen Kongress am 2. April 1917 betonte Wilson, dass ein Aufruf zum Krieg gegen Deutschland, einem Krieg gegen die Menschheit, einem Krieg gegen alle Nationen gleichkäme. Er führte sein Verständnis der Außenpolitik aus: Amerika sollte Freiheit in der Welt verbreiten und diese sicher für die Demokratie machen. Die USA hatten die gottgegebene Aufgabe, der Menschheit zu helfen. Aber Wilson war auch ein Südstaatler und identifizierte sich sehr mit dem Süden. Sein politisches Konzept resultierte in einer globalen „color line“. Wilson identifizierte sich außerdem mit dem britischen Weltreich zu einer Zeit, als viele Briten und Amerikaner begonnen hatten, es abzulehnen. Für ihn befanden sich die Bewohner Afrikas bildlich gesehen am Boden einer Flasche und die Bewohner des Westens am Flaschenhals; sie symbolisierten die Freiheit, die Wilson in der ganzen Welt verbreiten wollte. Wilsonianism war eine Ansicht des Westens für den Westen.

Professor Ambrosius untersuchte in seinem Vortrag die Idee des Wilsonianism und ihre amerikanischen Wurzeln. Er wies auch auf die Dilemmata und Meinungsverschiedenheiten im Zusammenhang mit dem Wilsonianism hin. So machte er beispielsweise deutlich, dass die amerikanische Regierung mit vielen problematischen Folgen zu rechnen gehabt hätte, wenn sie die gesamte Idee des Wilsonianism für ihre Außenpolitik adaptiert hätte. Das Problem bestand darin, dass Wilsonianism und der kulturelle Pluralismus in der Welt sowie globale wirtschaftliche und politische Abhängigkeiten nicht vollständig kompatibel sind.

 

Christopher Parker: "Identifying the Roots of Reactionary Movements: A Comparative Analysis of European and American Cases"

2015.05.21 Parker

21. Mai 2015

Das HCA setzte sein Baden-Württemberg Seminar fort mit einen Vortrag von Christopher Parker, dem Stuart A. Scheingold Professor of Social Justice and Political Science am Institut für Politikwissenschaft der University of Washington, Seattle. Prof. Parker erhielt 2001 seinen Ph.D. von der University of Chicago. Sein Vortrag „Identifying the Roots of Reactionary Movements: A Comparative Analysis of European and American Cases” zeigte die Verbindungen zwischen reaktionären Bewegungen der Vergangenheit und der Gegenwart auf und analysierte so die Beweggründe und den politischen Einfluss der amerikanischen Tea Party. Er konzentrierte sich auf folgende Fragen: Ist die Tea Party die Zukunft der Republikaner? Sind ihre Anhänger vor allem wirtschaftlich motiviert? Oder sind es einfach nur sehr konservative Bürger? Sind sie Rassisten? Beruht ihre Opposition gegen Präsident Obama auf dessen Hautfarbe? Prof. Parker bot dem Publikum im Atrium einige neue Perspektiven auf diese Fragen; für ihn sind die Anhänger der Tea Party eine politische Bewegung, die vor allem von der Furcht getrieben wird, dass sich Amerika zum Schlechteren verändert hat. Prof. Parker verwies auch darauf, dass die Unterstützer der Tea Party nicht unbedingt rassistisch sind und dass sie auch nicht einfach nur von ihrer Ideologie geleitet werden. Er glaubt vielmehr, dass sie sich davor fürchten, ihr Land zu verlieren und dass sie befürchten, dass Amerika nicht länger Eigentum der „wirklichen Amerikaner“ ist. Diese Furcht rückte in den Vordergrund, als Barack Obama Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wurde.

Prof. Parkers Analyse zahlreicher Interviews mit Unterstützern der Tea Party ergab, dass es unter ihnen viele Skeptiker gibt sowie zahlreiche traditionelle Konservative, die beispielsweise gleichgeschlechtliche Ehen ablehnen. Auch der Rassismus spielt eine Rolle. Prof. Parker wies darauf hin, dass diese Kombination in der amerikanischen Politik weder ungewöhnlich noch neu ist. Konservative Bewegungen entstehen häufig, wenn eine Gruppe von Bürgern denkt, dass die sozialen Veränderungen eines Landes seine klassischen Werte verdrängen. Der wichtigste politische Wert für Sympathisanten der Tea Party ist das „wirkliche Amerika“. Sie sind sich durchaus des demographischen Wandels in den USA bewusst. In den 1970er Jahren waren etwa 80 Prozent der amerikanischen Bevölkerung weiß; heute sind es nur noch etwa 60 Prozent. Viele Anhänger der Tea Party machen kurioserweise Obama dafür verantwortlich. 74% von ihnen denken, dass Obama ihr Land zerstört, und die meisten glauben nicht, dass Obama überhaupt in den USA geboren wurde oder christlichen Glaubens ist. Ihrer Ansicht nach liebt Obama nicht dasselbe Land wie sie. Die Tea Party wird oft als eine konventionelle konservative Bewegung charakterisiert, welche das Ziel verfolgt, Steuern zu senken, Budgets auszugleichen und soziale Programme abzuschaffen. Prof. Parker dagegen sieht sie als reaktionäre Bewegung und führte einige ihrer Vorläufer an: den Ku Klux Klans der 1920er Jahre oder die John Birch Society der 1950er Jahre. Seinem lebhaften Vortrag folgte eine ebenso lebhafte Diskussion mit dem Publikum.

 

John Corrigan: "Religious Intolerance and American Foreign Policy"

2015.05.21 Parker

12. Mai 2015

Am 12. Mai setzte das HCA sein Baden-Württemberg Seminar mit einem Vortrag von John Corrigan fort, dem Lucius Moody Bristol Professor für Religion und Professor für Geschichte an der Florida State University, der augenblicklich als Fulbright Distinguished Research Chair am Roosevelt Studies Center in Middelburg, Holland, ist. Prof. Corrigan eröffnete seinen Vortrag “Religious Intolerance and American Foreign Policy” mit einem vielsagenden Fall, der die United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF) betrifft. Im Jahr 2009 bot USCIRF einer Rechtsanwältin aus Arkansas, die fließend Hindu und Urdu spricht, eine Stelle in Süd-Asien an. Sie sollte dort die religiöse Freiheit und die Menschenrechtssituation analysieren. Nach kurzer Zeit aber wurde sie wieder entlassen, mutmaßlich wegen ihres muslimischen Glaubens, der mit den Vorstellungen ihrer Vorgesetzten, einer streng konservativen Katholikin kollidierte. Die daraus resultierte Klage wird sich zwar noch einige Zeit hinziehen, aber Prof. Corrigan ist davon überzeugt, dass sie für USCIRF nicht gut ausgehen wird. So stellt sich die Frage, ob Religionsfreiheit überhaupt existiert. Um sie zu beantworten, blickte Prof. Corrigan zunächst weit in die amerikanische Gesichte zurück. Er wies darauf hin, dass die Geschichte der religiösen Intoleranz in den Vereinigten Staaten mit den Puritanern begann, die, anders als oft angenommen, religiöse Toleranz in den Kolonien keineswegs förderten, auch wenn sie ihr Heimatland aus genau diesem Grund verlassen hatten. Sie verlangten Glaubensfreiheit für sich, aber tolerierten keine anderen christlichen Glaubensrichtungen und vertrieben Katholiken und Quäker aus der Kolonie Massachusetts. John Winthrop’s “city upon a hill” ließ keinen religiösen oder politischen Dissens zu. Die amerikanische Geschichte bietet viele Beispiele für religiöse Intoleranz. Speziell der Antikatholizismus erwies sich als langlebig und hartnäckig und befeuerte beispielsweise 1844 die sogenannten Bibelunruhen in Philadelphia. Bereits sechs Jahre zuvor hatte der Gouverneur von Missouri, Lilburn Boggs, mit der Executive Order 44, die als „Vernichtungsanordnung“ bekannt wurde, alle Mormonen aus Missouri vertrieben.

Prof. Corrigan wies außerdem darauf hin, dass seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts viele Schulbücher diese blutigen religiösen Konflikte entweder verharmlost oder nur am Rande erwähnt haben. Stattdessen entwickelten sie ein gradliniges Narrativ über religiöse Toleranz und Religionsfreiheit, das sich nicht zuletzt bei Politikern großer Beliebtheit erfreut. Zwar lehnten die Vereinigten Staaten schon bei ihrer Gründung eine Staatsreligion ab und betonten die Trennung zwischen Kirche und Staat, aber dies geschah vor dem Hintergrund einer versteckten, aber einflussreichen Religion. Wie wirkt sich also eine unterdrückte Geschichte religiöser Konflikte auf die amerikanische Außenpolitik aus? Die Idee von religiöser Freiheit ist Teil der nationalen Identität und ein politisches Prinzip geworden. Obwohl dieses Prinzip in aller Munde ist, lässt es sich in der U.S.-Außenpolitik nicht einfach umsetzen. Prof. Corrigan nannte als ein Beispiel der War on Terror und die eingangs geschilderte Geschichte des USCIRF als ein weiteres. Er vermutet, dass es in der Umsetzung der amerikanischen Außenpolitik viele Vorgänge gibt, in denen die Religionsfreiheit geschützt werden soll, aber gleichzeitig Mitarbeiter wegen ihres Glaubens entlassen werden.

 

James D. Bindenagel: "Does the West Still Matter? America and Europe in the Twenty-First Century" (HCA Commencement 2015)

2015.05.21 Parker

24. April 2015

Am 24. April fand die Abschlussfeier der BAS und MAS Jahrgänge von 2015 statt, wie jedes Jahr in der Aula der Alten Universität. Universitätsrektor Prof. Dr. Bernhard Eitel eröffnete die Zeremonie und griff das Motto der Universität auf: „semper apertus“ (immer offen). Die Absolventen stünden nun vor offenen Türen und könnten morgen damit beginnen, die Welt zu verändern. Der Prodekan der Philosophischen Fakultät, Prof. Dr. Henry Keazor, erinnerte die Absolventen nicht nur daran, dass sie die Welt verändern könnten, sondern auch daran, dass sie sich auch stets ihrer Wurzeln in Heidelberg erinnern sollten, ein Ort um zu leben, zu studieren und zurückzukehren. Prof. Dr. Dr. h.c. Detlef Junker, der Gründungsdirektor des HCA, begrüßte dann die Absolventen und ihre Familienmitgliedern sowie die Freunde des HCA. Er verwies darauf, dass die Absolventen von ihrem interdisziplinären und umfassenden Studium profitieren würden und regte an, dass sie jeden Tag an ihren Fähigkeiten arbeiten müssten, um ihr Wissen über die Politik, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft der USA nutzbringend anzuwenden. Er stellte dann den Gastredner als einen echten Transatlantiker vor.

James D. Bindenagel ist ein ehemaliger US-Botschafter, ein Karrierediplomat und Deutschlandexperte in Deutschland und augenblicklich der Inhaber der Herny-Kissinger-Professur für Governance and International Security an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Er begann seine Festrede mit einem Vergleich zwischen den HCA Studenten und den transatlantischen Beziehungen – in beiden Fällen basiert Freundschaft darauf, dass man sich vertrauen und Ziele gemeinsam erreichen kann. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind ein Kind des Zweiten Weltkriegs und in gewisser Hinsicht auch der Containmentpolitik des amerikanischen Präsidenten Harry Truman. Sie bildeten über Jahrzehnte eine Säule der amerikanisch-europäischen Partnerschaft, sowohl in militärischer wie in wirtschaftlicher Hinsicht. Sie waren auch eine Säule der U.S. Außenpolitik; jetzt aber schlägt Prof. Bindenagel vor, dass man die Frage, ob der Westen noch eine Rolle spielt, neu formuliert: „Ist diese große Übereinkunft noch gültig?“ Präsident Obama hat wiederholt betont, dass die USA keinen besseren Partner als Europa haben; für Prof. Bindenagel ist es genau umgekehrt – Europa hat keinen besseren Partner als die USA.

Die Festrede wandte sich dann dem Thema Freiheit zu, das zum politischen Kernverständnis beider Nationen gehört. Prof. Bindenagel erinnerte das Publikum in der Alten Aula daran, dass kein Ereignis in der deutschen Geschichte dieses Thema so illustriert wie der Fall der Berliner Mauer vor 25 Jahren. Dieses Ereignis markiert auch den Beginn eines Wandels in den transatlantischen Beziehungen; sie haben ihre Wichtigkeit seit 1989 immer wieder unter Beweis gestellt, zuletzt in der Ukrainekrise. Sie hat gezeigt, dass der Frieden in Europa keineswegs selbstverständlich ist. Gleichzeitig aber haben die USA und ihre Partner zahlreiche außenpolitische Herausforderungen zu meistern: die Krise im Nahen Osten, das Auftauchen des IS oder die Lage in Nordkorea, um nur einige zu nennen. Auch wenn die TTIP Verhandlungen und die NSA Affären das deutsch-amerikanische Verhältnis belasten, erinnerte Prof. Bindenagel die Absolventen daran, dass sie das am HCA erworbene Wissen stets darauf verwenden sollten, die Freiheit zu verteidigen. Europa und die USA müssten zusammenhalten. Prof. Bindenagel ermutigte die Studenten, ihre eigene Antwort auf die Frage zu finden, welches Gewicht der Westen noch habe. Er endete seine Festrede mit einem Zitat aus der Antrittsrede des ehemaligen südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela: „Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind, befreit unsere Gegenwart automatisch andere.“

Auf ein musikalisches Intermezzo mit Joscha Sörös am Klavier und Jan Prax am Saxophon und die Zeugnisvergabe folgte die launige Rede der beiden Jahrgangsbesten, Leah Karels und Everett Messamore. Im Anschluss feierten die Absolventen, ihre Familien und Freunde bei einem Empfang am HCA, wo das Buffet und eine Bar zur ausgelassenen Stimmung beitrugen. Angeregte Gespräche und der Austausch von Erinnerungen und Zukunftsplänen rundeten den gelungenen Abend ab. Einen herzlichen Glückwunsch an alle Absolventen!

 

Ausstellung: "Hinter Stacheldraht. Kriegsgefangene in Deutschland und den USA"

2015.05.21 Parker

19. März bis 23. April 2015

Im Zweiten Weltkrieg kämpften mehr als zwei Millionen amerikanische Soldaten in Europa. Bei Kriegsende befanden sich etwa 90.000 von ihnen in deutscher Kriegsgefangenschaft, während etwa 370.000 Kriegsgefangene in den USA interniert waren. Die Ausstellung „Hinter Stacheldraht” warf ein Licht auf den Alltag in Kriegsgefangenenlagern auf beiden Seiten des Atlantiks. Die mehr als vierzig Schautafeln illustrieren die Gefangennahme, das Leben in den Lagern, die Rückkehr nach Hause und die Versöhnung nach dem Krieg.

Alle Erfahrungen von Kriegsgefangenen drehen sich um Krieg und Frieden, Rechtsprechung im Kriegszustand, Menschenrechte und internationale Versöhnung, aber die alltäglichen Erfahrungen in den Lagern hätten unterschiedlicher nicht sein können. Viele amerikanische Kriegsgefangenen überlebten nur mit Hilfe von Essensrationen und Medikamenten, mit denen sie das Rote Kreuz versorgte; deutsche Kriegsgefangene in den USA arbeiteten dagegen oft außerhalb der Lager, etwa bei der Erntehilfe, beim Straßenbau, oder beim Bau von Kanalisation und Wohnungen. Im Mittleren Westen stießen sie dabei oft auf Amerikaner, die noch Deutsch sprachen; manchmal trafen sie sogar Verwandte oder frühere Nachbarn aus Deutschland.

Andererseits kamen mehr als die Hälfte der amerikanischen Kriegsgefangenen aus dem Mittleren Westen, und viele von ihnen hatten deutsche Wurzeln. Die Ausstellung dokumentierte mehrere Fälle dieser „entangled history”: Einige Farmer brachten CARE Pakete auf den Weg nach Deutschland, nachdem „ihre” Kriegsgefangenen dorthin zurückgekehrt waren; viele schrieben sich noch jahrelang, und man schätzt, dass fünf Prozent der deutschen Kriegsgefangenen in die USA emigriert sind. In den amerikanischen Lagern begegneten deutsche Soldaten amerikanischen Werten wie Demokratie und individueller Freiheit und prägten nach ihrer Rückkehr als Lehrer, Bürgermeister oder Journalisten die deutschen Nachkriegsinstitutionen. Der dritte Teil der Ausstellung erkundete ein bis heute wenig bekanntes Kapitel der amerikanischen Geschichte, die Internierung von etwa 11.000 Deutsch-Amerikanern und Deutschen, die bei Kriegsausbruch in den USA lebten. Mehr als 2.000 von ihnen wurden während des Zweiten Weltkriegs gegen amerikanische Zivilinternierte ausgetauscht und zurück nach Deutschland gebracht; diese Deportationen setzten sich auch nach Kriegsende fort.

Die Ausstellung wurde mit einem Vortrag von Professor Jörg Seiler eröffnet, dem Vorsitzenden des „Verein Spuren”, dem deutschen Gegenstück des “Traces”-Projekts in St. Paul, das die Ausstellung konzipiert und umgesetzt hat. Prof. Seiler betonte in seinem Eröffnungsvortrag: „Indem wir Geschichte erzählen, leben wir Geschichte, um nicht Gefangene des eigenen oder kollektiven Schicksals zu werden“. Während der Vernissage und in den folgenden fünf Wochen führten die Besucher im HCA Atrium viele anregende Gespräche.

 

Photo Gallery: Exhibition "Behind Barbed Wire"

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Norbert Röttgen: "Jenseits von Spionen und Sanktionen – gibt es eine transatlantische Agenda für die Zukunft?" (HCA trifft...)

2015.02.10 Roettgen

10. Februar 2015

In seiner Veranstaltungsreihe „HCA trifft…“ begrüßte das HCA am 10. Februar Dr. Norbert Röttgen zu der Veranstaltung „Jenseits von Spionen und Sanktionen – gibt es eine transatlantische Agenda für die Zukunft?“. Norbert Röttgen ist promovierter Jurist und seit 1982 CDU-Politiker. Von 2009 bis 2012 war er Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Sein politischer Schwerpunkt ist die Außenpolitik; seit 2014 ist Dr. Röttgen Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. In seinem Vortrag bezeichnete er die Außenpolitik als das Sein, die Innenpolitik als das Wohlsein von Staaten. Doch was hat das alles mit den transatlantischen Beziehungen zu tun?

Norbert Röttgen sieht den Ordnungszerfall in der Ukraine und das erste Abkommen von Minsk 2014 als eine historische Zäsur, mit der in Europa ein drittes Kapitel nach dem Zweiten Weltkrieg begann. Das erste Kapitel, der Kalte Krieg, wurde 1991 abgeschlossen. Die Ära nach dem Kalten Krieg war das zweite Kapitel; viele Politiker, auch Norbert Röttgen, waren davon ausgegangen, dass die Schrecken des 20. Jahrhunderts Vergangenheit waren. Ein Krieg in Europa war nicht mehr vorstellbar, man war von Freunden „umzingelt“. Der Ukrainekonflikt jedoch beendete die Sicherheit der europäischen Friedensordnung. Im Gegensatz zum Kalten Krieg handelt es sich in der Ukraine nicht um einen bilateralen Konflikt. Hier geht es um den Anspruch von Machtausübung eines Staates über andere Staaten. Norbert Röttgen verwies in diesem Kontext auf das sogenannte „Neue Russland“. Nach dieser Definition Putins ist überall da, wo Russen leben, Russland. Als akute Herausforderung sieht Dr. Röttgen in diesem Zusammenhang, Russland entgegen zu treten. Die Einheit des Westens ist seine größte Stärke. Putin – und auch der IS – möchte spalten.

Russlands Machtanspruch wirkt aber auch nach innen, ähnlich wie die Anschläge auf Charlie Hebdo und die Expansion des Islamischen Staates (IS). Beim Islamischen Staat geht es um Ideologie und Religion, die exklusive Verbindung von traditionellen Machtansprüchen und Fanatismus. Der CDU-Politiker betonte, dass unsere Sicherheit heutzutage unmittelbar bedroht ist. Bei solchen Anschlägen geht es um die Globalisierung von Macht und die Diffusion von Macht und Kriegen. Wir sind Betroffene, Bedrohte und Akteure. Der sicherheitspolitische Rahmen hat sich unzweifelhaft verändert, und das transatlantische Verhältnis wird wieder so wichtig wie im Kalten Krieg. Eine Wiederbelebung der transatlantischen Beziehungen muss aber frei von jeder Missionierung sein und auf eine friedliche Konfliktlösung setzen. Dabei ist die aktuelle Situation in den USA nicht einfach, insbesondere das Erbe der Bush-Ära und Kriegs-Müdigkeit, die mit einer Untergewichtung der Außenpolitik einhergeht. Für Norbert Röttgen ist dies ein Weckruf für eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik, von der wir aber in Wahrheit weit entfernt sind. Die politische Situation vieler Staaten beschrieb der Vortragende als eine politische Sklerose, die innenpolitischen Kohärenzen müssen sich annähern und in einer europäischen Sicherheitspolitik resultieren.

In der Diskussion mit HCA Gründungsdirektor Prof. Dr. Detlef Junker kam Norbert Röttgen dann nochmals auf das hegemoniale Sicherheitsverständnis Russlands, das Putin auch für den Westen annimmt. Der russische Präsident möchte eine neue Machtposition in Europa und ist inzwischen gezwungen, seine auf nationalem Stolz basierende innenpolitische Legitimation ständig „nachzufüttern“. Die Diskussion über Waffenlieferungen für die Ukraine sieht Norbert Röttgen als eine Bedrohung für die westliche Einheit. Er selbst lehnt Waffenlieferungen ab; sie würden einerseits zwar die Kosten für Putin erhöhen, andererseits aber den Konflikt anheizen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses sprach sich hingegen für eine längerfristige finanzielle Unterstützung der Ukraine aus, da das Land nicht kollabieren dürfe. Auf die Frage hin, ob es Putin wagen würde, die NATO-Staaten anzugreifen, äußerte sich Norbert Röttgen klar: „Ich bin mir sicher, dass Putin nicht den Artikel 5, den Bündnisfall, auslösen möchte. Ich denke aber, dass uns Provokationen von russischer Seite bevorstehen“. Als Beispiel erinnerte er daran, wie Putin 2005 Gaslieferungen als Druckmittel einsetzte, betonte aber auch die diesbezügliche wechselseitige Abhängigkeit.

Nach dem Vortrag stand Dr. Röttgen für weitere Fragen und Diskussionen mit dem Publikum zur Verfügung.

 

Rhein Neckar Forum für transatlantische Fragen
"Brauchen wir TTIP? Freihandel mit Nordamerika – Analysen und Kontroversen"

2015.02.06 Ttip

6. Februar 2015

Das HCA setzte seine Reihe Rhein Neckar Forum für transatlantische Fragen am 6. Februar mit einer Podiumsdiskussion über die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft, besser bekannt als TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership), fort. Bei der Veranstaltung, die in Kooperation mit dem Transatlantic Business Council durchgeführt wurde, informierten, analysierten und diskutierten Matthias Kruse, Geschäftsführer International bei der IHK Rhein-Neckar, Dr. Beate Scheidt, Referentin für Makroökonomie und internationale Wirtschaftspolitik beim IG Metall Vorstand, Dr. Isabel Feichtner, Juniorprofessurin Law and Economics der Universität Frankfurt, Hanno Woelm, Policy Director, Transatlantic Business Council, Jan von Herff, Senior Manager Trade & Industry Policy BASF, und Ernst-Christoph Stolper, Staatssekretär a.D, BUND-Sprecher Arbeitskreis Internationale Umweltpolitik.

Die Gegner und Befürworter trugen ihre Sichtweisen auf dem Podium dreimal in Rede und Gegenrede vor. Das erste Paar diskutierte zu „Investorenschutz durch Schiedsgerichtsverfahren?“ Jun.-Prof. Feichtner steht TTIP skeptisch gegenüber. Sie verwies auf die Investor-Staat-Streitbeilegung, kurz ISDS. In diesen Schiedsgerichtsverfahren sieht Isabel Feichtner die Gefahr einer „Kanonenbootdiplomatie“. Wenn Unternehmen Staaten verklagen können, haben ihrer Meinung nach nur kapitalexportierende Staaten einen Vorteil.

Die Juniorprofessorin gab außerdem zu bedenken, dass diese Schiedsgerichte für die USA und Europa keinen Sinn haben, da es sich in beiden Fällen um hochentwickelte Wirtschaftsgebilde handele. Für TTIP würde sie sich wünschen, dass ein Ausgleich der verschiedenen politischen und rechtlichen Interessen im Fokus stehen würde. Jan von Herff sieht im modernen Investitionsschutzrecht eine Verrechtlichung und eine Abkehr von militärischer Gewalt. Zudem schützt der Investorenschutz sowohl kleine Unternehmen als auch Multikonzerne, da beide im Fall von Investitionen im Ausland der Gefahr einer ungerechten Behandlung gegenüber stehen. Als positiv erachtet er die Tatsache, dass zum ersten Mal die Verträge aus EU Sicht verhandelt werden. Dies ist erst seit 2009 möglich. Von Herff sieht in TTIP vor allem einen größeren Marktzugang für Investoren.

Als nächstes wurde über das Thema „Harmonisierung von Standards“ gesprochen. Dr. Scheidt hob hervor, dass es bei TTIP um den Abbau unterschiedlicher Regulierungen geht, sowohl im Handel als auch bei der Angleichung der Standards. Letzteres führe zu Kostenersparnis, steigender Nachfrage und Wachstum. Durch die regulative Zusammenarbeit würden uns allerdings Fesseln angelegt; der demokratische Prozess werde ausgehebelt, die Möglichkeiten zur Gestaltung beispielsweise beim Umweltschutz oder beim Gesundheits- und Verbraucherschutz verringerten sich. Es müssten sich nicht mehr nur die EU-Partner untereinander einigen, sondern jetzt müsse zusätzlich eine Einigung mit den USA herbeigeführt werden. Als klare Schattenseite sieht Dr. Scheidt den durch TTIP resultierenden Druck auf die Arbeits- und Sozialstandards.

Matthias Kruse hingegen betonte, wie wichtig der Export für deutsche Unternehmen sei. Die USA sind einer der wichtigsten Absatzmärkte. Für Unternehmen ist es wichtig, dass sie in Wachstumsregionen tätig werden können und noch besser, wenn sie dort auf dieselben Standards zurückgreifen können, die sie aus ihrem Land kennen. Mit TTIP und der damit einhergehenden Standardangleichung würden die Kosten für Unternehmen und Investoren im Ausland deutlich geringer werden.

In der dritten Gesprächsrunde machte Hanno Woelm klar, dass es in dieser Debatte nicht um ein Vetorecht für die EU oder die USA gehe, sondern um mehr Transparenz im Allgemeinen. Wer setzt die Normen? Wenn wir es nicht tun, wer dann? Wenn wir das anderen überlassen, haben wir keine Chance mehr, Standards zu setzten. Auf der Pro-Seite für TTIP stehen für ihn die Aussicht auf mehr und besser bezahlte Jobs für den deutschen Mittelstand. Abschließend hob Ernst-Christoph Stolper hebt hervor, dass es bei TTIP nicht um die Neuorganisation von internationalen Normen, sondern um die Angleichung von Standards geht. Letzteres sei ein Zeichen für eine funktionierende Wirtschaft. Bedenklich findet er allerdings, dass bei Haftungsfragen in Deutschland ein Vorsorgeprinzip, in den USA hingegen ein Nachsorgeprinzip herrscht.

Nachdem die Diskutanten ihre unterschiedlichen Sichtweisen vorgetragen hatten, schloss sich ein moderiertes Streitgespräch auf dem Podium und mit dem Publikum an.

 

Myles Jackson: "The Genealogy of a Gene: Patents, HIV/AIDS, and Race in the Age of Biocapitalism"

2015.01.29 Jackson

29. Januar 2015

Für den letzten Vortrag im sechzehnten Baden-Württemberg Seminar hieß das HCA Myles Jackson willkommen, der zum Thema „The Genealogy of a Gene: Patents, HIV/AIDS, and Race in the Age of Biocapitalism“ sprach. Myles Jackson ist der Albert Gallatin Research Excellence Professor für Wissenschaftsgeschichte an der New York University (NYU), Professor für Geschichte an der Faculty of Arts and Science der NYU und Direktor der Wissenschaftsgesellschaft am College für Kultur und Wissenschaft der NYU. Er ist außerdem der aktuelle Träger des Reimar Lüst Preises für Wissenschaft und kulturellen Austausch der Alexander von Humboldt Stiftung.

„Gene faszinieren mich mehr als Menschen“, bekannte Prof. Jackson zum Auftakt seines Vortrags. Biologie verleiht uns etwas Einzigartiges: Die Wissenschaft weiß, dass verschiedene Bevölkerungen verschiedene Allele haben, alternative Formen desselben Gens. Aber die Stereotypen des DNA sind nicht deckungsgleich mit unserem stereotypen Denken. Wenn wir uns beispielsweise eine Person aus Irland vorstellen, so denken wir an blasse Haut, rotes Haar und möglicherweise einen Topf voll Gold. Die DNA-Stereotypie eines Iren kann jedoch ein Schwarzer ohne Haare sein. Prof. Jackson betonte, dass Historiker in dieser Diskussion eine wichtige Rolle spielen: Sie müssen über die Möglichkeit von Patentierungen und eine Biologie der Differenz nachdenken. Wenn es bei DNA-Stereotypen um Geschichte und nicht um Rassismus geht, ist die Frage, wie wir Unterschiede zwischen Populationen verstehen können? Vielleicht brauchen wir spezielle Medikamente für spezielle Populationen. Heutzutage werden immer weniger standardisierte Therapien für alle Patienten entwickelt, sondern vielmehr spezielle Therapien, die auf DNA basieren. Wenn man seine DNA einsendet, kann die Pharmaindustrie spezielle Therapien entwickeln.

Genealogie ist für Myles Jackson die Geschichte über die Gegenwart der Gene, wer wir waren und wie wir wurden, wer wir sind. Sein Buch, das denselben Titel wie die Veranstaltung trägt, beschäftigt sich mit privater und öffentlicher Forschung in der Ära nach Ende des Kalten Krieges. Zu dieser Zeit floss viel privates Geld in die biologische Zweckforschung. Aber wem gehören die Erkenntnisse aus dieser Forschung? Der WHO? Dies ist eines der vielen Dilemmas des „Biokapitalismus“, der geistiges Eigentum meist nicht schützt. Viele Fragen des „Biokapitalismus“ drehen sich um Eigentumsrechte und den Schutz wissenschaftlicher Erkenntnisse. Ein klassisches Beispiel wäre, dass man ein Gen oder einen Menschen nicht patentieren lassen kann. Dies wird allerdings möglich, wenn man die Eigenschaften des Materials von seiner natürlichen Homologie trennt, zum Beispiel durch Isolierung oder Abstraktion. In den USA sind menschliche Gene seit den 1980er Jahren patentierbar, und mittlerweile gehören zwei Drittel dieser Patente der Privatwirtschaft. In den USA kann man ein Patent für etwas erhalten, das neue Eigenschaften hat; es gilt dann für zwanzig Jahre. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Patent tatsächlich genutzt wird; entscheidend ist, dass, wenn es funktioniert, es der Firma, die es besitzt, viel Geld einbringt. Das Problem mit Patenten ist, dass es keine gemeinsame weltweite Definition und Handhabung gibt, die von allen akzeptiert wird. Die Patentämter in der Europäischen Union, den USA und Japan arbeiten mit unterschiedlichen Prinzipien.

Professor Jacksons Vortrag drehte sich hauptsächlich um Geschichte des CCR5-Gens; sie veranschaulicht, wo sich Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft begegnen. Das CCR5-Gen wurde Bestandteil eines „Block Buster Medikaments“ der Pharmaindustrie. Es ist ein Co-Empfänger des AIDS-Virus und spielt eine Schlüsselrolle im menschlichen Immunsystem. HIV selbst tötet nicht, aber schwächt das Immunsystem, so dass jeder Infekt tödlich verlaufen kann. Studien kennen allerdings Paare, in denen ein Partner an AIDS gestorben ist, der andere aber gesund blieb. Solche Paare können auch Kinder haben, die nicht infiziert sind. Es besteht also die Möglichkeit, dass man den HIV-Virus in sich trägt, ohne selbst infiziert zu sein. Der Grund dafür ist ein Brückenprotein, welches die DNA-Bildung konzipiert. Manchmal bleibt der HI Virus nicht an der DNA haften, weil er dafür ein CCR5-Gen benötigt. Befindet sich der HIV-Virus in einem Organismus ohne CCR5-Gen, so ist die Person lediglich ein Träger, ohne selbst an HIV zu erkranken.

Das CCR5-Gen wurde so zur Basis für ein Blockbustermedikament, das den Ausbruch von AIDS verzögern kann. Die Firma, die das Gen patentieren ließ, machte damit ein Vermögen. Aber diese Entwicklung hatte natürlich auch eine Kehrseite: Nicht jeder kann sich dieses Medikament leisten, nicht in den USA, wo es keine flächendeckende Krankenversicherung gibt, und schon gar nicht in den Entwicklungsländern. Der Kampf gegen AIDS wie auch die Gesundheitsfürsorge allgemein werden so zur Klassenfrage. Prof. Jackson Vortrag führte zu einer lebhaften Debatte, an deren Ende er seinem Publikum einen guten Rat gab: „Gehen Sie ihrer Leidenschaft nach, so wird Ihnen Ihre Arbeit immer Spaß machen.“

 

"The United States as a Divided Nation: Past and Present" (HCA Book Launch)

2015.01.20 Bl Phd

20. Januar 2015

Die erste Buchvorstellung des neuen Jahres präsentierte die Arbeit von vier HCA Doktoranden: Maria Diaconu, Eva-Maria Mayer, Maarten Paulusse und Styles Sass hatten jeweils alle einen Artikel zu dem Buch The United States as a Divided Nation: Past and Present beigetragen.

Als erstes stellte Maria Diaconu ihren Essay “In No One We Trust: Memorialization and Communicative Pathologies in Amy Waldman’s The Submission” vor. Der Roman erzählt eine alternative, dystopische Geschichte: Ein muslimischer Architekt gewinnt den anonymen Wettbewerb um die Denkmalgestaltung am Ground Zero. Sein Vorschlag ist es, einen Garten als Denkmal anzulegen. Für die Methodik ihres Essays griff sie auf Jürgen Habermas und Jacques Derrida als Philosophen in der Zeit des Schreckens und des Terrors zurück. In ihrem Vortrag über Gedenken und Kulturkriege sprach Maria Diaconu über die Architektur des Gedenkens und das Verhältnis von Garten und Demokratie. Der im Roman vorgeschlagene Gedenkgarten enthält islamische Elemente, eine Mischung aus Modernismus und islamischer Kunst. Der sogenannte „garden of flags” ist ein Denkmal, das eine statistische Sicht auf die nationale Selbstvertretung, Patriotismus und den Ausnahmezustand umfasst.

Im zweiten Vortrag von Eva-Maria Kiefer ging es um „9/11 Securitized? The Crisis as a Unifying Moment in U.S. History.” Sie postulierte, dass eine Krise eine Nation vereinen kann; ihre Arbeit konzentriert sich auf die Umgehung von Verlusten bei politischen Debatten, die öffentliche Meinung in den USA und die Frage, wie man eine größere Akzeptanz für Meinungen finden, die eine größere Risikofreude einschließen. Die grundlegende Theorie des Essays ist die „prospect theory“ von Kahneman und Tversky, die besagt, dass es die Risikoeinstellung der Akteure beeinflusst, wenn Informationen als positiv oder als negativ kodiert werden. Am Ende ihres Vortrags zog sie das Fazit, dass der Verlustrahmen von 9/11 eine größere unabhängige Variable in der Erklärung für das Verhalten des Kongresses ist und Präsidenten so eine größere politische Wirkung erzielen können. In anderen Worten: Präsidenten sind erfolgreicher im Kongress, wenn sie die Möglichkeit eines Verlustes betonen.

Maarten Paulusse stellte im Anschluss sein Essay „Bridging the Divide: The Occupy Movement as a Site for Experiments in Religious Pluralism” vor. Er begann mit einigen Definitionen: Religion ist ein Prozess, der seinen Wert aus einer höheren göttlichen Kraft bezieht, Spiritualität ist ein Prozess, der das „ängstliche Selbst“ engagiert, und religiöser Pluralismus ist eine Art von affirmativer Einstellung zu religiöser und geistlicher Vielfalt. Die Occupy-Bewegung hat eine breite Koalition geschaffen und mit neuen Formen des Religiös-politischen experimentiert. Um den Generationskonflikt zu überbrücken, musste sie die Kluft zwischen „religiös“ und „säkular“ schließen. Zum Schluss betonte er, dass viele Aktivitäten von Occupy darauf abzielen, die Ränge in den zahlenmäßig zunehmenden Aktivistenkreisen zu schließen, so dass fortschrittliche Aktivisten sich nicht mehr davor fürchten, Religion und Spiritualität öffentlich zu befürworten. Zusammenfassend sagte er, dass die neuen Formen des religiösen-politischen Aktivismus, zum Beispiel Altäre oder Satire das Potential haben, die religiöse-sekuläre Teilung innerhalb der amerikanischen Gesellschaft zu überwinden.

Abschließend stellte Styles Sass seinen Essay “No Country for Old Visions: The 2008 and 2012 Presidential Campaign Narratives” vor. Seine Arbeit analysiert die Wahlrhetorik von Barack Obama und Sarah Palin und zeichnet ihre Popularität anhand von Meinungsumfragen nach. Styles Sass kommt zu dem Schluss, dass zumindest rhetorisch in den USA eine Art „Bürgerkrieg“ herrscht; innerhalb der republikanischen Partei gebe es rivalisierende Fraktionen und der Süden gehe wieder einmal leer aus. Eine eventuelle Kandidatur Hillary Clintons 2016 könnte die nächste progressive Episode in der demokratischen Partei einläuten. Mit einer Frau im Weißen Haus würden die USA einmal mehr beweisen, dass sie kein Land für alte Visionen sind.

 

Monica Black: "Healer, Messiah, Rock Star: Bruno Gröning and the Early Federal Republic"

2014.12.11 Black

11. Dezember 2014

Für das letzte Baden-Württemberg Seminar vor der Weihnachtspause begrüßte das HCA Monica Black, Professorin für Geschichte an der University of Tennessee in Knoxville. Ihr Spezialgebiet ist die neuere Geschichte Europas. Professor Black promovierte an der University of Virginia und schloss ihren B.A. an der University of North Carolina Chapel Hill ab. Ihr Buch Death in Berlin: From Weimar to Divided Germany wurde 2010 veröffentlicht. Das Buch zeichnet die Entwicklung der Beziehung der Berliner zum Tod nach und beschreibt die Veränderungen von Beerdigungs- und Trauerritualen in der Stadt in drei turbulenten Jahrzehnten. Das Werk wurde 2010 mit dem Fraenkel Preis für Zeitgeschichte und 2011 mit dem Hans Rosenberg Preis geehrt. Death in Berlin basiert auf Professor Blacks Dissertation, die mit dem Fritz Stern Preis der Freunde des Deutschen Historischen Instituts Washington ausgezeichnet wurde.

In ihrem Vortrag am HCA erörterte Professor Black das Gröning-Phänomen im Nachkriegsdeutschland. Anfang 1946 erhielt der damalige Bürgermeister von Herford einen Brief mit der Bitte, Bruno Gröning die Kranken der Stadt behandeln zu lassen. Andere Briefe sprachen sich gegen Gröning aus und missbilligten ihn als sogenannten Wunderheiler. Bruno Gröning wurde mit schnell als „dritter Messias“, „Engelarzt“ und „Teufelsanbeter“ bezeichnet. Nachdem er angeblich einen Jungen von einer degenerativen Muskelerkrankung geheilt hatte, indem ihr ihn mit den Worten “geh Spielen” zu Selbigem aufgefordert hatte, erlangte Gröning Bekanntheit als Wunderheiler. Bald pilgerten viele auf der Suche nach Heilung zu ihm, obwohl die Stadt ihm untersagt hatte, Heilungsrituale auszuüben. Über sich selbst sagte Gröning, er habe keine medizinische Ausbildung, nehme keine Anweisungen von Leuten oder Büchern entgegen und heile nur jene, die an Gott glaubten und ein reines Herz hätten. Sobald er „schlechte“ Menschen heile, würde er an Fieber leiden und die geheilten Menschen würden ihre errungene Gesundheit wieder verlieren. Er behauptete, Gott habe ihm seine Heilkraft gegeben, die sogar auf Distanz wirke. Einige seiner Rituale bestanden daraus, dass er kleine Bälle aus Alufolie verteilte, die sein Haar, seine Fingernägel oder gar sein Sperma und einen „Heilstrom“ enthielten. Es wurde berichtet, dass, wenn Gröning aus der Badewanne stieg, das Badewasser sprudelte.

Schnell bildeten sich Menschenmengen, wo immer Gröning sich aufhielt. Die Schar hoffte auf Heilung. In Rosenheim, wo Gröning sich temporär einquartiert hatte und gelegentlich auf einem Balkon erschien, um von dort aus die Massen zu heilen, kamen bis zu 18.000 Menschen zusammen. Die meisten dieser Leute waren chronisch krank, von ihren Ärzten als unheilbar eingestuft oder hatten psychologische Probleme. Einige waren nur gekommen, um zuzusehen oder waren skeptisch. Es kursierten Gerüchte über einige geheilte Patienten, doch die meisten warteten vergeblich. Im Herbst war das Phänomen größtenteils abgeebbt und die Zeitungen betitelten Gröning als Quacksalber und Schwindler. Die Aufmerksamkeit der Presse schwand, und die meisten Leute kehrten desillusioniert nach Hause zurück. Gröning hatte den Hype um seine Person nicht selbst kreiert: 1946 wurden durch die Medien viele Gerüchte über den bevorstehenden Weltuntergang in Form von Nuklear- oder Naturkatastrophen verbreitet – selbst von angesehenen Redaktionen. Die Presse spielte bei der Geburt des Gröning-Phänomens eine zentrale Rolle. Die drohende Apokalypse, gepaart mit Berichten von Bruno Grönings Bewunderern und Gegnern, sowie die Beschreibungen von ihm als „göttlich“ und „höllisch“ verschafften dem Thema mythische Züge.

Der Spiegel machte die Sache nicht besser mit einem Bericht, Gröning könne sich an seine eigene Geburt erinnern, sei haarig geboren worden und sein eigener Vater habe das Neugeborene angesehen und gesagt, „Nun ist der Teufel im Haus“. Professor Black zeigte am Beispiel des Phänomens Gröning auf, dass die Deutschen als Volk nach dem Krieg kollektiv ihr Vertrauen verloren hatten. Ein weiterer Faktor war, dass die Menschen durch das Nazi-Regime und den Holocaust das Vertrauen in ihre Ärzte verloren hatten. Viele hatten entweder selbst Zwangssterilisation erlitten oder miterlebt, ebenso wie Euthanasie. Kranke litten auch nach 1945 an einem Stigma, besonders bei geistigen Erkrankungen. Professor Black warf in ihrem Vortrag die Frage auf: Wenn man niemandem vertraut, wessen medizinischer Diagnose kann man vertrauen? Dieses Dilemma trug auch zum Aufkommen des Gröning-Hypes 1946 bei. In den 1950ern wurde Gröning einige Male strafrechtlich verfolgt. Während eines Berufungsverfahrens verstarb er an Krebs.

Michael Kühlen: "Die drei ??? und die weiße Anakonda" (HCA Book Launch)

2014.12.09 Bl Kühlen

9. Dezember 2014

Was machen Wissenschaftler eigentlich nach Dienstschluss? Zum Beispiel Krimis für die bekannte Jugendbuchreihe "Die drei ???" schreiben. Am 9. Dezember 2014 stellte HCA Mitarbeiter Michael Kühlen einen von ihm verfassten Band der Kultreihe vor: Die Drei ??? und die weiße Anakonda. Michael Kühlen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt "Muster wirtschaftspolitischer Beratung in Deutschland und den USA unter besonderer Berücksichtigung der Arbeitnehmerperspektive". Bevor er ans HCA kam, arbeitete im US-Repräsentantenhaus, als Grundsatzreferent im Vorstandsbüro der Bertelsmann Stiftung und als Lektor, Autor und Übersetzer für unterschiedliche Verlage.

Die Reihe "Die Drei ???" ist eine Jugendbuch-Serie US-amerikanischen Ursprungs. Das Original "The Three Investigators" wurde zunächst ins Deutsche übersetzt und wird seit ihrer Einstellung der in den USA in Deutschland seit den frühen neunziger Jahren mit eigenen Geschichten verschiedener Autoren fortgeführt. Neben Büchern existieren auch Verfilmungen und Hörspiele; besonders Letztere erfreuen sich in Deutschland besonderer Beliebtheit.

Michael Kühlens Buch ist ein Mitratefall. Das Buch ist interaktiv geschrieben, so dass der Leser an verschieden Stellen im Buch entscheiden kann, welchem Erzählstrang er folgen möchte. Die Leser oder – an diesem Abend – das Publikum entscheiden dabei, welchen Verlauf die Ermittlungen der drei Detektive Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews nehmen sollen: Wie verhalten sie sich, wenn vor ihren Augen eine gefährliche Schlange geraubt wird? Wem dürfen sie trauen? Und soll Justus wirklich sein gutes Hemd anziehen? So führte Michael Kühlen sein Publikum durch den Fall, in dem die drei Detektive den Diebstahl einer besonders wertvollen Schlange aufklären müssen und dabei in brenzlige Situationen geraten. Das Ende blieb natürlich offen.

Nach seiner Lesung beantwortete der Autor die Fragen seiner kleinen und großen Zuhörer und erklärte zum Beispiel, dass es gewisse Regeln gibt, an die sich alle Autoren der "Drei ???" halten müssen: Niemand darf sterben, es darf keinen Alkohol- oder Drogenkonsum geben, Sex ist ebenso tabu. Er beleuchtete auch die sehr lebendige Fankultur. Im Anschluss signierte Michael Kühlen zahlreiche Bücher für seine Fans, und seine Zuhörer hatten bei einem Glas Saft oder Wein noch die Gelegenheit, fachmännisch über den Fall zu diskutieren.

John Witte, Jr.: "Sharia in the West? What Place for Faith-Based Family Laws in Modern Liberal Democracies?"

2014.12.03 Witte

3. Dezember 2014

Das HCA setzte am 3. Dezember sein Baden-Württemberg Seminar mit einem Vortrag von Professor John Witte, Jr. fort: "Sharia in the West? What Place for Faith-Based Family Laws in Modern Liberal Democracies?" Professor Witte ist der Robert W. Woodruff Professor of Law und der McDonald Distinguished Professor und Direktor des Center for the Study of Law and Religion an der Emory University. Er ist der Autor zahlreicher Bücher, darunter Religion and Human Rights: An Introduction (2012), Religion and the American Constitutional Experiment (2011) und der Doppelband Sex, Marriage and Family Life in John Calvin’s Geneva (2005, 2014).

In seinem Vortrag stellte Professor Witte die Frage, ob in modernen liberalen Demokratien die Scharia als glaubensbasiertes Familienrecht für Muslime Anwendung finden sollte. Er betonte, die Institution der Ehe sei bei dieser Frage von zentraler Bedeutung. Die Ehe, die in fast allen Religionen als heilig gilt, wurde lange als alles zusammenhaltende Kraft betrachtet. John Locke bezeichnete die Ehe als "erste Gesellschaft". Liberale Demokratien aber haben die Ehe in jüngster Geschichte weitestgehend privatisiert. Inzest und Polygamie bleiben die letzten Vergehen, die selbst bei gegenseitigem Einvernehmen strafbar sind. Viele Muslime im Westen kritisieren diese liberale Entwicklung der Gesetzeslage scharf, was zu informellen Lösungen führt. Viele muslimische Paare heiraten in islamisch geprägten Staaten und setzen dort Eheverträge auf. Eine weitere Entwicklung sind Schattengerichte im Westen, die die Scharia anwenden.

Professor Witte erörterte dann drei potentielle Argumente für die freiwillige Anwendung der Scharia für Muslime im Westen und stellte diese dann einigen Problemen gegenüber. Zunächst beleuchtete er das Argument der Befürworter, die Religionsfreiheit solle bedeuten, dass Muslime ihr Recht vor Scharia-Gerichten vertreten könnten. Zweitens existierten im Westen christliche und jüdische Gerichte, deren Daseinsberechtigung nicht angezweifelt werde, selbst wenn ihre Rechtsprechung von der des jeweiligen Staates abweiche. Also, frage Professor Witte, warum sollte dies nicht für Muslime im Westen gelten? Als dritten Punkt führte er das Argument an, dass der Liberalismus die Ehe eine als eine vor-politische Institution sieht. Warum solle also der Staat die Kontrolle über das Ehe- und Familienrecht haben? Und aus welchem Grund sei die staatliche Rechtsprechung in Ehefragen nötig und akzeptiert?

In Bezug auf die Frage der Religionsfreiheit führte Professor Witte an, viele glaubten fälschlicherweise, Religionsfreiheit sei ein Freibrief. Die garantierte Freiheit zur Glaubensausübung sei keine Berechtigung zur Ausübung von Straftaten wie etwa körperliche Züchtigung. Dies gelte besonders, wenn Kinder involviert seien. Bezüglich der Frage, warum der Staat die Gerichtsbarkeit über die Institution der Ehe habe, erklärte Professor Witte, das Gewaltmonopol könne in einer Demokratie ausschließlich beim Staat liegen. Der Staat garantiere ein rechtstaatliches Verfahren und habe damit die Aufgabe, auch über diesen Bereich des Lebens zu richten. Der Frage nach christlichen und jüdischen Gerichten im Westen und dem daraus resultierenden eventuellen Anspruch auf muslimische Gerichte setzte Professor Witte entgegen, die jüdischen Gerichte hätten sich über einen sehr langen Zeitraum im Westen langsam etabliert. Die westlichen Staaten hätten die jüdischen Gerichte auf der Basis gegenseitigen Respekts und Vertrauens akzeptiert. Er betonte, diese Gerichte befassten sich mit einigen ehelichen und familiären Fragen und erhoben keinen Anspruch darauf, alle Juden zu vertreten oder über alle jüdischen Belange zu entscheiden. Weiter benutzten sie lediglich Überredungskunst zur Durchsetzung ihrer Interessen.

Professor Witte argumentierte, es bedürfe Zeit und Geduld für eine säkulare Gesellschaft, religiösen Gerichten Raum zuzugestehen. Zudem sei es absolut unerlässlich für die religiösen Gemeinschaften, die ihre eigenen Gerichte etablieren wollten, die zentralen Werte der „Gastgesellschaft“ zu respektieren und anzunehmen. Westliche Kulturen würden niemals Gruppen akzeptieren, die Demokratie und Freiheit verurteilten und gleichzeitig die Einführung der Scharia forderten. Er schloss seinen Vortrag mit der Überlegung, westliche Muslime hätten eine Gelegenheit, nun mit Geduld und gegenseitigem Respekt die zentralen Werte zu wählen, die sie von einem etwaigen Scharia-Gericht verwaltet haben wollten, und für diese einzustehen.

Matthew A. Sutton: "American Apocalypse: A History of Modern Evangelicalism" (HCA Book Launch)

2014.11.18 Bl Sutton

18. November 2014

Evangelikale Christen in den USA glauben seit langem, dass das Ende der Welt unmittelbar bevorsteht. Dieser Apokalyptismus hat evangelikale Kreuzzüge, Reformbewegungen und Generationen von politischen Aktivisten hervorgebracht. In seinem neuen Buch ist Matthew A. Sutton, Professor für Geschichte an der Washington State University, Marsilius Gastprofessor, und HCA-Scholar-in-Residence der Geschichte des amerikanischen Apokalyptismus seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts nachgegangen. Seine Forschungsergebnisse revidieren viele Vorstellungen über den amerikanischen Evangelikalismus, für den das bevorstehende Ende der Menschheit zentral ist. Wenn man den modernen Evangelikalismus verstehen will, so Professor Sutton, muss man seine Endzeittheologie verstehen.

Anlässlich des HCA Book Launch diskutierte unser wissenschaftlicher Mitarbeiter Daniel Silliman mit Professor Sutton über die Hauptargumente von American Apocalypse. Auf die Frage, wie er überhaupt auf dieses Thema gekommen sei, antwortete Professor Sutton, dass zunächst eine Tatsache sein Interesse geweckt habe – warum Fundamentalisten und ihre evangelikalen Erben dem Staat und der Bundesregierung so skeptisch gegenüberstehen, insbesondere in den aktuellen Debatten um eine staatliche Krankenversicherung. Die Grundlage des radikalen evangelikalen Glaubens sind die apokalyptischen Theologien der 1880er und 18890er Jahre, die besagen, dass in der Endzeit der Menschheit sich alle Staaten einem totalitären politischen Führer unterwerfen werden. Professor Sutton betonte außerdem, dass der Apokalyptismus im neunzehnten Jahrhundert eine recht radikale und unkonventionelle Idee war, heute aber für Fundamentalisten und Evangelikale zentral ist. Der Glaube an die biblische Entrückung und die Wiederkunft Jesu unterscheidet die Evangelikalen mehr als alles andere von anderen protestantischen Gruppen und prägt ihren Alltag ungemein. Der Glaube an das bevorstehende Ende der Welt beeinflusst Wahlentscheidungen, Bildungs- und Ausbildungsstrategien, wirtschaftliches Handeln, den Umgang mit der Globalisierung oder die Einstellung zu Organisationen wie den Vereinten Nationen.

Professor Sutton skizzierte kurz die wichtigsten Grundlagen dieser Theologie: Anstatt zu glauben, dass Christen Gottes Reich auf Erden schaffen, sehen Evangelikale die Erde auf einem abschüssigen Weg, der geradewegs in die Hölle führt. Dieser Glauben resultiert aber keineswegs in Apathie; mehr als andere Protestanten sehen sich Evangelikale in der Verantwortung, so vehement, so radikal und so dringend zu handeln wie möglich. American Apocalypse revidiert außerdem das Standardnarrativ über die Geschichte der weißen Evangelikalen – ein gesellschaftlicher Rückzug in den 1920er Jahren, gefolgt von neuem gesellschaftlichen Engagement in den 1950er Jahren, das dann zur Bildung der religiösen Rechten in den 1980er Jahren führte. Tatsächlich haben die Evangelikalen sich nie von den Forderungen nach sozialen und politischen Reformen abgewandt. So waren die meisten von ihnen heftige Kritiker des New Deal. Für Amerikaner, die das Kommen des Antichrist erwarteten, boten die 1930er Jahre viele Anzeichen: Sie sahen in Franklin D. Roosevelt jemanden, der die Weichen für die Endzeit stellen könnte.

Professor Sutton hat außerdem untersucht, was die antizipierte Apokalypse für schwarze Evangelikale bedeutete. Mit ihren weißen Glaubensbrüdern und –schwestern teilten sie die Sorge um den Weltuntergang und die Hoffnung auf die Wiederkunft des Herrn. Nach dem Antichrist suchten sie allerdings nicht im New Deal, sondern in den rassistischen Regierungen der Südstaaten; ihr Zeichen für den Untergang waren die Lynchmorde. Sie erwarteten einen anderen politischen Führer, der der eine andere Art von Frieden und Gerechtigkeit bringen würde. Professor Sutton ging abschließend auf die große Bedeutung des Apokalyptismus für modern evangelikale Bewegungen, insbesondere für Billy Graham, ein. So begann Grahams berühmtes Revival in Los Angeles 1949 nur wenige Tage nach dem ersten Atomtest der UdSSR – ein mögliches Zeichen für den Anbruch der Endzeit. In der Nachkriegszeit wurde die evangelikale Bewegung größer, breiter und inklusiver; einige ihre Protagonisten predigten einen moderaten, respektablen Apokalyptismus, andere einen radikal-populistischen, der auf das erste Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts zurückgriff. Aber das Apokalyptische verschwand nie ganz. Heute glauben hunderte Millionen Amerikaner, dass die Entrückung existiert und Jesus auf die Erde zurückkehren wird. Das faszinierte Publikum im Atrium des HCA hatte natürlich viele Fragen und konnte die Diskussion mit dem Autor bei einem Glas Wein fortsetzen.

Kenny Cupers: "Human Territoriality and the Downfall of Public Housing"

2014.11.11 Cupers

11. November 2014

Der vierte Vortrag des Baden-Württemberg Seminars beschäftigte sich mit Konzepten der menschlichen Territorialität und dem sozialen Wohnungsbau. Am 11. November begrüßte das HCA dazu Kenny Cupers, Professor an der Illinois School of Architecture an der Universität Illinois in Urbana-Champaign und Fellow der Alexander von Humboldt Stiftung. Professor Cupers ist Historiker, der sich über die europäische Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts und über Stadtgeschichte arbeitet. Sein Hauptinteresse gilt der geschichtlichen Erkenntnistheorie der globalen Moderne. Sein aktuelles Buchprojekt befasst sich mit dem deutschen Kaiserreich und der Frage, wie Umweltwissenschaft die Logik der Moderne prägte. Professor Cupers ist Autor von The Social Project: Housing Postwar France (2014) und Herausgeber von Use Matters: An Alternative History of Architecture (Routledge, 2013).

Professor Cupers Vortrag führte zunächst den Begriff „Umweltdeterminismus“ ein. Im Fall des sozialen Wohnungsbaus bezieht er sich auf die Vorstellung, dass die Lebensumstände das Leben der Menschen prägen. Professor Cupers erläuterte die Entwicklung des öffentlichen Wohnungsbaus und erörterte einige Probleme, mit denen dieser konfrontiert war. In den 1950er Jahren gab es einen immensen Bedarf an Wohnraum in den Industrienationen. Experten, die ursprünglich weiße Mittelschicht-Familien als Zielgruppe ins Auge gefasst hatten, wollten in den neu zu errichtenden Vierteln alles ansiedeln, das Menschen im täglichen Leben neben Wohnraum benötigen. Diesen neuen „Umgebungen“ sollten „Habitat“ heißen. Dieses Konzept beinhaltete Geschäfte, ärztliche Versorgung und alle anderen Notwendigkeiten des täglichen Bedarfs und hatte einen direkten Einfluss auf die Planung der Vororte: Sie waren nach den Bedürfnissen der Einwohner unterteilt. Diese „Habitat“-Vororte verstärkten unter anderem die bestehende Geschlechterungleichheit durch die Annahme, dass die Hausfrauen und Mütter weniger mobil sein mussten als die Männer. Schulen und Kindergärten wurden in der Nähe der Wohnorte angesiedelt, was sicherstellte, dass Frauen keinen Bedarf an höherer Mobilität hatten – und so in ihrer täglichen Mobilität weiter eingeschränkt wurden.

In den 1960ern begannen sich die Bewohner über einige Aspekte ihrer „Habitats“, wie etwa lange Anfahrtszeiten zur Arbeit, zu beschweren. Außerdem verlangten sie, direkt in die Schaffung oder Veränderung ihrer „Habitats“ eingebunden zu werden. Dies wurde gewährleistet, oder zumindest ausprobiert, um die Zufriedenheit der Mieter zu erhöhen. Beispielsweise arbeiteten Architekten Pläne aus, damit die Leute ihre Wohnungen persönlicher gestalten konnten. Oskar Newman entwickelte das Konzept der „latenten Territorialität“, die Auffassung, dass alle Menschen das inhärente Bedürfnis haben, ihren direkten Lebensraum zu kontrollieren. Er fand heraus, dass das Fehlen einer klaren Grenze zwischen der privaten und der öffentlichen Sphäre im „Habitat“ zu Problemen wie einer erhöhten Kriminalitätsrate führte, da die einzelnen Menschen ihre Territorialität von ihrem Zuhause auf die gesamte Nachbarschaft oder sogar den ganzen Vorort ausweiteten. Robert Audreys Vorstellung, dass die „Deterritorialisierung des Menschen“, also die Nichtexistenz von Privateigentum, direkt für Probleme wie Jugendkriminalität verantwortlich sei, schien Oskar Newmans These zu untermauern. In England wurde der öffentliche Wohnungsbau ebenfalls für Vandalismus verantwortlich gemacht. Daher wurde die Idee populär, sogar öffentliche Orte zu privatisieren, in der Hoffnung, dadurch den Vandalismus zu reduzieren. Professor Cupers führte weiter aus, dass es nicht das eine natürliche Verhältnis zwischen Menschen und ihrem Zuhause gäbe, sondern vielmehr einen Wettbewerb verschiedener Konzepte. Nach seinem Vortrag führte Professor Cupers mit seinen Zuhörern eine lebhafte Debatte über öffentlichen Wohnungsbau in Europa und den USA, und darüber, was Wohneigentum und die Rolle der Architekten für das schlechte Ansehen des öffentlichen Wohnungsbaus bedeuten.

Barbara Ladd: "Beyond the Plantation: Race and Class at the Edge of the Swamp"

2014.10.10 Ladd

30. Oktober 2014

Für die zweite Veranstaltung des Baden-Württemberg Seminars begrüßte das HCA Barbara Ladd zu ihrem Vortrag “Beyond the Plantation: Race and Class at the Edge of the Swamp.“ Barbara Ladd ist Professorin für Englisch an der Emory University in Atlanta und Fulbright Professorin an der Karls-Universität Prag. Ihr Forschungsinteresse gilt der Rassen- und Geschlechterforschung, transatlantischen Fragen, den Amerikastudien, der amerikanischen Moderne in der Literatur und William Faulkner. Sie verfasste die Bücher Resisting History: Gender, Modernity, and Authorship in William Faulkner, Zora Neale Hurston, and Eudora Welty (2007) und Nationalism and the Color Line in George W. Cable, Mark Twain, and William Faulkner (1997). Momentan arbeitet Professor Barbara Ladd an einem Buch zu transatlantischen Routen in der Südstaatenliteratur und an einer Sammlung von Essays zu William Faulkner, verfasst von Forschern aus südlichen Regionen der Welt.

In ihrem Vortrag am HCA analysierte Professor Ladd die Konzepte von Rassen- und Klassenzugehörigkeit in der amerikanischen Südstaatenliteratur in Bezug auf die Gegend des Great Dismal Swamp, einer Sumpf- und Moorlandschaft in den Küstenregionen des üdöstlichen Virginia und nordöstlichen North Carolina. Sie erklärte zu Beginn ihres Vortrags, das statische Narrativ von Rasse präge noch immer die Südstaatenliteratur. Professor Ladd führte aus, dass Diskriminierungen wegen Rassen- und Klassenzugehörigkeit sich im Süden und allerdings die meisten Bewohner von dem Einen oder dem Anderen betroffen seien. Als Beispiel für die Überschneidung beider Konzepte nannte Professor Ladd den Umstand, dass arme Weiße in der Literatur zumeist als Analphabeten, dumm und kränklich beschrieben würden – dennoch zeichne diese armen Südstaatenweißen der Stolz auf ihre Rassenzugehörigkeit aus, durch die sie sich von Schwarzen abheben würden. Die wirklich existierende Region des Great Dismal Swamp ist ein wiederkehrendes Motiv in der amerikanischen Südstaatenliteratur. Beispielsweise beschreibt Harriet Beecher Stowe den Great Dismal Swamp in ihrem Werk Dred. Am Rande des Sumpfes standen Häuser und Höfe, und auf den Kanälen im Moor bewegte man sich mit Booten vorwärts. Das Unterholz und die Gefahren des Sumpfes erschwerten eine Dauerbesiedlung, machten sie aber nicht unmöglich.

Archäologische und historische Hinweise legen den Schluss nahe, der Sumpf sei ein Versteck und Wohnstätte von entlaufenen Sklaven, amerikanischen Ureinwohnern und Kriminellen gewesen. Am Rande des Sumpfes lebten Quäker, und Liebespaare trafen sich im Moor, fernab von gesellschaftlichen Zwängen. Im Great Dismal Swamp wurden Sklaven wie freie Menschen behandelt. Wahrscheinlich waren ihre Kenntnisse der gefährlichen Landschaft von unschätzbarem Wert. Einige Sklaven verdienten sich durch Arbeit im Sumpf einen Lebensunterhalt und konnten sich so ihre Freiheit erkaufen. Der Sumpf sei weniger eine echte Perspektive, als vielmehr einen Zufluchtsort für arme Weiße, Schwarze, Sklaven, Ureinwohner und Kriminelle – also für alle, die keine respektierten Gesellschaftsmitglieder darstellten – gewesen, erklärte Professor Ladd. Sie beendete ihren Vortrag mit einen Vorschlag für künftige Forschungen: Um ein wahres Verständnis für die Überschneidung von Klassen- und Rassenproblematik in der amerikanischen Südstaatenliteratur zu entwickeln, sei die Entwicklung eines neuen Paradigmas erforderlich. Im Anschluss an den Vortrag beantwortete Professor Ladd die Fragen ihres Publikums und führte mit ihren Zuhörern eine lebhafte Diskussion.

Penny von Eschen: "Satchmo Blows Up the World: Jazz as a Global Culture of Dissent"

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23. Oktober 2014

Das sechzehnte Semester des Baden-Württemberg Seminars des HCA begann am 23. Oktober 2014 im Rahmen des Enjoy Jazz Festivals mit einem Vortrag von Penny von Eschen, Professorin für Geschichte und amerikanische Kultur an der University of Michigan. Ihre Forschung konzentriert sich hauptsächlich auf transnationale kulturelle und politische Dynamiken und die politische Kultur des Imperialismus der USA sowie Rassen- und Geschlechterfragen.

Professor von Eschens Vortrag am HCA basierte größtenteils auf der Forschung für ihr Buch Satchmo Blows Up the World: Jazz Ambassadors Play the Cold War (2004). Sie stellte zunächst klar, dass Jazz den Kalten Krieg nicht gewonnen habe, da dieser Konflikt keine Gewinner hatte. Dennoch wurden nach Dizzy Gillespies erster internationaler Propagandatour hunderte Jazz- und Bluesmusiker von der US-Regierung auf Propagandamissionen geschickt. Auf diese Weise habe Jazz im Kalten Krieg eine nicht unbedeutende Rolle gespielt. Jazz war bereits durch die Besetzung der Philippinen und durch das Unterhaltungsprogramm für die amerikanischen Truppen im Zweiten Weltkrieg und im Koreakrieg international verbreitet worden. Er wurde als einmalige Form der amerikanischen Moderne und Freiheit angesehen und die strukturelle Freiheit der Jazzmusik wurde in den USA zur Allegorie für die Freiheit. Einige der bedeutendsten Jazzproduzenten wie Dan Morgenstern und George Wein hatten jüdische Wurzeln und hatten den Holocaust und Vertreibung in Europa erlebt.

Während das amerikanische Außenministerium die ersten Jazztourneen zu Propagandazwecken organisierte, diskutierten Jazzinterpreten in den USA über ihre Musik und Freiheit. Sie sahen Freiheit und Demokratie als erstrebenswerte Ziele an. Die schwarze Bürgerrechtsbewegung steckte zu dieser Zeit noch in den Kinderschuhen, und Freiheit und Gleichberechtigung waren für viele Schwarze in weiter Ferne. Dizzy Gillespie wurde von allen weiteren Jazztouren im Ausland suspendiert, da er sich auf seiner Reise im Iran geweigert hatte, die Rassentrennung in den USA herunterzuspielen. Ironischerweise nutzte auch Präsident Nixon die afroamerikanische Kultur für diplomatische Zwecke auf internationaler Ebene, während er zu Hause die Bürgerrechtsbewegung unterminierte. Die Tatsache, dass Jazzkünstler wie Thelonious Monk und Charles Mingus auf ihren Jazztourneen offen ihre persönliche Antikriegsmeinung kundtaten, machte das US-Außenministerium nervös, brachte den beiden Musikern in Europa allerdings eine noch größere Beliebtheit ein.

Die letzten offiziellen vom US-Außenministerium organisierten Jazztourneen fanden 1978 statt. Nach dem 11. September wurden sie wieder aufgenommen. Die aktuellen Tourneen sind weniger restriktiv organisiert, und die amerikanischen Musiker haben die Gelegenheit, sich mit den einheimischen Künstlern zu treffen und mit ihnen zu musizieren. Das amerikanische Außenministerium hielte sich auch mit Versuchen zurück, die Meinungsäußerungen der Musiker zu kontrollieren, erklärte Professor von Eschen. Sie erläuterte zudem, dass, obwohl das amerikanische Außenministerium maßgeblich an der Globalisierung von Jazz beteiligt gewesen sei, die Musikrichtung erst durch transnationale Umwälzungen entstanden sei und daher nie exklusiv den USA als „fundamentaler Teil der amerikanischen Kultur“ gehört habe. Nach dem Vortrag beantwortete Professor von Eschen zahlreiche Fragen und führte mit ihrem faszinierten Publikum eine lebhafte Debatte über Jazz und amerikanische Außenpolitik.

Awarding of the Rolf Kentner Dissertation Prize 2014

2014.10.16 Kentner-preis

16. Oktober 2014

Am 16. Oktober 2014 fand am HCA die nunmehr fünfte Verleihung des Rolf Kentner Dissertationspreises statt. Das Institut stellte außerdem die neuen Mitglieder des MAS und des Ph.D. Programmes einer breiteren Öffentlichkeit vor. Der größte Teil des Abends aber war der Preisverleihung gewidmet. Der Stifter ist einer der ältesten und aktivsten Förderer des HCA und Vorsitzender der Schurmann Gesellschaft. Der Preis wird an eine herausragende noch unveröffentlichte Doktorarbeit in den Amerikastudien verliehen, die an einer deutschen Universität eingereicht wurde.

Er ging in diesem Jahr an Dr. Juliane Braun, die 2013 an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg promovierte. Juliane Braun studierte Anglistik, Amerikanistik und Romanistik mit Schwerpunkt französische Literatur an den Universitäten Mainz, Reading (England), und Dijon (Frankreich), und an der Bread Loaf School of English in Santa Fe (USA) und schloss 2006 mit einem Master der Universitäten Mainz und Maîtrise in Dijon ab. Mit ihrem Dissertationsprojekt blieb sie sowohl ihrem Interesse an der amerikanischen wie der französischen Literatur treu und untersuchte die Kultur der französischen Theater in Lousiana im neunzehnten Jahrhundert. Die Arbeit erhielt bereits den Dissertationspreis der Bayerischen Amerika-Akademie.

In ihrem Festvortrag mit dem Titel "Imagining Freedom in the Black Theatres of Francophone New Orleans" erklärte Dr. Braun ihren zahlreichen Zuhörern, wie Theatertraditionen in Louisiana Elemente der französischen und später der amerikanischen Theaterkultur aufgenommen, verändert und vereinnahmt haben. Sie nahm ihr Publikum mit auf eine Reise von der Eröffnung des ersten französischen Theaters in New Orleans 1791 bis zum Beginn des amerikanischen Bürgerkrieges siebzig Jahre später. Ein ganzes Jahrhundert lang fungierten Theater in der Crescent City als soziale Zentren, die zur Integration der heterogenen Bevölkerung beitrugen, und als Aufführungsorte für Stücke, die in New Orleans entstanden waren. Das Geld, das sie erwirtschafteten, trug signifikant zum Wirtschaftskreislauf der Stadt bei. Auf der anderen Seite waren diese Theater Orte von Auseinandersetzungen über kulturelle Souveränität, ethnische Identität, und nationale Zugehörigkeit. Angesichts der wachsenden Vorherrschaft der anglo-amerikanischen Bevölkerung entwickelten die französischsprachigen Bewohner der Stadt neue Strategien damit ihre Kultur nicht in Vergessenheit geriet. Theater wurden die wichtigste Waffe in diesem Kampf um das kulturelle Überleben.

Dieser aufschlussreiche, unterhaltsame und wunderschön illustrierte Vortrag erhielt viel Beifall, auch weil er von faszinierenden Fotografien und Zeichnungen begleitet wurde, die die Theater, ihre Lage und ihre Architektur zeigten. Der Vortrag wurde musikalisch umrahmt von dem Duo Florence Launay und Michael Cook, das eine Auswahl französischer “Romanzen” darboten, eine Musikform, die in den USA des späten achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts äußerst populär waren, zum Beispiel "Plaisir d'amour." Der anschließende Empfang in der Bel Etage des HCA gab dem Publikum Gelegenheit, den Vortrag ausführlich zu debattieren, begleitet von Drinks, einem Büffet und mehr Livemusik.

Joseph Crespino: "Strom Thurmond and the Rise of the Modern American Right"

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17. Juli 2014

Joseph Crespino setzte am 17. Juli den Schlusspunkt des Baden-Württemberg Seminars im Sommersemester. Er referierte über Strom Thurmond, einen der am längsten dienenden amerikanischen Politiker. Joseph Crespino ist Geschichtsprofessor an der Emory University und Fulbright Distinguished Chair für American Studies an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. HCA Gastprofessor Mark Wilson stellte Professor Crespino als einen der führenden amerikanischen Politikhistoriker vor. Seine Thurmond-Biographie legt nicht zuletzt, wie Professor Wilson scherzhaft bemerkte, Zeugnis über seine hervorragende Arbeitsmoral ab. Schließlich wurde Strom Thurmond einhundert Jahre alt.

In seinem Vortrag beschrieb Professor Crespino, wie die Idee zu diesem Buch entstand. Im Jahr 2002 sorgte Trent Lott, der Senator für Mississippi, für eine Kontroverse, als er Strom Thurmond zu dessen hundertsten Geburtstag gratulierte und betonte, viele Fehler hätten vermieden werden können, hätte man Thurmond zum Präsidenten gewählt. Diese Aussage sorgte für Furore, weil Thurmond sich in seiner politischen Karriere als Senator für South Carolina als Demagoge und Anhänger der Rassentrennung hervorgetan hatte. Er hatte nach dem Civil Rights Act von 1964 entrüstet die Partei gewechselt, weil er die demokratische Unterstützung für das Gesetz missbilligte. Senator Trent Lott trat nach der Kontroverse 2002 von seinem Amt als Mehrheitsführer im Senat zurück. Professor Crespino schrieb einen Kommentar über die vorangegangenen positiven Äußerungen Lotts zu Thurmond. An diesem Punkt beschloss er, dass 650 Wörter nicht ausreichten, um Strom Thurmond und seinen Einfluss auf die Politik der Südstaaten zu würdigen. Also schrieb er ein Buch.

Professor Crespino skizzierte dann Thurmonds politische Karriere. Dieser trat nicht nur vehement für die Rassentrennung ein, sondern war einer der ersten „Sunbelt Conservatives“ und propagierte viele Ansichten dieser politischen Gruppierung. Er sprach bei zahlreichen antikommunistischen Versammlungen im ganzen Land, stimmte gegen jegliche Arbeitsgesetzgebung, die seinen Weg kreuzte, und war mit einigen Evangelikalen der religiösen Rechten eng bekannt. Schließlich kam Professor Crespino auf die Rolle der Rasse in der Südstaatenpolitik und in Strom Thurmonds Leben zu sprechen. Obwohl er ein lautstarker Befürworter der Rassentrennung war, zeugte er eine schwarze Tochter, Essie Mae Washington-Williams. Ihre Existenz blieb bis nach dem Tod Thurmonds ein Gerücht, das von den meisten Medien ignoriert und nur von der schwarzen Presse angesprochen wurde. Sechs Monate nach dem Tod ihres Vaters im Jahr 2003 bestätigte Essie Mae Washington-Williams öffentlich ihre Verwandtschaft mit Thurmond. Ihr Name wurde später zu seinem Denkmal hinzugefügt, das bereits seine vier weißen Kinder namentlich erwähnte. Die Familie stimmte dem aus Dankbarkeit für Essie Maes Loyalität und Ergebenheit ihrem Vater gegenüber zur. Professor Crespino interpretierte die Geste auch als Dankbarkeit dafür, dass Essie Mae die Heuchelei ihres Vaters nicht zu seinen Lebzeiten enthüllt habe.

Nach seinem Vortrag beantwortete Professor Crespino zahlreiche Fragen seiner interessierten Zuhörer bezüglich Strom Thurmonds Einstellung zur Rassentrennung und deren Bedeutung für seine Karriere und Privatleben.

Podiumsdiskussion: "Der Adler, der Drache und der Stier: Die USA, China und Europa im 21. Jahrhundert"

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16. Juli 2014

Am 16. Juli 2014 fand im HCA die Podiumsdiskussion „Der Adler, der Drache und der Stier: Die USA, China und Europa im 21. Jahrhundert“ statt. Die Diskutanten Prof. Dr. Sebastian Harnisch vom IPW Heidelberg, Dr. Saskia Hieber von der LMU München und die Journalistin Olivia Schöller widmeten sich auf dem Podium insbesondere außenpolitischen Fragen und analysierten dabei die Selbstwahrnehmung der Akteure in diesem Dreieck sowie ihre jeweilige strategische Ausrichtung zueinander. Dr. Tobias Endler vom HCA moderierte die Veranstaltung.

OOlivia Schöller stellte anfangs heraus, dass aus Sicht der USA von einem außenpolitischen Abstieg keine Rede sein kann. Die eigene Führungsrolle wird als selbstverständlich erachtet: nicht ob, sondern wie man führt, steht im Mittelpunkt der inneramerikanischen Diskussion. Unter Obama hat es zudem einen Wandel hin zur „smart power“ gegeben. Als Ordnungsmacht bekämpfen die USA Krisen zunehmend mit Sanktionen statt mit militärischen Mitteln. Die größte Schwierigkeit bleibt dabei die US-interne Polarisierung, weniger die internationale Wahrnehmung des Landes. Der Aufstieg Chinas ist aus US-amerikanischer Sicht unaufhaltsam, jedoch nicht vollständig. Zielsetzung ist es, den eigenen Einfluss im chinesischen Raum geltend zu machen und den Aufstieg so gut wie möglich mit zu lenken. Der „pivot to Asia“ ist ausdrücklich kein Zeichen einer Abkehr von Europa; vielmehr beweist die Krimkrise die Bedeutung der gemeinsamen Wertegemeinschaft. Dennoch ist man in den USA mit Blick auf das „burden sharing“ enttäuscht von Europa und fordert ein größeres internationales Engagement.

Dr. Hieber betonte zunächst, dass aus chinesischer Sicht die Einheit des Landes nicht nur durch das Militär geschaffen, sondern von einem Großteil der Bevölkerung getragen wird. Die politischen Interessen liegen in erster Linie im Schutz der Exportwirtschaft und darin, den Binnenkonsum weiter anzukurbeln. Das Kredo „big is beautiful“ wird von der Bevölkerung nicht nur toleriert, sondern gefordert. China ist dennoch keine „smart power“. Es gelingt dem Land nicht, langfristig belastbare und tiefgehende Allianzen zu bilden, sogar im unmittelbaren Umkreis ist China politisch isoliert. Der „pivot to Asia“ der USA ist aus chinesischer Sicht umstritten, die Wünsche widersprüchlich: eine US-Militärpräsenz in der unmittelbaren Einflusssphäre sowie eine Allianz werden klar abgelehnt, genauso wie ein Engagement der EU in Afghanistan und Zentralasien. Dem angeblichen Scheitern der westlichen Integrationspolitik und des Interventionismus des Westens folgt jedoch eine Destabilisierung der Region, was aus Sicht Chinas ebenfalls unerwünscht ist. Insgesamt zeichnet sich China durch einen Pragmatismus aus; Partner außerhalb des Westens bleibt Russland. Europa kämpft im Zuge der Finanz- und Krimkrisen nach innen sowie nach außen mit einem enormen Attraktivitätsverlust. Nach innen wird dies besonders deutlich durch den Zuspruch für europaskeptische Parteien bei den letzten Europawahlen. Prof. Dr. Harnisch stellte heraus, dass die Sicherheitsstrategie der EU als „soft power“ primär auf der wirtschaftlichen und kulturellen Dimension fußt. Europa gilt somit nicht nur als politische Einheit, sondern vielmehr als erfolgreiches, fortwährendes Friedensprojekt, dessen Konzept oft schlecht kopiert wurde. Nach Außen hat die Krise in der Ukraine verdeutlicht, dass die USA für Europa unverzichtbar bleiben und andere außenpolitische Krisen wie im Iran nur gemeinsam gelöst werden können.

Die Grenzen der Verständigung aller Akteure standen ebenfalls im Mittelpunkt der Diskussion. Da in Europa, den USA und China unterschiedliche politische Kulturen vorherrschen, fußt die Verständigung häufig auf fehlerbehafteten Wahrnehmungen. Für Europäer wird das vor allem im Unverständnis gegenüber dem Territorialverhalten Chinas deutlich, während dort die Lehren des europäischen Einigungsprozesses mit Skepsis betrachtet werden. Aus Sicht der USA hingegen ist der eigene Wohlstand abhängig von chinesischen Produkten, andererseits bleiben für Nordamerika viele der Ansprüche Chinas unverständlich. Einig waren sich alle Diskutanten darin, dass Europa und die USA auf den Wirtschaftsbeziehungen zu China aufbauen möchten, während das Verhältnis Europas und der USA zueinander durch eine gemeinsame Wertegemeinschaft geprägt ist und deutlich darüber hinaus geht.

Im Anschluss öffnete sich die Diskussion dem Publikum, das lebhaft über das amerikanische Wirtschaftsmodell, die Spionageaffäre in Deutschland und dem wirtschaftlichen Erfolg Chinas im Kontext der jeweils eigenen Selbstwahrnehmung miteinander ins Gespräch kam.

Zehn Jahre Heidelberg Center for American Studies

4. Juli 2014

Am 4. Juli 2014 feierte das Heidelberg Center for American Studies sein zehnjähriges Bestehen in der Alten Aula der Universität. Prof. Dr. Dieter W. Heermann, Prorektor für internationale Angelegenheiten der Universität Heidelberg, und Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan Maul, Dekan der Philosophischen Fakultät, eröffneten die Feierlichkeiten und wünschten dem HCA viele weitere Jahrestage. Sie lobten die interdisziplinäre Herangehensweise des Institutes und seine in den deutschen Geisteswissenschaften einzigartige Förderung durch private Mittel. Dr. Mausbach stellte dann die Festrednerin, Prof. Dr. Carmen Birkle, vor, die die neugewählte Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien ist und außerdem Professorin für American Studies an der Universität Marburg. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt hauptsächlich auf Frauen- und Geschlechterforschung und den Minderheitsstudien.

Photo Gallery: Celebrating Ten Years of the HCA

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In ihrer Rede hob Prof. Birkle drei wesentliche Merkmale hervor, die jedes American Studies Programm in sich vereinen sollte, die aber nicht leicht zu erreichen seien. Zum einen nannte sie Interdisziplinarität als wichtiges Element. Sie sei schwer umzusetzen, weil dazu verschiedene Forschungsbereiche eine funktionierende Kommunikation aufbauen müssten. Das zweite wichtige Merkmal sei Sichtbarkeit, was effizientes Marketing nötig mache – die Institution müsse global erreichbar sein. Der letzte Faktor sei transnationale Arbeit. Das HCA sei eines der sehr wenigen florierenden American Studies Institute in Deutschland, zudem das sichtbarste, transnationalste und interdisziplinärste Institut und zudem das einzige, das seine eigenen B.A., M.A. und Doktorandenprogramme habe. Das HCA halte viele internationale Konferenzen ab und habe sehr enge Kontakte zu verschiedenen Forschungsabteilungen entwickelt, was zu einem hohen Grad an Interdisziplinarität geführt habe. In Anlehnung an ein Zitat aus John Winthrops Predigt „A Model of Christian Charity“ nannte Prof. Birkle das HCA die “City Upon a Hill” der American Studies und lobte Gründungsdirektor Professor Junkers „Yes-We-Can“-Einstellung. Sie gratulierte dem HCA im Namen der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien zu seinem Erfolg und schloss mit den Worten, das HCA sei wirklich eine „City Upon a Hill“.

Als nächstes teilten einige Gäste ihre persönlichen Erinnerungen an ihre Zeit am HCA mit. Prof. Kirsten Fischer, Visiting Scholar in den Jahren 2008 und 2011, lobte den respektvollen Dialog, den das HCA unter seinen Studierenden kultiviere. Diese Dialogkultur sei so in den Vereinigten Staaten nicht zu finden und habe sie nachhaltig beeindruckt. Prof. Junker habe ein unvergleichliches Institut kreiert, ein Juwel für Professoren, Mitarbeiter und Studenten. Jasmin Miah, Absolventin des BAS-Jahrgangs 2014, beschrieb ihr Leben als Mitglied des ersten BAS-Jahrgangs und betonte vor allem die familiäre Atmosphäre und die HCA Aktivitäten jenseits von Vorlesungen und Seminaren. Axel Kaiser, Absolvent des MAS-Jahrgangs 2011, gratulierte dem Gründervater des HCA zum Jubiläum und bedankte sich bei den Professoren und Mitarbeitern für ihre Unterstützung, die seinen akademischen Weg geprägt habe. Wie Jasmin Miah betonte auch er, dass er sich am HCA heimisch gefühlt habe. Dr. Karsten Senkbeil, der 2010 am HCA promovierte, beschrieb seine Nervosität vor seinem ersten Kolloquium am HCA. Das HCA, bemerkte er, stelle seine Studenten vor Herausforderungen und belohne sie, wenn sie diese meisterten, mit der Möglichkeit, viel von einem ganzen Team von Professoren und Kommilitonen zu lernen. Er nannte seine Zeit am HCA seine „Champions League-Jahre“. Prof. Stanislaw Burdziej lernte das HCA zunächst bei der Spring Academy kennen, einer internationalen Konferenz für Doktoranden. Dort, berichtete er, habe man seine Arbeit so auseinandergenommen, dass er im Anschluss sein ganzes Projekt auf den Kopf gestellt habe. Er kehrte später als Student an das HCA zurück und absolvierte das MAS-Programm. Er bedankte sich für die Investition, die das HCA in ihn getätigt habe und deren Früchte er nun ernte.

Prof. Dr. Dr. h.c. Detlef Junker bedankte sich bei allen Rednern und zeigte sich gerührt von ihrem Lob, ihren Erinnerungen und ihren geistreichen Schilderungen. In seinem eigenen Rückblick bezeichnete er die Gründung des HCA als eine Erfolgsgeschichte, die auch hätte scheitern können. Er stellte die Vermutung auf, das HCA wäre vermutlich gescheitert, wäre es nach 2008 gegründet worden. Die Finanzkrise hätte wohl eine public-private partnership verhindert. An dieser Stelle bedankte Prof. Junker sich bei allen Spendern des HCA. Weiter betonte er, dass das HCA ohne sein hervorragendes Gründungsteam vermutlich gescheitert wäre, bevor es sich richtig hätte entwickeln können. Er bedankte sich bei allen Mitgliedern des damaligen Teams, das sofort durchgestartet sei, und bei dem gesamten aktuellen HCA-Team. Dr. Mausbach erklärte, das Jubiläum am 4. Juli sei ein Dreifaches: Der 238. Unabhängigkeitstag der Vereinigten Staaten, das 10. Jubiläum des HCA und der 75. Geburtstag seines Gründungsdirektors. Dr. Mausbach dankte Professor Junker für seinen Humor, sein schallendes Gelächter und seinen Enthusiasmus – und für die Gründung des HCA. Er nannte Professor Junker den „George Washington des HCA“. Die Feierlichkeiten wurden musikalisch untermalt von Eva Mayerhofer und Christian Eckert.

Im Anschluss an den Festakt in der Alten Aula fand im Garten des HCA ein amerikanisches Barbecue statt, und viele Gäste ließen sich den deutschen Sieg im Viertelfinale der Fußballweltmeisterschaft nicht entgehen.

Laurie Maffly-Kipp: "James W.C. Pennington and the Origins of African American Historiography"

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24. Juni 2014

Am 24. Juni 2014 feierte das HCA die dritte Verleihung des James W.C Pennington Awards. Die diesjährige Empfängerin des Preises ist Professor Laurie Maffly-Kipp, Distinguished Professor in the Humanities am John C. Danforth Center on Religion and Politics an der Washington University in St. Louis. Der Pennington Award wurde 2011 von der Theologischen Fakultät, einer der Gründungsfakultäten der Ruperto Carola, und einem der neuesten Institute, dem Heidelberg Center for American Studies, ins Leben gerufen. Der Preis ist nach James W.C. Pennington benannt, einem ehemaligen Sklaven, der 1849 die Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg verliehen bekam. Er war der erste Afroamerikaner, dem diese Ehre zuteilwurde. Die Manfred Lautenschläger Stiftung legte den Grundstock für die ersten Forschungsaufenthalte, die mit dem Pennington Award verbunden sind. Dr. h.c. Manfred Lautenschläger gratulierte zunächst der Preisträgerin Professor Maffly- Kipp und stellte dann kurz das Leben und Wirken von James W.C. Pennington vor, dessen Geschichte und Vermächtnis er als sehr bewegend bezeichnete. Pennington wurde als Sklave geboren, entkam diesem Leben als junger Mann und wurde einer der nachdrücklichsten Gegner der Sklaverei. Er besuchte die Yale Divinity School und wurde zum Pfarrer geweiht. Der in seinem Namen gestiftete Preis ehrt herausragende Forschungsleistungen auf dem Feld der afroamerikanischen Geschichte und Religionswissenschaft.

Professor Stievermann stellte dann Professor Maffly-Kipp als führende Wissenschaftlerin auf den Forschungsfeldern afroamerikanische und amerikanische Religion, Religion und Geschlecht sowie der Geschichte des Mormonentums vor. Professor Maffly-Kipp hat bereits zahlreiche Preise und Stipendien erhalten. Neben ihrer hervorragenden wissenschaftlichen Arbeit ist sie ständig bemüht, ihre Erkenntnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Professor Maffly-Kipp ist die Autorin zahlreicher Bücher und Artikel in Fachzeitschriften. Sie interessiert sich momentan besonders für die Rolle von Denominationalismus in schwarzen Kirchengemeinden, die Geschichte der Afroamerikaner und die Rolle von Frauen in der Religionsgeschichte von der Zeit vor dem Bürgerkrieg bis zur Harlem Renaissance. Zu Beginn ihres Vortrags mit dem Titel „James W.C. Pennington and the Origins of African American Historiography“ dankte Professor Maffly-Kipp zunächst dem HCA, der Theologischen Fakultät und der Manfred Lautenschläger Stiftung für die Auszeichnung und stellte ihrem Publikum dann den Mann vor, dem der Preis seinen Namen verdankt. Sie wandte sich zunächst der „Race History“ zu, die James W.C. Pennington, ein enger Freund von Frederick Douglass, verfasste – im Wesentlichen eine Historiographie der Schwarzen. Später veröffentlichte Pennington eine Autobiographie, in der er seine Flucht aus der Sklaverei detailliert beschreibt. Dort findet sich auch die Begebenheit, bei der Pennington von Sklavenjägern gefragt wird, wem er gehört – seine Antwort: „Nur mir, niemandem sonst.“ Um Pennington dem Publikum näher zu bringen, ging Professor Maffly-Kipp auf die vier Dinge ein, die ihm am wichtigsten waren: Seine Familie, seine Rasse, seine Religion und der internationale Kampf gegen die Sklaverei. Sie betonte, dass Pennington sozusagen das „Glück“ gehabt habe, als Sklave auf einer relativ kleinen Farm aufzuwachsen, auf der seine gesamte Familie gemeinsam leben konnte. Er habe immer das Gefühl gehabt, seine Eltern und zehn Geschwister durch seine Flucht im Stich gelassen zu haben und befürchtet, sie dadurch in Gefahr gebracht zu haben. Tatsächlich wurden nach seiner Flucht einige Familienmitglieder an andere Sklavenhalter verkauft und die Familie so getrennt. Pennington bat seine Familie, zum Christentum zu konvertieren, damit sie sich zumindest symbolisch im Glauben nahe sein könne, erklärte Professor Maffly-Kipp.

James Pennington argumentierte stets gegen Ungleichbehandlung von Schwarzen und betrachtete die Sklaverei als kollektiven Kampf und systemische Ungerechtigkeit. Professor Maffly-Kipp erklärte, Pennington habe die Schwarzen als Teil des „Körpers der Menschheit“ betrachtet. Solange ein Körperteil verletzt werde, leide der gesamte Körper. Aus diesem Grund habe er sich dem Krieg gegen die Sklaverei verschrieben. Dieser Krieg – Pennington verwandte den Begriff angesichts des Ausmaßes von Blutvergießen und Gewalt absichtlich – hatte internationale Ausmaße. Pennington kritisierte das britische System der indischen Vertragsknechtschaft und den Bedarf aller modernen Nationalstaaten an billigen Arbeitskräften als Grundursache der Sklaverei. In seinem Krieg gegen die Sklaverei habe sein Glaube ihm Trost gespendet, sei aber auch eine Quelle der Leidenschaft gewesen, so Professor Maffly-Kipp. James W.C. Penningtons Versuche, seine Familie zu retten, fruchteten schließlich, er befreite seine Eltern und einige Geschwister aus der Sklaverei und erkaufte sich am Ende seine eigene Freiheit.

Im Anschluss an diesen engagierten Vortrag und die Preisverleihung lud das HCA seine Gäste zu einem Empfang im Garten ein.

Florian Pressler: "Die erste Weltwirtschaftskrise: Eine kleine Geschichte der Großen Depression" (HCA Book Launch)

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10. Juni 2014

Zur letzten Buchvorstellung im Sommersemester begrüßte das HCA Dr. Florian Pressler von der Universität Augsburg. Er stellte seinen in der beck’schen reihe erschienenen Band „Die erste Weltwirtschaftskrise. Eine kleine Geschichte der Großen Depression“ vor. Die jüngste Finanzkrise hat zwar Dutzende von Büchern über die „Neue Weltwirtschaftskrise“ hervorgebracht, doch die „alte Weltwirtschaftskrise“ lässt auch nach Jahrzehnten der Forschung noch immer viele Fragen über ihre Ursachen und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung offen. Dr. Pressler will mit seinem Buch in die Thematik einführen und Erklärungen liefern, die auch heute relevant sind. Dabei steckt er den Rahmen weit, von den 1920er Jahren, als sich die Entwicklungen anbahnten, die schließlich zum Börsencrash im Oktober 1929 führen sollten, über die Pläne der Alliierten für eine weltwirtschaftliche Nachkriegsordnung bis zu den Problemen und Debatten der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise. Dr. Pressler versteht die Krise als globale Krise, auch wenn das Buch weitgehend eine transatlantische Perspektive einnimmt und dabei wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Entwicklungen miteinander verknüpft.

Der Vortrag am HCA schlug den Bogen von den „roaring twenties“ und ihrem unerschütterlichen Glauben an das Unternehmertum und dem Beginn des Massenkonsums und die internationale Währungspolitik über die Weltwirtschaftskrise bis zum Keynesianismus. Dabei kam Dr. Pressler immer wieder auf einzelne Biographien von Menschen zurück, die die Krise in besonderer Weise geprägt hatten bzw. von ihr geprägt wurden: Der amerikanische Bankier Charles Dawes erarbeitete einen Finanzplan zur wirtschaftlichen Stabilisierung Deutschlands; aus der Dawes-Anleihe erhielt Deutschland eine Anschubfinanzierung, die seine Wirtschaft wieder in Gang brachte. Seine „Goldenen Zwanziger“ hatte Deutschland also in erster Linie amerikanischem Geld zu verdanken; gleichzeitig aber wurde auch ein europäisches Schuldenkarussell in Gang gesetzt. US-Präsident Herbert Hoover hielt angesichts der durch den Börsenkrach im Oktober 1929 ausgelösten Weltwirtschaftskrise zu lange an ökonomischen Orthodoxien fest und handelte – gemessen an der Herausforderung – zu spät und zu zaghaft. Sein Nachfolger Franklin Delano Roosevelt dagegen griff in einem nie dagewesenen Ausmaß und mit beispielloser gesetzgeberischer Aktivität in die amerikanische Wirtschaft ein, wenn auch ein Stück weit auf Kosten seiner europäischen Partner.

Die transatlantische Dimension der Krise illustrierte Dr. Pressler schließlich anhand der Biografie von Ivar Kreuger, dem schwedischen „Zündholzkönig“, der sich gegen Kredite an klamme Staaten drei Viertel des globalen Streichholzmarktes sicherte, im Zuge der Weltwirtschaftskrise aber selber zahlungsunfähig wurde. Wie die Weimarer Republik war Kreuger von amerikanischen Krediten abhängig und geriet in ernsthafte Schwierigkeiten, als diese ausblieben. Beide haben diese Krise nicht überlebt. Nach diesem lebhaften Vortrag, in den immer wieder Passagen aus dem Buch einflossen, diskutierte Dr. Pressler noch etliche Fragen aus dem Publikum.

Thomas Sugrue: "The Education of Barack Obama: Race and Politics in the Age of Fracture"

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3. Juni 2014

Das HCA setzte am 3. Juni sein Baden-Württemberg Seminar fort und begrüßte Thomas Sugrue, David Boies Professor of History and Sociology an der University of Pennsylvania und Direktor des Penn Social Science Forum. Sein Vortrag griff viele Themen aus seinem Buch Not Even Past: Barack Obama and the Burden of Race auf und stieß damit auf großes Interesse bei den Zuhörern im bis zum letzten Platz besetzten Atrium des HCA.

Prof. Sugrue begann seine Ausführungen über “the Education of Barack Obama” mit der Beobachtung, dass viele das derzeitige U.S. Staatsoberhaupt für den intellektuellsten Präsidenten seit Woodrow Wilson halten. Obama hat die besten Schulen seines Landes besucht und einen Abschluss der Harvard Law School erworben. Seine Politik speist sich aus dem Wissen, das er dort erworben hat, und seinen Erfahrungen als Bewohner, Aktivist und Politiker der South Side in Chicago. Darauf fußt Obamas Analyse der Wechselwirkungen von Rassendiskriminierung, Strukturwandel, dysfunktionalen Familien und Armut, eine Analyse, die so wirkungsmächtig wie pragmatisch ist.

Prof. Sugrue zeigte außerdem auf, dass Obama seinen Weg ins Weiße Haus nicht ohne die Bürgerrechtsbewegung der 1960er gegangen wäre, dass seine Karriere beweist, dass Hautfarbe kein Hindernis mehr sein muss, und dass sie neue Möglichkeiten für die nachfolgende Generation eröffnet. Um Obamas Verhältnis zur afro-amerikanischen Vergangenheit zu verstehen, muss man die umkämpften kulturellen, intellektuellen und politischen Milieus in den USA von den 1960er Jahren bis heute verstehen. Als Obama am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts die politische Bühne betrat, befand sich Amerika noch im Schatten des Kampfes um die Bürgerrechte, während einflussreiche Journalisten, Politiker und Wissenschaftler bereits den Anbruch einer neuen Zeit verkündeten, die diese Auseinandersetzungen hinter sich gelassen hatte – eine Gesellschaft jenseits der Rassenbeziehungen. Obama aber akzeptiert kein Amerika mit multiplen, fragmentierten und umstrittenen Identitäten, sondern definiert sich selbst als fundamental amerikanisch und gleichzeitig als Repräsentanten einer Gesellschaft jenseits der Rassenbeziehungen.

Das Publikum zeigte sich begeistert von diesem lebhaften Vortrag und stellte danach eine ganze Reihe von Fragen, die Prof. Sugrue gerne beantwortete.

Fred Gardaphé: "Breaking and Entering: An Italian-American’s Literary Odyssey"

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27. Mai 2014

Am 27. Mai 2014 fand am HCA erneut ein Vortrag im Rahmen des Baden- Württemberg Seminars des HCA statt: Professor Gardaphé, Distinguished Professor für Englisch und Italian-American Studies am John D. Calandra Italian American Institute, Queens College, City University of New York sprach über „Breaking and Entering: An Italian-American’s Literary Odyssey“. In seinem Vortrag beschrieb Prof. Gardaphé seinen Weg hin zur italienisch-amerikanischen Literatur und seinen beruflichen Werdegang. In seiner Jugend war Lesen nicht besonders populär, erinnerte er sich, da man sich dafür ein ruhiges Plätzchen brauchte. Dieses war ein seinem turbulenten Zuhause in Chicagos Little Italy nicht leicht zu finden. Er und seine Geschwister erledigten ihre Hausaufgaben am Küchentisch, umgeben von Familienmitgliedern, die sich lautstark unterhielten. Um lesen zu können, hätte Fred Gardaphé flüchten müssen, aber er konnte sich auch nicht in die Stadtbücherei zurückziehen, da dies mit seinem Wunsch, als „tough“ zu gelten, nicht in Einklang zu bringen war. Er entdeckte die Bücherei als Zufluchtsort erst, als er auf der Flucht vor der Polizei, die ihn wegen Gelegenheitsdiebstahl suchte, dort Unterschlupf suchte. Seine Zuhörer lachten herzlich, als er witzelte: „Hätte ich nicht das Lesen entdeckt, wäre ich ein Krimineller geworden. Da bin ich mir sicher.“ Dies meinte er aber durchaus ernst. Nach dem Mord an seinem Vater in dessen Pfandleihhaus schenkte seine Tante ihm das Buch „Der Pate“, obwohl es als Tabu galt, Bücher zu verschenken. Seine Tante argumentierte, dass, wenn der Junge schon unbedingt lesen wolle, er doch wenigstens etwas Italienisches lesen solle. Nachdem er für einen Schulaufsatz über die Mafia eine schlechte Note erhalten hatte mit der Begründung, ihm fehle Objektivität, machte Fred Gardaphé es sich zur Aufgabe, Experte auf dem Gebiet zu werden. Er ging in die Bibliothek und erklärte seinen Freunden, wie kriminelle Banden am besten zu strukturieren seien, und verdiente sich mit diesem Wissen Geld.

Nach dem College unterrichtete Prof. Gardaphé an einer High School. Schließlich besuchte er die Heimatstadt seines Großvaters in Italien. Diese Reise war für ihn sehr emotional und vereinigte ihn wieder mit einem Teil seiner italienischen Familie und Identität. Zurück in den Staaten beschloss er, einen Masterabschluss in italienischer Literatur zu machen. Er entdeckte italienisch-amerikanische Literatur für sich, musste aber feststellen, dass diese von beiden Kulturen stiefmütterlich behandelt wurde. Also beschloss Fred Gardaphé, diese Autoren zu unterstützen und ihr literarischer Anwalt zu werden. Er verfolgte das literarische Geschehen, rezensierte Bücher und veröffentlichte vieler seiner Kritiken in seiner Zeitungskolumne. Er wollte beweisen, dass es in der Tat eine italienisch- amerikanische Literaturszene gab, und so konzentrierte er sich in seiner Doktorarbeit auf dieses Thema. Im Anschluss daran unterrichtete er schließlich Italian-American Studies an der Stony Brook University und rief ein italienisch-amerikanisches Netzwerk ins Leben, um, wie er sich ausdrückte, American Studies nach Italien zu bringen. Professor Gardaphé wurde der erste Distinguished Professor of Italian- American Studies. Im Anschluss an seinen fesselnden und kurzweiligen Vortra, beantwortete Professor Gardaphé seinen Zuhörern einige Fragen und führte mit ihnen in die Debatte über American Studies und Italian-American Studies fort.

Detlef Junker and Thomas W. Maulucci Jr.: "GIs in Germany" (HCA Book Launch)

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20. Mai 2014

TAm 20. Mai 2014 gab es erneut eine Buchvorstellung am HCA. Gründungsdirektor Prof. Dr. Junker und Prof. Thomas W. Maulicci Jr. vom American International College präsentierten ihr Buch “GIs in Germany: The Social, Economic, Cultural, and Political History of the American Military Presence”, einen Band mit Konferenzbeiträgen. Als Ehrengast begrüßte das HCA Prof. Brian McAllister Linn, Professor für Geschichte und Ralph R. Thomas Professor für Geisteswissenschaften an der Texas A&M University sowie Bosch Public Policy Fellow an der American Academy Berlin. Zu Beginn der Buchvorstellung veranschaulichte Prof. Maulucci die Bedeutung der Präsenz der US Truppen in Deutschland im Kalten Krieg und betonte, neben anderen Faktoren sei speziell die politische Botschaft entscheidend gewesen, die die USA mit dieser Stationierung verband: Europa und Deutschland seien für die Vereinigten Staaten wichtig. Ein weiterer wichtiger Faktor sei die Kaufkraft der GIs gewesen, die die lokale Wirtschaft durch ihre Anwesenheit gestärkt hätten. Aus der Besetzung seien etliche deutsch-amerikanische Ehen hervorgegangen, nachdem das Verbot der Verbrüderung zunächst ignoriert und dann aufgehoben worden sei. Im Laufe der Zeit seien in vielen US-besetzten deutschen Städten „Little Americas“ entstanden und Teile der amerikanischen Popkultur wie Jazz, Country Music und Rock’n’Roll hätte ihren Weg in die deutsche Kultur gefunden. Professor Maulucci erklärte, die deutsche Bevölkerung sei verhältnismäßig gut mit den amerikanischen GIs klargekommen, da sie einer ähnlichen Kultur entstammten. Die amerikanischen Besatzer seien eher als Beschützer als Bedrohung wahrgenommen worden. In den späten 1960er Jahren habe sich die Beziehung zwischen der deutschen Öffentlichkeit und den GIs verkompliziert, da die junge Generation Deutscher die Anwesenheit amerikanischer Truppen kritischer gesehen habe. Proteste gegen den Vietnamkrieg hätten die Situation verschärft. Immer öfter sei die Frage laut geworden, ob die USA ihre Truppen zur Erfüllung des NATO-Mandates in Deutschland stationierten, oder um diese strategisch platzierten, um andere Militärziele wie Vietnam leichter zu erreichen, unabhängig davon, ob Deutschland dies unterstützte.

Professor Junker betrachtete in seinem Teil des Vortrags die frühe Besatzung Heidelbergs. Er verdeutlichte, dass im Vergleich zu den meisten Besatzungsregimen der Weltgeschichte die Besetzung Deutschlands und besonders Heidelbergs höchst human gewesen sei. Er erklärte, die GIs hätten den Auftrag gehabt, die deutsche Gesellschaft zu transformieren. Entnazifizierung sei der erste Schritt zur Demokratie gewesen – ein Ziel, das nach Meinung der amerikanischen Regierung die Deutschen nicht allein erreicht hätten. In Heidelberg habe die verbreitete Konfiszierung von Häusern und Wohnungen deutscher Familien für die Unterbringung amerikanischer GIs allerdings auch für Ressentiments gesorgt. Die Erlaubnis, zur Verbesserung der Truppenmoral Angehörige aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland zu holen, habe die Lage nicht verbessert. Im Großen und Ganzen seien die Heidelberger Bürger jedoch willens und in der Lage gewesen, mit den GIs zu kooperieren, erklärte Professor Junker. Er beendete seinen Vortrag mit zwei Thesen: Zum einen hätten die GIs mit ihrem Beitrag zur Entnazifizierung die deutsche Gesellschaft zu einem Grad verändert, der ohne sie nicht erreicht worden wäre. Zum anderen seien die Deutschen zeitgleich von den Amerikanern besetzt und befreit worden. Professor McAllister Linn lobte den Band und hob hervor, er werde mindestens für das kommende Jahrzehnt richtungsweisend für weitere Forschung auf dem Gebiet sein. Er beschrieb das Buch als eine Sammlung vielfältiger Themen, das aber dennoch kohärent sei. Professor McAllister Linn lobte den Mut der beiden Herausgeber, neben den Beiträgen bekannter und etablierter Wissenschaftler auch Aufsätze junger unbekannter Forscher zu veröffentlichen. Durch diesen Schritt habe das Werk stark gewonnen. Er forderte junge Wissenschaftler auf, jetzt die Lücken in der Geschichtsschreibung über GIs in Deutschland zu füllen und sich dabei in ihrer Forschung auf Lokalgeschichte zu konzentrieren. Nach einer sehr lebhaften Debatte über GIs in Heidelberg, in der unter anderem die Frage nach etwaigem bewaffneten Widerstand gegen GIs in Deutschland aufkam, lud das HCA die Vortragenden und das Publikum ein, das Thema bei einem Glas Wein zu vertiefen.

George Packer: "America – What Went Wrong, What Can Be Done?" (HCA Commencement 2014)

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25. April 2014

Am 25. April 2014 richtete das Heidelberg Center für American Studies erneut die Absolventenfeier des MAS Jahrgangs 2014 aus. Zum ersten Mal wurde auch der erste B.A. in American Studies (BAS) des HCA feierlich verabschiedet. Der Tradition des HCA entsprechend fand der offizielle Teil der Feierlichkeiten in der ehrwürdigen Aula der Alten Universität statt. Mit warmen Worten eröffnete Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan Maul, Dekan der philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg, die Zeremonie. Dabei würdigte er insbesondere die Leistungen und Erfolge der diesjährigen Absolventen. Ihre Erfahrungen und Leistungen an der Universität Heidelberg, getreu deren Motto semper apertus (immer offen), stelle die Absolventen nun vor neue geöffnete oder noch zu öffnende Türen. Im Anschluss an diesen feierlichen Auftakt hieß Prof. Dr. Dr. h.c. Detlef Junker, Gründungsdirektor des HCA, die Absolventinnen und Absolventen zusammen mit ihren Familien und Freunden sowie Freunde und Förderer des HCA herzlich willkommen. Der heutige Tag sei für jede Absolventin und jeden Absolventen des MAS Jahrgangs 2014 hart erkämpft und wohlverdient. Seine besonderen Glückwünsche richtete Prof Junker auch an den ersten Abschlussjahrgang des B.A. in American Studies. „Dass wir heute den ersten Bachelor Jahrgang in American Studies am HCA verabschieden dürfen, zeigt, wie das HCA in den letzten Jahren als universitäres und wissenschaftliches Institut an Zuwachs gewonnen hat.“ Ergänzend führte Junker aus: „Bislang haben 144 Studenten aus 44 Ländern im Rahmen unseres MAS Programms intensiv die Vereinigten Staaten in ihren Facetten studiert. Allein im letzten Jahr gingen 256 Bewerbungen für den B.A. am HCA ein.“

Nachdem einem kurzen Abriss über das Werken und Wirken der MAS Studentinnen und Studenten am HCA in den letzten 15 Monaten begrüßte Prof. Junker den diesjährigen Gastredner George Packer. Als Journalist ist Packer insbesondere für seine Beiträge in der Zeitschrift The New Yorker bekannt. Daneben veröffentlichte Packer acht Bücher, darunter zwei Novellen, ein Theaterstück und fünf Sachbücher. Für sein neuestes Buch The Unwinding: An Inner History of the New America wurde Packer mit dem National Book Award 2013 ausgezeichnet. Nach einigen einführenden Worten stellte George Packer die zentralen Aussagen seines Buches vor. „Als Journalist kenne ich mich mit vielen Dingen ein bisschen aus,“ erklärte Packer. „The Unwinding ist eine sozialkritische Abhandlung der maßgebenden Faktoren, die die Vereinigten Staaten zwischen 1978 und 2012 geprägt und geformt haben.“ Er stellte einige Protagonisten seines Buches vor, darunter die Entertainerin Oprah Winfrey; Tammy Thomas, eine afro-amerikanische Arbeiterin aus Ohio; und Sam Walton, Gründer und Manager von Wal Mart, und führte sein Publikum so durch sein Buch. Zusammenfassend stellte Packer fest: „The Unwinding ist eine journalistische Studie, die sich mit der Auflösung von ehemals funktionierenden Institutionen befasst. Mit deren Auflösung wird aber auch der bis dato stillschweigend geltende Gesellschaftsvertrag gebrochen, der besagt, dass harte Arbeit sich in Form einer gesicherten Zukunft und Aufstiegsmöglichkeiten der eigenen Kinder auszahlt.“ Inwieweit diese Prognose in der Zukunft Realität werde, hänge davon ab, ob sich diese Auflösung aufhalten oder umkehren lasse.

Ein musikalischer Beitrag des Pianisten Sebastian Bausch leitete den zweiten Teil der Absolventenfeier in der Alten Aula ein. Im Folgenden wurden die Zeugnisse der MAS und BAS Absolventinnen und Absolventen durch den Dekan und Gründungsdirektor übergeben. Anschließend trat der Jahrgangsbeste des MAS Jahrgangs 2014, Edward Palmi, an das Rednerpult. Für seine hervorragende Masterarbeit „The Games and Rules of a ‘More Perfect Union’: The Political Economy of Constitution-making in America 1787” erhielt Palmi den alljährlich vom HCA vergebenen Buchpreis. In seiner Rede dankte Edward Palmi ausdrücklich den Familien und Freunden der Absolventinnen und Absolventen, die ihnen bedingungslos und jederzeit zur Seite standen und es erst ermöglichten, die hoch gesteckten Ziele zu erreichen. Ihr Rat und Beistand, zusammen mit der Leistung und dem Ehrgeiz seiner Kommilitonen hätten es möglich gemacht, neue Türen zu öffnen und große Lernerfolge in den American Studies zu erzielen. Die Unterstützung und Förderung der Lehrkräfte und Professoren hätten das HCA zu einer Station in seinem Leben gemacht, an den man jederzeit gerne zurückkehren würde.

Im Anschluss an die feierliche Zeremonie in der Alten Aula wurden die Festivitäten in die Räumlichkeiten des HCA, den Curt und Heidemarie Engelhorn Palais, verlegt. Ein üppiges Buffet und eine Bar trugen bis spät in den Abend hinein zur ausgelassenen Stimmung bei. In dieser Atmosphäre rundeten angeregte Gespräche und der Austausch von Erinnerungen und Zukunftsplänen den durch und durch gelungenen Abend ab.

Panel Discussion: "On the Sidelines? The Civil War in Syria from Regional and International Perspectives"

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24. April 2014

Am 24. April 2014 veranstalteten die Deutsche Atlantische Gesellschaft, das Heidelberger Forum für internationale Sicherheit (FiS) und das HCA eine international hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion zum syrischen Bürgerkrieg, den Einflussmöglichkeiten der internationalen Gemeinschaft auf den Konfliktverlauf und dessen dramatische Folgen für die Zivilbevölkerung. Moderiert wurde die Veranstaltung von Magdalena Kirchner, Doktorandin am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg. Nach der Eröffnung durch den wissenschaftlichen Geschäftsführer des HCA, Dr. Wilfried Mausbach, diskutierten die Heidelberger Professoren Prof. Dr. Werner Arnold, Leiter der Abteilung Semitistik am Seminar für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients, und Prof. Dr. Sebastian Harnisch, Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Beziehungen und Außenpolitik des Instituts für Politische Wissenschaft, gemeinsam mit Prof. Eyal Zisser, Dekan der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tel Aviv und einer der versiertesten Syrienkenner, sowie Carrie Shirtz, der stellvertretenden Leiterin der Abteilung Außen- und Sicherheitspolitik der U.S.-Botschaft in Berlin.

Vor mehr als 100 Besucherinnen und Besuchern waren sich die Teilnehmer des Panels schnell darüber einig, dass die internationale Staatengemeinschaft angesichts der desaströsen Lage in Syrien nicht tatenlos bleiben dürfte. Im Vordergrund standen insbesondere Fragen zu den enormen humanitären Folgen des Krieges. Mehr als ein Drittel der syrischen Gesamtbevölkerung befindet sich inner- und außerhalb des Landes auf der Flucht, und auch das Gesundheitssystem scheint mittlerweile nahezu vollständig kollabiert zu sein. Wie in den meisten internationalen Foren herrschten allerdings auch auf dem Podium teilweise unterschiedliche Meinungen darüber, wie ein solches Engagement denn aussehen könne. So berichtete Carrie Shirtz beispielsweise von verstärkten Bemühungen der USA, die Anrainerstaaten zu stabilisieren und die Regionalmächte konstruktiv einzubinden. Dass eine solche Einbindung auch den Schutz religiöser Minderheiten in Syrien beinhalten müsse, forderte Werner Arnold. Während Eyal Zisser die besondere Herausforderung des Krieges und eines möglichen Staatszerfalls für Israel als Nachbarstaat schilderte, stellte Sebastian Harnisch fest, dass die Zerstörung der syrischen Chemiewaffen zwar zeige, dass die internationale Gemeinschaft handlungskräftig sein kann – ihr Engagement ohne einen Konsens über die Zukunft Syriens allerdings stark begrenzt bleiben wird. Die anschließende lebhafte Debatte mit dem Publikum sowie ein Empfang in der Bel Etage boten darüber hinaus Gelegenheit zum vertieften Austausch mit den Diskutanten sowie den Besuchern untereinander.

Podiumsdiskussion: "(K)Ein neuer Kalter Krieg? Die Ukraine, Russland und der Westen nach der Krimkrise"

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10. April 2014

Am 10. April 2014 fand im Atrium des HCA eine Podiumsdiskussion zu den aktuellen Ereignissen in der Ukraine statt. Zu Gast als Diskussionsteilnehmer waren Prof. Dr. Tanja Penter, Professorin für osteuropäische Geschichte an der Universität Heidelberg, Dr. Hans Joachim Spanger von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt, Dr. Martin Thunert, vom Heidelberg Center for American Studies und Simon Weiß vom Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg. HCA-Gründungsdirektor Prof. Detlef Junker moderierte. Er stellte zunächst die Diskutanten vor und führte dann ins Thema ein.

Zu Beginn der Debatte stellte jeder Teilnehmer seine Sicht der Lage dar. Prof. Penter beschrieb die revolutionären Ereignisse auf dem Majdan-Platz, die der Annektierung der Krim vorangegangen waren, als eine scharfe Zäsur in einer historisch gewaltarmen Vergangenheit. Die Art des Konflikts, betonte sie, sei nicht neu, das Ausmaß hingegen schon. Sie erklärte den Blick der Russen auf die Ukraine: Man nehme dort die Ukraine als „kleinen Bruder“ mit einer minderwertigen Kultur wahr, dessen Sprache ein „russischer Dialekt“ sei. Diese Sichtweise und die Tatsache, dass Putin an die historischen Ängste der Russen appelliere – an dieser Stelle erinnerte Prof. Penter an Napoleon und den Zweiten Weltkrieg – heize die Lage an. Für Simon Weiß ist die starke Verflechtung der beiden Länder von großer Bedeutung. Er erklärte auch, Janukowitsch würde im Westen zu stark als pro-russisch gesehen. Er habe versucht, Europa und Russland im Sinne der Ukraine gegeneinander auszuspielen. Dies sei nicht geglückt. Simon Weiß bezeichnete die Annektierung der Krim durch Russlands als Völkerrechtsverletzung.

Dr. Spanger sieht die europäische Reaktion als erstaunlich uneins im Vergleich etwa zur Annexion Kuwaits durch Saddam Hussein, als der Westen sich einigte und es zum Krieg kam. Er betonte auch, an der jetzigen Krise trage Putin die Schuld und müsse gestoppt werden. Dr. Thunert konzentrierte sich auf die Rolle der USA. Die amerikanische Öffentlichkeit sei gegen eine Intervention, solange von dem Konflikt keine direkte Bedrohung für die USA ausgehe. Aus Sicht der Obama-Administration habe Russland gegen die Vereinbarung verstoßen, der Ukraine volle Integrität einzuräumen. Die Gegenleistung, also die Abgabe nuklearer Waffen an Russland, habe die Ukraine erbracht. Dr. Thunert merkte an, Putin sei ein Produkt der Globalisierung und könne durch Selbige gestoppt werden, indem man beispielsweise die Finanzen russischer Oligarchen einfriere.

In der anschließenden Diskussion debattierten die Gäste unter anderem die Fragen, was Putins Ziele sein könnten und wie Europa auf die Drohungen Russlands reagieren solle, dem Kontinent den Gashahn abzudrehen. Obwohl die Meinungen in Detailfragen auseinandergingen, war der Konsens unter den Podiumsgästen stark, man müsse Putin Einhalt gebieten und Europa und auch die USA müssten enger kooperieren.

Ausstellung "The Rejection Collection: Die besten Cartoons, die der New Yorker nie druckte"

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20. März bis 24. April 2014

Die amerikanische Zeitschrift The New Yorker gilt nicht nur als das non-plus-ultra für aufstrebende und etablierte Literaten, Literaturkritiker und Kommentatoren des Zeitgeschehens, sondern auch als Pantheon des amerikanischen Humors. Dort abgedruckt zu werden, ist der Ritterschlag für amerikanische Zeichner. Die „Rejection Collection“, die im März und April am HCA zu sehen war, besteht aus etwa 250 Cartoons, die allesamt aus der Feder von Stammkarikaturisten des New Yorker kommen, dort aber nie im gedruckt wurden. Bei einem Gang durch die Ausstellung kam man nicht umhin festzustellen, dass einige Cartoons wirklich ein wenig unanständig und grob sind. Andere sind politisch sehr unkorrekt oder sehr bizarr. Die meisten aber werden ausgeschlossen, weil allein die Stammkarikaturisten der Zeitschrift etwa 500 pro Woche einreichen. Dazu kommen die unzähligen Cartoons, die unaufgefordert eingeschickt werden.

Neben der schieren Masse scheint es aber auch andere Ausschlusskriterien zu geben, von denen Dr. Anja Schüler einige in ihrem Einführungsvortrag vorstellte: Cartoons, die schlicht zu niveaulos sind, politisch sehr unkorrekte Cartoons, die sich etwa über Rassenbeziehungen oder Religion lustig machen, düstere, morbide oder makabre Zeichnungen. Der New Yorker druckt außerdem keine Cartoons, die offenkundig oder ausdrücklich politisch sind. Andere sind einfach zu schräg, zu schwierig zu verstehen oder zu schmutzig. Und dann gibt es wirklich schlechte Cartoons – die meisten Wortspiele gehören dazu. Dieser unterhaltsame Vortrag mit vielen Beispielen weckte auf jeden Fall das Interesse der zahlreichen Besucher der Vernissage, die sich dann bei einem Glas Wein ganz der Ausstellung widmen konnten.

Daniel Markovits: "Snowball Inequality: The New American Aristocracy and the Crisis of Capitalism"

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30. Januar 2014

Das Herbstsemester des Baden-Württemberg Seminars am HCA ging am 30. Januar 2014 mit einem Vortrag von Daniel Markovits zu Ende, der über die neue amerikanische Aristokratie und die Krise des Kapitalismus sprach. Daniel Markovits ist Guido Calabresi Professor für Recht an der Yale Law School und Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Sein Hauptinteresse gilt den philosophischen Grundlagen des Privatrechts, der moralischen und politischen Philosophie und der Verhaltensökonomie. Er hat zahlreiche Artikel zu den Themen Vertragsrecht, Rechtsethik, Verteilungsgerechtigkeit und Demokratietheorie verfasst.

Bevor er das Konzept der „snowball inequality“ (der Schneeballeffekt sozialer Ungleichheit) erläuterte, gab Professor Markovits seinen Zuhörern zunächst einen Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung der USA seit den 1960er Jahren. Obwohl Armut aus empirischen und konzeptionellen Gründen schwer zu vermessen ist, sind einige Veränderungen dennoch leicht zu erkennen. Zwischen 1967 und 2011 gab es eine Verschiebung des Einkommens von der stagnierenden Mittelklasse zur Oberschicht, und die Unterschicht hat zur Mittelschicht aufgeschlossen. Die absolute Mehrheit der heutigen Reichen der USA ist durch eigene Arbeit zu ihrem Vermögen gekommen und arbeitet heute härter als je zuvor. Außerdem existiert ein umgekehrtes Verhältnis zwischen Hochverdienern und Steuersätzen: Die extrem Reichen genießen ein steigendes Einkommen und sinkende Steuersätze. Weiterhin lässt sich, entgegen der landläufigen Meinung, für die letzten fünfzig Jahre keine Abnahme der sozialen Aufstiegsmöglichkeiten konstatieren.

Nachdem diese Fakten etabliert waren, erklärte Professor Markovits die wichtigsten Gründe für den sozialen Schneeballeffekt. Eins der Probleme ist die wachsende Kluft bei Qualifikationen: Arbeitnehmer mit mittlerer Qualifikation werden zunehmend durch Technologien ersetzt. Jobs an beiden Enden des Fähigkeitsspektrums, also körperliche Arbeit und abstraktes Denken, können bisher nicht von Maschinen ersetzt werden. Das zweite Problem ist, dass die reichsten 25 Prozent der Amerikaner sechsmal so viel für die Bildung ihrer Kinder ausgeben wie der Durchschnitt. Dieser Unterschied hat sich seit den 1960er Jahren verdreifacht. Das führt zu einer verzerrten Elite, da die Kinder reicher Eltern so von Prep Schools und anderen privaten Ressourcen für die Universität getrimmt werden, dass sie an den amerikanischen Eliteuniversitäten überrepräsentiert sind. Dieses Phänomen kreiert eine beschränkte Elite. Die Situation wird nicht dadurch verbessert, dass es bei den Collegeabschlüssen eine wachsende Lücke zwischen Studenten aus reichen und ärmeren Familien gibt. Die Kombination aus der Verdrängung der „Mittelqualifizierten“ und der Erschaffung einer verzerrten Elite führt zum Schneeballeffekt.

Als Beispiel führte Professor Markovits den Finanz- und Bankensektor an. In diesem Bereich wurde in den vergangenen sechzig Jahren eine Armee aus „Mittelqualifizierten“ durch eine kleine hochqualifizierte Elite ersetzt. Professor Markovits argumentierte, der Schneeballeffekt pervertiere den politischen Prozess in einer Demokratie und entfremde die Superreichen von der Gesellschaft. In der an den Vortrag anschließenden Diskussion ging es hauptsächlich um die Frage, ob Rasse oder Klassenzugehörigkeit ein stärkerer Wirtschaftsfaktor für den Einzelnen seien. Obwohl Professor Markovits das Rassenproblem nach wie vor als kritisch wahrnimmt, sieht er die Klassenzugehörigkeit als bedeutenderen Faktor an. Er ergänzte, die Gleichstellungsthematik für Frauen sei in der Welt der Ökonomie noch absolut unterbewertet.

Manfred Berg und Cornelis van Minnen: "The U.S. South and Europe: Transatlantic Relations in the Nineteenth and Twentieth Centuries" (HCA Book Launch)

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21. Januar 2014

Am 21. Januar 2014 fand die erste HCA Buchvorstellung im neuen Jahr statt. Die beiden Herausgeber Prof. Manfred Berg und Prof. Cornelis van Minnen stellten ihr Buch The U.S. South and Europe: Transatlantic Relations in the Nineteenth and Twentieth Centuries vor. Prof. Manfred Berg ist der Curt Engelhorn Professor für Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg. Prof. Cornelis van Minnen ist der Direktor des Roosevelt Studies Center (RSC) in Middelburg in den Niederlanden und Professor für Amerikanische Geschichte an der Universität Ghent in Belgien. Professor van Minnen legt in der Forschung sein Hauptaugenmerk auf US-niederländische Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Besonders interessieren ihn hierbei die diplomatischen Beziehungen, Immigration und amerikanische Kulturgeschichte. Prof. Berg stellte Prof. van Minnen vor und erklärte, das Buch The U.S. South and Europe, das Resultat einer Konferenz zu diesem Thema, sei eine Sammlung von Aufsätzen von siebzehn Autoren, die in acht Ländern unterrichteten.

Prof. van Minnen stellte das Buch dann detaillierter vor und erklärte, die Konferenz habe sich auf viele verschiedene Aspekte der Beziehungen des US Südens mit Europa konzentriert. Dies sei ein neues, wachsendes Feld, das von einer transnationalen Perspektive profitiere. Die im Buch behandelten Themen behandeln unter anderem die gegenseitige Wahrnehmung des US-Südens und Europa, den Jim Crow Süden und die Bürgerrechtsbewegung, sowie die Perspektive der Südstaaten auf die europäische Entkolonialisierung. Prof. van Minnen erläuterte, die Essays zeigten einen lebhaften Austausch zwischen den US-Südstaaten und Europa, obwohl sich nur wenige europäische Einwanderer im Süden niedergelassen hätten und Rassismus und die Rassentrennung ein Problem gewesen seien. Prof. van Minnen hofft, dass dieses Buch ein wichtiger Impuls für die Forschung ist und dass junge Forscher diese Thematik für sich entdecken und das Feld weiter bearbeiteten. Nach der Vorstellung des Buches brachte Professor van Minnen seine Bewunderung für das HCA und die herausragende Arbeit seines Gründungsdirektors Prof. Junker zum Ausdruck und erklärte Professor Junker zum lebenslangen Ehrenmitglied des Roosevelt Studies Center.

David Scheffer and Caroline Kaeb: "What, if Anything, Does Europe Have to Learn from the United States about Corporate Social Responsibility?"

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5. Dezember 2013

Das HCA setzte sein Baden-Württemberg Seminar am 5. Dezember fort und begrüßte David J. Scheffer und Caroline Kaeb. Sie diskutierten auf der Bühne des Atriums über die Frage “What, if Anything, Does Europe Have to Learn from the United States about Corporate Social Responsibility?” Botschafter David Scheffer ist der Mayer Brown/Robert A. Helman Professor für Recht und Direktor des Center for International Human Rights an der Northwestern University School of Law. Er kam ans HCA als Bosch Fellow in Public Policy an der American Academy in Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind internationales Strafrecht, internationale Menschenrechte und soziale Verantwortung von Unternehmen. Dr. Caroline Kaeb ist Visiting Assistant Professor of Law an der Northwestern University School of Law. Sie ist außerdem affiliiertes Fakultätsmitglied am Ford Motor Company Center for Global Citizenship an der Kellogg School of Management. Ihre Hauptinteressen liegen im internationalen Wirtschaftsrecht, Corporate Compliance und Recht und gesellschaftlichen Normen.

Professor Scheffer erklärte, dass das Verhalten von Unternehmen eng mit Menschenrechts- und Umweltfragen verknüpft sei. Das Konzept von sozialer Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility) existiert seit zwanzig Jahren und beinhaltet ein soziales Mandat, das von 7.000 Unternehmen weltweit unterzeichnet wurde. Dieses Mandat zielt darauf ab, Antikorruptionsgesetze zu etablieren und Menschenrechte und Sicherheit für Angestellte zu garantieren. Insgesamt haben 145 Länder sich freiwillig zu Corporate Social Responsibility verpflichtet. Die UN begann in den 1990ern damit, bindende Normen und Regeln für Unternehmen aufzustellen, um Menschenrechte zu garantieren. Diese Normen wurden allerdings weder ratifiziert noch abgelehnt und können daher in Unternehmen nicht offiziell durchgesetzt werden, sondern werden nur auf freiwilliger Basis anerkannt. Da es keine bindenden Gesetze gibt, ist das einzige und stärkste Mittel, die Unternehmen, die Menschenrechte verletzen, öffentlich anzuprangern.

Professor Scheffer und Dr. Kaeb beschrieben auch die Unterschiede zwischen Gerichtsverfahren gegen Menschenrechtsverstoße von Unternehmen in den USA und in Europa. Obwohl der Supreme Court der USA 2013 entschied, dass Verbrechen, die außerhalb der USA begangen werden, nicht von amerikanischen Gerichten verhandelt werden können, gibt es Ausnahmen: Falls ein US-Bürger Opfer der Straftat oder der Täter ist, falls das Verbrechen sich auf US-amerikanischem Territorium ereignet hat, oder falls nationale Interessen auf dem Spiel stehen, können diese Straftaten von US-Gerichten verhandelt werden. Während die Vereinigten Staaten die Extraterritorialität eingeschränkt haben, entwickeln sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten in die entgegengesetzte Richtung. Eine Verordnung aus Brüssel öffnet die Gerichte aller EU-Länder für Ausländer, solange der Ursprung des Verbrechens in Europa liegt. Dies würde zum Beispiel Entscheidungen betreffen, die in der EU gefällt wurden, die außerhalb der EU zu Verbrechen führen. Nachdem sie die theoretischen Unterschiede zwischen den USA und der EU bezüglich Corporate Social Responsibility erklärt hatten, führten Professor Scheffer und Dr. Kaeb mit ihren Zuhörern eine lebhafte Debatte über echte Fälle und hypothetische Beispiele von Unternehmen begangenen Straftaten und ihrer Lösungen vor Gericht.

Warren Breckman: "Radical Democracy, Postmarxism and the Machiavellian Moment"

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16. November 2013

Am 16. November war Warren Breckman, der Siemens Fellow der American Academy in Berlin, am HCA zu Gast. Er sprach über radikale Demokratie, Postmarxismus und das Machiavellische Moment. Warren Breckman ist Professor für die Ideen- und Kulturgeschichte des modernen Europas an der University of Pennsylvania. Unter anderem verfasste er die Werke Karl Marx, the Young Hegelians, and the Origins of Radical Social Theory: Dethroning the Self und European Romanticism: A Brief History with Documents. Sein Buch Adventures of the Symbolic: Postmarxism and Radical Democracy erschien 2013 bei Columbia University Press. Außerdem publizierte Prof. Breckman zahlreiche Artikel zur Philosophiegeschichte, zur Moderne und zur urbanen Kultur, zur Entwicklung der Konsumkultur, zur Geschichtstheorie und zum Nationalismus.

In seinem Vortrag konzentrierte sich Prof. Breckman auf den Einfluss der Werke Niccolò Machiavellis (1469-1527) auf marxistische Denker, besonders die beiden französischen Philosophen Claude Lefort und Louis Althusser. Zu Beginn erläuterte er die persönlichen Umstände Machiavellis nach der erneuten Machtübernahme der Medici, die ihn verhafteten und folterten. Schließlich ging Machiavelli ins Exil, wo er sich dem Verfassen politischer Werke verschrieb. Sein bekanntestes Werk, Il Principe (Der Fürst) wurde erst fünf Jahre nach seinem Tod veröffentlicht. In Der Fürst entwickelt Machiavelli Ratschläge und Methoden für Herrscher, um Macht zu erlangen, zu sichern und auszubauen. Er schildert auch, wie ein Staat organisiert sein sollte. Dieses Werk sorgte für Entrüstung im Klerus, da Machiavelli Religion als Mittel zum Zweck beschreibt, die Bevölkerung zu kontrollieren. Der Fürst selbst, so seine These, solle nicht übermäßig religiös sein, aber dafür Sorge tragen, dass sein Volk gläubig sei. Außerdem kritisierte die Kirche Machiavellis Moralvorstellungen. Das Werk fand jedoch von Anfang an auch Bewunderer, und seine Faszination dauert an. An dieser Stelle erwähnte Prof. Breckman Zeitungsartikel neueren Datums, die sich mit der Frage beschäftigen, was Angela Merkel von Machiavelli gelernt haben könnte und den britischen Premierminister mit Machiavellis Fürsten vergleichen.

Prof. Breckman lenkte dann die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Verbindung zwischen Machiavelli und der politischen Theorie des Marxismus. Marx selbst las seine Werke, wie auch die französischen Philosophen Althusser und Lefort. Beiden Franzosen, erklärte Prof. Breckman, gelang es nach der Lektüre Machiavellis, ein Vakuum zu sehen, einen Ansatzpunkt für eine Revolutionierung politischen Denkens. Prof. Breckman gab zu bedenken, dass beide unterschiedliche Vakua sahen. Louis Althusser (1918-1990) war Professor für Philosophie und ein langjähriges Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs. Er war einer der bedeutendsten marxistischen Denker Frankreichs. Einen neuen Staat zu gründen und eine neue Theorie zu entwickeln sah er als verwandte Probleme. Althusser konnte sich mit Machiavellis Gedanken identifizieren, da er selbst mit der Frage kämpfte, wie man aus dem Nichts etwas schafft. Im Laufe seiner Arbeit sah Althusser Machiavelli als Ergänzung des Marxismus. Claude Lefort (1924-2010), ebenfalls ein Philosoph und Professor, war in seiner Jugend ein überzeugter Marxist, wandte sich jedoch vom Stalinismus ab und befasste sich mit Demokratietheorien. Durch Machiavelli inspiriert entwickelte er eine neue Machttheorie für Demokratien. Der Kern dieser Theorie, erläuterte Prof. Breckman, sei, dass das Zentrum der Macht in Demokratien leer sei – ein Vakuum.

Im Anschluss an seinen Vortrag lud Dr. Breckman sein Publikum zu einer Diskussion über moderne politische Bewegungen, wie etwa „Occupy Wall Street“ oder dem Arabischen Frühling, und ihrem Anliegen, ein politisches Vakuum zu füllen, ein.

Andrew Nathan: "China’s Search for Security"

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31. Oktober 2013

Am 31. Oktober 2013 setzte das HCA sein Baden-Württemberg Seminar mit einem Vortrag von Professor Andrew Nathan fort: „China’s Search for Security“. Andrew Nathan ist Professor für Politikwissenschaft an der Columbia University und im Herbst 2013 Axel Springer Fellow an der American Academy in Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind chinesische Politik, speziell die Außenpolitik, politische Beteiligung und politische Kultur sowie Menschenrechte. Professor Nathan ist Autor und Herausgeber dutzender Bücher und außerdem als Berater für Human Rights Watch China tätig.

Nach einer Einführung durch Professor Dr. Joachim Kurtz vom Exzellenzcluster Asia and Europe zeigte Professor Nathan zunächst einen bedeutenden Unterschied zwischen der deutschen und der US- amerikanischen Sichtweise auf China auf: Der Aufstieg Chinas ist für die Vereinigten Staaten eine potentielle Bedrohung, für Deutschland nicht. Diese mögliche Bedrohung manifestiert sich in drei Dimensionen. Die erste Dimension ist die wirtschaftliche. Der Technologiediebstahl ist bereits jetzt ein wachsendes Problem für die USA, und zudem steigt die Sorge, die chinesische Währung könnte eines Tages den amerikanischen Dollar als Leitwährung ersetzen. Die zweite Dimension der chinesischen Bedrohung ist militärischer Natur: China baut momentan seine Militärkapazität aus, was einen bewaffneten Konflikt zwischen China und Taiwan oder China und Japan auslösen könnte. In einem solchen Fall wären die Vereinigten Staaten durch bilaterale Verträge mit Taiwan und Japan gezwungen, gegen China vorzugehen.

Weiter besteht die Angst vor Konflikten zwischen China und US- Alliierten in Afrika und einer direkten Bedrohung der in Asien stationierten US Navy. Die dritte Art der potentiellen Bedrohung betrifft „Soft Power“. Laut Professor Nathan hat das Prestige der amerikanischen Demokratie durch den „War on Terror“ gelitten. Nun fürchten die Vereinigten Staaten, dass ihr angeschlagenes Image einige Staatsoberhäupter zunehmend zu Autokratie verleiten könnte. Generell leiden US Politiker unter der Angst, China könnte die USA als bedeutendste Supermacht entthronen.

Allerdings hat auch China Sicherheitsbedenken. China ist durch seine Interdependenz mit den USA in die globale Wirtschaft eingebunden und legt daher sehr großen Wert auf Wirtschaftswachstum. Zusätzlich zu schwelenden Konflikten mit Japan und Südkorea hat China 20 Nachbarn, zu denen auch Länder mit großen innenpolitischen Problemen zählen, wie etwa Pakistan, Nordkorea und Afghanistan. Diese Nachbarn bedrohen Chinas Sicherheit und sind ein Grund für das Land, die eigene Marine- und Cybermacht auszubauen. Zudem nimmt die chinesische Führung wahr, dass die USA chinesische Politikziele und Hauptinteressen nicht unterstützen: Die USA erkennen den Dalai Lama an und würden in einem offenen Konflikt Taiwan unterstützen. Daher wäre es China am liebsten, wenn die USA nicht in die chinesische Außenpolitik eingreifen würde.

Professor Nathan schloss seinen Vortrag mit seiner Einschätzung der Sicherheitslage zwischen China und den USA. In seinen Augen ist die amerikanische Angst vor der chinesischen Bedrohung übertrieben. Allerdings zeigte Professor Nathan auch auf, dass beide Länder unterschiedliche Interessen haben, was zu Reibung führt. Er beantwortete die Frage, ob der Status quo zwischen China und den USA stabil sei, mit dem Argument, das chinesische Wirtschaftswachstum verlangsame sich momentan, und es sei nicht sicher, ob das chinesische politische System stabil bleibe. Dennoch war sein Resümee positiv: Der Aufstieg Chinas, so Professor Nathan, könne durchaus eine gute Sache sein, solange er nicht falsch gehandhabt werde. Im Anschluss an seinen Vortrag beantwortete Professor Nathan einige Fragen und begann eine lebhafte Debatte mit seinem Publikum bezüglich Chinas Außenpolitik und den deutsch-chinesischen Beziehungen.

Cristanne Miller: "'All the Slain Soldiers': Poetry and the Civil War"

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24. Oktober 2013

Am HCA wurde das dreizehnte Semester des Baden-Württemberg Seminars mit einem Vortrag von Cristanne Miller über Lyrik und den amerikanischen Bürgerkrieg eröffnet. Christanne Miller ist SUNY Distinguished Professor of English in Buffalo und verbrachte das Wintersemester als Fulbright-Tocqueville Distinguished Chair an der Université de Paris Diderot.

Ihr Vortrag ging zunächst auf die immense Popularität von Lyrik im neunzehnten Jahrhundert ein. Gedichte waren fast vergleichbar mit den heutigen “Blogs” im Internet; sie waren keineswegs eine Literaturform für Eliten: Zeitungen druckten sie auf ihrer Titelseite, und sie hatten keineswegs nur Privates zum Gegenstand. Gedichte waren Teil des politischen Diskurses und ergiebige historische Quellen und damit eine aussagekräftige Reaktion auf den Krieg.

Professor Miller zeigte einige Richtungen der Bürgerkriegslyrik auf. Die “großen Gedichte” belegten, wie wichtig Lyrik sein konnte. Sie kreisten oft um das Kriegstrauma, besonders den Tod. Ihre Verbreitung war beträchtlich, insbesondere weil Lyrik nicht zensiert wurde und weil gleichzeitig die neuen Techniken der Telegrafie und der Fotografie aufkamen, die für eine schnelle Verbreitung sorgte bzw. die Gedichte illustrierte. Werke wie Richard Henry Stoddards “To the Men of the North and West” oder James Gibbons’ “300.000 More” unterstützten zudem die Truppenrekrutierung für die Union. In den Gedichten wurden aber auch der Krieg und Präsident Lincoln kritisiert.

In den Südstaaten herrschten andere Topoi vor. Soldaten der Union wurden als brutale Invasoren dargestellt, so in Andersons “Song of the South”, oder der Süden wurde zum feminisierten Opfer, so in James Randalls “Maryland, My Maryland.” Im letzten Kriegsjahr dominierten Gedichte über Trauer und Heroisierung, die jetzt häufiger von Frauen verfasst waren. Nach 1865 vermied die Lyrik in den Nordstaaten Racheaufrufe und pries stattdessen die Versöhnung. Gedichte von Afroamerikanern, die allerdings nur selten publiziert wurden, konzentrierten sich auf die Emanzipation der Sklaven. Walt Whitmans “Leaves of Grass” wurde von vielen als Text wahrgenommen, der die Nation wieder vereinen würde. Whitman, der während des Krieges als Krankenpfleger im Dictrict of Columbia gearbeitet hatte, machte die Versöhnung auch zum Gegenstand in vielen anderen Gedichten, beispielsweise in “The Wound Dresser” und “Reconciliation.”

Abschließend wandte sich Professor Miller Emily Dickenson zu, die die Hälfte ihrer Gedichte während des Bürgerkrieges verfasste. Dickenson schrieb ebenfalls nicht über Schlachtfelder oder Helden, sondern thematisierte eher die Freiheit, den von Individuen erlittenen Tod oder die Rückkehr von Soldaten. In der anschließenden Diskussion betonte Professor Miller, dass Antikriegsgedichte immer noch verfasst werden, sich aber keiner großen Leserschaft mehr erfreuen. Unzweifelhaft waren sie im neunzehnten Jahrhundert eine viel wichtigere Literaturform als heute.

Anthony Santoro: "Exile and Embrace" (HCA Book Launch)

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​22. Oktober 2013

Am 22. Oktober 2013 stellte Dr. Anthony Santoro sein Buch Exile and Embrace: Contemporary Religious Discourse on the Death Penalty vor. Dieses Werk, das im Juli 2013 von der Northeastern University Press veröffentlicht wurde, basiert auf seiner Doktorarbeit, die Dr. Santoro im Rahmen des Doktorandenprogramms des HCA geschrieben und erfolgreich verteidigt hat.

Zunächst erklärte Dr. Santoro, wie er sein Thema gefunden hat. Er beschrieb seine Arbeit bei einer Non-Profit Organisation in seinem Heimatstaat Virginia und die Rolle, die diese Organisation bei Prozessen spielt, an deren Ende die Todesstrafe stehen könnte. Die Erfahrungen, die er dort sammeln konnte, und die Arbeit bei religiös motivierten Organisationen entfachten sein Interesse an der grundlegenden Frage: Was ist die Todesstrafe? Dies ist die zentrale Thematik in Dr. Santoros Buch. Seine Hauptthese ist, dass die Verhängung der Todesstrafe vergleichsweise wenig mit den Tätern und deren Taten zu tun hat. Vielmehr hängt die Todesstrafe mit der Gesellschaft zusammen, die entscheidet, ob sie sich der ultimativen Strafe bedient oder sich bewusst gegen diese Art der Bestrafung entscheidet.

Dr. Santoro erörterte die juristische Beziehung zwischen Leben und Tod für die Gegner und die Befürworter der Todesstrafe und wie religiös engagierte Menschen sich auf beiden Seiten dieses polarisierenden Themas auf der nationalen Ebene und in den Einzelstaaten einsetzen. Dr. Santoro präsentierte seinem Publikum die Kernpunkte seines Werkes, während er die Kapitel umriss, die sich mit den dogmatischen und gesellschaftlichen Ausführungen zur Todesstrafe befassen. In den vorgestellten Kapiteln geht es zudem um die Ergebnisse von Bibelstudien in Virginias Kirchen, um religiös motivierten öffentlichen Aktivismus auf beiden Seiten der Debatte, um die Verbindungen zwischen Religion und den politischen Diskursen zur Todesstrafe, um die Rolle religiöser Organisationen im Rechtsprozess nach der Verurteilung und schließlich um die Arbeit und die Perspektive von Seelsorgern für Insassen des Todestraktes. Im Laufe des Vortrags wurde immer deutlicher, auf welche Weise die Sterblichkeit, das Zusammenspiel von Glaube und Politik, die Verknüpfung von Glaube und Staat, und das Verständnis der Öffentlichkeit von der Todesstrafe das Selbstverständnis der Amerikaner definieren. Im Anschluss an die Buchvorstellung stellten einige Zuhörer kluge und aufschlussreiche Fragen, aus denen sich eine nachdenkliche und doch lebhafte Diskussion ergab.

Verleihung des Rolf-Kentner Preises 2013

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17. Oktober 2013

Am 15. November wurde am HCA zum dritten Mal der Rolf-Kentner Dissertationspreis verliehen. Der Stifter ist einer der ältesten und aktivsten Förderer des HCA und Vorsitzender der Schurmann Gesellschaft. Der Preis wird an eine herausragende noch unveröffentlichte Doktorarbeit in den Amerikastudien verliehen, die an einer deutschen Universität eingereicht wurde.

Der diesjährige Preisträger ist Dr. Jasper Trautsch, der zur Zeit als Postdoc am Deutschen Historischen Institut in Rom ist. Trautsch hat Kommunikationswissenschaften, Nordamerikastudien und Geschichte an der FU Berlin, der Sorbonne in Paris und der Tulane University in New Orleans studiert und 2011 seine Doktorarbeit an der Freien Universität abgeschlossen. Sein neues Forschungsprojekt untersucht, wie Öffentlichkeiten in Europa und Nordamerika kulturelle Räume wie “den Westen” konstruiert haben.

In seiner Festrede aber kehrte Trautsch zu den Themen seiner preisgekrönten Dissertation zurück. Nach einer kurzen Einführung durch Prof. Junker stellte Trautsch in dem Vortrag “Declaring War as an Act of Peace in 1812: The Paradoxes of American Foreign Policy” die wichtigsten Ergebnisse seiner Forschung vor. Auch wenn die Außenpolitik der Frühen Republik schon oft Gegenstand wissenschaftlicher Abhandlungen war und Historiker sich durchaus bewusst sind, dass sich Innen- und Außenpolitik gegenseitig beeinflussen, konnte Trautschs Arbeit zu diesem Forschungsstand signifikant beitragen: Sie fragt nach der Funktion der Außenpolitik für die Innenpolitik und umgekehrt und, was vielleicht noch wichtiger ist, erforscht Prozesse der Identitätsfindung in der noch jungen Nation. Diese Prozesse liefen nicht automatisch ab. Die frühe amerikanische Außenpolitik war stets darauf bedacht, das Land von anderen Staaten abzugrenzen, insbesondere von Großbritannien und Frankreich. Trautsch führt das Konzept des “identity engineering” für eine Analyse des Verhältnisses zwischen Außen- und Innenpolitik ein.

Die daraus resultierende Arbeit ist ein wichtiger Beitrag für die Diplomatiegeschichte, der durch Aspekte der Kulturgeschichte entscheidend bereichert wird. Dieser instruktive, klar strukturierte und provokante Vortrag erhielt viel Beifall und rief eine lebhafte Diskussion hervor. Der Abend wurde mit einem Empfang in der Bel Etage fortgesetzt, wo der Preisträger, der Stifter und viele Gäste die Debatte fortsetzten.

HCA trifft... Stefan Kornelius

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30. August 30

Am 30. August hob das HCA ein neues Format für sein Forum aus der Taufe: “HCA trifft …” will ausgewiesene deutsche USA-Experten nach Heidelberg bringen und sich dabei vornehmlich an ein deutsches Publikum richten. Die erste Veranstaltung dieser neuen reihe war vielversprechend: Drei Wochen vor der Bundestagswahl kam Stefan Kornelius nach Heidelberg, um seine Biografie der Kanzlerin vorzustellen: Angela Merkel. Die Kanzlerin und ihre Welt.

Stefan Kornelius ist Ressortleiter Außenpolitik der Süddeutsche Zeitung. Nach einem Studium der Politikwissenschaft, der Geschichte und des Rechts in Bonn und London ging er an die Henri-Nannen Schule und arbeitete danach als freier Mitarbeiter für den Stern, die BBC und die Süddeutsche Zeitung bevor er der Korrespondent der SZ in Bonn, Washington, D.C., und Berlin wurde.

Stefan Kornelius kennt Angela Merkel seit dem Beginn ihrer politischen Karriere Anfang der 1990er Jahre. Er hat ihren Aufstieg aufmerksam verfolgt und seine Biographie wirft viel Licht auf ihren bemerkenswerten Weg zur Staatsfrau. Die Tatsache, dass Merkel die ersten 35 Jahre ihres Lebens in der DDR verbrachte, macht diese Karriere umso bemerkenswerter. Das Buch ist eine gründlich recherchierte und intellektuell anregende Analyse von Merkels Leben vor und nach dem Fall der Mauer. Das HCA-Publikum erfuhr, wie sie mit der Wiedervereinigung umging, wie schnell sie sich im Westen anpasste, und wie ihr früheres Leben ihre Politik beeinflusste.

Stefan Kornelius beschrieb die faszinierende Wandlung einer Bürgerin eines autoritären Regimes zur führenden Politikerin einer wichtigen Demokratie, die die humanistischen Werte ihrer Erziehung als die Tochter eines lutheranischen Pastors bewahrte. Der Vortrag beleuchtete Merkels Stärken und Schwächen, ihre bemerkenswerten analytischen Fähigkeiten, ihre systematische Arbeitsweise, ihre Gradlinigkeit, Offenheit und Ehrlichkeit, und ihren Pragmatismus im Umgang mit Grundsätzen der Politik, der immer von ihren Kernwerten Freiheit und Toleranz geleitet wird.

Stefan Kornelius wandte sich dann seinem Kapitel über die deutsch-amerikanischen Beziehungen zu, einer detaillierten Analyse von Merkels Beziehung zu den US-Präsidenten Bush und Obama. Nach seiner Buchvorstellung ließ sich Stefan Kornelius noch auf eine angeregte Debatte mit dem Publikum ein.

David Wilson: "Deepening the Creative City: America’s New Development Machine"

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18. Juli 2013

Das HCA beschloss das dreizehnte Semester des Baden-Württemberg Seminars am 8. Juli 2013 mit einem Vortrag von David Wilson von der University of Illinois at Urbana-Champaign: „Deepening the Creative City: America’s New Development Machine“. David Wilson ist Professor für Geographie und Geographic Information Science und arbeitet insbesondere über Wirtschaftspolitik und Raumproblematik in amerikanischen Städten.

Professor Wilson begann seinen Vortrag mit der Beschreibung der Transformation von Städten im amerikanischen Rust Belt. Dort tritt eine ungleiche Entwicklung immer deutlicher hervor und insbesondere die ethnische Problematik ist im urbanen Bewusstsein ein heikles Thema, wie der Fall Trayvon Martin verdeutlicht hat. Zudem benannte Professor Wilson die Frage der Klassenzugehörigkeit als wunden Punkt. In der heutigen globalisierten Welt werden Städten zunehmend als Wirtschaftsmotoren gesehen. Wenn eine Stadt nicht wirtschaftlich genug ist, scheitert sie, erklärte Professor Wilson. Weiter führte er aus, dass die ideale Stadt ein schillerndes Zentrum, aufgewertete Wohngegenden und Kunstviertel benötigt.

Andere Eigenschaften dürfen dagegen nicht zutage treten. So sollte eine Stadt nach Möglichkeit keine isolierten afroamerikanischen oder Latinoviertel haben. Eine ideale Stadt – laut Professor Wilson ein kontroverses Konzept – solle keine sichtbaren „Schandflecken“ haben, wie etwa Obdachlosigkeit oder verkommene Gebäude. Dies wirft die Frage auf, wie potentiell explosive Städte mit ausgeprägten Rassen- und Klassenkonflikten weiter existieren und sogar wachsen können. Professor Wilson sieht die Antwort auf diese Frage in den zwei Säulen, auf die sich neu geplante Städte stützen: Eine wachsende Angst-Maschinerie und verbale Panikmache. Städte würden zunehmend von Ängsten vor durch die Globalisierung nötigen Sparmaßnahmen und vor Rassen- und Klassenkonflikten heimgesucht. Die durch den 11. September verursachte und von den noch Medien angeheizte Angst habe der Umstrukturierung der Städte Tür und Tor geöffnet. Professor Wilson schloss seinen Vortrag mit dem Argument, die US-Regierung nutze die Angst der Bevölkerung, um eine problematische der Veränderung amerikanischer Städte voranzutreiben.

Verleihung des James W.C. Pennington Award des Heidelberg Center for American Studies und der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg

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9. Juli 2013

Am 9. Juli 2013 fand im Atrium des HCA die zweite feierliche Verleihung des James W.C. Pennington Awards statt. In diesem Jahr ging der Preis an Professor Evelyn Brooks Higginbotham, Victor S. Thomas Professor für afrikanische und afroamerikanische Studien an der Harvard University. Sie hat unter anderem den Klassiker der afroamerikanischen Geschichte From Slavery to Freedom überarbeitet. Momentan arbeitet sie an einem Werk über Afroamerikaner und Menschenrechte. Nach der Eröffnung des Festakts durch den Rektor der Universität Heidelberg, Professor Bernhard Eitel, hielt Dr. h.c. Manfred Lautenschläger die Laudatio. Die Lautenschläger-Stiftung hat großzügig die Finanzierung der ersten Pennigton Preise übernommen. Professor Jan Stieverman stellte dann dem gespannten Publikum die Preisträgerin vor. Er wies darauf hin, dass Professor Higginbothams Familiengeschichte auf verschiedene Weise nicht nur mit der gesamten afroamerikanischen Gemeinschaft und Kirche, sondern auch mit dem Studium dieser Geschichte verwoben ist. Ihr Großvater, Walter Henderson Brooks (1851-1948) war über 60 Jahre lang der Pastor in Washingtons historischer Ninth Street Baptist Church. Ihr Vater, Alfred N.D. Brooks, arbeitete als Geschichtslehrer und Schulleiter in einer weiterführenden Schule im District of Columbia, wurde dann zu einer Führungsperson des African American history movement und einer Schlüsselfigur in der Association for the Study of African American Life and History. Professor Higginbothams Ehemann, der verstorbene A. Leon Higginbotham, war ein bedeutender Bürgerrechtler, Autor und Richter an einem staatlichen Berufungsgericht.

In ihrem Vortrag blickte Professor Higginbotham auf die Gewalt und Rassentrennung zurück, die Afroamerikaner während des größten Teils des 20. Jahrhunderts erdulden mussten. Afroamerikanische Kirchen, besonders die großen Baptisten- und Methodistenkonfessionen, dienten als bedeutender Rückzugsraum, in dem Afroamerikaner Schutz fanden und Strategien für den Kampf gegen Rassismus und Armut entwickelten. Professor Higginbotham hob die bislang nicht ausreichend gewürdigte Rolle hervor, die die Kirche in der afroamerikanischen Selbsthilfe gegen den Rassismus; dort entwickelten sich sowohl theologische Interpretationen wie auch praktische Strategien. Die Kirche war ein geeignetes und starkes Forum für die Verbreitung einer progressiven Agenda und förderte die gesellschaftliche Mobilität von Afroamerikanern. Dies galt sowohl im frühen 20. Jahrhundert als auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Professor Higginbotham beendete ihren Vortrag mit persönlichen Erinnerungen an einen entscheidenden Moment der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, Martin Luther Kings „I Have A Dream“-Rede beim Marsch auf Washington 1963. Nach Professor Higginbothams engagiertem Vortrag genossen die Gäste bei einem Empfang den schönen Sommerabend im Garten des HCA.

Mark McGurl: "The Institution of Nothing: David Foster Wallace in the Program"

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20. Juni 2013

Das HCA setzte sein Baden-Württemberg Seminar am 20. Juni mit einem Vortrag von Professor Mark McGurl von der Stanford University fort. Der Vortrag in der Alten Aula der Universität war auch die Keynote der Konferenz “Acquired Taste: Reading and the Uses of Literature in the Age of Academic Literary Studies”.

“The Institution of Nothing: David Foster Wallace in the Program” konzentrierte sich auf eine detaillierte Analyse der Romane und Kurzgeschichten des verstorbenen Gegenwartsautors David Foster Wallace. Im Mittelpunkt stand eine akribische Interpretation von Wallaces unvollendetem Roman The Pale King, anhand derer McGurl zeigte, inwieweit Wallaces Texte einer modernistischen Raum- und Landschaftsästhetik verpflichtet sind und wie diese Tendenz des literarischen Modernismus durch das Creative Writing System im Nachkriegsamerika institutionalisiert wurde.

In seiner Interpretation legte McGurl das Hauptaugenmerk auf die gleichzeitige Entwicklung von Wallace als Erzähler und als Creative Writing Lehrer und argumentierte, dass die Entwicklung von Wallaces literarischem Œvre nicht von seiner Rolle innerhalb der Universität getrennt werden könne. Wallaces Selbstreflektivität als Autor, so McGurl, ergab sich aus der Einsicht, dass er Teil eines Systems war, das er einerseits aufrechterhielt, von dem  er sich aber andererseits immer befreien wollte.

Der Vortrag schloss mit einer provozierend  biographistischen Interpretation von Wallaces Selbstmord, in der McGurl den offenen Entstehungsprozess von The Pale King in Relation zu Wallaces vorzeitigem Tod setzte.

Donna Leon: "A Guide to Writing/Reading a Crime Novel"

 
Donna Leon

4. Juni 2013

Am Nachmittag des 4. Juni konnte das HCA einen ganz besonderen Gast begrüßen: Die amerikanische Erfolgsautorin Donna Leon. Sie gab ihrem Publikum im voll besetzten Atrium einen ausführlichen Einblick in die Entstehungsgeschichte ihrer Bestseller und damit gleichzeitig eine kleine Anleitung zu deren Lektüre.

Die gebürtige Amerikanerin lebt seit fast fünfzig Jahren im Ausland, wo sie unter anderem als Reisebegleiterin, Werbetexterin und Lehrerin gearbeitet hat. Als sie in den siebziger Jahren im Iran unterrichtete, entstand eine Doktorarbeit über Jane Austen. Während der Revolution verschiffte sie ihre Bücher, Notizen und Entwürfe in die USA, wo sie aber nie ankamen, weil die iranische Regierung alles beschlagnahmte. Sie fragte sich: „Donna, kannst du den Gedanken ertragen, deine Dissertation noch mal komplett neu zu schreiben?“ und merkte nein, also ließ sie es sein und spürte eine unglaubliche Erleichterung.

Seit 1981 wohnt und arbeitet Donna Leon in Venedig. Die Brunetti-Romane machten sie weltberühmt, doch die Barockmusik ist ihr nicht weniger wichtig. Sie förderte zahlreiche Einspielungen, unter anderem mit dem Orchester „Il Pomo d'Oro“. Zu ihrem Erstlingswerk, so berichtete sie, kam Donna Leon über ihre Leidenschaft für die Oper. Während des Besuchs einer Probe im venezianischen Opernhaus La Fenice ereiferte sich ihr Begleiter: „Ich könnte den Dirigenten umbringen!“  – „Ich mach´s für dich, aber in einem Roman“, beruhigte sie ihn und erfand Commissario Guido Brunetti, der seit dem „Venezianischem Finale“ in 22 Romanen den Tätern auf der Spur ist. Donna Leon führt mit ihren Brunetti Krimis stets die deutschen Bestsellerlisten an. Doch in Italien werden ihre Romane nicht veröffentlicht. Sie möchte es nicht, weil sie keine gebürtige Italienerin ist und dort wegen ihrer oft kritischen Schilderung der italienischen Gesellschaft nicht für Unfrieden sorgen möchte. Von vielen ihrer amerikanischen Bestsellerkollegen ist sie nicht begeistert: „Ich mag keine Gewalt, ich kann nicht diesen amerikanischen blutrünstigen Stoff lesen. Es ärgert mich, dass so viele Menschen sich für diesen Kram interessieren.“

Bisher hat Donna Leon seit ihrem ersten Roman jedes Jahr ein Buch geschrieben. Schreibblockaden kennt sie nicht. „Schreiben ist ein Handwerk wie jedes andere auch“, beantwortete sie eine Frage des Publikums. „Man kann es jeden Tag acht Stunden ausüben und wenn man mit dem Resultat nicht zufrieden ist, muss man es nicht behalten.“ Nach anderthalb Stunden mit vielen Anekdoten aus dem Leben von Donna Leon kamen viele ihrer Leser bei einem Glas Weißwein und einem Tramezzino in der Bel Etage noch mit der  sympathischen Autorin ins Gespräch, die zudem zahlreiche Bücher signieren musste.

Film: Michael Verhoeven – "The Second Execution of Romell Broom"

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14. Mai 2013

Am 14. Mai konnte das HCA im vollbesetzten Atrium einen besonderen Gast begrüßen, den bekannten deutschen Regisseur Michael Verhoeven. Wir zeigten an diesem Abend seinen Film „Die zweite Hinrichtung“, der 2012 für den Prix d’Europe nominiert war.

Romell Broom wurde im Jahr 1985 für die Entführung, Vergewaltigung und Ermordung der 14-jährigen Tryna Middleton aus Cleveland, Ohio, zum Tode verurteilt und sollte im September 2009 durch eine Giftspritze hingerichtet werden. Nach zweieinhalb Stunden und 18 erfolglosen Versuchen, bei Romell Broom einen intravenösen Zugang zu legen, erklärte Gouverneur Ted Strickland Brooms Hinrichtung an dem Tag für gescheitert. Seitdem versuchen Romell Brooms Anwälte mit einer Klage gegen den Bundesstaat Ohio, die drohende zweite Hinrichtung von Romell Broom zu verhindern. Der Film rekonstruiert den Mordfall vom September 1984 und die Gerichtsverhandlung von Romell Broom im Jahr 1985. Noch heute sind viele Fragen offen. Er diskutiert außerdem die Folgen und Auswirkungen der Todesstrafe mit Rechtsexperten und legt die Fehler und Instabilität eines Systems offen, in dem die Wahrscheinlichkeit, zum Tode verurteilt zu werden, vor allem von der Finanzkraft des Beschuldigten und seiner Hautfarbe abhängt. Zudem sind die Karrieren von Staatsanwälten und Richtern oft abhängig von der Anzahl der Todesurteile, die sie erfolgreich anstreben oder verhängen.

Die Familie Romell Brooms und seine Verlobte geben Einblicke, wie zerstörend die Todesstrafe für diejenigen ist, die dem Verurteilten nahestehen. Dagegen steht die offenkundige Freude eines Opfers von Romell Broom, das er als Elfjährige auf brutale Weise entführen wollte. Sie hat ihr Trauma nie verwunden und kann seine Exekution nicht abwarten, weil sie hofft, danach endlich zur Ruhe zu kommen. Der Film lässt auch Yvonne Pointer zu Wort kommen, die Mutter des mutmaßlichen Opfers Brooms, die einen Weg gefunden hat, mit diesem Schicksalsschlag umzugehen. Sie hilft anderen, ihren Schmerz zu bewältigen, indem sie Verurteilte in Gefängnissen besucht und versucht, den Teufelskreis von Hass und Kriminalität zu durchbrechen.

Nach der Vorführung berichtete Michael Verhoeven über die Entstehungsgeschichte des Films und diskutierte seine Auswirkungen mit Prof. Manfred Berg, einem Experten für die Geschichte der Todesstrafe, und dem tief bewegten Publikum.

Walter Benn Michaels: "Formal Feelings: Political Economy and Aesthetic Autonomy"

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15. April 2013

Am 15. April 2013 setzte das HCA sein Baden-Württemberg Seminar mit einem Vortrag von Professor Walter Benn Michaels von der University of Illinois at Chicago fort. Bevor er nach Chicago kam, unterrichtete Professor Michaels an der Johns Hopkins University und in Berkeley. Er ist der Autor von Büchern wie „The Trouble with Diversity: How We Learned to Love Identity and Ignore Inequality” und „The Shape of the Signifier: 1967 to the End of History”. In seinem Vortrag stellte Professor Michaels kurz Maggie Nelsons Werk „Jane: A Murder“ vor. Das Buch erzählt die Geschichte von Leben und Tod von Maggie Nelsons Tante Jane, die 1969 ermordet wurde. Obwohl der Fall offiziell als ungelöst gilt, scheint klar, dass Janes Mord mit einer Reihe von brutalen Vergewaltigungen und Morden in der Gegend in Verbindung gebracht werden kann. Professor Michaels kritisierte die Politik der Gleichgültigkeit, die das Buch spiegelt, und stellte die Frage nach dem Wert eines Menschenlebens: Sind einige Menschenleben mehr wert als andere? Wiegen einige Verluste schwerer als andere? Er argumentierte, Befreiungsbewegungen, wie etwa die Bürgerrechtsbewegung in den USA, die Frauenrechtsbewegung, oder die Bewegung zur Stärkung der Rechte von Homosexuellen, seien eine Kritik des Gedanken, einige Leben seien wertvoller als andere. Dies betitelte Professor Michaels als Politik der Anerkennung. Während das Problem der Anerkennung durch Befreiungsbewegungen langsam gelöst wird, bleibt das Problem der Neuverteilung – also das Problem der Einkommensungleichheit – ungelöst. Professor Michaels erklärte, dass Diskriminierung aufgrund von Rasse, Geschlecht, oder sexueller Orientierung mittlerweile als falsch und unproduktiv wahrgenommen würden. Diskriminierung aufgrund von Klassenzugehörigkeit werde jedoch nicht als ebenso problematisch empfunden. Nach seinem Vortrag beantwortete Professor Micheals Fragen aus dem Publikum und diskutierte lebhaft mit einigen Gästen.

David Frum: "The Crisis of American Conservatism" (HCA Commencement)

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12. April 2013

Die Festrede anlässlich der HCA Absolventenfeier war 2013, wie in vielen Jahren, auch der Auftakt für das Sommersemester des Baden-Württemberg Seminars. Sie wurde von David Frum gehalten, einem amerikanischen Intellektuellen und republikanischen Aktivisten. Er diente Präsident George W. Bush als Redenschreiber und veröffentlichte ein Buch mit dem Titel „The Right Man: The Surprise Presidency of George W. Bush.“ David Frum ist außerdem Journalist, dessen Leitartikel in The Daily Beast, der National Post, Newsweek und The Week erscheinen. In seinen Artikeln in Zetischriften und Blogs bringt er immer wieder seine zunehmende Unzufriedenheit mit dem republikanischem Konservatismus zum Ausdruck. Obwohl er zuvor bereits Reden für Abschlussfeiern verfasst hatte, erstmals die Rede, die Präsident Bush 2001 in Yale hielt, war diese die erste, die er selbst vortrug. Nachdem er dem Abschlussjahrgang 2013 gratuliert hatte, erläuterte David Frum, warum er den Brauch, anlässlich Abschlussfeiern Ratschläge zu geben, für schwierig hielt: Die Redner seien mittleren Alters und wüssten oft nicht, welchen Rat sie den jungen Absolventen mit auf den Weg geben sollten. Er sinnierte über den englischen Begriff „Commencement“ für eine Abschlussfeier – das Wort bedeutet Beginn oder Anfang, obwohl die Feier das Ende des Studiums zelebriert. Jedoch beginne für die Absolventen auch etwas Neues: Ihre Karriere. Die Vorstellung von Neuanfang, so Frum, ist eine zentrale Idee in der Geschichte der USA. Der Gedanke, immer wieder neu beginnen zu können, manifestierte sich beispielsweise in der Frontier oder Roosevelts New Deal. Trotz dieser Idee des permanent möglichen Neubeginns gibt es in den USA aber auch viel Kontinuität. Frum erklärte, die Republikaner seien an die Macht gekommen, weil sie auf Themen, die die Wähler umtrieben – wie etwa Kriminalität oder Inflation – besser reagiert hätten, als andere Parteien. Er fügte hinzu, dass heute eine neue Generation von Problemen auf Lösung warte, und es so scheine, als ob die Republikaner keine passenden Antworten fänden. Aktuelle Probleme seien etwa folgende Fragen: Wie können amerikanische Einkommen steigen, obwohl die USA mit China und Indien konkurrieren? Wie kann man die Mittelschicht erhalten und unterstützen? Wie kann internationale Sicherheit gewährleistet werden, in einem eher anarchischen globalen System, in dem die USA immer mehr Macht einzubüßen scheinen? David Frum beschrieb die aktuellen republikanischen Politiker als ältere Herren mit überholten Ideen, die durch die politischen Medien mehr und mehr verbitterten. Er kam zu dem Schluss, dass die Absolventen die Botschafter ihrer Generation und auch ihrer Universität seien und es nun an ihnen läge, eigene Ideen zu entwickeln und diese zu verwirklichen.

Ausstellung: "The Early Days – HipHop in der DDR"

14. März bis 25. April 2013

Vom 14. März bis zum 26. April war am HCA die Ausstellung „The Early Days – HipHop in der DDR“ zu Gast. Mit Fotos, T-Shirts, Radiorekordern und anderen Alltagsgegenständen illustrierte sie ein ungewöhnliches Stück DDR-Geschichte und zeigte, dass HipHop als globale Jugendkultur in den 1980er Jahren auch den Eisernen Vorhang überwand.

Die „vier Elemente“ der HipHop-Kultur – Breakdance, DJ-ing, Rap und Graffiti – hatten ihre Ursprünge in der Bronx in New York. In der DDR entstand schnell eine eigene Szene, die den SED-Staat vor große Herausforderungen stellte. Spätestens mit dem Film „Beat Street“, der seit 1985 auch in den DDR-Kinos gezeigt wurde, entwickelte sich die HipHop-Kultur dort nahezu flächendeckend und die regionalen Szenen vernetzten sich miteinander. HipHop war in der DDR nicht verboten, sollte aber kontrolliert, überwacht und gegebenenfalls eingedämmt werden. Die Ausstellung warf einen Blick auf das Verhältnis zwischen den Akteuren der HipHop Bewegung und der DDR-Obrigkeit, sowie auf Freiräume für Breakdancer, Rapper und Graffitikünstler jenseits der Mauer.

Im Mittelpunkt der Ausstellung standen die Biographien der Akteure, basierend auf Zeitzeugeninterviews, Archivmaterial und Alltagsgegenständen aus privaten Sammlungen. Dabei konnte man insbesondere das Improvisationstalent der Jugendlichen jenseits der Mauer bewundern: „Fat Laces“ wurden aus alten Hemden hergestellt, Graffiti nach dem Verbot von Spraydosen kurzerhand mit Pinsel und Farbe angefertigt.

Zur Eröffnung konnten wir Reno Rössel vom Steinhaus Bautzen e.V. begrüßen, der die Ausstellung zusammen mit der Universität Leipzig konzipiert hat. Zudem kam das zahlreich erschienene Publikum in Anwesenheit des Regisseurs nochmals in den Genuss von Nico Raschiks Film „Here We Come“ (2006), der die Protagonisten der Szene und andere Zeitzeugen zu Wort kommen lässt. 

Tobias Endler: "How to Be a Superpower" (HCA Book Launch)

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5. Februar 2013

Am 5. Februar stellte Dr. Tobias Endler sein neues Buch How to be a Superpower – The Public Intellectual Debate on the Global Role of the United States after September 11 am HCA vor. Er ist dort verantwortlich für das strukturierte Doktorandenprogramm und andere Forschungsprogramme sowie für die Betreuung der Gastwissenschaftler.

Er begann seine Buchvorstellung mit einem Verweis auf Barack Obamas Rede an die Nation im Januar. Dort hatte der amerikanische Präsident betont, dass sie die USA keineswegs in einer Abwärtsphase befänden, sondern dass vielmehr politische Führungsqualitäten weltweit ein Problem darstellten. Dr. Endlers Buch widerspricht der Vorstellung, dass auch die Intellektuellen in den USA auf dem Rückzug seien. Seine wichtigste These ist, dass Intellektuelle eine wichtige Vermittlerrolle in der Bildung der öffentlichen Meinung spielen.

Er las aus der Einleitung seines Buches, in der er den Begriff des „öffentlichen Intellektuellen“ definierte: Er argumentierte, dass Politiker oft nicht über genügend Wissen über ein bestimmtes Thema verfügen und öffentliche Intellektuelle dann wichtig werden, weil sie neue Ideen hervorbringen. Oft können sie ein Thema in der Öffentlichkeit mitdiskutieren, auch wenn sie auf dem jeweiligen Feld keine ausgewiesenen Experten sind. Intellektuelle haben in den USA die öffentliche Meinung immer mit bestimmt. Gleichzeitig gab es immer eine gewisse Skepsis gegenüber solchen „öffentlichen Intellektuellen“. Viele von ihnen haben der Regierung als Berater gedient oder in Think Tanks oder an Universitäten gearbeitet. Dies bedeutet, dass sie nicht länger politisch neutral sein können, da ihre Arbeitgeber gewisse Interessen haben. Dennoch formen sie den öffentlichen Diskurs, beispielsweise die Debatte über amerikanische Identität und Moral.

Es gibt jedoch Probleme, die diese Diskussion behindern. Eine Herausforderung ist, dass die Kommunikation auch in einer polarisierten Gesellschaft aufrechterhalten werden muss. Es muss breite Debatten über amerikanische Werte geben und alle müssen daran teilnehmen. Dies schließt die Medien ein, die bewusst eine Kommunikationsplattform bieten müssen. Die Diskussion muss für alle offen sein, die daran teilnehmen möchten; allerdings glauben viele Bürger, dass sie nichts beizutragen haben. Deswegen fällt der Löwenanteil an dieser Diskussion den “öffentlichen Intellektuellen” zu.

Nach der Vorstellung seines Buchs beantwortete Dr. Endler Fragen aus dem Publikum und es entspann sich eine Diskussion über amerikanische Werte und Möglichkeiten der Kommunikation darüber.

John David Smith: "Abraham Lincoln, Emancipation, and the U.S. Colored Troops"

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17. Januar 2013

Am 17. Januar beging das HCA den 150. Jahrestag der Abschaffung der Sklaverei in den USA durch Abraham Lincolns Emancipation Proclamation. Anlässlich dieses Jahrestages hielt Professor John David Smith von der University of North Carolina in Charlotte einen Vortrag über Abraham Lincoln, die Sklavenemanzipation und die afro-amerikanischen Truppenteile der Nordstaatenarmee.

Professor Manfred Berg stellte den Gast als einen Kenner der afro-amerikanischen Geschichte in den USA vor. Professor Smith erhielt 1977 seinen Doktortitel von der University of Kentucky. Als angesehener und sehr produktiver Historiker ist er der Autor von mehr als zwanzig Monographien und der Herausgeber mehrerer wichtiger  Buchreihen.

Professor Smith stellte sein neues Buch Lincoln and the Colored Troops vor. Er ist davon überzeugt, dass Lincoln mehr als jeder andere Präsident fehlinterpretiert wurde. Er war kein Abolitionist, wie viele heute glauben. Er war vielmehr davon überzeugt, dass Schwarze minderwertige Menschen waren und äußerte häufig rassistische Bemerkungen. Er war ein Kind seiner Zeit. Dennoch war er davon überzeugt, dass Sklaverei moralisch falsch war und ein vormodernes, unwirtschaftliches System beförderte. Es lag ihm vor allem daran, die Union wieder zu herzustellen, mit oder ohne Sklaverei. Dies war ihm wichtiger als die Abschaffung der Sklaverei.

In einem ersten Entwurf der Emanzipationserklärung verkündete Lincoln, dass alle Sklaven, denen es gelang, in den Norden zu fliehen, frei sein sollten. Er drohte den Konföderierten außerdem damit, dass er alle Sklaven am 1. Januar 1863 befreien würde, sollte die „Rebellion“ nicht beendet werden. Der Black Recruitment Clause war fast ein Nachgedanke der Erklärung. Er besagte, dass Afro-Amerikaner Soldaten der Nordstaatenarmee werden konnte, dass es keine finanzielle Kompensation für Sklavenhalter geben würde und dass die Sklaven, die in den Südstaaten lebten, frei seien und nicht von der Regierung kolonisiert werden könnten. Auf diese Art und Weise stand Lincoln ein verführerisches Potential an Soldaten zur Verfügung, die hochmotiviert waren, gegen ihre ehemaligen Besitzer zu kämpfen. Afro-Amerikaner machten zwischen neun und zwölf Prozent der Nordstaatenarmee aus. Selbst vor der offiziellen Erklärung kämpften 4,000 schwarze Soldaten für die Union, von denen Lincoln angeblich nichts wusste, da er immer noch versuchte, die Südstaaten auf diplomatischem Weg zurückzugewinnen.

Die Präsenz schwarzer Truppenteile in Regionen, in denen sich noch Sklaven auf den Plantagen befanden führte zu Sklavenaufständen; viele Flohen und traten in die Armee ein. Professor Smith erklärte, dass die Emanzipationserklärung den Effekt eines “langsamen Sklavenaufstandes” hatte und für die Plantagenbesitzer in den Südstaaten letztlich den Ruin bedeutete. Sie schwächte die Widerstandskraft des Südens, stärkte den Kampfgeist des Nordens und unterstütze wesentlich die Kampfmoral der Nordstaatenarmee. Professor Smith beendete seinen Vortrag mit der Beobachtung, dass Lincolns Emanzipationserklärung auch die Frage aufwarf, was nun mit den befreiten Afro-Amerikanern geschehen sollte. Wenn sie als Soldaten dienten, bedeutete das auch, dass sie Bürger waren? Wenn sie Bürger waren, sollten sie wählen können? Lincoln wurde ermordet, bevor er sich diesen Fragen widmen konnte.

Im Anschluss an den Vortrag verwickelte Professor Smith seine Zuhörer in eine anregende Debatte. 

Podiumsdiskussion: "Toward a New Global Financial Architecture"

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14. Dezember 2012

Im Dezember fand das Baden-Württemberg Seminar erneut in einem ungewöhnlichen Format statt. Als Teil der Konferenz „Lessons from the North Atlatnic Financial and Economic Crisis“ erörterten die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion Wege zu einer neuen globalen Finanzarchitektur. Das hochkarätig besetzte Podium, von der Journalistin und Finanzexpertin Susanne Schmidt (London) moderiert, bestand aus Anat Admati (Stanford University), Mathias Drehmann (Bank für internationalen Zahlungsausgleich, Basel) und dem ehemaligen Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer.

Insbesondere Admati und Mayer bezogen in der Diskussion unterschiedliche Positionen zur Frage der Eigenkapitalquote. Während Mayer betonte, dass man nicht alles regulieren könne und niemand wisse, wie viel Eigenkapital ausreichend sei, hielt Admati dagegen, dass gerade wenn man dies nicht wisse, 30 Prozent besser als 3 Prozent seien. Auf Schmidts Frage, ob die Regulierungsbehörden mit ausreichenden Befugnissen ausgestattet seien, reagierte Mayer mit dem Hinweis, dass diese aufgrund der allseits herrschenden Unsicherheit zu stark auf den schlimmsten anzunehmenden Fall fixiert seien und nun die Fehler der Banker wiederholten, indem sie glaubten, das gesamte System kontrollieren zu können. Es sei aber eine Illusion zu glauben, man könne das gesamte System im Blick behalten; gerade diese Unmöglichkeit unterscheide eine Marktwirtschaft von einer Planwirtschaft.

Admati betonte demgegenüber, dass es nicht um Planwirtschaft gehe, sondern darum, wirksame Sicherheitsmaßnahmen zu verankern. Während Mayer es für ausreichend hielt, Finanzakteure haftbar zu machen, verglich Admati dies damit, einen Krankenwagen zu schicken, wenn der Unfall bereits passiert sei, und verlangte Reformen, die darauf ausgelegt seien, den Unfall selbst zu verhindern. Drehmann, der gemeinhin eine vermittelnde Position einnahm, wies darauf hin, dass die Regulierer keineswegs unabhängig von der Politik seien.

Die lebhafte Diskussion mit dem zahlreich erschienenen Publikum drehte sich unter anderem um die Frage, wie denn Haftung am besten herzustellen sei. Auf Martin Hellwigs Einwurf, dass die Diskrepanz zwischen privaten und öffentlichen Interessen stärkere Beachtung verdiene, reagierte Mayer mit dem Hinweis, dass die Banken lediglich gesetzlichen Steuerungsanreizen gefolgt seien. Seine kontroverse Warnung, dass ein Ersticken der Globalisierung durch Regulierungsmaßnahmen nicht zuletzt die Entwicklungschancen der ärmeren Weltregionen beeinträchtigen würde, lenkte die Diskussion abschließend noch auf die Frage, welche Rolle China und Indien überhaupt in einer neuen globalen Finanzarchitektur spielen sollten.

Dieter Schulz: "Emerson and Thoreau or Steps Beyond Ourselves"
(HCA Book Launch)

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4. Dezember 2012

Das HCA nahm im Wintersemester 2012 seine Veranstaltungsreihe mit Buchvorstellungen wieder auf. Am 4. Dezember führte Professor Dieter Schulz in seine neue Publikation ein: „Emerson and Thoreau or Steps Beyond Ourselves: Studies in Transcendentalism“. Professor Schulz ist seit 2008 emeritierter Professor für englische und amerikanische Literatur. Er hat in seinen Büchern eine große Bandbreite an Themen bearbeitet, darunter Transzendentalismus und Metaphysik. Sein neuestes Werk ist ein Sammelband mit Essays, die über einen Zeitraum von 15 Jahren entstanden sind. Professor Schulz gestand seinem Publikum, dass Emerson und Thoreau ihn bei der ersten Lektüre zunächst hätten. Im Laufe der Jahre habe er sich allerdings immer mehr mit Emerson identifizieren können. Er erklärte, er habe auf das Drängen amerikanischer Freunde hin, beiden Autoren „noch eine Chance gegeben“. Professor Schulz erläuterte seinen Zuhörern, dass die Kapitel seines Buches „Emerson and Thoreau or Steps Beyond Ourselves“ durch wiederkehrende Metaphern, hauptsächlich die Metapher des Laufens, miteinander verbunden sind. Die Essays in diesem Sammelband könnten als Kapitel in einem Buch verstanden werden, da sie um den Begriff und die Symbolik der Transzendenz kreisen. Dieses Konzept ist nicht nur für die Bewegung des Transzendentalismus mit Emerson und Thoreau als Schlüsselfiguren von größter Bedeutung, es ist ebenso wichtig für deren literarische Vorfahren, die Puritaner in Neuengland. Die Anhänger des Transzendentalismus standen der zeitgenössischen Politik, Gesellschaft und Kultur sehr kritisch gegenüber und hinterfragten wissenschaftliche Methoden. Nach der Vorstellung seines Buches beantwortete Professor Schulz bei einem Glas Wein Fragen aus dem Publikum.

Daniel Albright: "Setting James Joyce to Music: John Cage and Harry Partch"

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27. November 2012

Am 27. November begrüßte das HCA Daniel Albright zu einem Vortrag mit dem Titel “Setting James Joyce to Music: John Cage and Harry Partch”. Daniel Albright ist Ernest Bernbaum Professor für Literatur an der Harvard University und unterrichtet dort sowohl am Institut für Englisch als auch am Institut für Musikwissenschaft. Das Hauptaugenmerk seiner Forschung legt Professor Albright auf die Frage, wie künstlerische Medien wie Dichtkunst, Musik und Malerei sich gegenseitig beeinflussen. Sein im Jahr 2000 erschienenes Buch “Untwisting the Serpent: Music, Literature, and the Visual Arts“ gewann den Susanne M. Glasscock Humanities Book Prize for Interdisciplinary Scholarship.

In seinem Vortrag am HCA konzentrierte Professor Albright sich auf das Zusammenspiel von Musik und Literatur und erklärte sein Konzept von „belletristischer Musik“. Darunter versteht er Musik, die anstrebt, zu Literatur zu werden. Um seinem Publikum vor Augen zu führen, wie Musik und Literatur interagieren, stellte Professor Albright zwei Künstler und ihre Werke vor. Zunächst befasste er sich mit Harry Partch, einem amerikanischen Komponisten, der mit der sogenannten „Pseudomorphose“ arbeitet, dem Zusammenspiel von Musik und Literatur in Romanen. Er kreierte Sprechmusik aus Romanen wie James Joyces “Finnegan’s Wake“. Professor Albright erklärte, dass dies möglich sei, weil Joyces Romane sehr stark mit Sprache spielten. In seiner Arbeit vertonte Harry Partch einen Satz aus “Finnegan’s Wake“.

Ein weiterer Roman von Joyce, „Ulysse“s, wurde von dem Künstler Berio Omaggio vertont. Professor Albright spielte seinen Zuhörern einen Teil dieses Werks vor. In dem Klangmuster wird eine Textpassage vorgelesen und dann akustisch bearbeitet. Dieses Werk besteht nicht aus komponierter Musik, sondern vielmehr aus Experimenten mit Tonaufnahmen. Als letztes Beispiel für das Zusammenspiel von Literatur und Musik führte Professor Albright das Radiostück „Laughtears“ von John Cage vor. Laut Professor Cage ist “Laughtears“ die beeindruckendste Vertonung von Joyces „Finnegan’s Wake“. Der Künstler nahm an allen Orten Irlands, die im Roman erwähnt werden, Tonproben auf und ließ sie mit Worten aus dem Roman verschmelzen, deren erste Buchstaben insgesamt den Namen JAMES JOYCE buchstabierten. Zu diesem Zweck nahm er das erste Wort im Buch, das mit dem Buchstaben „J“ beginnt, gefolgt vom ersten Wort beginnend mit dem Buchstaben „A“ und führte diese Technik fort, bis er den kompletten Namen buchstabiert hatte. Dies untermalte der Künstler mit Tonaufnahmen von Donner, um das Werk akustisch abzurunden. Nach der Vorführung dieser sehr verschiedenen Kunstwerke regte Professor Albright eine Debatte über das Gehörte an.

Alice Eagly: "Women as Leaders: Negotiating the Labyrinth"

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21. November 2012

Am 21. November hieß das HCA Alice Eagly von der Northwestern University willkommen. Die bekannte Psychologin ist auf den Bereich Gender Studies spezialisiert. Professor Eaglys Vortrag trug den Titel “Women as Leaders: Navigating the Labyrinth”.

Professor Eagly beschäftigte sich mit der Frage, warum Frauen nach wie vor in Führungspositionen unterrepräsentiert sind. Sie kritisierte die Bezeichnung „gläserne Decke“, da diese den Eindruck vermittle, Frauen scheiterten „an der Spitze“, obwohl es vielmehr so sei, dass Frauen häufig gar nicht erst die Gelegenheit bekämen, an der „gläsernen Decke“ zu scheitern, weil sie bereits viel früher „aussortiert“ würden.

Daher bevorzugt Professor Eagly den Begriff „Labyrinth“, der der Komplexität der Entscheidungen, die Frauen im Laufe ihrer Karrieren treffen müssten, besser Ausdruck verleiht. Professor Eagly erklärte ihren Zuhörern den Zusammenhang zwischen nachteiligen Stereotypen von Männern, Frauen und Führungseigenschaften und dem Phänomen, dass Männer im Allgemeinen als bessere Führungskräfte angesehen werden. Gängige Geschlechterstereotypen stellen Männer als kompetitiv, aggressiv, extrovertiert und mutig dar, während Frauen eher als freundlich, sensibel, sanft, unterstützend und fürsorglich gesehen werden. Generell wird von einer Führungsperson erwartet, dass sie selbstbewusst, handlungsorientiert, durchsetzungsfähig, und risikofreudig ist. Diese „idealen Führungsqualitäten“ decken sich oft mit den männlichen Stereotypen, was zur Folge hat, dass Männer im Allgemeinen als Führungsperson bevorzugt werden.

Dies gilt jedoch nicht in „weiblichen“ Berufsbildern wie Krankenschwester oder Kindergärtnerin. In diesen Berufsfeldern werden Männer diskriminiert. Professor Eagly analysierte die Zwickmühle, in der sich Frauen befinden, die in die Chefetage aufsteigen wollen. Einerseits müssen diese Frauen streng und sehr fähig sein, um als Führungsperson anerkannt zu werden; andererseits sollten sie nicht zu „tough“ sein, um nicht unsympathisch zu wirken. Weiter ging Professor Eagly darauf ein, ob sich weiblicher Führungsstil vom männlichen unterscheidet. Sie erklärte, Frauen seien generell demokratischer als Männer und nutzten häufiger positive, belohnende Strategien. Männer hingegen favorisierten häufig Drohungen als Anreiz. In ihren Abschlussbemerkungen wies Professor Eagly darauf hin, dass gerade ein kultureller Wandel im Gange sei, der es früher oder später mehr Frauen ermöglichen werde, Führungspositionen zu bekleiden.

Verleihung des Rolf-Kentner Preises 2012

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15. November 2012

Am 15. November wurde am HCA zum dritten Mal der Rolf-Kentner Dissertationspreis verliehen. Der Stifter ist einer der ältesten und aktivsten Förderer des HCA und Vorsitzender der Schurmann Gesellschaft. Der Preis wird an eine herausragende noch unveröffentlichte Doktorarbeit in den Amerikastudien verliehen, die an einer deutschen Universität eingereicht wurde. Der diesjährige Preisträger ist Dr. Leonard Schmieding vom Historischen Seminar der Universität Leipzig, augenblicklich Fulbright Fellow an der Stanford University.

Nach einer kurzen Einführung durch Prof. Dr. Manfred Berg hielt Leonard Schmieding seinen Festvortrag mit dem Titel “Hip-Hop Under Honecker: This Is Our Party!” Eine eindrucksvolle Hip Hop Darstellung der jungen Tänzerinnen von AlphaBeats vom Haus der Jugend in Heidelberg hatte das Publikum vorher auf das Thema eingestimmt. Dr. Schmieding stellte einige Hauptthesen seiner preisgekrönten Arbeit vor, die sich mit der Begeisterung für Hip Hop Musik und Breakdance in der früheren DDR beschäftigte.

Der Vortrag begann mit einem Auszug aus dem Film Beat Street, der 1984 auch in den DDR-Kinos lief, und Leipzig, Berlin, Dessau und andere Städte schnell zu regelrechten Hochburgen dieser Jugendkultur machte. Dr. Schmiedings Arbeit analysiert die Faszination mit dieser Form der amerikanischen Populärkultur. Sie zeigt auf, dass viele DDR Hip Hopper quasi „schwarz“ wurden, indem sie sich kulturelle Formen, die “Schwarz” kodiert waren, aneigneten. Hip Hop wurde so zu einem wirkungsvollen Symbol für Rebellion und “Anderssein”. Der instruktive, provokative und unterhaltsame Vortrag bekam viel Applaus und resultierte in einer lebhaften Diskussion. Der Abend klang mit einem Empfang in der Bel Etage aus, wo der Preisträger, der Stifter und viele Gäste miteinander ins Gespräch kamen.

Yusuf Lateef: "Reflections on the Social Relevance of Black Improvised Music" & Archie Shepp: "Reflections on the Political Power of Black Improvised Music"

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8. November 2012

Der zweite Vortrag im Herbstprogramm des Baden-Württemberg Seminars fand in einem ungewöhnlichen Format statt. Im Rahmen des internationalen Symposiums “Lost in Diversity: A Transatlantic Dialogue on the Social Relevance of Jazz” begrüßte das HCA die Jazzgrößen Archie Shepp und Yusuf Lateef.

In der Alten Aula der Universität erklärte Yusuf Lateef in seinem Vortrag mit dem Titel “Reflections on the Social Relevance of Black Improvised Music” zunächst, warum er den Begriff “Jazz” als negativ besetzt ablehnt. Lateef zieht es vor, seine Musik als audiophysiopsychisch zu bezeichnen – also Musik, die sich aus dem körperlichen, spirituellen und mentalen Selbst ergibt, „Musik des Herzens“.

Er sieht afroamerikanische Musik als einen besonders bedeutenden Beitrag zur Restauration der amerikanischen Gesellschaft, vor allem in den 1950er und 1960er Jahren. Diese beiden Jahrzehnte stellen für Lateef einen starken Anstieg der afroamerikanischen Selbstbestimmung und Selbstdarstellung dar nach Jahrhunderten von beispielloser Misshandlung, Vorurteilen und Brutalität. In der afroamerikanischen Gemeinschaft gehen Arbeit, Freizeit, Freude, Leid, Feste und Verlust seit jeher mit Musik einher. An diesem Umstand haben auch Spott, Verachtung und Tadel nichts ändern können. Durch die Bewegung der afroamerikanischen Musik hin zum Mainstream der amerikanischen Kunst wurde laut Lateef die gesamte amerikanische Gesellschaft erhöht.

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Eine der Thesen in Archie Shepps Vortrag mit dem Titel “Reflections on the Political Power of Black Improvised Music” war: „Ja, Musik hat die Macht, Kriege zu beenden.“ Unter anderem berichtete Shepp von einer Begebenheit im Zweiten Weltkrieg, als ein temporärer Waffenstillstand ausgerufen wurde, damit die deutschen Soldaten in den Schützengräben eine Jam-Session mit dem legendären Bebop Schlagzeuger Kenny Clarke genießen konnten. Shepps Überzeugung, Jazz „gehöre“ den Afroamerikanern und weiße Jazzkünstler würden diese lediglich kopieren, führte im Anschluss zu einer recht kontroversen Diskussion mit dem Publikum.

US Elections 2012: "Wahlanalyse"

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7. November 2012

Am Tag nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl fand am HCA eine Podiumsdiskussion zum Wahlausgang statt. Zu den HCA-Experten Dr. Wilfried Mausbach, Dr. Martin Thunert und Dr. Tobias Endler gesellte sich Dr. Robert Gerald Livingston, Gründungsdirektor des American Institute for Contemporary German Studies in Washington, D.C. Die Teilnehmer des Podiums erklärten warum diese Wahl einzigartig war und gaben eine Einschätzung der Wählerschaft und der Herausforderungen für die zweite Amtszeit Obamas.

Die Wahl 2012 war aus verschiedenen Gründen eine besondere Wahl. Zum einen hatte der Wahlkampf auf beiden Seiten astronomische Summen verschlungen. Eine weitere Neuheit war die professionelle Verwendung der Social Media wie Facebook und Twitter um mit potentiellen Wählern in Kontakt zu treten. Die Ehefrauen beider Kandidaten waren beide sehr populär und sehr aktiv. Nie zuvor hatten die Medien so viel Mühe auf die Überprüfung von Fakten im Wahlkampf aufgewendet. Die Wähleranalyse zeigte, dass DemoKraten und Republikaner auf sehr unterschiedliche Gruppen abzielten: Mitt Romney war hauptsächlich der Kandidat der weißen, älteren und männlichen Wähler, die zudem meist aus den Vororten kamen. Er wurde zudem überproportional von Militärangehörigen unterstützt. Barack Obama wurde von den 18- bis 40-jährigen gewählt, von Frauen, Hispanics, Afro-Amerikanern, Amerikanern asiatischer Herkunft und von jüdischen Amerikanern.

Die Teilnehmer des Podiums waren sich darüber einig, dass demographische Faktoren erheblich zu Obamas Sieg beigetragen hatten. Den Demokraten ist es gelungen, die wachsende Zahl Minderheiten anzusprechen, während die Republikaner zur Partei der weißen Männer geworden sind. Natürlich haben viele Faktoren zu Obamas Sieg beigetragen: Sein Kampf gegen den Terror und der Tod Bin Laden haben ihm eine große Popularität eingebracht, genauso wie das in Aussicht gestellte Ende der Kriege in Afghanistan und im Irak. Zwar sind viele Wähler nach wie vor unzufrieden mit der wirtschaftlichen Situation, die meisten aber schreiben sie der Bush-Präsidentschaft zu.

Die Experten skizzierten kurz die Herausforderungen der zweiten Amtszeit Obamas: Eines der dringendsten Probleme ist die unmittelbar bevorstehende Finanzklippe. Die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus wird Verhandlungen und Kooperation notwendig machen; unter Umständen wird dies auch in einem politischen Stillstand enden. Die Belebung der Wirtschaft, eine Steuerreform und eine Reform des Immigrationsrechts sind weitere dringende Angelegenheiten. In der Außenpolitik wird Obama sich weiter mit dem Nahostkonflikt beschäftigen müssen; er muss zudem einen Weg finden, sich konstruktiv mit dem Aufstieg Chinas und dem Streben des Irans nach Nuklearwaffen auseinanderzusetzen, sowie einen Fortschritt bei Abrüstungsverhandlungen mit Russland erzielen. Im Anschluss an die Podiumsdiskussion stellten sich die Teilnehmer noch den Fragen des Publikums.

US Elections 2012: "Countdown für Obama – Die USA vor den Präsidentschaftswahlen"

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30. Oktober 2012

Eine Woche vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen fand am HCA eine weitere Podiumsdiskussion, diesmal mit dem Titel “Countdown für Obama – Die USA vor den Präsidentschaftswahlen.” Auf dem Podium begrüßten wir einen Historiker, Professor Manfred Berg, und zwei Politologen, Dr. Martin Thunert und Dr. Tobias Endler. Per Skype wurden im Laufe der Veranstaltung drei weitere Experten in Washington, D.C., Iowa und Kalifornien zugeschaltet, die zu aktuellen Lage befragt wurden.

Die Veranstaltung begann mit einer kurzen Einführung durch Dr. Thunert, der die Grundzüge des amerikanischen Wahlsystems und die Bedeutung der sogenannten Swingstates erklärte. Alle Einzelstaaten außer Nebraska und Maine operieren nach dem “Winner-takes-all”-System, das heißt, alle Wahlmännerstimmen dieses Staates gehen an den Kandidaten, der die einfache Mehrheit auf sich vereinigen kann. Die Zahl der Wahlmänner eines Staates korrespondiert mit der Zahl seiner Einwohner. Die Wahlmänner bilden ein Gremium, das “Electoral College”. Kann ein Kandidat 270 Wahlmännerstimmen auf sich vereinigen, wird er Präsident. In dem unwahrscheinlichen aber technisch möglichen Fall, dass beide Kandidaten 269 Stimmen auf sich vereinigen, wählt das Repräsentantenhaus den Präsidenten und der Senat den Vizepräsidenten. In diesem hypothetischen Szenario könnte es passieren, dass Mitt Romney Präsident und Joe Biden Vizepräsident wird, da es wahrscheinlich ist, dass die Republikaner die Kontrolle im Repräsentantenhaus behalten und die Demokraten weiter den Senat dominieren.

Nach dieser Einführung stellte Professor Berg ein paar Fragen an den ersten Skype-Teilnehmer, Dr. Marcus Pindur, der Korrespondent des Deutschlandfunks in Washington, D.C. Professor Berg fragte nach Dr. Pindur, ob die anstehenden Wahlen seiner Meinung nach fair verlaufen würden, nachdem einige von den Republikanern regierte Staaten “Wahlreformen” durchgeführt haben, die vor allem jungen Wählern, Schwarzen und Hispanics den Gang an die Wahlurne erschweren könnten. Dr. Pindur bestätigte, dass dieses Thema heftig diskutiert worden sei, beispielsweise in Florida, wo es um Restriktionen bei der verfrühten  Stimmabgabe, dem sogenannten „early voting“ ging. Diese Debatte endete in einem „Kompromiss“: Am letzten Sonntag vor den Wahlen wird es kein “early voting” geben. Dies würde vor allem die „Souls to the Polls”-Bewegung treffen, Gruppen schwarzer Kirchgänger, die traditionell sonntags nach dem Gottesdienst ihre Stimme abgeben. Afro-Amerikaner stimmen mehrheitlich für den Kandidaten der Demokraten.

Dr. Endler interviewte dann den zweiten Gast via Skype, den HCA-Doktoranden Styles Sass, der aus dem Swingstate Iowa zugeschaltet wurde. Er sprach über den möglichen Einfluss des Hurrikan Sandy, der seiner Meinung nach nur schwer einzuschätzen sei. Allerdings könne er dazu führen, dass Mitt Romneys Wahlkampagne an Schwung verliert, da in Krisenzeiten der amtierende Präsident ins Rampenlicht rückt. Präsident Obama hat tatsächlich schon viel Lob für sein Krisenmanagement erhalten; die Erwartungen an ihn sind nach dem Desaster der Bush-Administration nach Hurrikan Katrina in New Orleans hoch.

Im dritten Skype-Interview sprach Dr. Thunert mit Professor Andrea Römmele, die er in Kalifornien erreichte. Sie berichtete, dass dort kaum Wahlkampf stattfindet, da der Staat alles andere als umkämpft ist. Professor Römmele kommentierte außerdem die Rolle der Medien im Wahlkampf. Insbesondere kritisierte sie, dass im Mittelpunkt der Fernsehdebatten weniger Inhalte gestanden hätten als vielmehr die Frage, wer was gesagt habe. Sie wies zudem darauf hin, dass die Medien wenig getan hätten, um die Fakten zu überprüfen, insbesondere nach den Fernsehdebatten; der erste Eindruck der Zuschauer blieb in der Regel bestehen, auch wenn sich später herausstellte, dass die Aussagen der Kandidaten nicht der Wahrheit entsprachen.

In ihren abschließenden Statements waren sich die HCA Experten einig, dass die Außenpolitik am Wahltag eine zu vernachlässigende Rolle spielen würde, dass die Wirtschaftslage ausschlaggebend belieb würde und dass die Kandidaten eine Woche vor der Wahl Kopf an Kopf lägen.

US Elections 2012: "Debatte"

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23. Oktober 2012

Zum Ende des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes gab es auch am HCA eine politische Debatte mit Repräsentanten der Republicans und Democrats Abroad, Phil Zeni beziehungsweise Dennis O’Donohue. Beide begannen mit einer kurzen Stellungnahme zu den Wahlprogrammen ihrer Parteien und beantworteten dann abwechselnd Fragen der beiden Moderatoren, Dr. Anja Schüler und Dr. Martin Thunert vom HCA.

In seinem Eröffnungsstatement erklärte Phil Zeni, warum Präsident Obama seiner Meinung nach keine zweite Amtszeit verdient: Die Wirtschaft bleibt relative anämisch und die Arbeitslosenzahl hoch. Zeni führte zudem aus, dass der Kandidat der Republikaner, Mitt Romney, durchaus Staatliche Unterstützung bereitstellen, die Bürger aber nicht davon abhängig machen wollte. Sein „Gegner“, Dennis O’Donohue, betonte, dass die heutige Republikanische Partei vor allem Extremisten beherberge, die einen “Krieg gegen Frauen führen”, da sie Abtreibungen kategorisch ablehnen und in anderen Fragen der sexuellen Selbstbestimmung, insbesondere von jungen Frauen, äußerst restriktiv sind. O’Donohue führte außerdem an, dass der Präsident durchaus bereit sei, mit dem politischen Gegner zusammenzuarbeiten und dass diese  Zusammenarbeit sehr notwendig sei, dass aber die Republikaner jeden solcher Versuche boykottieren würden.

Die erste Frage der Moderatoren war – „Was wird Ihr Kandidat tun, um die Staatsverschuldung der USA zurückzufahren?“ Phil Zeni antwortete, dass Mitt Romney alle Ausgabenprogramme überprüfen würde und die Ausgaben der Bundesregierung überall da, wo es möglich sei, zurückfahren würde. Eine wachsende Zahl an Beschäftigten würde zudem das Steueraufkommen erhöhen, was die Wirtschaft weiter wachsen lassen würde. Zeni warf Präsident Obama vor, dass dieser staatliche Programme künstlich aufgebläht und so die Staatsausgaben nach oben getrieben habe.

Dennis O’Donohue dagegen argumentierte, dass Obama zwei äußerst kostspielige Kriege beendet habe und die Staatsverschuldung bereits zurückgegangen sei. Auf die Frage nach ihrer Meinung zum Affordable Care Act antwortete Phil Zeni, dass Gesundheitsfürsorge sehr wichtig sei, die Wähler „Obamacare“ ablehnten, weil sie glaubten, dass der Staat sich damit zu sehr in diese Fragen einmische. Er bemerkte, dass Romney die Gesundheitsfürsorge den Einzelstaaten überlassen würde und diese sicherstellen würden, dass chronisch Kranke und Arme versorgt seien.

Dennis O’Donohue stritt dies ab und erklärte, dass der Affordable Care Act die Versicherungsgesellschaften und nicht die Bürger kontrollieren wolle. Er führte zudem aus, dass Versicherungen vor Obamacare Policen wegen Krankheit kündigen konnten. Obamacare hat dies illegal gemacht und so den Bürgern genutzt. Zeni und O’Donohue beantworteten außerdem Fragen zur Energieunabhängigkeit der USA und zur Außenpolitik bevor sie Fragen aus dem Publikum entgegennahmen. Wie vorauszusehen war, folgte eine erhitzte Debatte zwischen dem Publikum und den Repräsentanten der beiden amerikanischen Parteien.

Matthew A. Sutton: "Is Obama the Antichrist? The Rise of American Fundamentalist Anti-Liberalism"

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18. Oktober 2012

Zum Auftakt des 12. Baden-Württemberg Seminars hieß das HCA Matthew A. Sutton von der Washington State University und dem University College Dublin willkommen.  Professor Sutton ist Historiker mit dem Schwerpunkt Religionsgeschichte, im Besonderen Forschungen zum konservativen Protestantismus des 20. Jahrhunderts und seiner Rolle in der US-Politik. Professor Sutton sprach zum Thema “Ist Obama der Antichrist? Der Aufstieg des amerikanischen fundamentalistischen Anti-Liberalismus“.

Sein Vortrag analysierte die apokalyptische Weltanschauung eines großen Teils der amerikanischen Evangelikalen und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die amerikanische Politik, insbesondere auf die Wahlen im November 2012. Danach glauben viele Evangelikale, dass das Ende der Welt naht und ein neues Millennium bevorsteht. Doch bevor es dazu kommen kann, wird der Antichrist sich erheben, an Macht gewinnen und über die Weilt herrschen. Viele Evangelikale glauben zudem, dass das herannahende Reich des Teufels sich durch eine Reihe wichtiger Zeichen ankündigen wird, darunter moralischer Verfall und das Entstehen mächtiger Reiche in Rom, Russland und im Fernen Osten. Außerdem werden Kriegsgerüchte, die „Entrückung“, in der Gott gläubige Christen aus dem Leben auf der Erde direkt ins Himmelreich holt, und der Einzug der Juden in Palästina als Schlüsselzeichen gewertet. Schon seit Langem sind die Evangelikalen der Überzeugung, das Ende der Welt stehe unmittelbar bevor. Der Erste Weltkrieg wurde aufgrund der Eroberung Jerusalems durch die Briten und dem damit einhergehenden Versprechen, es den Juden zu überlassen, als Zeichen dafür bewertet. Einige Evangelikale sahen sogar Hitler als Gottes Werkzeug, weil er die Juden nach Israel zurücktrieb. Dies bedeutet nicht, dass die Evangelikalen Hitlers Handeln unterstützt oder für moralisch vertretbar gehalten hätten – sie sahen es lediglich als ein weiteres Zeichen für das Herannahen des Millenniums. Auch der Aufstieg der Sowjet Union und Japans in den 1930ern wurden so interpretiert.

Auch im 21. Jahrhundert suchen fundamentalistische Evangelikale nach Anzeichen für die Stärkung der Macht des Teufels. Im Jahr 2012 mangelte es nicht an Krisenherden; so wird beispielsweise in den Augen der Evangelikalen Israel nicht ausreichend von der Obama-Administration unterstützt. Professor Sutton machte allerdings auch deutlich, dass nur ein geringer Anteil der Evangelikalen den amerikanischen Präsidenten für den „Leibhaftigen“ hält. Dennoch sind viele unter ihnen der Ansicht, Obama bereite dem Teufel den Weg für eine Machtübernahme. Der Glaube an ein unmittelbar bevorstehendes gewaltsames Ende der Welt bestimmt im Allgemeinen nicht nur die religiösen Gefühle der Evangelikalen, sondern auch ihr Wahlverhalten. Auch die bevorstehende Präsidentschaftswahl wird davon nicht ausgenommen sein. Im Anschluss an seinen Vortrag diskutierte Professor Sutton mit seinem sehr interessierten Publikum über andere Auswirkungen von Religion auf die Politik der Vereinigten Staaten.

"The American Presidency: Multidisciplinary Perspectives" (HCA Book Launch)

 
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16. Oktober 2012

Rechtzeitig zu den amerikanischen Präsidentschatfswahlen erschien der Band The American Presidency: Multidisciplinary Perspectives, herausgegeben von Wilfried Mausbach, Dietmar Schloss und Martin Thunert, der am 16. Oktober am HCA vorgestellt wurde. Als Gastrednerin konnten wir Britta Waldschmidt-Nelson, die stellvertretende Direktorin des Deutschen Historischen Instituts in Washington, D.C., begrüßen, die ebenfalls eine Autorin des Bandes ist.

Das Buch ist eine Sammlung von Aufsätzen, die auf die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien in Heidelberg 2008 zurückgehen. Sie analysieren die Institution der amerikanischen Präsidentschaft aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven wie der Politikwissenschaft, der Geschichte oder den Kulturwissenschaften. Einige Beiträge konzentrieren sich auf bestimmte Ereignisse oder Personen, andere behandeln den Einfluss von fiktionalen Darstellungen in Literatur oder Filmen wie Airforce One, oder die präsidentielle Rhetorik.

Die Herausgeber stellten einzelne Teile des Bandes vor und sprachen über seine Entstehungsgeschichte. Britta Waldschmidt-Nelson hielt einen kurzen Vortrag über “How White is the White House? American Presidents and the Politics of Race.” Anhand von Fallstudien über Jefferson, Lincoln, Wilson und Johnson diskutierte sie deren Verhältnis zur Rassenfrage. So stellte sie beispielsweise klar, dass Abraham Lincoln zwar die Institution der Sklaverei beendete, ursprünglich aber auf ihre Eingrenzung und nicht ihre Abschaffung hingearbeitet hatte. Nachdem die Herausgeber den Band in seiner ganzen Breite vorgestellt hatten, beantworteten sie noch zahlreiche Fragen aus dem Publikum.

US Elections 2012: "What Role Will Religion Play?"

Podiumsdiskussion24. Juli 2012

Am­­­ Dienstag, den 24. Juli 2012, fand am Heidelberg Center for American Studies (HCA) eine Podiumsdiskussion zu der Frage „Die US Wahlen 2012 – Welche Rolle wird die Religion spielen?“ statt. An der Diskussion nahmen die scheidenden Gastdozenten am HCA,  Professor Kirsten Fischer von der University of Minnesota und Professor Charles Postel von der San Francisco State University teil. Mit ihnen diskutierten Daniel Silliman, wissenschaftlicher Mitarbeiter am HCA, sowie Bryce Taylor, ein mormonischer Master-Student am HCA. Moderiert wurde die Podiumsdebatte von Professor Jan Stievermann, Professor für die Geschichte des Christentums in den USA am HCA und dem theologischen Seminar der Universität Heidelberg.

Vor einem sehr interessierten Publikum befassten sich die Wissenschaftler mit der brandaktuellen Frage, welche Rolle die Religion im diesjährigen Präsidentschaftswahlkampf spielt. Die Rhetorik des amerikanischen Wahlkampfes scheint sehr von religiösen Themen geprägt, doch welchen Stellenwert haben diese tatsächlich? Ein großer Teil der Diskussion jedenfalls drehte sich um die Religionszugehörigkeit der Kandidaten und die historische Bedeutung der Religion für die amerikanische Parteienlandschaft.

Die Republikaner sind ursprünglich eine protestantisch geprägte Partei, die sich aktuell sehr um ein ökumenisches Auftreten bemüht. Ihre führenden Politiker betonen immer wieder, dass ihre Partei ein jüdisch-christliches Weltbild vertritt, das alle Strömungen dieser beiden monotheistischen Religionen umfasst. Diese Haltung verkörpert auch der mormonische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney. Die Demokraten dagegen stehen für religiöse Toleranz und Offenheit. Nicht zuletzt weil Präsident Barack Obama sich für die Gleichstellung homosexueller Paare ausgesprochen hat, verlieren die Demokraten bei religiös aktiven Wählern an Boden.

Professor Postel, Experte für populistische Bewegungen in den USA, betonte, dass nicht unterschätzt werden dürfe, dass der „christliche Nationalismus“ der Republikaner sich besonders in Abgrenzung zum Islamismus definiert. Die Experten auf dem Podium waren sich einig, dass es bei den Republikanern weniger darum gehe, dem Wähler Mitt Romney zu „verkaufen“, sondern eher darum, eine zweite Amtszeit Barack Obamas zu verhindern. Dies geschieht, so Postel, indem man ein Angstbild von Obama erzeugt: Ein geradezu bedrohlicher Präsident, ein „verkappter Moslem“, ein, „farbiger Immigrant“, der nicht in den USA aufgewachsen ist, zum Teil von Muslimen abstammt und angeblich heimlich Friedenspolitik mit den islamistischen Erzfeinden betreibt.

Obwohl in der Debatte die Beziehung zwischen Religion und Wahlkampf klar im Vordergrund stand, machten die Diskutanten klar, dass Faktoren wie ethnische Zugehörigkeit und Geschlecht eine ebenso ausschlaggebende Rolle bei der Entscheidung für Obama oder Romney darstellten. Professor Postel erläuterte darüber hinaus den direkten Zusammenhang zwischen Religion und Generationszugehörigkeit. Je jünger die Wähler sind, desto weniger religiös aktiv, argumentierte Professor Postel. Zudem verlassen viele jüngere Menschen aufgrund ihrer Politisierung ihre Kirchen und sind zunehmend liberaler eingestellt. Die Debatte machte außerdem deutlich, dass ethnische Minderheiten tendenziell für die Demokraten stimmen.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die religiöse Überzeugung der Kandidaten für die Öffentlichkeit von Interesse ist. Amerikanische Präsidentschaftskandidaten werden von den Medien regelrecht auf ihren Glauben hin „getestet“. John Kerrys Nominierung 2008 scheiterte beispielsweise daran, dass er als Katholik nicht glaubwürdig war, weil er das Recht von Frauen auf Abtreibung befürwortete. Bryce Taylor zeigte sich überzeugt, dass es mittelfristig nicht dazu kommen werde, dass ein Atheist Präsident werde – dazu sei die Bedeutsamkeit der Religion in der öffentlichen Meinung zu hoch angesiedelt.

Trotz der enormen religiösen Aufladung des Wahlkampfes, so stellten die Diskutanten einhellig und nüchtern fest, gehe es in dieser Wahl aufgrund der aktuellen Lage inhaltlich vorrangig um wirtschaftliche Themen und die Kandidaten müssten sich eher zu ihren Steuererklärungen bekennen als zu irgendeiner Kirche.

Im Anschluss an die Podiumsdiskussion standen die Experten dem Publikum für Fragen zur Verfügung. Die Beiträge der Zuhörer führten zu einer lebhaften Debatte über das Werte- und Moralverständnis und die Religion in den USA.

Karsten Senkbeil: "Ideology in American Sports: A Corpus-Assisted Discourse Study" (HCA Book Launch)

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3. Juli 2012

Für den letzten Book Launch des Sommersemesters begrüßte das Publikum im Atrium des HCA Karsten Senkbeil, der seine Studie Ideology in American Sports: A Corpus-Assisted Discourse Study vorstellte. Karsten Senkbeil war einer der ersten Absolventen des Ph.D. Programms des HCA. Sein Buch analysiert den kulturellen Einfluss des Sports auf die amerikanische Identität.

Er begann seine Präsentation mit der Aussage dass „Sport und Wissenschaft Brüder sind – beide lehren uns etwas.“ Karsten Senkbeil betonte, dass American Football und Basketball an amerikanischen Colleges erfunden wurden, was das starke Band zwischen Sport und Wissenschaft illustriert, das es auch heute noch gibt. Er erklärte zudem die Rolle des Sports in den postindustriellen westlichen Gesellschaften; sie bieten eine „sichere Langeweile“ und die Bühne für emotionale Spektakel, epische Geschichten von Erfolg und Niederlage und über das „Gute“ und das „Böse“.

Er verdeutlichte diese Rolle am Beispiel des American Football, speziell an einer Eigenschaft, die er ein Kapitel seines Buches gewidmet hat: Gewalt und körperliche Grobheiten. Wissenschaftler gehen oft davon aus, dass American Football ein hoch rationalisiertes Kriegsspiel ist, mit dem Ziel, Territorium gut zu machen. Der Sport ist hoch technologisiert und daher eher ein industrialisiertes und kein gewaltsames Spiel. Karsten Senkbeil allerdings widersprach dieser Annahme. Er erklärte, dass Sportanthropologen ein Kontinuum von fünf verschiedenen Arten von Gewalt entwickelt haben: An einem Ende des Spektrums steht die kühle, rational gebrauchte Gewalt, wie zum Beispiel in der puren Form der Staatsgewalt. Diese Art von Gewalt wird normalerweise als notwendiges Übel für das große Ganze verstanden und mit „humaner Kriegsführung“ assoziiert. Am anderen Ende steht die affektive, emotional aufgeladene Gewalt, die „zum Spaß“ ausgeübt wird, so im American Football. Diese „Gewalt zum Spaß“ findet sich auch im „gewaltsamen Voyeurismus“, beispielsweise beim Anschauen von Filmen. Wenn Gewalt beim Football affektiv und „zum Spaß“ ist, kann man den Sport kaum als moderne Form der Kriegsführung bezeichnen.

Was aber ist er dann? Zur Beantwortung dieser Frage griff Karsten Senkbeil auf die Geschichte der amerikanischen Frontier und den „Prozess der Zivilisation“ nach Norbert Elias zurück, der Gewalt oder den Ausdruck starker Emotionen in der Öffentlichkeit unterband. Im einundzwanzigsten Jahrhundert gibt es keine Frontier mehr; der Sport hat ihren Platz eingenommen. Dort greifen einige Regeln der Zivilisation nicht und gewisse Formen der Gewalt sind zulässig. Die Spieler werden zu modernen Waldläufern, die über die Frontier hinaus in die Wildnis vordringen. In diesem Sinne repräsentiert der Sport eine Insel der Ent-Zivilisation.

Im Anschluss an die Präsentation beantwortete Dr. Senkbeil die Fragen seiner aufmerksamen Zuhörer und ließ sich auf eine lebhafte Diskussion über Gewalt und Hooliganismus ein.

Hans Vaget: "Der Gesegnete: Thomas Manns FDR" (HCA Book Launch)

Book Launch Vaget

12. Juni 2012

Am 12. Juni konnte das HCA Hans Vaget, den Helen & Laura Shedd Professor Emeritus of German Studies am Smith College zu einem weiteren Book Launch willkommen heißen. Professor Dieter Borchmeyer führte seinen amerikanischen Kollegen ein und nannte sein Buch ein “großes Epos”, das die Eigenschaften eines großen wissenschaftlichen Werkes mit einem geradezu dramatischen Narrativ verbindet.

Professor Vaget teilte darauf einige der Einsichten aus seinem hochgelobten Buch Thomas Mann, der Amerikaner. Sein Vortrag „Der Gesegnete: Thomas Manns FDR” drehte sich um Manns Perzeption des amerikanischen Präsidenten. Beide sind sich mehrere Male persönlich begegnet. Mann verehrte FDR und sah ihn als „gesegnet“ an. Gelegentlich äußerte sich Mann wohl auch kritisch, machte solche Kommentare aber nie öffentlich, um FDRs Anziehungskraft nicht zu schmälern. Mann sah in Roosevelt einen außerordentlichen Politiker und verehrte ihn so wie er Napoleon oder Bismarck verehrte. Die beiden trafen drei Mal zusammen. Bei der zweiten Gelegenheit zeigte Mann sich schockiert über Roosevelts Gesundheitszustand. Dennoch bewunderte Mann FDR als politisches Genie und stellte fest, dass seine körperlichen Behinderungen sein kraftvolles Handeln nicht behinderten.

Mann bewunderte Roosevelt nach eigenem Bekunden aus drei Gründen: Er war davon fasziniert, dass Roosevelt Politik als Verpflichtung empfand; FDR symbolisierte Freiheit und Fortschritt; und Roosevelts Charisma zog Mann in seinen Bann. Als Roosevelt, für Mann überraschend, kurz vor dem Sieg der Alliierten 1945 starb, war Mann so erschüttert, dass er die Arbeit an Dr. Faustus unterbrach. Mann sah FDR als „helles Licht im Kampf gegen den Faschismus“ und als einen Künstler unter den Politikern. Für Thomas Mann war Hitler der Feind der Menschheit und Roosevelt sein natürlicher und selbsternannter Gegner.

Auf die Buchpräsentation folgte eine lebhafte und kenntnisreiche Debatte. 

Manfred Berg and Simon Wendt: "Globalizing Lynching History: Vigilantism and Extralegal Punishment from an International Perspective" (HCA Book Launch)

31. Mai 2012

Im Sommersemester 2012 setzte das HCA ein Format fort aus dem Jahr davor fort. Studierende, Lehrende und die Heidelberger Öffentlichkeit waren erneut eingeladen, um Publikationen von HCA-Mitarbeitern aus der Taufe zu heben. Den diesjährigen Auftakt machten Professor Dr. Manfred Berg, Curt Engelhorn Professor für Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg, und Jun.-Prof. Dr. Simon Wendt von der Goethe University Frankfurt. Sie stellten ihr Buch Globalizing Lynching History: Vigilantism and Extralegal Punishment from an International Perspective vor. Der Band fasst die Ergebnisse einer Konferenz zusammen, die zwei Jahre zuvor am HCA stattgefunden hatte. Dort waren fünfundzwanzig Wissenschaftler aus zehn Ländern zusammengekommen, um Formen extralegaler Gewalt in internationaler Perspektive zu diskutieren. Der vorliegende Konferenzband enthält dreizehn Essays zur Lynch- und Selbstjustiz weltweit. Professor Berg und Professor Wendt haben beide ausführlich zum Phänomen des Lynchens in den USA geforscht.

In seiner Einführung erklärte Professor Berg, dass es das Ziel der Konferenz gewesen sei, die amerikanische Lyncherfahrung in eine neue Perspektive zu setzen. Dazu habe man zunächst eine vergleichende Perspektive gewählt und vorsichtig nach Verallgemeinerungen gesucht, die man aus individuellen Fallstudien ableiten konnte. Die Autoren des Bandes wandten sich dem Phänomen außerdem länderübergreifend zu und untersuchten die Terminologie. Das Wort „lynching“ kommt ursprünglich aus dem amerikanischen Englisch, wurde aber schnell im Deutschen, Spanischen, Französischen und Italienischen adoptiert, vor allem, weil Angehörige dieser Staaten gelyncht wurden. Insbesondere in den USA gibt es eine Geschichte des Lynchens von Ausländern, hauptsächlich Chinesen, Mexikaner und Italiener. Lynchen wurde außerdem oft als „notwendig“ angesehen, um die „Kriminalität“ von Schwarzen unter Kontrolle zu halten, insbesondere mutmaßliche Vergewaltigungen weißer Frauen durch schwarze Männer.

Lynchen wird oft als ein spezifisch amerikanisches Phänomen gesehen, das eng mit dem Rassismus verbunden ist. Der vorliegende Band möchte zeigen, dass diese Vorstellung eines negativen amerikanischen Exzeptionalismus zu eng ist und dem Phänomen als Ganzem nicht gerecht wird. So haben beispielsweise Ethnologen Fälle von Selbstjustiz in Südamerika und Afrika untersucht. Die Professoren Berg und Wendt betonten, dass es keineswegs ihr Ziel sei, die Bedeutung des Rassismus und das Leiden schwarzer Männer in den USA zu relativieren. Vielmehr wollen sie zeigen, dass Formen kollektiver Gewalt weltweit verbreitet sind und waren. Professor Berg definiert Lynchen als eine extralegale Strafe, die von einer Volksmenge verhängt wird, die dies wiederum als Ausdruck des Willens ihrer Gemeinschaft sieht. Sie glauben, das Recht zur Selbstjustiz in Anspruch nehmen zu können, wenn die staatliche Justiz ihre Aufgabe nicht erfüllt. Die Menge nimmt das Gesetz in die eigenen Hände und übt eine „vom Volke ausgehende“ Justiz aus.

Es gibt unterschiedliche Theorien, warum Selbstjustiz ausgeübt wird: Die Frontiertheorie besagt, dass eine Gemeinschaftsjustiz dort als erster Schritt zu Recht und Gesetz gesehen wird, wo es noch kein staatliches Gewaltmonopol gibt, zum Beispiel im „Wilden Westen“. In schwachen oder gescheiterten Staaten, so eine zweite Hypothese, wird Lynchen zur Selbstverteidigung der Schutzlosen. Das Buch und die Konferenz haben gezeigt, dass es keinen negativen amerikanischen Exzeptionalismus des Lynchens gibt. Es gibt allerdings spezifische Komponenten des Lynchens in den USA: Als Instrument des Rassismus war Lynchen auf die USA beschränkt, auch in Siedlergemeinschaften wie Australien oder Südafrika trat es so nicht auf. Ebenfalls nur in den USA gab eine positive Konnotation von Gemeinschaftsjustiz und ausgeprägten Traditionen von Volkssouveränität und Graswurzeldemokratie sowie ein nur schwaches Konzept eines staatlichen Monopols legitimierter Gewalt. Dazu kommt eine hohe Toleranz für legitime Selbstverteidigung.

Auf die Buchvorstellung folgte eine lebhafte Debatte, in der es auch um den historischen Zusammenhang zwischen der Lynchjustiz und der Todesstrafe ging.

Bonnie Anderson: "Ernestine Rose as International Citizen"

Anderson29. Mai 2012

Am Donnerstag, den 29. Mai, hielt Bonnie Anderson im Rahmen der Baden-Württemberg Seminare am HCA einen Vortrag zum Thema “Ernestine Rose als Weltbürgerin”. Bonnie Anderson ist Professor Emerita am Brooklyn College and am Graduate Center der City University of New York. Gemeinsam mit Judith Zissner verfasste sie die beiden Werke A History of Their Own: Women in Europe from Prehistory to Present (1988) und Women in Early Modern and Modern Europe. Im Jahr 2000 publizierte sie außerdem Joyous Greetings: The First International Women’s Movement, 1830-1860. Momentan arbeitet sie an einer Biographie von Ernestine Rose.

In ihrem Vortrag am HCA stellte Professor Anderson Ernestine Rose als Freidenkerin, Feministin und Schlüsselfigur der amerikanischen Frauenrechtsbewegung im neunzehnten Jahrhundert vor. Die 1810 in Polen als Tochter eines Rabbis und seiner Frau geborene Rose war seit Kindertagen eine Rebellin. Sie lehnte sich gegen die strenge religiöse Erziehung ihres Vaters auf und brach im Alter von zwölf Jahren mit dem Judentum. Ihre Mutter starb drei Jahre später und hinterließ ihr etwas Geld. Ihr Vater verlobte Rose gegen ihren Willen mit einem Fremden. Der Heiratsvertrag legte fest, dass Rose im Falle ihrer Nichteheschließung ihre gesamte Erbschaft an ihren Verlobten abzutreten habe. Rose verklagte ihren Vater an, vertrat ihre Interessen selbst vor Gericht – und gewann. Sie verließ das Haus ihres Vaters und zog nach Berlin.

Professor Anderson beschrieb Ernestine Rose als „wahre internationale Bürgerin“: Sie unternahm ausgedehnte Reisen durch Europa, lebte in Berlin und zog nach England, wo sie heiratete. Später siedelten sie und ihr Mann in die Vereinigten Staaten über, wo Rose sich für die Frauenrechtsbewegung engagierte. Ihr missfielen die Versuche ihrer Zeitgenossen, sie in bestimmte Schubladen einordnen zu wollen. Sie wollte weder durch ihr Herkunftsland noch durch ihre religiöse Zugehörigkeit definiert werden. In Rose Augen war es vor Allem die Menschlichkeit, die Leute verband - auf jeden Fall mehr als die Nationalität dies vermochte. In England trat Ernestine Rose der sozialen Bewegung der Oweniten bei. Die Oweniten nahmen auch Frauen in ihre Bewegung auf, erlaubten ihnen, öffentlich zu sprechen – eine Seltenheit zu dieser Zeit – und standen für Integration und Internationalität, beides Ideale, mit denen Ernestine Rose sich sehr identifizierte. Laut Professor Anderson sprechen einige Instanzen in Roses Leben dafür, dass sie es genoss, eine Außenseiterin und ein Sonderling zu sein.

Während Ernestine Rose vor Allem für ihr Engagement für die Frauenrechte und ihre fesselnden öffentlichen Reden bekannt ist, war es besonders ihre Arbeit in der Freidenkerbewegung, die sie von ihrer zeitgenössischen Gesellschaft unterschied. Ein Freidenker zu sein bedeutete, sich zum Atheismus zu bekennen, was als Blasphemie angesehen wurde und illegal war. Es schockierte die Gesellschaft besonders, wenn eine Frau sich öffentlich als Atheistin darstellte. Rose hielt öffentliche Reden für die Freidenkerbewegung und bildete viele internationale Freundschaften. Leider entfremdete sie sich unabsichtlich von einigen Mitstreiterinnen aus der Frauenbewegung, die kein Verständnis für ihr Engagement bei den Freidenkern aufbringen konnten.

Professor Andersons Theorie zu der Frage, warum Ernestine Rose trotz ihres großen Einflusses auf die Frauenrechtsbewegung heute fast vergessen ist, ist Folgende: Zum einen verließ Rose die USA – und damit den Fokus der amerikanischen Frauenhistoriker. Außerdem war sie eine Freidenkerin, was zu dieser Zeit als inakzeptabel galt und für ihre „Verbannung“ aus der zeitgenössischen Aufmerksamkeit sorgte.

Nach ihrem Vortrag beantwortete Professor Anderson Fragen aus dem Publikum, das eine lebhafte Debatte über die Frauenrechtsbewegung im Allgemeinen und Ernestine Roses Rolle im Besonderen anregte. 

Karen Offen: "The French Connection: Building a Transatlantic Women’s Network, 1888-1893"

Offen

15. Mai 2012

Das HCA setzte am 15. Mai sein Baden-Württemberg Seminar mit einem Vortrag von Karen Offen fort, die als Historikerin am Michelle R. Clayman Institute for Gender Research der Stanford University arbeitet. Ihre Spezialgebiete sind europäische, insbesondere französische Geschichte und die Geschichte des Feminismus.

Dr. Offens Vortrag beleuchtete das Leben zweier Frauen und ihre internationalen Kampagnen für Frauenrechte: die Amerikanerinnen May Wright Sewall und Bertha Honoré Palmer. Beide waren aktiv im Internationalen Frauenbund (ICW), der ersten internationalen Frauenorganisation. Der Internationale Frauenbund hatte es sich zum Ziel gesetzt, ein internationales Forum für Frauen zu schaffen, das Frauen- aber auch Menschenrechte diskutierte. 1888 trafen sich Repräsentantinnen von mehr als 50 Frauenorganisationen aus 9 Ländern in Washington, D.C. Sowohl  May Wright Sewall als auch Bertha Honoré Palmer hatten bereits enge Verbindungen zu französischen Feministinnen, da beide eine Weile in dem Land gelebt hatten. Sie nahmen sich vor, die Weltausstellung 1893 in Chicago zu nutzen, um den Kampf für die Frauenrechte voranzutreiben. Sewell und Palmer wollten unbedingt französische Frauen in dieses Unterfangen einbinden, da sie sich dieser Nation schwesterlich verbunden fühlten.

May Wright Sewall, die immer für das Frauenwahlrecht gekämpft hatte, wurde 1899 die Präsidentin des ICW. Sie war eine Visionärin, die die Idee vertrat, dass jedes Land einen nationalen Frauenbund gründen sollte, der Repräsentantinnen zu internationalen Konferenzen entsandte. Sie arbeitete Zeit ihres Lebens für internationale Zusammenarbeit von Frauen. Ein wichtiges Instrument dafür waren die Publikationen des ICW, die tausendfach auf Englisch und Französisch erschienen. Noch heute hat der ICW eine beratende Funktion bei den Vereinten Nationen, die höchste Akkreditierungsform für eine Nichtregierungsorganisation.

Neil Sheehan: "A Unique Gift to Truth and Freedom: The First Amendment to the Constitution of the United States"

Sheehan10. Mai 2012

Am 10. Mai 2012 hielt Neil Sheehan im Rahmen des Baden-Württemberg Seminars einen Vortrag über die Bedeutung des ersten Verfassungszusatzes für die amerikansichen Medien. Der Jounnalist und Autor ist zweifacher Pulitzer Preisträge. Während des Vietnamkrieges berichtete er aus dem Kriegsgebiet und zog somit das Interesse der New York Times auf sich. Dort publizierte er vertrauliches Material, das ihm zugespielt worden war. Bei diesen geheimen Unterlagen, die Sheehan 1971 als die „Pentagon Papers“ veröffentlichte, handelte es sich um Papiere, die die Rolle der USA in Südasien ab 1945 dokumentierten. Die New York Times publizierte die „Pentagon Papers“, einschließlich einiger Teile der Geheimdokumente. Als Reaktion auf den Versuch der Nixon-Administration, eine gerichtlichen Unterlassungsbefehl gegen die Veröffentlichung zu erwirken, erklärte des Oberste Gericht die Veröffentlichung für legal. Das Argument des Gerichtes bezüglich dieser Entscheidung war, dass der Inhalt der „Pentagon Papers“ von öffentlichem Interesse sei. Sheehans Veröffentlichungen, die somit unter dem Schutz des First Amendments standen, wurden mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet.

Das First Amendment sichert unter anderem die Meinungs- und Pressefreiheit in den USA. In seinem Vortrag betonte Neil Sheehan, dass das First Amendment die amerikanischen Reporter zu den „freiesten Journalisten im freiesten Land“ mache und daher eine wichtige Aufgabe und eine große Verantwortung mit sich bringe. Es sei die Pflicht eines Journalisten, wichtige Wahrheiten ans Licht zu bringen. Neil Sheehan berichtete auf eine bewegte und bewegende Weise von den Ereignissen, die zur Publikation der „Pentagon Papers“ geführt hatten. Er erzählte von der festen Entschlossenheit seines Redakteurs, A.M. Rosenthal, der gewillt war, für die Veröffentlichung der Dokumente seine Karriere zu riskieren. Rosenthal war der Überzeugung, das Richtige zu tun, weil er glaubte, die amerikanische Öffentlichkeit habe das Recht, informiert zu werden. Neil Sheehan zitierte seinen Redakteur mit den Worten: „ Diese Dokumente gehören dem amerikanischen Volk. Sie haben dafür mit dem Blut ihrer Söhne bezahlt.“

Neil Sheehan äußerte sich kritisch über die Entwicklung der amerikanischen Medienlandschaft unter George W. Bush. Er beschuldigte die Medien, ihre Pflicht gegenüber der Bevölkerung vernachlässigt zu haben. Sheehan betonte, die Aufgabe eines Journalisten sei nicht, der Regierung bei ihrer Selbstdarstellung zu unterstützen, sondern die Öffentlichkeit zu informieren. Er rief die heutigen Journalisten dazu auf, sich dieser Pflicht wieder bewusst zu werden. „Nehmen Sie nichts als gegeben hin! Sie müssen fragen, fragen, fragen! Graben Sie tiefer!“

In der lebhaften Diskussion, die Neil Sheehan im Anschluss an seinen Vortrag mit seinem beeindruckten Publikum führte, hob er seine Überzeugung hervor, dass das Veröffentlichen von geheimen Informationen der Öffentlichkeit diene – vorausgesetzt dass die Quellen geschützt würden und dass die Publikation des Materials keine Menschenleben gefährde. Im Hinblick auf diese Bedingungen kritisierte Neil Sheehan Wiki Leaks als „schrecklich verantwortungslos“, da in diesem Fall die Quellen veröffentlicht worden waren. Viele Gäste setzten diese Diskussion bei einem Empfang im Garten des HCA fort.

 William Chafe: "The Politics of the Personal"

Chafe.jpg3. Mai 2012

Am 3. Mai wurde die Vortragsreihe “Baden-Württemberg Seminar” mit einem Beitrag von Professor William Chafe, dem Alice Mary Baldwin Professor für Geschichte an der Duke University, fortgeführt. Professor Chafe ist ein angesehener Forscher im Bereich der Geschlechtergeschichte. Er ist der ehemalige Präsident der Organization of American Historians, Empfänger zahlreicher Forschungsstipendien sowie Gründer und ehemaliger Direktor des Duke UNC Center for Research on Women. Professor Chafe hat zwölf Bücher veröffentlicht; sein neuestes Werk mit dem Titel Bill and Hillary, the Politics of the Personal wird im September erhältlich sein.

In seinem Vortrag am HCA fragte Professor Chafe danach, ob die Persönlichkeit politischer Führungspersonen einen Einfluss auf ihre Politik habe. Professor Chafe stellte drei Fallbeispiele vor: John F. Kennedy, Richard Nixon und Bill und Hillary Clinton. Anhand des Werdegangs dieser Politiker kam er zu einer eindeutigen Schlussfolgerung: Ja, die persönlichen Umstände und der Charakter einer Führungsperson spielen tatsächlich eine große Rolle für die Politik.

Im Fall von John F. Kennedy argumentierte Professor Chafe, Kennedys persönliche Erfahrungen im US Militär im Zweiten Weltkrieg hätten ihn als Person geprägt, aber auch einen Einfluss auf Kennedys Handhabung der Kubakrise gehabt. Laut Professor Chafe sorgten Kennedys eigene Abneigung gegen unnötiges Blutvergießen, aber auch sein Misstrauen dem US Militär gegenüber, das er nach seinem Dienst hegte, dafür, dass der Präsident dem militärischen Rat, Kuba anzugreifen nicht folgte. Daher hatten Kennedys persönliche Erfahrungen und die daraus resultierenden Überzeugungen einen einen geradezu dramatischen Einfluss auf den Ausgang der Kubakrise. Professor Chafe stellte als Nächstes Richard Nixon vor und betonte, dass Nixons misstrauische Natur und sein starker Ehrgeiz, kombiniert mit einer persönlichen Unsicherheit, seine Präsidentschaft geprägt hätten und von großer Bedeutung für seine Politik gewesen seien.

Doch das überzeugendste Beispiel für seine These waren Bill und Hillary Clinton. Zunächst zeichnete Professor Chafe die Karrieren der Eheleute Clinton nach sowie die Geschichte ihrer Liebe und Ehe. Professor Chafe verdeutlichte seinem interessierten Publikum, wie sehr sich das Privatleben und die Politik der Clintons überschnitten. Er beschrieb mehrere Instanzen, in denen Hillary die politische Karriere ihres Mannes rettete – und ihre eigene auf diese Art aufbaute – indem sie ihm trotz  seiner zahlreichen mutmaßlichen Affären öffentlich beistand und so die Stärke ihrer Ehe demonstrierte. Hillary Clinton war in der Politik ihres Mannes eine gleichgestellte Partnerin und hielt während seiner  Präsidentschaft immer äußerst wichtige Positionen inne. Professor Chafe stellte die Behauptung auf, dass die persönliche Chemie zwischen Hillary und Bill Clinton jede einzelne Entscheidung, die im Weißen Haus während Clintons Amtszeit getroffen wurde, stark geprägt habe. Also, schloss der Vortragende, sei  das Persönliche in der Tat politisch.

Nach dem Vortrag beantwortete Professor Chafe ausführlich die zahlreichen Fragen seines faszinierten Publikums.

Philip Kitcher: "Rethinking Social Values: The Enduring Significance of John Dewey"

Kitcher Web

19. April 2012

Das HCA setzte sein Baden-Württemberg Seminar am 19. April mit einem Vortrag von Philip Kitcher fort. Professor Kitcher ist John Dewey Professor an der Columbia University und auf die Philosophie der Naturwissenschaften, Bioethik und Pragmatismus spezialisiert. Sein Vortrag drehte sich um die beiden amerikanischen Philosophen und Psychologen John Dewey und William James, deren Ideen für den Pragmatismus als bahnbrechend gelten. Professor Kitcher definierte Pragmatismus als das Verlangen, die Welt zu erforschen und so viel Informationen wie möglich zu sammeln, um in der Zeit, die uns bleibt, das gesellschaftliche Ganze ein Stück zu vervollkommnen. Dazu müssen alle Wissenschaften zusammenarbeiten; gleichzeitig muss eine möglichst sinnvolle Arbeitsteilung erfolgen.

Professor Kitcher wies darauf hin, dass William James eher an der Bedeutsamkeit philosophischer Fragen interessiert war, weniger an ihrer Bedeutung. Für John Dewey dagegen war es wichtig, die Verbindung von philosophischen und gesellschaftlichen Fragen herzustellen. Philosophie sollte die Wirklichkeit beeinflussen und gesellschaftliche Diskussionen beflügeln. Sie sollte Vorschläge unterbreiten, die dem Gemeinwohl dienen und zur Lösung aktueller Probleme beitragen.

Als Beispiel führte Professor Kitcher die Debatte über den Klimawandel an: So gelingt es demokratischen Systemen nur unvollständig, naturwissenschaftliche Erkenntnisse in die Debatte einzubetten. Politik und Gesellschaft machen sie sich nicht zu Nutzen. Außerdem würden wirtschaftliche Interessen die Fragestellungen bestimmen. Professor Kitcher wies darauf hin, dass der politische Prozess die Naturwissenschaften nicht nur mehr oder weniger ignoriere, sondern dass diese auch unter Druck sind, weil ökonomische Interessen nicht zuletzt das Bildungssystem beeinflussen.

In der anschließenden Diskussion betonte er, dass Philosophie ihre Bedeutung in der amerikanischen Gesellschaft verloren habe. Es gebe jedoch eine neue kleine Bewegung, die Deweys Kernthemen wieder diskutiere; dies würde jedoch bei Weitem nicht ausreichen.

Lisa McGirr: "Evangelicals and U.S. Politics in the Twentieth-Century"

17. April 2012Mcgirr

Am 17. April 2012 eröffnete das Sommersemester des Baden-Württemberg Seminars des HCA  mit einem Vortrag von Lisa McGirr zum Thema „Evangelicals and U.S. Politics in the Twentieth-Century“. Lisa McGirr ist Professorin für Geschichte an der Harvard University mit Schwerpunkt auf der amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die Autorin des mit dem New England Historical Book Award ausgezeichneten Werkes Suburban Warriors: The Origins of  the New American Right stellte ihrem großen und interessierten Publikum ein historisches Thema vor, das gerade in Bezug auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA brandaktuell ist: Die Verflechtung zwischen Evangelikalen und der amerikanischen Politik. Professor McGirr machte deutlich, dass es sich bei den Evangelikalen in den Vereinigten Staaten um eine sehr heterogene Gruppe von Protestanten handelt, die die Bibel wörtlich nehmen.

Die Historikerin erklärte, dass es die heute existierende Verbindung zwischen dieser religiösen Gruppe und der US-Politik so vor dem 20. Jahrhundert nicht gegeben habe und sieht ihre Ursprünge in der Prohibition der zwanziger Jahre. Diese ging auf das starke politische Engagement der evangelikalen Abstinenzbewegung zurück, die als Graswurzelbewegung versuchte, ihr Ziel der Errettung des Seelenheils durch Abstinenz mit politischen Mitteln durchzusetzen. Die Umsetzung des  18. Verfassungszusatzes resultierte allerdings vielerorts in Gewalt und Rechtlosigkeit, was dazu führte, dass moderate Protestanten sich  von der Prohibition distanzierten. Seitdem haben Evangelikale als „moralische Instanz“ Einfluss auf die amerikanische Politik. Heute manifestiert sich das evangelikale Moralverständnis besonders in der Partei der Republikaner. Obwohl laut Professor McGirr Phänomene wie die Tea Party Bewegung nicht allein durch den Einfluss der Evangelikalen erklärt werden können, wären sie ohne eine breite Basis an fundamentalistischen Christen nicht möglich.

Professor McGirr rief am Ende ihres Vortrags dazu auf, sich der Rolle der Religion und Weltanschauung in der Politik bewusster zu werden. Im Anschluss an ihren Vortrag beteiligte sich das Publikum rege an einer Debatte über die Implikationen der Verbindung zwischen Evangelikalen und der US-Politik.

 

Ausstellung: "Cold War Politics: Melvin J. Lasky – New York, Berlin, London"

Lasky Flyer Web

22. März bis 26. April 2012

Zum zweiten Mal dienten der Eingangsflur und das Atrium des HCA als Ausstellungsraum. Vom 22. März bis zum 26. April beleuchtete eine Ausstellung das Leben von Melvin Lasky, einer herausragenden Persönlichkeit des kulturellen Kalten Krieges. Weinige amerikanische Journalisten waren in Westeuropa so präsent wie er, so belesen, so gut vernetzt. Und wenige waren so umstritten. Geboren 1920 in New York und aufgewachsen in der Bronx als Sohn jüdischer Einwanderer aus Polen, wandelte Lasky sich von einem begeisterten Trotzkisten zum leidenschaftlichen Antikommunisten und „Kulturkrieger“. In seiner Biografie spiegeln sich die großen ideologischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts. Die Ausstellung, kuratiert von Maren Roth und Charlotte Lerg, beide vom Lasky Center for Transatlantic Studies der Universität München, zeichnete Laskys Leben nach, das er selbst als eine „Fabel dreier Großstädte“ bezeichnete: New York – Berlin – London.

Der erste Teil dokumentierte Laskys frühe Jahre in New York, sein Studium am City College, der University of Michigan und der Columbia Universität und seine Arbeit für den New Leader in New York, wo er von 1942 bis 43 als Redakteur arbeitete. Nach seinem Kriegseinsatz als Historiker in der 7. Armee blieb Lasky in Berlin, wo er für den Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone, Lucius D. Clay, arbeitete. Schon bald konnte Lasky mithilfe von Mitteln aus dem Marshallplan die deutschsprachige Zeitschrift Der Monat gründen, die zu einer der einflussreichsten Publikationen der jungen Bundesrepublik wurde. Ihr Zielpublikum waren progressive aber antikommunistische Intellektuelle. Zu den Autoren des Monats zählten unter anderem George Orwell, Hannah Arendt, Thomas Mann, Heinrich Böll, Max Frisch, T. S. Eliot, Saul Bellow und Richard Löwenthal.

Die Ausstellung am HCA zeichnete detailliert die extensiven Netzwerke nach, die Lasky aufbaute und unterhielt. Sie speisten sich zum einen aus seiner Tätigkeit als Herausgeber des Monats, zum anderen aus seiner Funktion als Gründer des Kongresses für kulturelle Freiheit (CCF), der 1950 in Berlin gegründet wurde und teilweise von der CIA finanziert war. Ab 1953 gab Lasky außerdem die Zeitschrift Encounter heraus, in vieler Hinsicht das britische Pendant zum Monat. In den späten Fünfzigern zog er nach London. Nach Ende des Kalten Krieges zog Lasky endgültig nach Berlin zurück, wo er bis zu seinem Tod als hellsichtiger Intellektueller und vielbeschäftigter Netzwerker lebte. Die zahlreichen Besucher dieser Ausstellung über die Politik des Kalten Krieges verließen sie zweifellos mit neuen Einsichten über seine kulturellen Dimensionen.

Michael Herron: "Blacks, Whites, and Hispanics: A Study of Race-based Residual Vote rates in Chicago"

Herron8. Dezember 2011

Warum gibt es bei Wahlen immer wieder Bürger, die zwar ins Wahllokal gehen, aber keine gültige Stimme abgeben? Im letzten Heidelberger Vortrag des Baden-Württemberg Seminars 2011 bot Michael Herron, Professor für Politikwissenschaft am Dartmouth College und an der Hertie School of Governance, seinem Publikum am HCA ein paar Antworten auf diese Frage. Er wies zunächst darauf hin, dass ethnische Zugehörigkeit ein wichtiger Faktor ist und dass weiße Wähler historisch weniger ungültige Stimmen abgeben als Angehörige von Minderheiten. Ein großer Teil der Literatur zu dieser Frage beschäftigt sich allerdings mit Wahlen, die vor der Verabschiedung des Help America Vote Act stattgefunden haben. Deswegen ist es nur folgerichtig, danach zu fragen, ob diese Auffälligkeiten fortbestehen, zumal auch die Technologie der Stimmabgabe vorangeschritten ist.

Eingedenk dieser Fragestellung zeigen Prof. Herrons Studien, dass selbst mit moderner Technik der Stimmabgabe, etwas optischem Scan, merkliche Unterschiede zwischen weißen, schwarzen und hispanischen Wählern hinsichtlich des Prozentsatzes ungültiger Stimmen fortbestehen. Dies trifft auf die Kommunalwahl in Chicago 2011 wie auf die Wahl in Illinois im Jahr zuvor zu. Zudem veränderte sich dieser Prozentsatz, wenn Kandidaten der eigenen ethnischen Zugehörigkeit zur Wahl standen. In Chicago findet sich der höchste Prozentsatz ungültiger Stimmen häufig unter hispanischen Amerikanern, und Prof. Herrons Untersuchungen fanden zahlreiche Fälle, in denen eine Gruppe ethnischer Wähler keine gültige Stimme abgaben, weil der Kandidat nicht ihre ethnische Zugehörigkeit besaß. Prof. Herron schloss daraus, dass der Prozentsatz ungültiger Stimmen immer noch eine ethnische Variable bei amerikanischen Wahlen reflektiert, wenn der Ablauf der Wahlen und die verwendete Technologie konstant bleiben. Außerdem sind die politischen Inhalte höchst relevant für die Zahl der ungültigen Stimmen. Prof. Herron beantwortete zahlreiche Fragen des Publikums, das jetzt gut informiert einem spannenden Wahljahr entgegensieht.

Robin Einhorn: "Same as It Ever Was? American Tax Politics in Perspective"

Einhorn22. November 2011

Robin Einhorn beschloss die Novemberveranstaltungen des Baden-Württemberg Seminars am 22. des Monats. Die Geschichtsprofessorin an der University of California, Berkeley, und Autorin des Buches American Taxation, American Slavery gab dem Publikum einen äußerst lehrreichen Überblick über die Geschichte der Steuern in den USA: „Same as It Ever Was? American Tax Politics in Perspective“. Professor Einhorns Vortrag zeigte auf, warum die amerikanische Ablehnung von und die Angst vor Steuern so tiefgreifendend, breit und kontinuierlich ist. Von der frühen Kolonialzeit bis zum Bürgerkrieg waren es insbesondere die sklavenhaltenden Eliten, die eine starke demokratische Bundesregierung fürchteten.

Professor Einhorn legte dar, dass die hitzigen Debatten über Besteuerung, die Macht, Steuern zu erheben, und die Verteilung von Steuerlasten sich nicht notwendigerweise in einem Diskurs über persönliche Freiheit gründen. Sie entlarvte außerdem die antidemokratischen Ursprünge von Jeffersons Rhetorik über einen schwachen Staat, die sich anhaltender Beliebtheit erfüllt. Das faszinierte Publikum erfuhr zudem vieles über die komplexen und sich ständig verändernden Steuersysteme und ihr Verhältnis zur lokalen und zur Bundespolitik.

Jennifer Culbert: "Reflections on the Death Penalty"

17. November 2011 Hca3045

Das Baden-Württemberg Seminar wurde im November mit einem Vortrag von Jennifer Culbert fortgesetzt. Sie ist Professorin für Politikwissenschaft und Direktorin des Graduiertenprogramms Politikwissenschaft an der Johns Hopkins Universität in Baltimore und Siemens Fellow an der American Academy in Berlin. Die Autorin des vielgelobten Buches Dead Certainty: The Death Penalty and the Problem of Judgment nahm ihr zahlreich erschienenes Publikum mit auf eine philosophische Tour de Force, welche die unterschiedlichen Argumente erläuterte, mit denen der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten seine Entscheidungen über Leben und Tod gerechtfertigt hat; als philosophisches Gerüst diente ihr dabei Nietzsches Konzept der „Wahrheit“.

Ausgehend von der Entscheidung Furman v Georgia, die 1972 die Todesstrafe als verfassungswidrig einstufte, interpretierte Prof. Culbert die nachfolgende Geschichte der Todesstrafe in den USA und konzentrierte sich dabei darauf, ob und wie der Gerichtshof seine Urteile basierend auf der „Wahrheit im außermoralischen Sinne“ fällte. Ihre faszinierenden Einsichten beinhalteten die Entscheidung, Aussagen der Opfer zuzulassen genauso wie den Diskurs der „neuen Abolitionisten“ um den Gouverneur Ryan aus Illinois und die Beweisführung mittels DNA. Darüber hinaus diskutierte Prof. Culbert auch einen aktuellen Fall, die hoch umstrittene Hinrichtung von Troy Davis in Georgia im September. Dabei betonte Prof. Culbert, dass ihre Analyse sich nicht für oder gegen die Todesstrafe richtet; vielmehr bot sie ihrem Publikum eine philosophisch überzeugende Schilderung, wie sich das Verfassungsgericht bemüht, die Todesstrafe zu legitimieren. Dieses Bemühen, so Culbert, enthüllt Essentielles über den Charakter der Bestrafung an sich. Wie zu erwarten schloss sich an den Vortrag eine äußerst lebhafte Diskussion an.

Lev Raphael: "Haunted By Germany: Memories of a Jewish-American Author"

15. November 2011Raphael

Für die zweite Heidelberger Veranstaltung im Herbstprogramm des Baden-Württemberg Seminars konnten wir den jüdisch-amerikanischen Autor Lev Raphael am HCA begrüßen. Er gilt als Pionier des Genres der „Zweiten Generation“ in den USA. Aus seinen zahlreichen Publikationen hatte er für seinen Vortrag Episoden aus seinen Memoiren My Germany ausgewählt, das von seinen ersten Reisen durch Deutschland handelt, dem Land, das ihn seit seiner Kindheit verfolgt hat. Nach einer Einführung durch Janet Miller, Konsulin für öffentliche Angelegenheiten des U.S. Konsulats in Frankfurt, entführte Lev Raphael sein Publikum in das New York der Nachkriegszeit, wo er als Kind von Holocaust-Überlebenden aufwuchs.

Seine Eltern, deren Familien aus Litauen und der Tschechoslowakei stammten, hatten sich bei Kriegsende im Hillersleben Displaced Persons Camp bei Magdeburg kennengelernt, nachdem seine Mutter aus der Polte Munitionsfabrik geflohen und sein Vater aus einem der Evakuierungszüge aus Bergen-Belsen befreit worden war. Nachdem sie einige Jahre in Belgien verbracht hatten, waren Lev Raphaels Eltern in die USA emigriert, wo er und sein Bruder aufwuchsen – verfolgt von den Gespenstern der Vergangenheit. Lev Raphael fesselte seine Zuhörer mit Geschichten aus einem Elternhaus, das klassische Musik verehrte aber nie eine Platte der Deutschen Grammophone anschaffte; in dem der Ankauf von Haushaltsgeräten schwierig war, weil sie nicht aus Deutschland stammen durften; und in dem selbst schöne Erinnerungen gefährlich werden konnten, weil sie unweigerlich zu traumatischen Ereignissen führten. Dieser Hass auf alles Deutsche prägte Lev Raphaels jüdische Identität, sein Leben und seine Berufslaufbahn. Seine Geschichte ist aber auch die Geschichte einer Versöhnung, die mit seiner ersten Lesereise in Deutschland begann und ihn schließlich dazu brachte, die Vergangenheit zu konfrontieren und hinter sich zu lassen. Das HCA Publikum hatte nach dem Vortrag nicht nur viele Fragen sondern auch zahlreiche Signierwünsche für My Germany.

Enjoy Jazz am HCA

27. Oktober, 3. November und 10. NovemberEj11 Web

Während des Enjoy Jazz Festivals in der Metropolregion verwandelte sich das Atrium des HCA an drei Donnerstagen zum Kinosaal. In Kooperation mit dem Festival zeigten wir drei Episoden des preisgekrönten Dokumentarfilms Jazz: A History of America’s Music von Ken Burns. Der Soziologe und Musikwissenschaftler Dr. Christian Broecking führte an den drei Filmabenden in die Geschichte des amerikanischen Jazz ein; er unterrichtete außerdem ein Seminar im MAS.

Die erste Folge, „Our Language”, entführte die Zuschauer in die “Goldenen Zwanziger” Jahre, als der Jazz sich in den USA fest etabliert hatte. Sie machten die Bekanntschaft von Bessie Smith, deren Musik den harten Alltag vieler Afroamerikaner leichter machte und mit deren Hilfe afroamerikanische Geschäftsleute begannen, eine schwarze Plattenindustrie aufzubauen; mit Bix Beiderbecke, der, inspiriert von Louis Armstrong, zum ersten weißen Star des Jazz wurde; und mit zwei brillianten Söhnen jüdischer Einwanderer, Benny Goodman und Artie Shaw, denen der Jazz half, dem Ghetto zu entkommen und ihre Träume zu verwirklichen. In New York trat Duke Ellington in Harlems berühmtesten Nachtklub, dem Cotton Club, auf, zu dem nur Weiße Zutritt hatten, und bekam dann die Chance seines Lebens, als das Radio begann, seine Musik im ganzen Land auszustrahlen. In Chicago machte sich derweil Louis Armstrong daran, mit einer Serie von Plattenaufnahmen die Zukunft des Jazz zu entwerfen – Aufnahmen, die in seinem zeitlosen Meisterwerk West End Blues kulminierten.

Die nächste Folge, „Dedicated to Chaos”, begann in Europa, wo Jazzmusiker wie der Sinti Gitarrist Django Reinhardt trotz des Verbots durch die Nazis weiterspielten und die „Swingkids” dem „Dritten Reich“ trotzten. In den USA wurde der Jazz zur Verkörperung der Demokratie; Bandleader wie Glenn Miller und Artie Shaw rückten zum Militär ein und nahmen ihre Musik mit. Für Afroamerikaner aber bestand die Rassentrennung fort, zu Hause und in den Streitkräften. Sie kämpften auf der anderen Seite des Atlantiks für Freiheiten, die ihnen zu Hause verwehrt blieben. So wurde der Savoy Ballroom verriegelt, um schwarze Soldaten daran zu hindern, dort mit weißen Frauen zu tanzen. Aber Jazz Musiker unterstützten die Kriegsanstengungen – so sammelte die Premiere von Duke Ellingtons umfassenden Tonportrait Black, Brown and Beige Spenden für die Kriegsfürsorge. Im Untergrund und nach den Konzerten aber begann der Jazz sich zu verändern. In Minton's Playhouse in Harlem entdeckte eine kleine Band junger Musiker, unter ihnen der virtuose Trompeter Dizzy Gillespie und der brilliante Saxophonist Charlie Parker, eine neue Art von Jazz – schnell, kompliziert, stimulierend und manchmal chaotisch. Wegen des kriegsbedingten Aufnahmeverbotes wurde diese Musik nicht im Radio gespielt, aber kurz nach der Explosion der ersten Atombombe und der Kapitulation Japans gingen Parker und Gillespie ins Studio, um ihre eigene Explosion festzuhalten. Sie hieß Ko Ko, der Sound wurde bald „Bebop” genannt und nichts im Jazz war mehr wie es einmal gewesen war.

Die letzte Folge, „The Adventure”, zeichnete zunächst die gesellschaftlichen Veränderungen in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg nach: Familien zogen in die Vororte und das Fernsehen wurde zur nationalen Freizeitbeschäftigung. In der Jazzszene brannten alte Sterne wie Billie Holiday und Lester Young aus, aber zwei Jazzgrößen waren nach wie vor präsent: 1956, als Elvis die Spitzen der Hitlisten erklomm, wurde Duke Ellingtons Konzert beim Newport Jazz Festival zu seiner am meisten verkauften Platte. Im folgenden Jahr machte Louis Armstrong Schlagzeilen, weil er die Untätigkeit des Staates während der Rassenunruhen in Little Rock, Arkansas, anklagte. Derweil testeten neue Virtuosen die Grenzen des Bebop: der kolossale Saxophonist Sonny Rollins; die Jazzdiva Sarah Vaughan; der Schlagzeuger Art Blakey. Die herausragende Persönlichkeit der Zeit aber war Miles Davis — Davis war ein Katalysator, der ständig wechselnde Bands zusammenstellte, um unterschiedliche Facetten seines heftigen, introspektiven Sounds herauszustellen; ein Popularisator, dessen satte Aufnahmen mit Arrangeur Gil Evans sein Publikum vergrößerten; und eine kulturelle Ikone, dessen Charisma bestimmte, was angesagt war. Mit den turbulenten Sechzigern kamen zwei Saxophonisten, die den Jazz gewagt zu neuen Ufern führten. John Coltrane ließ den Popsong „My Favorite Things” in ein Kaleidoskop freilaufender Klänge explodieren und Ornette Coleman sprengte alle Konventionen mit etwas, das er „Free Jazz“ nannte. Wieder einmal schien Jazz auf neue Abenteuer aus, aber diesmal fragten sich viele, auch viele Jazzmusiker – ist das noch Jazz?

Nach drei Wochen Jazz Dokumentarfilmen am HCA waren viele Zuschauer sicherlich sehr neugierig auf eine Antwort. Wir freuen uns auf eine erneute Kooperation mit Enjoy Jazz im nächsten Jahr!

Enjoy Jazz im MAS
MAS-Studierende des HCA  schreiben über ihre 'Entdeckung' des Jazz

Verleihung des Rolf-Kentner Preises 2011

13. Oktober 2011Kentner2011

Seit Beginn des strukturierten Promotionsprogramms am HCA 2006 haben sich mehr als zwanzig Nachwuchswissenschaftler aus elf Ländern entschieden, ihren Doktortitel an Deutschlands ältester Universität zu erwerben. Am 13. Oktober wurden vier junge Wissenschaftler im gut gefüllten und festlich dekorierten Atrium des HCA neu in das Programm aufgenommen, die Ph.D. Class of 2014: Michael Drescher (Deutschland), Axel Kaiser (Chile), Styles Sass (USA), und Kathleen Schöberl (USA). Prof. Dr. Detlef Junker hieß sie herzlich willkommen und stellte dann die neuen MAS Studierenden – Class of 2013 – vor. Er gratulierte außerdem einem weiteren Doktoranden, Mohamed Motawe aus Ägypten, zum Erwerb des Doktortitels und einer Position an der Kairoer Universität. Prof. Junker schaute dann auf die kurze aber erfolgreiche Geschichte des Programms zurück, das sich von einer kleinen Gruppe hochmotivierter junger Wissenschaftler zu einem gefragten internationalen und interdisziplinären Promotionsstudiengang entwickelt hat.

Die Hauptattraktion des Abends jedoch war die zweite Verleihung des Rolf Kentner Preises. Dieser Preis wurde von einem der aktivsten Unterstützer des HCA, Rolf Kentner, gestiftet, der auch Vorsitzender des Schurman Vereins ist. Der Kentner Preis zeichnet jährlich eine herausragende Dissertation in den Amerikastudien an einer deutschen Universität aus und ging in diesem Jahr an Frank Usbeck von der Universität Leipzig. In seiner Laudatio führte der Dekan der philosophischen Fakultät, Prof. Dr. Manfred Berg, das Publikum in die komplexe und ambivalente Geschichte des deutschen „Indianthusiasm” ein. Für die Propaganda der Nationalsozialisten, so Frank Usbecks These, wurde der „Indianthusiasm“ zur Grundlage eines ertragreichen Diskurses, der unterschiedlichen Zwecken diente und in vielen Kontexten verwendet werden konnte. Frank Usbecks Forschung lässt uns unsere Vorstellungen über das rassistische Gedankenguts der Nazis und über den Rassismus im Allgemeinen überdenken. Sie zeigt, dass „Rasse” keine in Stein gehauene ideologische Doktrin darstellt, sondern vielmehr ein sehr flexibles und anpassungsfähiges Konzept ist. Die Nazi Propaganda beutete rassistische und kulturelle Stereotypen über amerikanische Indianer erfolgreich aus, weil sie eine lange Tradition in der deutschen Populärkultur hatten und deshalb nicht sofort als Propaganda erkannt wurden. Aus demselben Grund lebten diese Stereotypen nach dem Ende des „Dritten Reiches” fort. Prof. Berg betonte, dass die Ideologie und Propaganda der Nationalsozialisten keineswegs eine monolithische Weltanschauung darstellte, die sauber von anderen Ideologien wie Sozialismus, Liberalismus oder Konservatismus getrennt werden kann. Stattdessen bediente sich der Nationalsozialismus, wie Dr. Usbecks Dissertation auf brilliante Art und Weise ausführt, einer ganzen Palette von Ideen, Diskursen und Tropen und adaptierte sie für den Eigengebrauch. Dazu gehörte auch die Vorstellung, dass amerikanische Indianer „verwandte Stämme“ waren.

Frank Usbeck führte diese Thesen dann in seinem Festvortrag “Tribe, Nation, Volksgemeinschaft: German Indianthusiasm and the Construction of National (Socialist) Identity” näher aus. Er präsentierte dem faszinierten Publikum einige seiner Hauptthesen und argumentierte unter anderem, dass die nationalsozialistische Ideologie sich auf indianische Bildersprache berief, um eine spezifische nationale Identität zu konstruieren und zu verfestigen. Danach beschränkten sich die Nationalsozialisten nicht auf historische Parallelen sondern konstruierten biologische und kulturelle Verbindungen zwischen Deutschen und Indianern. Dieser instruktive wie provokative und unterhaltsame Vortrag wurde mit viel Applaus und einer regen Diskussion belohnt. Der Preisträger, der Stifter und das Publikum konnten dann ihre Unterhaltung bei einem Empfang in der Bel Etage fortsetzen.

Aldon Morris: "W.E.B. Du Bois and the Founding of American Sociology: The German Connection"

Morris11. Oktober 2011

Das zehnte Semester des Baden-Württemberg Seminars eröffnete mit einem fulminanten Vortrag, der die engen Verbindungen eines Begründers der amerikanischen Soziologie zu einem der berühmtesten Heidelberger aufzeigte. Aldon Morris, Leon Forrest Professor of Sociology an der Northwestern University, sprach über die Rolle, die W.E.B. Du Bois bei der Ausbildung der  amerikanischen Soziologie spielte, sowie über die wichtigen Einflüsse, die Du Bois Deutschlandaufenthalt auf seine Weltsicht und seine sozialwissenschaftlichen Ansätze hatte. Durch diese deutschen Einflüsse wurde Du Bois zu einer zentralen, ja geradezu historischen, Figur für die Entwicklung der wissenschaftlichen Soziologie in den USA. In seinem Vortrag machte Prof. Morris drei Hauptargumente geltend: Erstens beeinflussten Du Bois’ Aufenthalte in Berlin und Heidelberg in den 1890er Jahren seine Haltung zur Rassenfrage in den USA zutiefst; zweitens versahen ihn seine Studienaufenthalte mit dem Rüstzeug, das er für den Auf- und Ausbau einer eigenständigen amerikanischen Schule der Soziologie benötigte. Drittens formte Max Weber, zu der Zeit bereits ein renommierter Wissenschaftler, Du Bois‘ Intellekt zutiefst. Dieser wiederum beeinflusste Webers Forschung sowie seine politische Einstellung zu Fragen der gesellschaftlichen Gleichberechtigung.

Prof. Morris führte darüber hinaus aus, wie sich Weber über den Atlantik hinweg Du Bois‘ Forschungsergebnisse zu eigen machte und ihn als herausragenden Wissenschaftler anerkannte. Du Bois‘ Forschung auf und bereicherte Webers Arbeit signifikant und Du Bois‘ politische Ansichten halfen Weber, seine provinziellen Vorbehalte gegenüber anderen Ethnien abzulegen und sich pluralistische und echte demokratische Vorstellungen anzueignen. Prof. Morris‘ Vortrag zeigte die enge wechselseitige Beziehung zwischen Du Bois Pionierrolle in der amerikanischen Soziologie und der deutschen Welt der Sozialwissenschaft um die Jahrhundertwende auf, die sich gegenseitig verstärkten. Prof. Morris Thesen führten dann zu einer angeregten Diskussion mit einigen Weber-Kennern im Publikum.

Susan Strasser: "Woolworth to Wal-Mart: Mass Merchandise and the Changing American Culture of Consumption"

7. Juli 2011Bws Strasser-8

Den Schlusspunkt des neunten Semesters des Baden-Württemberg Seminars setzte am 7. Juli Susan Strasser, Richards Professor of American History an der University of Delaware. Prof. Strasser, eine ausgewiesene Expertin der amerikanischen Konsumgeschichte, zeichnete die Entwicklung von Marketingstrategien und Einkaufsgewohnheiten von den Tante Emma Läden des 19. Jahrhunderts bis zu den heutigen Discountketten nach. Ihr Vortrag begann mit einem Blick auf die Ursprünge des Massenmarketing. Mit der Industrialisierung der USA entstanden unzählige neue Produkte; um die Jahrhundertwende aßen, tranken und trugen Amerikaner aller Schichten Sachen, die in Fabriken entstanden waren. Diese verarbeiteten fast unvorstellbare Mengen Rohstoffe am Fließband. Hand in Hand mit neuen Produktionsmethoden entwickelten sich neue Marketingstrategien. Sie sollten eine Bevölkerung, die bis vor kurzem noch fast alle Gegenstände des täglichen Bedarfs selbst hergestellt hatte, davon überzeugen, dass standardisierte und aufwändig beworbene Markenprodukte ihr Geld wert waren. Bis zu dieser Zeit waren die meisten Produkte als anonyme Ware von Großhändlern vertrieben worden; in den Jahrzehnten nach dem Bürgerkrieg begannen große Hersteller, eigene Vertriebswege zu etablieren und ihre Ware zu bewerben. Immer mehr Amerikaner zogen jetzt verpackte Uneeda Biscuits den Crackern aus dem offenen Fass vor und Quaker Oats den losen Haferflocken; sie verlangten jetzt Coca-Cola statt einer namenlosen Brause. Die heutige Konsumkultur nahm hier ihren Anfang.

Prof. Strasser analysierte dann den Wandel der Vertriebswege. Neue Marketingmethoden verlangten nach neuen Ladentypen. Die Massenvermarktung brachte drei neue Ladentypen hervor: das Kaufhaus, den Versandhandel und die Ladenkette. Alle drei hielten sich an moderne Verkaufsprinzipien: Preise waren und blieben festgelegt, Verkäufer schlecht bezahlt, und die Waren wurde in Warengruppen eingeteilt und so ausgezeichnet, dass sie schnell abgesetzt wurden. Mit A.T. Stewarts “Marmor Palast” eröffnete 1846 das erste Kaufhaus in New York; Macy’s and Marshall Field’s in Chicago folgten kurz danach. Viele Kaufhäuser betrieben einen Versandhandel, um Kunden in ländlichen Gegenden zu bedienen. Der Katalog von Sears, Roebuck umfasste 1906 fast 1000 Seiten; die Firma bearbeitete jeden Tag neun Säcke mit Bestellungen und betrieb eine eigene Druckerei sowie das zweitgrößte Kraftwerk in Chicago. Zur selben Zeit wurden im ganzen Land traditionelle Kaufmannsläden zunehmend durch Ladenketten ersetzt, deren bekannteste die Atlantic and Pacific Tea Company war. A&P begann als Einzelhändler in den 1890er Jahren, hatte fast 200 Filialen in 28 Staaten um Jahrhundertwende und 16, 000 Ende der zwanziger Jahre. Lange vorher hatte 1916 der erste Piggly Wiggly in Memphis, Tennessee, eröffnet und das Konzept der Selbstbedienung eingeführt. Diese Kette umfasste schließlich 2.660 Läden und gab ihr System an Franchisenehmer weiter. In den 1930er Jahren wies die amerikanische Konsumlandschaft bereits viele Merkmale auf, die bis heute bestehen: Ihre Kunden waren zunehmend motorisiert, verlangten nach Markenprodukten und niedrigen Preisen, die sie in riesigen Supermärkten auf der grünen Wiese fanden. Wie die heutigen Wal-Mart Kunden konnten sie jetzt nicht nur das einkaufen, was sie tragen konnten, begannen, auf Vorrat zu kaufen und garantierten so großen und schnellen Absatz. Es überraschte nicht, dass Prof. Strassers faszinierender Vortrag eine rege Diskussion auslöste – schließlich kauft der Anwesenden regelmäßig etwas ein.

Kristin Hoganson: "Buying into Empire: U.S. Consumption and the World of Goods, 1865-1920"

30. Juni 2011Bws Hoganson-28

Das Baden-Württemberg Seminar des HCA wurde am letzten Junitag mit einem Vortrag von Kristin Hoganson fortgesetzt, einer ausgewiesenen Expertin für transnationale Geschichte und die Kulturgeschichte des amerikanischen Imperialismus. In ihrem Vortrag argumentierte Prof. Hoganson, dass die Konsumgewohnheiten der amerikanischen Mittelschicht um die Jahrhundertwende das Scharnier zwischen dem politischen und militärischen Imperialismus und einem ebenso wichtigen wirtschaftlichen Imperialismus bildeten. Die wirtschaftliche Expansion der USA resultierte in der zunehmenden Globalisierung des Konsums genauso wie der wachsende Appetit des amerikanischen Verbrauchers für exotische Produkte die wirtschaftliche Expansion vorantrieb; beispielsweise vervierfachten sich die amerikanischen Lebensmittelimporte zwischen dem Ende des Bürgerkrieges und der Jahrhundertwende. Diese Entwicklung wurde aber nicht nur von Verbrauchern, sondern auch von Produzenten, Importeuren, Einzelhändlern, Werbeleuten, Verfassern von Ratgebern und Innenarchitekten geprägt. „Angemessener Konsum“ wurde zum Markenzeichen eines relativ kosmopolitischen Lebensstils weißer und wohlhabender Amerikaner.

In ihrer Analyse rekonstruierte Prof. Hoganson zum einen “Geographien des Konsums”: die Teile des öffentlichen Diskurses, die die Herkunft von Importgütern erklärten oder ihren Gebrauch kontextualisierten. So bewarben Modehäuser und Kataloge nicht nur Wäsche, sondern ihre asiatische Herkunft; Kochbücher erteilten Lektionen über den U.S. Imperialismus in der Karibik oder den Philippinen; Innenarchitekten priesen “chinesisches Rattan” oder „Perserteppiche“. Diese Verbrauchergeographien zeichneten sich oft durch eine militärische Sprache aus und bewerteten die amerikanische Expansion als segensreich für den inländischen Verbraucher wie für den ausländischen Produzenten.

Man kann dieses Verhältnis zwischen Konsum und Empire auch durch einen Blick auf die kulturelle Praxis verstehen: Importierte Waren wurden Gegenstand des alltäglichen Lebens und oft ein Zeichen sozialer Distinktion; sie galten als zivilisatorische Errungenschaft und machten ihre Benutzer zum Teil einer globalen Elite. Prof. Hoganson wies in diesem Zusammenhang auf die “cosey corners” – „orientalische Nischen“ – hin, vor der Jahrhundertwende die große Mode in bürgerlichen Haushalten. Auch exotische Gesellschaften wie Tee à la Russ oder “chinesische Vergnügen” erfreuten sich großer Popularität. Wohltätigkeitsbasare zeichneten sich oft durch entsprechende Buden aus: Auch im Mittleren Westen konnten Hausfrauen Parfüm aus Paris, Kaffee aus Konstantinopel oder Chinoiserie aus Shanghai erwerben. So war der amerikanische Konsum fremder Güter letztlich weder Grund für noch Resultat des amerikanischen Imperialismus, sondern vielmehr ein wesentlicher Teil davon.

"Hot Off the Press, Hot Off the Reel, Hot Off the Grill" – UniMeile am HCA

25. Juni 2011

Während der UniMeile zum Jubiläumsjahr der Ruperto Carola ging es am HCA „heiß“ her. Unter dem Motto „Hot Off the Press, Hot Off the Reel, Hot Off the Grill“ hatten Dietmar Schloss und Heiko Jakubzik wieder einmal ein attraktives Programm zusammengestellt, das stündlich aktuelle Romane, Filme, Fernsehserien und andere kulturelle Themen aus den USA vorstellte. Die Veranstaltung ging aus dem Kolloquium "Hot Off the Press" am Anglistischen Seminar hervor, dessen Mitglieder bereits seit sieben Jahren neuen Trends der amerikanischen Literatur, Popmusik, Filmszene und des Internets auf der Spur sind.

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Das zahlreich erschienene Publikum hörte kurze Vorträge über die Berichterstattung über den Tod Osama Bin Ladens, über neue Romane von Paul Auster, Jennifer Egan, und David Foster Wallce, und über die TV Serie „Mad Men“ und die Filme Black Swan und The Social Network, denen jeweils eine offene Gesprächsrunde folgte. Dieses Format erwies sich wieder einmal als sehr erfolgreich, zumal die Besucher diesmal im Innenhof des HCA amerikanische Barbecue Spezialitäten genießen konnten. Ein großes Dankeschön geht an den Partyservice „Tischlein Deck Dich“, der leckere Spare Ribs, Maiskolben und andere Köstlichkeiten anbot.

Amerikatag der Ruprecht-Karls-Universität

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Als Teil der Feierlichkeiten zum Universitätsjubiläum beging die Ruperto Carola am 24. Juni den Amerikatag. Er würdigte die langen und engen Beziehungen der Universität zu den Vereinigten Staaten und begann mit einer Podiumsdiskussion zum Thema: „The Obama Presidency: Will There Be a Second Term?“ Teilnehmer waren der Politikwissenschaftler und HCA Fellow Patrick Roberts, der Autor und HCA Absolvent Styles Sass, die Amerikanistin Dorothea Fischer-Hornung von der Universität Heidelberg und die Geschichtsprofessorin Manisha Sinha, University of Massachussetts, Amherst. Die Moderation übernahm Martin Thunert auf Deutsch und Englisch. Nach einem musikalischen Intermezzo mit Eva Mayerhofer und Christian Eckert wurde in festlichem Rahmen das James W.C. Pennington Distinguished Fellowship vorgestellt, das vom Heidelberg Center for American Studies und der Theologischen Fakultät eingerichtet wurde. Es erinnert an den amerikanischen Pastor und ehemaligen Sklaven James W.C. Pennington, dem die Ruprecht-Karls-Universität 1849 als erstem Afroamerikaner die Ehrendoktorwürde verlieh.

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Nach den Grußworten von HCA Gründungsdirektor Prof. Dr. Dr. h.c. Detlef Junker und Ehrensenator Dr. h.c. Manfred Lautenschläger hatte U.S. Konsulin Jeanine Collins eine Überraschung mitgebracht – eine Grußadresse des amerikanischen Präsidenten! Barack Obama dankte dem HCA für diese Initiative, die die starke Allianz und andauernde Freundschaft zwischen den USA und Deutschland widerspiegele. Er zeigte sich überzeugt davon, dass die Hochachtung vor den Leistungen Penningtons zukünftige Generationen von Amerikanern und Deutschen inspirieren werde. Der langjährige Förderer des HCA, Dr. h.c. Manfred Lautenschläger, legte durch eine großzügige Spende den Grundstock für die ersten Forschungsaufenthalte. Der Amerikatag endete mit einer spannenden Festrede von Prof. Sinha: „James W.C. Pennington and Transatlantic Abolitionism“ und klang stilvoll bei einem Glas Wein und leckeren Häppchen im Garten und im Atrium des HCA aus.

Manfred Berg: "Popular Justice – A History of Lynching in America" (HCA Book Launch)

26. Mai 2011Book-launch-manfred-berg Web

Zum Auftakt der dritten Buchvorstellung am HCA in diesem Jahr begrüßte Gründungsdirektor Professor Detlef Junker einen langjährigen Freund und Kollegen, Professor Manfred Berg, den Inhaber des Curt Engelhorn Lehrstuhls an der Universität Heidelberg. Er stellte an diesem Abend seinneues Buch Popular Justice – A History of Lynching in America seinen Studenten, Kollegen und der interessierten Öffentlichkeit vor.

Die Lesung zeichnete den Wandel der Lynchjustiz in der amerikanischen Geschichte nach, ausgehend vom Ursprung des Begriffs. Charles Lynch war der Vorsitzende eines außergesetzlichen Gerichts in Virginia während der amerikanischen Revolution, das Kriminelle, Verräter und Loyalisten bestrafte. Obwohl Lynch und seine Mitstreiter sich selbst ermächtigten, auch die von ihnen festgesetzten Strafen auszuführen, betonte Professor Berg, dass man ihre Handlungen nicht mit der Mobgewalt späterer Jahre gleichsetzen könne. Sie brachen das Gesetz in einer Zeit, zu der eine klare militärische Bedrohung und Kriegschaos herrschten. Dennoch wird außergesetzliche Gewalt seit dieser Zeit unweigerlich mit dem Namen „Lynch“ verknüpft. Im Kapitel „unbeschreibliche Barberei“ schilderte Professor Berg Lynchmorde als ein Instrument rassistischer Unterdrückung in den Südstaaten der Jim Crow Ära. Schwarze, die einer Vergewaltigung oder eines Mordes an Weißen verdächtigt wurden, wurden oft nicht durch die Justizbehörden einer „gerechten Strafe“ zugeführt sondern durch einen Mob, der mit Stricken, Fackeln und Kameras bewaffnet war. Die meisten Mitglieder dieser Gruppe waren „ganz normale Leute“, die unsägliche Straftaten begingen, weil sie Anordnungen folgten, an eine „höhere Sache“ glaubten oder eine vermeintlich unsichere Gemeinde sicher machen wollten. Lynchjustiz war ein sehr sichtbares und damit sehr effektives Instrument um die weiße Überlegenheit auch nach Abschaffung der Sklaverei zu gewährleisten. Sie beschränkte sich nicht auf Afroamerikaner; auch Mexikaner, chinesische Immigranten oder weiße Amerikaner fielen ihr zum Opfer. Professor Berg beschrieb in diesem Zusammenhang den Fall des jüdischen Fabrikaufsehers Leo Frank, der 1913 der Vergewaltigung und des Mordes an einer 13jährigen Arbeiterin in seiner Fabrik beschuldigt wurde. Obwohl er unschuldig war, wurde er zunächst zum Tode verurteilt, nicht zuletzt aufgrund von antisemitischen Ressentiments, einer aggressiven Boulevardpresse und ehrgeizigen Südstaatenpolitikern. Nach seinem Freispruch wurde er durch einen wütenden Mob entführt und gelyncht. Im letzten Teil der Lesung analysierte Professor Berg den Übergang vom Lynching zu Hatecrimes, die zwar ebenfalls durch bestimmte Ideologien befeuert werden aber anders als die Lynchjustiz keinen Rückhalt in einer Gemeinschaft haben.

Professor Bergs Lesung stieß auf großes Interesse und mündete in eine rege Diskussion. Viele Zuhörer nutzten die Gelegenheit, bei einem Glas Wein mit dem Autor ins Gespräch zu kommen und Popular Justice zum Einführungspreis zu erwerben.

Robert Isaak: "The Great Bluff – America’s Temporary Escape from
the Financial Crisis"

23. Mai 2011Isaak

Während Rettungsaktionen für überschuldete EU-Staaten und die europäische Währung die Nachrichten auf dieser Seite des Atlantiks beherrschen und die Angst vor den Konsequenzen der Finanzkrise umgeht, scheinen viele Amerikaner die wirtschaftliche Situation im eigenen Land weitaus optimistischer einzuschätzen. Tatsächlich aber hat diese scheinbare finanzielle Sicherheit durchaus Schwachstellen, wie Robert Isaak, Professor für Internationales Management an der Pace University und Autor von Geldherrschaft – Ist unser Wohlstand noch zu retten? in seinem provokativen Vortrag ausführte.

Für Professor Isaak handelt es sich bei der amerikanischen Kultur um eine Geldkultur, deren Realität durch Banker bestimmt wird. Um die augenblickliche Reaktion der Amerikaner auf die Finanzkrise richtig einzuschätzen, muss man die besondere Beziehung der Amerikaner zu Geld verstehen. In den USA wird Geld oft mit Freiheit gleich gesetzt. Die Rettungsaktionen für die Banken stellen unter anderem eine Verlagerung der Verantwortung vom privaten auf den öffentlichen Sektor dar. Dies ist nicht nur eine schlechte Nachricht für den Steuerzahler, sondern verletzt auch eine Maxime, der viele Amerikaner anhängen: Dass die Regierung die beste ist, die am wenigsten regiert.

Aber waren die dramatischen Rettungsaktionen im Jahr 2008, die der amerikanischen Kultur und Tradition so widersprachen, überhaupt erfolgreich? Laut Professor Isaak stellten sie nur einen vorübergehenden Ausweg dar – einen „Großen Bluff“. Erstens traf die Finanzkrise vor allem kleine Banken, die Geschäftspartner kleiner und mittlerer Firmen und damit der amerikanischen Mittelschicht; die großen Banken dagegen, die ihre Profite in den Jahren vor der Finanzkrise vor allem mit fragwürdigen Hypotheken und der Schaffung von Vermögenswerten erzielten, wurden mit Unsummen von Steuergeldern gerettet. Zweitens sichern die USA im Vergleich zu Russland oder China nur einen kleinen Teil ihrer Geldmenge mit Devisen oder Gold ab. Drittens geben die USA vergleichsweise viel Geld für Bildung oder Gesundheitsfürsorge aus, ohne davon adäquat zu profitieren – die Lebenserwartung beispielsweise ist vergleichsweise niedrig. Zudem hat die Finanzkrise konservativen Politikern Auftrieb gegeben.

Professor Isaak sieht den einzigen Weg aus dieser Krise in der Lösung des Konflikts zwischen den entwickelten Ländern mit einem starken Bankensektor und den unterentwickelten Ländern mit einem schwachen Bankensektor. In der Ernennung von Dominique Strauss-Kahn zum Direktor des Internationalen Währungsfonds sieht er eine Chance für eine solche Lösung, da Strauss-Kahn sich für eine größere Rolle der Schwellenländer einsetzt.

Professor Isaaks eher pessimistische Einschätzung der aktuellen und zukünftigen weltweiten Finanzlage löste eine angeregte Diskussion im zahlreich erschienenen Publikum aus, die sich vornehmlich um die Rolle des IWF und der Weltbank sowie die Zukunft des Euro und die Rechtfertigung der Bankenrettungen drehte.

Adam Tooze: "Never Again: Memories of the Great Depression and America’s Reaction to Today’s Financial Crisis"

19. Mai 2011Tooze Web

Die Große Depression und der New Deal gelten bis heute geradezu als Ausnahmesituation in der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte, die geradezu zwanghaft und immer wieder diskutiert wird. Dabei war die Politik des New Deals von Anfang an umstritten, wie Professor Adam Tooze in seinem aufschlussreichen Vortrag darlegte. Für viele Amerikaner war und ist die Politik der Roosevelt Administration dem American Way of Life feindlich gesonnen und dieser Diskurs hat sich in den letzten Jahren zunehmend radikalisiert. Insbesondere die Zunft der Ökonomen an den Hochschulen ist dramatisch gespalten und jede Seite kann Nobelpreisträger und einflussreiche “public intellectuals” vorweisen. Die Bewertung wird zusätzlich dadurch kompliziert, dass die New Deal Historiker über Techniken streiten und allen Facetten des politischen Spektrums angehören; außerdem hat sich die Geschichtsschreibung selbst gewandelt. Um Ordnung in dieses verwirrte und verwirrende Gebilde zu bringen, stellte Professor Tooze vier Positionen vor, die unterschiedliche politische und ökonomische Theorien mit unterschiedlichen Vorstellungen über Sinn und Zweck von Geschichte verbinden.

Für große Teile der liberalen amerikanischen Öffentlichkeit bleiben der New Deal, die amerikanischen Rolle im Zweiten Weltkrieg und der Marshall Plan der nostalgische Ausweis einer kollektiven Identität, eine unverzichtbare Reformbewegung in der amerikanischen Geschichte, gepaart mit einem Anflug von Bedauern über die Gegenwart und Nostalgie für die Vergangenheit. Die amerikanische Linke dagegen – zugegebenermaßen eher eine Randfigur in der öffentlichen Debatte – hat die Politik des New Deals von Anfang an angegriffen, da sie zwar die Aufgaben des Staates ausweitete, kapitalistische Strukturen aber intakt ließ und damit die populistischen Graswurzeln der amerikanischen Demokratie zerstörte. Weitaus dominanter ist die lauthals geäußerte und populäre Interpretation der Rechten, die behauptet, dass die staatlichen Interventionen des New Deals vor allem Unsicherheit unter Geschäftsleuten hervorrief und die Krise damit verlängerte. Die sogenannte Freshwater School besteht sogar darauf, dass alle ökonomischen Aktivitäten, auch Arbeitslosigkeit, auf rationalen Entscheidungen von ökonomisch frei handelnden Individuen basieren.

Als einflussreichste Position aber sieht Professor Tooze den „skeptischen Optimismus“, den wichtige Mainstream-Intellektuelle wie Ben Bernanke, Paul Krugman, oder Christina Romer in der wahren Tradition des amerikanischen Pragmatismus vertreten. Skeptische Optimisten glauben daran, dass rationales Denken und Handeln viel, wenn nicht alles, bewegen kann. Eine historische und ökonomische Betrachtung der Großen Depression liefert zwar keine Antworten auf die Fragen, die sich den USA heute stellen, aber der skeptische Optimismus könnte dazu beitragen, ein neues Kapitel in der amerikanischen Geschichtsschreibung aufzuschlagen, das die Saga des amerikanischen Exzeptionalismus beendet. Die Gelegenheit zur anschließenden Diskussion wurde von den zahlreichen Zuhörerinnen und Zuhörern gerne wahrgenommen.

Tobias Endler: "After 9/11: Leading Political Thinkers about the World, the U.S. and Themselves" (HCA Book Launch)

21. April 2011Tobias-endler-book-launch Web

Bei der zweiten Buchvorstellung im Atrium des HCA präsentierte Tobias Endler, Ph.D. Koordinator am HCA, sein neues Buch After 9/11: Leading Political Thinkers about the World, the U.S. and Themselves. Er gab dem Publikum zudem einen kleinen Einblick in das Quellenmaterial seiner in Kürze erscheinenden Dissertation.

Während eines Lehr- und Forschungsstipendium an der Yale University interviewte Tobias Endler vierzehn Männer und drei Frauen, die zu den bekanntesten „public intellectuals“ der Vereinigten Staaten gehören. Unter ihnen waren zum Beispiel John Bolton, Francis Fukuyama, James M. Lindsay und Nancy Soderberg, um nur einige zu nennen. Die Befragten zeichnen sich nicht nur durch eine hohe Medienpräsenz aus, sondern haben auch alle Bücher über die amerikanische Außenpolitik nach den Terroranschlägen des 11. Septembers veröffentlicht.

Tobias-endler-book-launch-2 WebTobias Endler bat seine Interviewpartner einerseits die Rolle der Vereinigten Staaten in der Weltpolitik zu definieren: Welche Außenpolitik verfolgt die USA seit den Anschlägen des 11. Septembers? Welche sollte sie verfolgen? Was führte zu der Katastrophe am 11. September? Gibt es Wege eine weitere Katastrophe dieser Art zu verhindern und den beschädigten Ruf Amerikas wieder herzustellen? Was kann von Obama erwartet werden? Und sind die USA immer noch eine Supermacht? Andererseits wurde auch die Rolle der „public intellectuals“ selbst in den Interviews thematisiert: Was ist ein „public intellectual“? Ist dies immer noch ein relevantes Konzept? Wuchs ihre Autorität nach den Anschlägen des 11. Septembers? Welche Rolle spielen die „public intellectuals“ in der öffentlichen Diskussion?

Nachdem Tobias Endler sein konzeptionelles und methodisches Vorgehen erklärt hatte, fuhr er mit der Präsentation von Audio-Mitschnitten der Interviews fort. Dieser Teil der Buchvorstellung beeindruckte das Publikum besonders. Durch die Mitschnitte bekamen die Zuhörer nicht nur einen tieferen Einblick in Vorgehensweise des Autors, sondern fühlten sich auch den Intellektuellen selbst näher. So wurde deutlich, dass die meisten der Interviewten an einer globalen Führungsrolle der USA, auch wenn sie sehr unterschiedliche politische und berufliche Milieus repräsentieren. Die Überzeugungen, wie dies erreicht bzw. erhalten werden kann, sind jedoch sehr unterschiedlich..

Die Beiträge von Dr. Martin Thunert, Dozent für Politikwissenschaft am HCA, und Prof. Dr. Dietmar Schloss, einem der Betreuer der Dissertation, rundeten den Abend ab. Nach den Vorträgen beantworteten alle drei Wissenschaftler Fragen aus dem Publikum und führten danach bei einem Glas Wein die angeregte Diskussion mit den Zuhörern fort.

Todd Gitlin: "The Press and the Romance of the Financial Bubble"

15. April 2011Gitlin Web

Am 15. April konnte das HCA Todd Gitlin, Professor für Journalismus und Soziologie an der Columbia University, in Heidelberg begrüßen. Ein „not very private intellectual“, wie er sich selbst beschreibt, wurde Gitlin insbesondere auch als der dritte Präsident der Students for a Democratic Society (1963-1964) bekannt. Während seiner Amtszeit organisierte er unter anderem die ersten nationalen Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und gegen das Apartheitsregime in Südafrika. Darüber hinaus ist Professor Gitlin der Autor zahlreicher Bücher, und viele der Zuhörer hatten ihr persönliches Exemplar mitgebracht.

Professor Gitlins Vortrag “The Press and the Romance of the Financial Bubble” beleuchtete die unrühmliche Rolle der amerikanischen Presse während der Hypothekenspekulationen, die 2008 und 2009 zur weltweiten Finanzkrise führten. Anstatt die Risiken dieser hochspekulativen Geldanlagen aufzuzeigen, priesen die Medien den Finanzsektor und feierten dessen Topmanager als „Herren des Universums“. Es gab so gut wie keine investigative Berichterstattung über diese mächtigen Männer und Institutionen. Professor Gitlin betonte, dass die Investment-Banker so zu unbestrittenen moralischen Autoritäten für die amerikanische Öffentlichkeit werden konnten. Sie wurden dafür bewundert, dass sie Profite für ihre Firmen und Wohlstand für die amerikanische Gesellschaft aber auch für sich persönlich schufen. Die Presse allerdings war lediglich ein „Wachhund der im Angesicht der Gefahr nicht bellte“. Professor Gitlin zufolge scheiterte sie, weil es für eine ständig schrumpfende Zahl von Journalisten unmöglich war die Komplexität des Finanzsektors zu durchschauen. Angesichts des eklatanten Versagens des konventionellen Journalismus unterstützt Gitlin die Idee, dass in Zukunft non-profit Journalisten und Organe wie Wikileaks die Aufgabe übernehmen sollen, solche komplexen Themen zu recherchieren.

Professor Gitlins Vortrag stieß auf großes Interesse und der Abend wurde mit einer langen und angeregten Diskussion fortgesetzt. Am Ende nutzten viele Zuhörer die Chance, den Redner persönlich zu begrüßen und ihre Bücher signieren zu lassen.

Mischa Honeck: "We are the Revolutionists: German-Speaking Immigrants and American Abolitionists after 1848" (HCA Book Launch)

12. April 2011Book Launch Mischa Honeck-3

In diesem Frühling erweiterte das HCA seinen Veranstaltungskalender mit einem neuen Format. Studenten, Kollegen und die interessierte Öffentlichkeit waren zur ersten Buchvorstellung ins Atrium eingeladen. Dr. Mischa Honeck, Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Ph.D- Koordinator am HCA, präsentierte sein erstes Buch: We Are the Revolutionists: German-Speaking Immigrants and American Abolitionists after 1848.

Der Abend begann mit Musik und Bildern, die das Publikum in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zurückversetzten. Nach einer herzlichen Einführung durch Dr. Wilfried Mausbach nutzte Dr. Honeck die Gelegenheit seinen Kollegen am HCA und insbesondere seiner Frau für die Unterstützung während der Entstehungszeit von We Are the Revolutionists zu danken.

In dem anschließenden Vortrag ging Dr. Honeck auf die Geschichte der sogenannten Forty-Eighters ein, die in den gescheiterten Revolutionen von 1848-49 für ihre Ideale in Europa gekämpft hatten. Tausende von ihnen flohen als politisch Verfolgte nach Nordamerika. Ihr Streben nach Freiheit allerdings endete mit ihrer Ankunft in einem fremden Land keineswegs. Vielmehr kollaborierten die deutschsprachigen Einwanderer nach 1848 mit den amerikanischen Abolitionisten und überwanden dabei ethnische und kulturelle Grenzen für ein gemeinsames Ziel: die Abschaffung der Sklaverei. In seinem Vortrag analysierte Dr. Honeck jedoch auch die Grenzen dieser transatlantischen Allianz. Die amerikanischen und deutschen Revolutionäre waren sich nicht nur uneinig darüber, wie sie ihre gemeinsamen Ziele erreichen sollten, sondern zudem Gefangene ihrer jeweiligen sozialen Umfelder aus Ethnozentrismus und Rassismus. Auf den Tag genau 150 Jahre nach der Schlacht von Fort Sumter, mit der der amerikanischen Bürgerkrieg begann, eröffnete Dr. Honeck so eine neue transnationale Perspektive auf den Kampf für die Abschaffung der Sklaverei.

Mit einer Würdigung von We are the Revolutionists durch den Bürgerkriegshistoriker Martin Öfele, Fragen aus dem Publikum und einer angeregten Diskussion wurde der Abend fortgeführt. Bei einem Glas Wein hatten die Zuhörer anschließend die Möglichkeit die Unterhaltung mit dem Autor fortzusetzen. Das HCA freut sich auf die nächste Veranstaltung in dieser Reihe.

Stunde der Universität: "Brücken in die Neue Welt"

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31. März 2011

In ihrem Jubiläumsjahr präsentiert sich die Ruprecht-Karls-Universität jeweils donnerstags der Heidelberger Öffentlichkeit. Während der „Stunde der Universität“ öffnet jede Woche um 17:00 Uhr ein anderes Institut die Türen, um seine Lehr- und Forschungstätigkeit vorzustellen. Am 31. März wurden am HCA im Rahmen dieser Veranstaltung „Brücken in die Neue Welt“ geschlagen. Eine Videokonferenz via Skype bot Mitarbeitern und Besuchern die Gelegenheit, mit den Kooperationspartnern des HCA auf der anderen Seite des Atlantiks ins Gespräch zu kommen.

Den Anfang machte Felix Lutz am Center for European Studies der Harvard University, der unter anderem über die finanzielle Situation der amerikanischen Eliteuniversitäten seit Ausbruch der Finanzkrise berichtete. Die zweite Schaltung führte ans Vassar College, wo Maria Höhn über die Genese der Ausstellung „Kampf um die Bürgerrechte“ berichtete, die zur selben Zeit am HCA zu sehen war. Nach einem Gespräch mit HCA Doktorand Johannes Steffens in New York City ging es weiter nach Washington, DC, ans Deutsche Historische Institut, das in vieler Hinsicht eng mit dem HCA verbunden ist. Danach schalteten wir zu David Morris, dem Deutschland Spezialisten der Kongressbibliothek in Washington. Im Mittleren Westen der USA kam eine Schaltung mit Jeannette Jones und Alexander Vazansky, zwei ehemaligen Mitarbeitern des HCA, zustande. Eine Schaltung nach Denver zu Kathleen Lance, der Präsidentin von Heidelberg Alumni USA, gab Irmtraud Jost auf dieser Seite des Atlantiks die Gelegenheit, die Alumni Arbeit der Universität vorzustellen. Die virtuelle Reise über den amerikanischen Kontinent endete in einem Gespräch mit Bob Cherny und Charles Postel, der eine ein ehemaliger Fulbright Professor am HCA, der andere ab Herbst der Scholar in Residence. Bei Wein und Brezeln erhielten die Besucher in knapp zwei Stunden zweifellos interessante Einblicke in die Arbeit des HCA und seiner Kooperationspartner.

Hartmut Berghoff: "Lässt sich der Kapitalismus zähmen? Die Anfänge des 'Credit Rating' in den USA und Deutschland vor 1914"

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17. März 2011

Hartmut Berghoff, Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Washington D.C., konnte für seinen Vortrag über die Geschichte der Credit Rating Agencies zahlreiche Zuhörer interessieren, die sich sicherlich auch eine Erklärung für das eklatante Versagen dieser Agenturen in der seit drei Jahren währenden Finanzkrise versprachen. Tatsächlich, so führte Professor Berghoff aus, haben diese Agenturen „die Risiken hochgradig unterschätzt, … waren von der Komplexität der neuen Finanzvehikel schlichtweg überfordert“ und befanden sich darüber hinaus in einem „Interessenkonflikt“. Professor Berghoff bot aber auch einen Einblick in ein wenig erforschtes Kapitel der Wirtschaftsgeschichte: die Entstehung der Credit Rating Agencies in den Vereinigten Staaten des neunzehnten Jahrhunderts. Diese Agenturen waren ursprünglich eine institutionelle Antwort auf die Herausforderungen einer sich industrialisierenden Nation und einer sich industrialisierenden Welt. In einem expandierenden Markt, der den Großteil seiner Waren auf Kredit lieferte, benötigten Geschäftsleute ein System, das wirtschaftliche Unsicherheiten in ein beherrschbares Risiko verwandelte. Credit Rating Agencies griffen auf das soziale Kapital zurück, das sich in Familien, Kirchen und ethnischen Gemeinschaften gebildet hatte, und ersetzten diese hergebrachten Formen des geschäftlichen Vertrauens sukzessive durch enorme Datenmengen, die ihre Agenten sammelten, und die dann in den Firmenzentralen ausgewertet und zusammengefasst wurden.

Ihren Kunden konnten die Agenturen somit eine Vertrauensbasis in einer zunehmend anonymen und unsicheren Geschäftswelt bieten. Die Rating Agenturen waren aber auch Disziplinierungsinstrumente, die von den Werten der weißen angelsächsischen Mittelschicht geprägt waren. Sie wuchsen im neunzehnten Jahrhundert exponentiell; das Hauptbuch der Dun Agentur, die als Mercantile Agency 1841 von dem Seidenhändler Lewis Tappan gegründet worden war, enthielt 1859 10.000 Einträge; 1915 waren es bereits 1,8 Millionen. Dun & Bradstreet ist noch heute der führende Anbieter in diesem Bereich. Professor Berghoff wies außerdem darauf hin, dass die relative Stärke der Credit Rating Agenturen auch ein Ausweis für die relative Schwäche des amerikanischen Bankensystems war. Geschäftsleute in Deutschland dagegen verließen sich – nicht zuletzt aufgrund der geringeren geographischen Ausdehnung des Landes – eher auf die Auskünfte der lokalen Handelskammern für die Herstellung von Geschäftskontakten und Informationen über Vertrauenswürdigkeit. Dennoch konnte sich das System des Credit Rating im deutschen Kaiserreich etablieren, nicht zuletzt, weil auch dessen Exporteure zunehmend auf Informationen über ihre globalen Handelspartner angewiesen waren.

Ausstellung: "Der Kampf um die Bürgerrechte – afroamerikanische GIs und Deutschland"

Ausstellung

15. März 2011

Seit dem Zweiten Weltkrieg waren fast drei Millionen afroamerikanische Soldaten und ihre Familien in Deutschland stationiert. Viele von ihnen hatten zuvor das nationalsozialistische Regime mitbesiegt. Ihre Erfahrungen als Teil der amerikanischen Besatzungsarmee im besiegten Deutschland, wo es im Gegensatz zu den USA keine institutionalisierte Rassentrennung gab, befruchteten den Kampf schwarzer Amerikaner gegen Rassismus und für ihre Bürgerrechte – ein Aspekt der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, der bis jetzt wenig beleuchtet war. In den 1960er Jahren wurde nicht zuletzt die deutsche Studentenbewegung zu einer Plattform für die Anliegen afroamerikanischer Soldaten. Diese Erfahrungen sind in einem digitalen Archiv und der Fotoausstellung dokumentiert, die im März und April nach vielen Stationen, u.a. in Berlin, München, Hamburg und San Francisco, am HCA zu Gast ist. Das Spektrum der Ausstellungsobjekte reicht von Fotos schwarzer GIs bei Kriegsende über Cartoons der Nachkriegszeit und Flugblätter bis zu einem Solidaritätsplakat für Angela Davis.

In dem Begleitprojekt unter der Leitung der beiden Ausstellungskuratoren Prof. Dr. Maria Höhn vom Vassar College und Dr. Martin Klimke vom HCA und vom Deutschen Historischen Institut in Washing­ton, DC, gehen Wis­senschaftler dieser drei Institutionen unter anderem der Frage nach, in welchem Um­fang die Er­richtung von US-Militärstützpunkten außerhalb Nordamerikas die Anliegen der afroamerikanischen Bürgerrechts­bewegung inner­halb der USA gefördert hat. Das digitale Archiv dokumentiert die Erfahrungen, die afroamerikanische Soldaten, Aktivisten und Intellektuelle in Deutsch­land während des 20. Jahrhunderts gemacht haben und erweitert damit die Geschichte der afroamerikanischen Bürger­rechtsbewegung über die Grenzen der USA hinaus. Mit der Fotoausstellung „Der Kampf um die Bürgerrechte“ nutzt das HCA sein 2009 eingeweihtes Atrium erstmals als Ausstellungsraum und konnte sich bereits bei der Eröffnung über zahlreiche Besucher freuen, darunter Angehörige der amerikanischen Armee und der Rhein-Neckar Branch der National Association for the Advancement of Colored People.

Darrell Bock – "The Da Vinci Code and History: Sorting Out the Claims of a Worldwide Best-Seller"

9. Dezember 2010Bock Web

Für den letzten Vortrag im Herbstprogramm des Baden-Württemberg Seminars konnte das HCA Professor Darrell Bock vom Dallas Theological Seminary gewinnen, dessen Buch Breaking the Da Vinci Code: Answers to the Questions Everyone's Askingauf der Sachbuchbestsellerliste der New York Times stand. Professor Bock stellte die Grundannahmen in Dan Browns Buch und die alternativer christlicher Glaubensrichtungen infrage, dass eine Revision der Urgeschichte des Christentums erforderlich sei, auf der Grundlage gnostischer Texte und insbesondere ihrer Darstellung des menschlichen Jesus und der Rolle von Frauen.

Professor Bock stellte die „verloreren Gospel“ und die damit verbundenen religiösen Bewegungen vor und analysierte Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den bekannten Evangelien. Nach seinen Schlussfolgerungen ist die Behauptung, dass gnostische Christen zeitgleich mit orthodoxen Christen gelebt haben, „einfach falsch“; gnostische Texte sind zu spät entstanden, um noch unmittelbar mit Jesus in Verbindung gestanden zu haben, und es gab keinen „Kernglauben im ersten Jahrhundert, den man später hätte Orthodoxie nennen können“. Wir freuen uns auf ähnlich gute Vorträge und ein ähnlich enthusiastisches Publikum im Frühjahrsprogramm 2011.

Richard Wolin – "Anti-Intellectualism in American Life: The Case of Richard Rorty"

23. November 2010Wolin Web

Der dritte Novembervortrag des Baden-Württemberg Seminars trug den provokativen Titel „Anti-Intellectualism in American Life: The Case of Richard Rorty”. Richard Wolin vom Graduate Center der City University New York bot einen neuen Blick auf einen der bekanntesten amerikanischen Philosophen. Richard Rorty etablierte sich spätestens 1979 mit seinem Werk Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie, das die zentralen Probleme der modernen Philosophie thematisierte: das Körper-Geist Problem; die Natur des Selbst und die Einheit der Wahrheit. In Kontingenz, Ironie und Solidarität, das vielleicht einen noch größeren Einfluss hatte, nahm Rorty es mit führenden Repräsentanten der europäischen Literatur auf: Marcel Proust, Vladimir Nabokov und George Orwell.

Trotz dieser bahnbrechenden Werke wurde Richard Rorty laut Professor Wolin zu einem eher merkwürdigen Charakter in der amerikanischen Philosophie: Ein Philosoph, der die Philosophie faktisch aufgab und ihr Ziel und Zweck wagemutig als Totgeburt erklärte. Im Mittelpunkt des Vortrags stand Rortys unbehagliche Allianz in den 1970er Jahren mit den von Nietzsche inspirierten „anti-philosophischen“ Doktrinen von Michel Foucault, Jacques Derrida und Jean-Francois Lyotard, deren epistemologische Skepsis Rorty teilte, auch wenn er ihre antiliberalen politischen Ansichten als zunehmend geschmacklos und unvereinbar mit seinen eigenen verhaltenen sozialdemokratischen Sympathien ansah. Dennoch war Rorty trotz seiner manifesten Gelehrsamkeit und seiner europäischen Ausrichtung wahrscheinlich amerikanischer als er selbst dachte. Das zahlreich erschienene Publikum am HCA hat diesen Vortrag zweifellos genossen und bisweilen auch kritisch kommentiert.

Anne Hull – "Confronting the Broken and Forgotten: The Essential Need for Journalism"

11. November 2010Bws-anne-hull Web

Für die dritte Veranstaltung im Herbstprogramm des Baden-Württemberg Seminars konnte das HCA Anne Hull in Heidelberg begrüßen, die das Publikum mit ihrem engagierten Vortrag über die essentielle Rolle des Qualitätsjournalismus begeisterte. Anne Hull kam als Holtzbrinck Fellow von der American Academy in Berlin und ist National Reporter bei der Washington Post. Ihre Reportagen berichten zumeist über marginalisierte Gruppen der amerikanischen Gesellschaft und erkunden das Spannungsverhältnis von Klassenzugehörigkeit, Ethnizität und Immigration. Vor fünf Jahren berichtete sie über die Folgen von Hurrikan Katrina aus New Orleans. Für ihre Reportagen über die Vernachlässigung von Kriegsveteranen im Walter Reed Army Medical Center in Washington erhielt sie 2008 zusammen mit Dana Priest den Pulitzerpreis und den Robert F. Kennedy Jr. Journalism Award.

Am HCA sprach Anne Hull unter anderem über die Hintergründe dieser Reportage und betonte, dass es das größte Privileg einer Reporterin sei, das Geld, die rechtliche Absicherung und die Zeit, zu erhalten, um eine Geschichte lange und intensiv zu verfolgen. Sie berichtete außerdem über die Dilemmas, die Journalisten in der „vor Ort“ Berichterstattung bewältigen müssen; andererseits wecke nur diese Art von Reportage die Neugier von Journalisten und erweitere ihr Gesichtsfeld, auch wenn sie die Annehmlichkeiten des urbanen Lebens für Wochen oder Monate verlassen müssen, um über das „wahre Amerika“ zu berichten. Anne Hull schilderte schließlich die erheblichen Probleme, die sich auch den Redaktionen großer amerikanischer Zeitungen stellen, bei denen inzwischen mehr Ressourcen in die online Redaktionen fließen als in die Art von Investigationsjournalismus, die die Walter Reed Reportagen hervorgebracht hat. Ihre eigene Arbeit, so Anne Hull, könne man am besten mit einem Zitat der amerikanischen Schriftstellerin Eudora Welty charakterisieren: „Es ist nicht meine Aufgabe zu urteilen, sondern vielmehr den Vorhang zurückzuziehen, um die dahinter verborgene Welt sichtbar zu machen.“

Robert J. Norrell – "The Media and the Movement: How Racial Images Thwarted and Enabled Race Reform in the US"

2. November 2010Norrell

Robert J. Norrell, Bernadotte Chair of Excellence an der University of Tennessee, eröffnete die Novembervorträge des Baden-Württemberg Seminars mit einem Vortrag über “The Media and the Movement: How Racial Images Thwarted and Enabled Race Reform in the US”. Er analysierte die Darstellung von Afro-Amerikanern in US-amerikanischen Massenmedien von 1890 bis 1958 und verfolgte damit die Geschichte des Protestes gegen die Rassendiskriminierung; dabei stellte er die Verstärkung dieses Protests in den 1950er und 60er Jahren in Verbindung mit einer veränderten Darstellung von Afro-Amerikanern in den Massenmedien. Die amerikanische Popkultur – Comics, Werbung und die Minstrelshow mit schwarz geschminkten weißen Darstellern – hatten schwarze Amerikaner nach dem Ende des Bürgerkriegs lange dämonisiert und so die weiße Vorherrschaft gestützt. Der Dandy Zip Coon and sein Begleiter Jim Crow waren allgegenwärtige rassistische Stereotypen im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert. Dazu kamen äußerst populäre rassistische Romane und Filme, die ein breites Publikum fanden. Rassistischer Humor fand sich auch in beliebten Zeitschriften wie Collier’s und der Saturday Evening Post und in radiosendungen wie Amos’n’Andy.

Diese Entwicklung machte 1938 eine jähe Kehrtwendung, gerade rechtzeitig zur Unterstützung der aufkommenden schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Vor dem Hintergrund von Gerichtsurteilen, die die schwarzen Bürgerrechte stärkten, und zunehmender Aufhebung der Rassentrennung im Sport, wurde der Boxkampf zwischen Joe Louis und Max Schmeling im Juni 1938 zu einem der Schlüsselmomente für die Darstellung von Afro-Amerikanern in den amerikanischen Medien. Nach 1941 tat die Kriegspropaganda ein Übriges um die Missstände in den Rassenbeziehungen anzuprangern. Rassistische Darstellungen nahmen in LIFE und LOOK, in der Saturday Evening Post und im Reader’s Digestmerklich ab und brachten Reportagen, die schwarze Amerikaner deutlich sympatischerer porträtierten. Mit Johnson Publication entstand gleichzeitig ein schwarzes Medienimperium, das schwarze Kultur für Schwarze akzeptabel machte. Zwar blieben die Zeitungen in den Südstaaten der Bürgerrechtsbewegung weiterhin feindlich gesonnen, aber überregionale Zeitungen, allen voran die New York Times, berichteten über Sit-ins und die Freedom Rides – auch wenn sie Probleme in den Ghettos der Großstädte im Norden und Westen ignorierten bis diese in der Mitte der 1960er Jahre explodierten.

"Studying and Teaching in the United States and Germany – A Transatlantic Dialogue: Experiences of German and American Exchange Participants"

28. Oktober 2010Sat Web

Am letzten Donnerstag im Oktober fand am HCA eine Podiumsdiskussion statt, deren Teilnehmer ihre Erfahrungen über Studium und Lehre auf beiden Seiten des Atlantiks austauschten. Dieser Abend war Teil einer Veranstaltungswoche für Universitätsangestellte aus den USA, die eine Reihe von Bildungseinrichtungen in Baden-Württemberg besuchten. Darüber hinaus waren etliche Studenten gekommen, um sich über die Studienbedingungen in den USA zu informieren. Die Veranstaltung wurde gemeinsam von HCA, dem Akademischen Auslandsamt der Universität Heidelberg und der Heidelberg Alumni U.S. (HAUS) organisiert worden und wurde vom Deutschen Akademischen Austauschdienst mitfinanziert.

Nach einer Begrüßung durch den Gründungsdirektor des HCA, Prof. Dr. Detlef Junker, eröffnete Dr. Martin Thunert (HCA) die Debatte. Auf dem Podium diskutierten Prof. Dr. Patrick Roberts (Virginia Tech University/HCA) und Prof. Dr. Kathleen Donahue (Central Michigan University/HCA) die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen für Dozenten und betonten dabei besonders die unterschiedliche Arbeitsdisziplin und das Engagement der Studierenden sowie die unterschiedlichen Methoden bei der Notenfindung. Prof. Dr. Michael Gertz (Institute of Computer Science, Universität Heidelberg) kommentierte unter anderem das unterschiedliche Hierarchiedenken an deutschen und amerikanischen Universitäten und die Forschungsimpulse, die er an der University of California/Davis erhalten hatte. Die Erfahrungsberichte der Studierenden – Gordon Friedrichs und Johanna Illgner aus Deutschland und Jennifer Martens aus den USA – drehten sich hauptsächlich um die Struktur des Studiums, die Arbeitsbelastung während des Semesters, Transparenz in der Notengebung und die Verfügbarkeit der Dozenten. Auch das Publikum trug erheblich zu dieser Diskussion bei. Nach der Veranstaltung hatten alle die Gelegenheit, sich bei einem Empfang in der Bel Etage näher kennenzulernen und das Gespräch fortzusetzen.

Absolventenfeier des Ph.D. Programms in American Studies und Verleihung des Rolf Kentner Preises 2010

21. Oktober 2010Phdgrad1 Web

Seit der Begründung des Ph.D. Programms in American Studies am HCA 2006 haben sich fast zwei Dutzend Doktoranden aus zehn Ländern dazu entschieden, ihren Doktortitel in dieser Disziplin an Deutschlands ältester Universität zu erwerben. Am 21. Oktober konnte das HCA der akademischen Öffentlichkeit die ersten vier erfolgreichen Absolventen dieses Programms präsentieren: Raluca-Lucia Cimpean, Christian Maul, Anthony Santoro und Karsten Senkbeil erhielten ihre wohlverdienten Zeugnisse. Zu Beginn der Zeremonie “schwebten” die vier Absolventen – begleitet von einer Classic Rock Hymne – in Talaren und Doktorhüten – in das Atrium des Curt und Heidemarie Engelhorn Palais. HCA Gründungsdirektor Prof. Dr. Detlef Junker rekapitulierte kurz die Entwicklung des Ph.D. Programms von einer kleinen Gruppe ambitionierter Nachwuchswissenschaftler zu einem der internationalsten und interdisziplinärsten Programme in Deutschland, das Doktoranden aus der ganzen Welt anzieht. Danach überreicht er die Zeugnisse über die erfolgreiche Absolvierung des Programms an Raluca-Lucia Cimpean für ihre Dissertation mit dem Titel “John F. Kennedy Through the Looking Glass: Docudramatic Representations of the JFK Image”; an Christian Maul für seine Studie “From Self-Culture to Militancy, From Conscience to Intervention: Henry David Thoreau Between Liberalism and Communitarianism”; an Anthony Santoro für seine Dissertation “Exile or Embrace: The Religious Discourse on the Death Penalty in the Contemporary Era”; und an Karsten Senkbeil für seine Arbeit über “The Language of American Sports: A Corpus-Assisted Discourse Study.”

Nach einem musikalischen Intermezzo, in dem Eva Mayerhofer und Christian Eckert mit Stücken von Louis Armstrong begeisterten, leitete Prof. Junker zum zweiten Teil des Abends über, der Verleihung des Rolf Kentner Preises. Mit diesem Dissertationspreis werden herausragende Arbeiten auf dem Gebiet der Amerikastudien an einer deutschen Universität Phdgrad2 Webausgezeichnet. Er ist nach Rolf Kentner benannt, dem Vorsitzenden der Jacob Gould Schurman Stiftung und einem der rührigsten Unterstützer des HCA. Der erste Preisträger ist Daniel Stein von der Universität Göttingen. Nach einer kurzen Einführung durch Prof. Dr. Günter Leypoldt, Vorsitzender des Kentner Preis Komittes, hielt Daniel Stein den Festvortrag “My Life Has Always Been an Open Book: Louis Armstrong, American Autobiographer”. Er präsentierte darin einige der zentralen Argumente seiner Dissertation, die das Leben und Werk Armstrongs in der weitergefassten Tradition der amerikanischen Autobiographie verorten. Dieser interessante und unterhaltsame Vortrag wurde vom zahlreich erschienenen Publikum enthusiastisch aufgenommen und hat die Messlatte für die nächsten Preisträger hoch gelegt. Nachdem das zweite musikalische Intermezzo die Themen des Festvortrags gekonnt aufgegriffen hatte, bot ein festlicher Empfang in der Bel Etage dem Preisträger und den Absolventen sowie ihren Gästen Gelegenheit, ausgiebig zu feiern.

Victoria DeGrazia – "Can We Write a History of 'Soft Power'?"

4. Oktober 2010Degrazia Web

Zur ersten Veranstaltung im Herbstprogramm des Baden-Württemberg Seminars konnte das HCA neben zahlreichen anderen Zuhörern auch die neuen Studierenden des Masters in American Studies begrüßen. Victoria DeGrazia, Moore Collegiate Professor of History an der Columbia University, hat in ihrem soeben auf deutsch erschienenen Buch Das unwiderstehliche Imperium den Siegeszug der amerikanischen Konsumkultur im Europa des 20. Jahrhunderts untersucht. In ihrem Versuch, eine Geschichte der „soft power“ zu konzipieren, bezog sich Prof. DeGrazia zunächst auf den Ursprung des Begriffs, den Joseph Nye erstmals 1992 verwendete. „Soft Power“ erlebte seine erste Konjunktur nach dem 11. September 2001; er stand zunächst für eine erfolgreiche diplomatische Strategie und wurde oft synonym mit den Begriffen „kulturelle Diplomatie“, „Öffentlichkeitsarbeit für das Ausland“ oder „McDonaldisierung“ verwandt.

Prof. DeGrazia wandte sich dann der Frage zu, warum die USA begannen, diese Strategie zu favorisieren, welchen Zweck sie damit verfolgten und wie sich damit die amerikanische Hegemonie neu definieren ließ. Dabei stellen die Ausübung von „Hard Power“ und „Soft Power“ keineswegs ein Paradox dar, sondern können aufeinander folgen oder sich ergänzen. Prof. De Grazia diskutierte diese Thesen ausführlich anhand der Geschichte des Marschallplans. Nach Ende des Kalten Krieges sind die Instrumente des „Soft Power“ allerdings keineswegs überflüssig geworden und haben sich insbesondere im Präsidentenwahlkampf 2008 zum „Smart Power“ gewandelt.

Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande an den Gründungsdirektor des HCA

24. September 2010Junker Bvk 1

Fast genau ein Jahr nach der Einweihung des Anbaus gab es am HCA einen weiteren Grund zu feiern: Im Namen des Bundespräsidenten verlieh der baden-württembergische Wissenschafts­minister, Prof. Dr. Peter Frankenberg, dem Gründungsdirektor des HCA das Verdienst­kreuz am Bande. Er würdigte damit Prof. Dr. Detlef Junkers außerordentliches Engagement als Förderer der Wissenschaften, als akademischer Lehrer und kreativer Administrator.

Nach einführenden Worten des Vorsitzenden des Schurman Vereins, Rolf Kentner, und des Rektors der Ruperto Carola, Prof. Dr. Bernhard Eitel, ging Prof. Dr. Philipp Gassert (Universität Augsburg) in seinem Festvortrag auf die inhaltliche und institutionelle Entwicklung der Amerikastudien in der Bundesrepublik ein. Inhaltlich folgte auf die Gründungsperiode Mitte der 1940er bis Mitte der 1960er Jahre, die sich vor allem auf das Vorbild Amerika für den Aufbau der demokratischen Bundesrepublik konzentrierte, eine kritische Periode bis 1990; danach richtete sich das Augenmerk der deutschen Amerikaforscher auf Fragen der Entgrenzung und Globalisierung. Nach der Gründung von Amerikainstituten in München (1949), Berlin (1964) und Frankfurt (1979) betrat das Heidelberg Center for American Studies 2004 Neuland: als Public Private Partnership mit einer nie dagewesenen Vielfalt der Ansätze und disziplinären Kooperation. Der „Heidelberger Weg“, so Philipp Gassert, wurde eine Erfolgsgeschichte und das HCA „eine der feinsten Adressen der Amerikastudien in Europa“.

Minister Frankenberg betonte in seiner Würdigung, dass es Detlef Junker darüber hinaus gelungen sei, den guten wissenschaftlichen Ruf Deutschlands in den USA zu mehren, Kenntnisse über das jeweils andere Land zu vertiefen und damit die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA zu fördern. In seinen Dankesworten ging Detlef Junker auf die Amerikaerfahrungen seiner Generation, der ersten „wirklich transatlantische Generation in der deutschen Geschichte“, ein, bevor die zahlreich erschienenen Gäste auf das Wohl des Geehrten anstießen.
> Pressemitteilung  > RNZ-Artikel

Betsy Erkkilä – "Romancing the Revolution: Jefferson's Declaration"

15. Juli 2010Erkkilae Web

Der letzte Vortrag im Frühjahrsprogramm des Baden-Württemberg Seminars faszinierte das zahlreich erschienene Publikum und bot besonders Historikern und Amerikanisten eine neue Perspektive auf die Entstehungsgeschichte der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Betsy Erkkiläs Untersuchungen stellen sich quer zu den weit verbreiteten Annahmen über den ursprüngliche und die endgültige Version des wohl berühmtesten Textes Thomas Jeffersons. Die historische und kontextuelle Analyse Erkkiläs, die immer eng am Text bleibt, stellt eine weltliche, körperliche, „qualvolle“, leidenschaftliche, sentimentale, dichterische, moralisch utopische und radikale Version der Unabhängigkeitserklärung in den Vordergrund, die auch Auswirkungen auf die Revolution und die Gründung der Vereinigten Staaten gehabt hätte, wenn sie in der endgültigen Fassung Bestand gehabt hätte.

Die Wissenschaft hat die Änderungen des Continental Congress an Jeffersons ursprünglichem Text fast einhellig gutgeheißen und sie mit der „literarischen Qualität“ der Endversion begründet; Erkkilä dagegen plädiert dafür, die zeitgenössischen literarischen Standards anzulegen, nach denen die ursprüngliche Version eine beeindruckende, ästhetisch und moralisch einheitliche, revolutionäre Geschichte erzählt, die den Verlauf der amerikanischen Geschichte hätte beeinflussen können. Erkkiläs Argument fußt auf einer Analyse von Jeffersons erstem publizierten Werk, A Summary View of the Rights of British America (1774) und macht deutlich, das die ursprüngliche Version der Unabhängigkeitserklärung eine amerikanische Fabel über verletzte Tugenden, „qualvolle Zuneigung“, und einen königlichen Sklavenhalter ist; mit Bezug auf Jeffersons Theorie über die moralische Macht der Literatur über den Verlauf der Geschichte analysierte Professor Erkkilä die leidenschaftliche und utopische Geschichte der Revolution, die Jefferson verfassen wollte. Dieses wird besonders in den Passagen deutlich, in denen Jefferson die Sklaverei und den Sklavenhandel als eine Verletzung der „heiligsten Rechte auf Leben und Freiheit“ verurteilt, sowie in seiner leidenschaftlichen Verurteilung der Briten, die ihre rechtschaffenen amerikanischen „Brüder“ im Kampf gegen die Tyrannei im Stich gelassen hätten.

Abschließend richtete Professor Erkkilä ihr Augenmerk darauf, was die vom Continental Congress vorgenommenen Änderungen über die ´gesellschaftlichen und politischen Ängste während der Revolution und der Gründung der USA aussagen; die Passagen, die aus dem Text entfernt wurden, haben letztlich die Krise und die politischen Auseinandersetzung über die Sklaverei so lange hinausgeschoben, bis sie in einen blutigen Bürgerkrieg mündeten.

James Mohr – "The Strange Legal Origins of the American Medical Profession"

28. Juni 2010Mohr Web

Im Rahmen des Baden-Württemberg Seminars des HCA sprach James Mohr, Philip H. Knight Professor an der University of Oregon, über ein Urteil des amerikanischen Verfassungsgerichts, über dessen Bedeutung selbst vielen U.S. Juristen wenig wissen. Dent v. West Virginia (1889) erklärte ein Urteil einer unteren Instanz in West Virginia für verfassungsgemäß. Dieses hatte den Arzt Frank Dent für schuldig befunden, ohne staatliche Lizenz zu praktizieren. Nach einem Gesetz aus dem Jahr 1882 durften in West Virginia nur Ärzte praktizieren, die entweder einen Abschluss einer „renommierten“ Fakultät besaßen, eine Prüfung absolviert hatten oder seit wenigstens zehn Jahren praktizierten.

Die staatliche Gesundheitsbehörde hatte sich geweigert, Dents Ausbildung am American Medical Eclectic College in Cincinnati anzuerkennen, obwohl „Eclectic Medicine“ durchaus konventionelle medizinische Therapien der Zeit akzeptierte und lediglich den exzessiven Einsatz von Blutegeln und zweifelhaften Medikamenten ablehnte. Das Oberste Verfassungsgericht begründete die Rechtmäßigkeit der staatlichen Lizenzierung für Ärzte mit der Notwendigkeit einer gewissenhaften Ausbildung, dem umfangreichen Wissen, das für die Ausübung des Berufs erforderlich ist, und der großen Verantwortung, die Ärzte tragen.

Professor Mohr legte dar, dass diese Entscheidung bahnbrechend für die Entwicklung des Arztberufs in den USA war: Sie legte fest, welche medizinische Richtung in der Zukunft dominant sein würde; sie erklärte die staatliche Lizenzvergabe per se als verfassungsgemäß; und sie ließ eine Auswahl an Kriterien für die Lizenzverteilung zu, die zu einem Mangel an internen Regulierungsmöglichkeiten führen würde. Damit wurde der Arztberuf staatlich sanktioniert was letztlich in einer außergewöhnlich stratifizierten Berufslandschaft resultierte – nicht immer zum Wohle der Patienten.

Jeremi Suri – "The American Nation-Building Creed"

8. Juni 2010Suri2 Web

Das HCA konnte in diesem Frühjahr Jeremi Suri, E. Gordon Fox Professor of History an der University of Wisconsin-Madison, als Gastwissenschaftler willkommen heißen. In seinem öffentlichen Vortrag am 8. Juni gab Professor einen Überblick über die wichtigsten konzeptionellen Ansätze seines neuen Buchs, das unter dem Titel A Nation-Building People: The Past and Future of American Politics im nächsten Jahr bei der Free Press erscheinen wird.

Suris Hauptargument ist, dass amerikanische Bürger und Politiker seit dem 18. Jahrhundert einen bemerkenswert konstanten Ansatz verfolgen, wenn es um die Etablierung politischer oder gesellschaftlicher Ordnungen geht. Danach gehen Amerikaner insbesondere davon aus, dass sich alle Gesellschaften – die eigene und andere – um unabhängige und selbstverwaltete Körperschaften, um eine „Gesellschaft der Staaten,“ herum bilden können und sollen. Jeder Staat hat demnach repräsentative Ansprüche auf ein vereinigtes „Volk“ innerhalb eines festgeschriebenen Territoriums. Umgekehrt gibt die Existenz dieses vereinigten „Volks“ der Staatsführung die notwendige Legitimation. Diese Vision des „nation-state“ spiegelt sich in der Entwicklung der USA wieder, sowohl hinsichtlich ihrer Expansion im Inneren wie auch hinsichtlich ihres außenpolitischen Einflusses, insbesondere im 20. Jahrhundert.

Dieser Ansatz des „nation building“ ist einerseits sehr wirkungsmächtig, andererseits sehr problematisch. Vor allem tendieren Amerikaner dazu,  die Schwierigkeiten des „nation building“ zu unterschätzen; gleichzeitig überschätzen sie ihre Möglichkeiten als Vorbild und „Schirmherr“ für diesen Prozess. Professor Suris Vortrag hielt dem Publikum vor Augen, dass „nation building“ ein integraler Bestandteil amerikanischer Politik ist und gerade deswegen besondere Anforderungen an die sorgfältige und scharfsichtige politische Umsetzung stellt. Die USA können mit ihrer Vormachtstellung positive politische und gesellschaftliche Transformationen anstoßen, aber nicht überall und jederzeit. Ihre politische Führung muss dafür vernünftig und strategisch klug agieren.

Konferenz "Toward an International History of Lynching"

4.-6. Juni 2010Lynching Web

Im Rahmen der Konferenz “Toward an International History of Lynching”, organisiert vom Curt-Engelhorn-Lehrstuhl für Amerikanische Geschichte, der Forschungsgruppe „Radikaler Nationalismus und Geschlecht in den USA, Deutschland und Japan“ (Universität Heidelberg) sowie dem Hamburger Institut für Sozialforschung, kamen in den Räumen des Heidelberg Center for American Studies Forscher aus neun Ländern und verschiedenen Disziplinen wie Soziologie, Anthropologie, Kriminologie, Politik- und Geschichtswissenschaft zusammen. Ziel der Konferenz war es, das Phänomen des Lynching, das bisher meist als Ausdruck eines „negative American exceptionalism“ gedeutet wurde, aus einer vergleichenden, transnationalen Perspektive zu betrachten. Zwei Leitfragen standen dabei im Mittelpunkt: (1) Welche kulturellen, politischen und sozialen Faktoren beeinflussten die Ausbreitung und Eindämmung des Lynching? (2) In welchem Zusammenhang stehen Lynching und der moderne Staat bzw. die Entstehung der modernen Kriminaljustiz? > Konferenzbericht

Judith Wechsler – "Nahum N. Glatzer and the Transmission of German-Jewish Culture"

20. Mai 2010Wechsler Web

Für die dritte Veranstaltung im Frühjahrsprogramm des Baden-Württemberg Seminars konnte das HCA die amerikanische Dokumentarfilmerin und Kunsthistorikerin Judith Wechsler von der Tufts University begrüßen. Judith Wechsler hat zahlreiche Standardwerke der Kunstgeschichte verfasst und ist Regisseurin von mehr als zwanzig Dokumentarfilmen, darunter Monet’s Waterlillies, Rachel de la Comédie Francaise und Jasper Johns: Take an Object. 2007 verlieh ihr die französische Regierung den Chevalier dans l’ordre des arts er des lettres.

Professor Wechsler verbrachte das Frühjahr als Berthold Leibinger Stipendiatin an der American Academy Berlin, wo sie an einem Film über ihren Vater, den jüdischen Gelehrten Nahum N. Glatzer, arbeitet; ihr Vortrag am HCA gab einen Einblick in diese Arbeit und ließ Glatzer selbst in zahlreichen Wort- und Filmdokumenten zu Wort kommen. Nahum Glatzer wurde 1903 in Lemberg geboren und ging 1920 nach Frankfurt am Main, wo er zunächst an der Jeschiwa Breuer, dann an der Frankfurter Universität Orientalistik, Philosophie und Religionsgeschichte studierte. Ab 1923 hielt er Vorlesungen über Midrasch und Bibelexegese am Lehrhaus Frankfurt, dann lehrte er an der Universität Frankfurt jüdische Religionsgeschichte und Ethik in der Nachfolge Martin Bubers. 1932 erfolgte die Promotion zum Dr. phil. Nach seiner Entlassung 1933 floh Glatzer vor den Nationalsozialisten zunächst nach Palästina und emigrierte 1938 in die USA. Glatzer arbeitete als Herausgeber bei Schocken Books, wurde 1950 zum Professor für jüdische Geschichte an die Brandeis-University und 1973 an die Boston University berufen.

Judith Wechslers Vortrag stieß beim Publikum auf sehr großes Interesse und rege Nachfragen. In der anschließenden Diskussion bot sie viele persönliche Einblicke in die Biografie ihres Vaters und vermittelte damit ein umfassendes Bild über Glatzers signifikanten Beitrag zur Wiederbelebung der Judaistik in den USA sowie zur deutsch-jüdischen und amerikanischen Geistesgeschichte im 20. Jahrhundert.

UNESCO History Conference: "UNESCO and the Cold War"

4.-5. März 2010Unesco Web1

Am vierten und fünften März 2010 war das Heidelberg Center for American Studies Gastgeber der dritten und letzten Geschichtskonferenz der UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur). Für das HCA war dies die erste große Konferenz, inklusive englischer und französischer Simultanübersetzung, in seinem neuen Anbau, durch den sich das barocke Stadtpalais in ein kleines Tagungszentrum wandelte.

Auf der zweitägigen Konferenz wurde die oft vernachlässigte Rolle der Organisation im Kalten Krieg untersucht, zu dessen Entschärfung die UNESCO auf kulturellem, bildungspolitischem und wissenschaftlichen Gebiet beitrug. Darüber hinaus leistete die Konferenz einen Beitrag zur Frage, inwieweit die Erforschung der Geschichte zwischenstaatlicher Organisationen das Verständnis transanationaler und transkultureller Geschichte bereichern kann.

Der Eröffnungsrede von Prof. Robert Frank folgten vier Sitzungen zu den Themen “UNESCO and the Member States: In the Turmoil of Cold War Politics", "Engaging the Other Side of the 'Iron Curtain'", "In the Struggle for Peace and Mutual Understanding" und "UNESCO: A Platform for Promoting Culture, Science and Education" sowie eine Abschlussdiskussion. Die Ergebnisse der Konferenz werden auch auf dem International Congress of the Historical Sciences 2010 in Amsterdam präsentiert. > Den gesamten Konferenzreport finden Sie hier...

"The Obama Presidency – One Year On"

19. Januar 2010Obamaoneyear1

Ein Jahr nach Barack Obamas Amtsantritt zog eine Expertenrunde im vollbesetzten neuen Atrium des HCA eine Zwischenbilanz seiner Präsidentschaft. Gründungsdirektor Professor Detlef Junker erinnerte in seinen einführenden Bemerkungen an die Versprechungen, die Obama in seiner Antrittsrede gemacht hatte, und wies darauf hin, dass die augenblicklichen Zustimmungsraten des Präsidenten die niedrigsten seit Einführung der Gallup Meinungsumfragen sind.

Daran anknüpfend führte Dr. Mischa Honeck (HCA) in seinem Kurzvortrag über die umstrittene amerikanische Gesundheitsreform aus, dass die leidenschaftlichen Gegner Obamas vielerorts seinen ebenso leidenschaftlichen Unterstützern aus dem Wahlkampfjahr inzwischen weit überlegen sind. Die sogenannten „Tea Party Brigades“ stellen den Präsidenten abwechselnd als Sozialisten, Faschisten oder Stalinisten dar, sehen sich selbst aber als Vertreter des „einfachen Mannes“ und lehnen liberale Reformvorschläge grundsätzlich ab.

Dr. Martin Thunert (HCA) analysierte in seinem Beitrag die Details des Gesetzgebungsprozesses und der Finanzierung der amerikanischen Gesundheitsreform, wies aber auch darauf hin, dass viele Amerikaner die Wirtschaftskrise und die weiterhin angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt als weitaus drängenderes  Problem sehen.

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Dr. Karen Smith Stegen (Bremer Energie Institut/Jacobs Universität) betonte in ihrem Vortrag, dass der Klimawandel nicht herbeigeführt werden kann, solange sich der Energiekonsum der U.S. Amerikaner nicht wandelt. Ein sinkender Verbrauch und die stärkere Nutzung regenerativer Energien würden die USA zudem weniger abhängig von Energieimporten machen. Obama konnte allerdings in Kopenhagen nur völlig unzureichende Angebote machen, da die entsprechende Gesetzgebung vom Senat noch nicht verabschiedet worden war. 

Dr. John Deni (HCA) wandte sich der Afghanistan- Problematik zu, und erinnerte daran, dass dieser Krieg nach Ernennung eines neuen Oberbefehlshabers und der Truppenaufstockung durch die Obama Administration jetzt als „Obamas Krieg“ wahrgenommen wird. Deni erwartet, dass eine Entscheidung über den Beginn des Truppenabzugs 2011 fallen wird.

Anschließend präsentierte Jeff Jowett (Republicans Abroad) eine sehr kritische Sicht der Amtsführung Obamas, die er als gescheitert ansieht, insbesondere hinsichtlich der Außenpolitik, die die USA geschwächt hätten, und der Gesundheitsreform, die von der Mehrheit der Amerikaner abgelehnt werde. Für die Wahlen im November – und die Nachwahl in Massachussetts, die an diesem Tag stattfand – sagte Jowett deutliche Siege der Republikaner vorher.

Francois Rolland (Democrats Abroad) dagegen betonte, dass Obama auf einem guten Weg sei und bereits ein Viertel seiner Wahlkampfversprechen umgesetzt habe – der Präsident wird bekanntlich auf vier Jahre gewählt. Zudem habe Obama Amerikas Ansehen in der Welt wiederhergestellt.

Die anschließende lebhafte Diskussion drehte sich hauptsächlich um die Gesundheitsreform, die amerikanische Außenpolitik und die Frage, ob ein amerikanischer Präsident jemals die Erwartungen erfüllen könne, die in ihn gesetzt werden.

Daniel Halberstam – "The Constitutional Challenge: Authority and Conflict in Europe and America"

4. November 2009Dscf2057

Am 4. November hielt Prof. Daniel Halberstam im Rahmen des Baden-Württemberg Seminars des HCA einen Vortrag zum Thema “The Constitutional Challenge: Authority and Conflict in Europe and America”, in dem er ein besonderes Augenmerk auf die derzeitige Verfasstheit der Europäischen Union legte. Daniel Halberstam ist Juraprofessor an der University of Michigan Law School. In der Vergangenheit arbeitete er als juristischer Berater für das amerikanische Justizministerium. Er ist außerdem Gründungsdirektor des European Union Center an der University of Michigan. Sein Vortrag fand in Kooperation mit der Deutsch-Amerikanischen Juristen-Vereinigung statt.

Zunächst begrüßte PD Dr. Martin Thunert, Politikwissenschaftler am HCA, sowohl Redner als auch Zuhörer. Er wies dabei darauf hin, welch große Aktualität der Vortrag Halberstams durch die defacto Ratifizierung des Lissabon-Vertrags gewonnen habe. Der tschechische Präsident hatte am Vortag den EU-Reformvertrag unterschrieben und somit sein Inkrafttreten ermöglicht. Auch Dr. Winfried Brugger, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Heidelberg, nahm in seiner anschließenden Überleitung zum Vortrag Bezug auf das aktuelle Tagesgeschehen und erinnerte an die kürzlich gehaltene Rede der Bundeskanzlerin vor dem US-Kongress.

In seinem Vortrag verglich Halberstam deutsche und amerikanische Verfassungsstrukturen, insbesondere die Fragmentierung der Regierungsgewalt. Dabei stellte er die Beziehungen der europäischen Mitgliedsstaaten zur EU und die der einzelnen Organe der amerikanischen Staatsgewalt einander gegenüber. Konflikte innerhalb der EU und zwischen dem Obersten Gerichtshof der USA, dem Kongress und dem Präsidenten seien letztlich Auseinandersetzungen über die Frage, wer individuelle Rechte besser schützen könne. Diesen Anspruch versuchten die jeweiligen Konkurrenten dann zu untermauern, indem sie jeweils ihre Mitspracherechte, Kompetenz oder Berechtigung betonten. Halberstam kam daher zu dem Schluss, dass Mitspracherechte, Kompetenz und Berechtigung die grundlegenden Werte des Konstitutionalismus seien. Halberstams Vortrag stieß bei den zahlreichen Zuhörern auf außerordentliches Interesse; davon zeugte die äußerst lebhafte und fruchtbare Diskussion, die auf seine Ausführungen folgte.

Philip D. Zelikow – "America and the World in a Time of Transition"

9. Oktober 2009

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Baden-Württemberg Seminar referierte Philip D. Zelikow am Freitag, dem 9. Oktober 2009, im HCA zum Thema “America and the World in a Time of Transition”. Zelikow ist White Burkett Miller Professor für Geschichte an der Universität von Virginia. Philip Zelikow war Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates der Vereinigten Staaten von Amerika und arbeitete für George W. Bushs Übergangsteam. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde er mit der Ausarbeitung einer neuen nationalen Sicherheitsstrategie betraut. Später wurde er zum Executive Director der 9/11 Kommission berufen. Derzeit ist Zelikow unter anderem Mitglied des Global Development Program Advisory Panel der Bill und Melinda Gates Stiftung.

In seinem Vortrag erläuterte Zelikow die Rolle Amerikas in der Welt aus dem Blickwinkel eines Historikers und stütze sich dabei auf drei Begriffe, die seiner Meinung nach essentiell sind, um Amerika und die Welt in einer Zeit des Übergangs zu verstehen. Als erstes benannte er die „neuen Herausforderungen“: Über Jahrhunderte hinweg habe sich die Welt konstant verändert und ständig sei die Menschheit vor neue Herausforderungen gestellt worden, so Zelikow. Eine der wichtigsten Änderungen, die das Geschehen der Weltgeschichte beeinflussten, sah Zelikow im Fall der Berliner Mauer vor zwanzig Jahren. Als einen weiteren zentralen Begriff nannte Zelikow „stark und schwach“. In der Regel seien die Institutionen eines Landes stark, die Regierung seiner Auffassung nach aber eher schwach.

Am Ende seines Vortrages sprach Zelikow über Amerika und seinen Platz in der Welt. Dabei kam er zu der Erkenntnis, dass die USA seit dem Kalten Krieg kein „Master-Script“ für ihre Außenpolitik mehr hätten. Laut Zelikow seien Masterpläne von enormer Bedeutung für ein Land, da diese eine gemeinsame Richtung sowie Orientierung vorgeben würden. Solange es einen Masterplan gebe, würden beispielsweise Parteien an einem Strang ziehen. In der Vergangenheit sei es so gewesen, dass diese Masterpläne die Amtszeit einer Regierung überdauert hätten und auch bei einem Regierungswechsel weiter verfolgt worden seien. Den Grund für die Tatsache, dass die USA in der Vergangenheit vergleichsweise wenige Masterpläne gehabt hätten, sieht Zelikow vor allem darin, dass die amerikanische Politik eher dazu neige, reaktiv anstatt proaktiv zu handeln. Der letzte Masterplan, den die USA gehabt hätten, sei der Kalte Krieg gewesen. Über vier Jahrzehnte war es das Ziel der USA gewesen, den Einfluss der Sowjetunion durch politische, ökonomische und militärische Anstrengungen einzudämmen bzw. zurückzudrängen. Doch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hätten die USA plötzlich keinen Masterplan mehr gehabt. 2001, nach Jahren ohne „Master-Script“, hätten die Amerikaner geglaubt, endlich wieder einen Masterplan zu haben: Den Krieg gegen den Terrorismus. Doch dies sollte nicht der Fall sein. Die USA hätten  versucht, Bin Laden in die Rolle Stalins - eine Rolle, die sie kannten -  zu zwingen, aber dies sei ihnen misslungen. Heute, im Jahr 2009, hätten die Amerikaner noch immer kein „Master-  Script“ und „sie versuchen weiter, herauszufinden, was ihre Aufgabe in dieser Welt ist“, so Zelikow.

Rick Atkinson – "Bringing Back the Dead: History, Memory, and the U.S. Army in World War II"

24. September 2009

Am 24. September 2009 leitete der Vortrag des mehrfachen Pulitzerpreisträgers Rick Atkinsons das diesjährige Herbstprogramm des Baden-Württemberg Seminars ein. Die langjährige Veranstaltungsreihe wird seit diesem Sommer erstmalig vom Heidelberg Center for American Studies eigenverantwortlich koordiniert. Mit Rick Atkinson konnte für die Auftaktveranstaltung ein ebenso erfolgreicher wie ausgezeichneter Journalist und Historiker gewonnen werden.

Als Experte für Militärgeschichte sprach er in seinem Vortrag „Bringing Back the Dead: History, Memory, and the U.S. Army in World War II“ über die Rolle der US-Armee im Zweiten Weltkrieg. Dabei ging er insbesondere auf die Gefechte in der Mittelmeerregion ein, deren Bedeutung seiner Meinung nach bis heute unterschätzt werde. Atkinson betonte in seinem Vortrag außerdem, wie wichtig die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs für das narrative Schreiben seien; dieser Krieg sei zu einem zentralen Mythos der modernen Literatur geworden.

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Rick Atkinson selbst verbindet in seinen Büchern geschichtswissenschaftliches Sachbuch und historischen Roman. Seine bisherigen Werke versteht er als Anti-Kriegsliteratur, in denen er ohne Glorifizierung das Grauen des Krieges entlarven möchte. Momentan arbeitet er am dritten Band seiner Liberation Trilogy , für deren ersten Band er bereits 2003 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde. Neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller hat sich Atkinson aber vor allem als Journalist bei der Kansas City Times und der Washington Post einen Namen gemacht.

Mit seinem Vortrag stieß Atkinson bei den Zuhörern auf sehr großes Interesse. In der anschließenden Diskussion erläuterte er weitere Details der Kriegsstrategie auf Seiten der Alliierten und erörterte seine Sicht auf das heutige Verhältnis zwischen den USA und Deutschland. Abschließend stellte er die Frage, welche Rolle die USA zukünftig im internationalen Staatengefüge einnehmen soll.

Robert Cherny – "The 2008 Election in Historical Context"

25. Juni 2009

Am 26.05.2009 hielt der momentan am HCA lehrende Fulbright Visiting Scholar Professor Robert Cherny einen Vortrag zum Thema „The 2008 Election in Historical Context“. Prof. Cherny hat einen Lehrstuhl in Geschichte an der San Francisco State University. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf der Geschichte der USA zwischen 1865 und 1945, Politik, Kalifornien und dem Westen. Prof. Cherny war außerdem Mitarbeiter des National Endowment for the Humanities, Distinguished Fulbright Lecturer an der Staatlichen Universität in Moskau und Gastwissenschaftler an der Universität von Melbourne. Er war Präsident von H-Net und der Society for Historians of the Gilded Age and Progressive Era, Mitglied des Präsidiums der Organization of American Historians und Mitglied der Herausgeberpräsidien des Pacific Historical Review und der California History.

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Prof. Cherny ging in seinem Vortrag auf Verschiebungen in der Parteibindung der amerikanischen Wählerschaft im Laufe der Geschichte ein. Anhand der gebräuchlichen „Epochalisierung“ der amerikanischen Parteienlandschaft in fünf sogenannte Partei-Systeme analysierte Prof. Cherny die Übergänge zwischen den einzelnen Systemen. Diese liminalen Phasen sind durch zwei Schritte geprägt, einer Entfremdung der Wähler von den Parteien und ihren Programmen folgt eine Neu- oder Wiedereinordnung. Diesen Bewegungen in der Parteienlandschaft gehen bestimmte soziale, politische oder wirtschaftliche Ereignisse voraus, die das Wahlverhalten der Bevölkerung nachhaltig verändern.

In Anbetracht des deutlichen Sieges Barack Obamas bei den Präsidentschaftswahlen 2008 ging Prof. Cherny der Frage nach, ob es sich bei diesem deutlichen Sieg der Demokraten ebenfalls um einen Wendepunkt in der Geschichte der amerikanischen Parteienlandschaft gehandelt hat oder nicht. Um diese Frage beantworten zu können, zog Cherny einen Vergleich mit der Wahl Franklin Delano Roosevelts 1932, die den Beginn des fünften Parteiensystems darstellen sollte. Dabei steht Roosevelts Wahlsieg für den Beginn einer Epoche demokratischer Vorherrschaft über das Weiße Haus, die vor allem in der Unfähigkeit der Republikaner im Umgang mit der damaligen Wirtschaftskrise und der Popularität der New Deal Programme begründet liegt. Die Linderung der wirtschaftlichen Probleme durch den New Deal verhalfen den Demokraten dazu, die Nord-Süd Dichotomie, die das vierte Parteiensystem geprägt hatte, hinter sich zu lassen, was durch neue demokratische Mehrheiten in ehemals republikanischen Staaten verdeutlicht wird.

Im Umkehrschluss stellt Prof. Cherny fest, dass die Zugewinne der Demokraten bei den Präsidentschafts- und Kongresswahlen 2008 weit geringer ausfielen, als die Franklin Delano Roosevelts 1932 und dass aufgrund wesentlich schwächerer Parteibindungen der Wählerschaft, selbst eine erfolgreiche Obama-Präsidentschaft keine neue Epoche demokratischer Vorherrschaft hervorbringen wird.

M. Hochgeschwender – "Religious Fundamentalism and Neo-Fundamentalism in Twentieth Century America"

18. Juni 2009

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Harvey C. Mansfield – "How To Understand Politics: Pay Attention To Thumos"

14. Mai 2009

Am 14. Mai 2009 war das Heidelberg Center for American Studies Gastgeber eines Vortrags von Harvey C. Mansfield. Der bekannte Politikprofessor aus Harvard sprach darin über den Begriff des „Thymos“ und dessen Bedeutung für unser Politikverständnis. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Baden-Württemberg Seminars der American Academy in Berlin statt.

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Mansfield erläuterte, dass das Konzept des Thymos erstmals in der Philosophie des antiken Griechenlandes auftauchte. Es bezeichnet das menschliche Streben nach Ansehen und den daraus erwachsenden Ehrgeiz. Daneben gilt Thymos als Bindeglied zwischen dem Mensch und dem Göttlichen, weil es einen mit dem „Guten“ verbundenen Teil der Seele darstelle. Laut Mansfield ist daher Thymos für menschliche Größe verantwortlich. Darüber hinaus legte Mansfield dar, dass Thymos maßgeblich die Politik bestimme. Seiner Meinung nach vernachlässige die Politikwissenschaft aber die Bedeutung des Thymos und Ehrgeizes. Mansfield führte diese Missachtung auf einen grundsätzlichen Unterschied zwischen den Natur- und Sozialwissenschaften und den Geisteswissenschaften zurück. Während Natur- und Sozialwissenschaften den großen Fragen menschlicher Existenz aus dem Weg gingen, stellten sich die Geisteswissenschaften diesen. Mansfield zog den Schluss, dass Natur- und Sozialwissenschaften sich für die Erkenntnisse der Geisteswissenschaften öffnen sollten. Daher müsse sich die Politikwissenschaft weit stärker mit dem Streben nach Anerkennung auseinandersetzen.

Harvey C. Mansfields Ausführungen schlossen sich inhaltlich an seinen 2007 gehaltenen Vortrag im Rahmen der Jefferson Lecture in the Humanities an. Mit der Jefferson Lecture in the Humanities wurde Mansfield die höchste Ehre zuteil, mit der die amerikanische Regierung Leistungen im Bereich der Geisteswissenschaften auszeichnet. Außerdem war Mansfield Guggenheim und NEH Fellow und Fellow am National Humanities Center. Seit 1993 ist er Inhaber des William R. Kenan, Jr. Lehrstuhls für Politik an der Harvard-Universität. Des Weiteren hat er Werke Machiavellis und Tocquevilles übersetzt und ist Autor mehrerer Bücher. Eine seiner aktuellsten Veröffentlichungen ist das kontrovers diskutierte Manliness (Yale University Press, 2006).

Zur Seite der National Endowment for the Humanities und Mansfields Jefferson Lecture in the Humanities

"Eine Präsidentschaft des Wandels? Die ersten 100 Tage der Obama-Administration"

29. April 2009

Am 29. April 2009 erreichte Barack Obamas Präsidentschaft die symbolische Marke von 100 Tagen. Seit Franklin D. Roosevelt wird dies traditionell als Anlass gesehen, die bisherigen Entscheidungen des Präsidenten zu bewerten. Aus diesem Grund trafen sich die Heidelberger Experten für US-Politik, Prof. Robert Cherny (HCA), Dr. John R. Deni (IPW) und PD Dr. Martin Thunert (HCA), im HCA, um eine vorläufige Bilanz der Amtsführung Obamas zu ziehen. Die von Dr. Jana Freihöfer moderierte Debatte konzentriert sich dabei auf Obamas Schwierigkeiten, Fehler und Erfolge in innenpolitischen wie außenpolitischen Angelegenheiten.

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US-Präsidentschaftswahl 2008 – Debatte: Demokraten vs. Republikaner

23. Oktober 2008Dscf1665

John McQueen (Democrats Abroad) & Dr. Stefan Prystawik (Republicans Abroad)

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US-Präsidentschaftswahl 2008 – Kamingespräch mit Analysen zur Wahl

5. November 2008

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mit Dr. Robert G. Livingston, Prof. Dr. Manfred Berg, Dr. Wilfried Mausbach & Dr. Martin Thunert

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"The Current Financial Crisis in the US & the Role of the US Government"

27. November 2008Dscf1721

Baden-Württemberg Seminar der American Academy in Berlin
David Abraham (Alexander von Humboldt-Foundation)
Dr. Bernd-A. von Maltzan (Deutsche Bank AG)

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Letzte Änderung: 17.09.2019
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